Die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit wird zusehends ausgebaut. Es gibt zu wenig Widerstand gegen neue EU-Agenturen, Trainings, Datentausch oder gemeinsame Einsätze
Meist gehen Kooperationen von Polizeien zweier oder mehrerer Länder auf bilaterale Abkommen zurück. Deutschland hat derartige Verträge mit allen Nachbarstaaten geschlossen, geregelt wird der Informationsaustausch ebenso wie das Tragen von Waffen. Polizeiliche Zwangsmaßnahmen liegen in der Hoheit der jeweiligen Regierung, deshalb muss eine Zusammenarbeit stets zuvor beantragt werden. Das gilt übrigens auch für den Austausch von Spitzeln, die sogar für eine Durchquerung eines Landes eine Genehmigung benötigen.
Vielfach haben einzelne Landespolizeien ebenfalls Kooperationsverträge mit bestimmten Ländern geschlossen, etwa um gegenseitig Polizeieinsätze zu beobachten. Polizisten aus Hamburg und Istanbul besuchen sich gegenseitig zu politischen Demonstrationen oder Fussballspielen und werten Erfahrungen gemeinsam aus. Zwar behauptet die Bundesregierung, gemeinsame Polizeieinsätze seien längst „gängige Praxis“. Das mag vielleicht für den Austausch sogenannter „szenekundiger Beamter“ gelten, die ungefragt Fußballmannschaften zu Spielen im Ausland „begleiten“. Die Ausleihe von prügelnden Hundertschaften samt Wasserwerfern ist aber eine deutsche Besonderheit und wird seitens der Bundespolizei, aber auch einzelnen Landespolizeien mit Frankreich, Österreich und der Schweiz praktiziert.
Um die Zusammenarbeit zu standardisieren, hat die EU entsprechende Bestimmungen im sogenannten „Schengener Durchführungsabkommen“ verankert. Auch der „Vertrag von Prüm“, zunächst als multilaterales Abkommen“ von sieben EU-Mitgliedstaaten geschlossen und unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 auf EU-Ebene gehievt, definiert den Tausch von DNA-Daten und Polizeibefugnisse bei größeren Einsätzen. 2010 waren drei französische Polizisten auf Basis des „Vertrags von Prüm“ beim Castor-Transport eingesetzt. Der Einsatz diente jedoch eher der Beobachtung und war nicht wie im Falle deutscher Polizeiausleihe einsatzentscheidend.
Auf Ebene kriminalpolizeilicher Ermittlungen spielt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ebenfalls eine immer wichtigere Rolle. Die EU-Polizeiagentur EUROPOL nennt sich inzwischen „Zentrum der Weltklasse“ und unterstützt die Polizeien der EU-Mitgliedstaaten vor allem mit Datensammlungen. Diese werden aus den nationalen Kontaktstellen angeliefert, im Falle Deutschlands vom Bundeskriminalamt. EUROPOL unterhält Datensätze unter anderem zu „Tierrechtsextremismus“ oder „Euro-Anarchismus“ und hat bereits entsprechende Konferenzen ausgerichtet. Gespeichert werden jene Aktivisten, die bei internationalen Protestereignissen festgestellt wurden oder sich im internationalen Kontext mit Antirepression befassen. Zeitweise unterhielt das BKA hierzu ein Auswertevorhaben „Europäische Netzwerke des linksextremistischen Spektrums unter Beteiligung deutscher Staatsangehöriger“, um das Erkennen „möglicher linksextremistischer/linksterroristischer länderübergreifender Netzwerke und Strukturen“ zu erleichtern.
Auch das geheimdienstliche „Lagezentrum“ INTCEN, das die in Brüssel unterhält, hat bereits Berichte zu „Euro-Anarchismus“ verfasst. Als nächste Neuerung steht die Stärkung der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften über die EU-Agentur EUROJUST an. In der Pipeline ist eine „Europäische Ermittlungsanordnung“: Unter dem Prinzip der „Gegenseitigen Anerkennung in Zivil- und Strafsachen ist ein Mitgliedstaat gezwungen, auf Anordnung einer anderen Regierung polizeiliche Zwangsmaßnahmen durchzuführen. Die spanische Polizei könnte beispielsweise Hausdurchsuchungen in Dänemark anordnen, oder Schweden einen Einsatz von Trojanern in Griechenland. Von der geplanten Richtlinie wird auch das Ausspähen von Konten oder das Abhören von Telekommunikation erfasst.
Weil die internationalen Proteste gegen die Treffen der G8, des IWF und der EU vor 13 Jahren unkontrollierbar wurden, haben sich auch die Polizeihochschulen mit der Handhabung der Ereignisse befasst. Heraus kamen Handbücher mit empfohlene Standards, etwa eine offensive Medienstrategie zu betreiben, Protestbewegungen frühzeitig zu überwachen und gegenseitig Daten auszutauschen. Diese bilden die Basis für Reisesperren oder ebenfalls empfohlene hohe Quoten von Strafverfahren. Proteste in Gleneagles (G8), Heiligendamm (G8) oder Kopenhagen (COP 15) zeigen, dass die Handbücher von Polizeien der Mitgliedstaaten auch gelesen werden.
Ein neues Forschungsprojekt namens GODIAC untersucht nun, wie Demonstranten ihrerseits auf die Polizeistrategien reagieren. Das Vorhaben beruft sich auf heftige Gipfelproteste 2009 (NATO, G20 und G8) und will Maßnahmen gegen dort beobachtete „Herausforderungen“ entwickeln. Um auch die gemeinsamen Einsätze besser zu koordinieren, hat die EU-Kommission zwischen 2008 und 2010 mehrwöchige „European Police Forces Trainings“ (EUPFT) durchgeführt. Die ersten beiden Trainings fanden auf Übungsplätzen der „Europäischen Gendarmerietruppe“ (EUROGENDFOR) statt. In dieser EUROGENDFOR organisieren sich jene Länder, bei denen auch das Militär eigene Polizeien unterhält, die dann Aufgaben im Innern übernehmen. Hierzu gehören die Carabinieri in Italien, die Guardia Civil in Spanien oder die Maréchaussee in Holland.
Das letzte „European Police Forces Training“ wurde von der Bundespolizei auf einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr bei Potsdam ausgerichtet. Als Szenario galt eine Situation nach einem Bürgerkrieg, der von einem EU-Militäreinsatz zunächst „befriedet“ wurde. Einzelne Missionen spielten die „Evakuierung von EU-Bürgern“ oder einen „EU-Staatsbesuch“ durch, weitere erfolgten zum „Schutz von öffentlichen Gebäuden“ oder der „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit“. „Wer Erfahrung mit Hooligans hat, kommt auch im Kosovo zurecht“, erklärte dazu der Präsident der Bundesbereitschaftspolizei, Friedrich Eichele. Zusammen mit seinem Stab hat sich Eichele die „Missionslagen“ des EUPFT ausgedacht. Er hielt vor allem die deutschen Wasserwerfer für herausragend und mokierte sich über den unergiebigen Einsatz von Tränengas durch französische Polizisten. Zukünftig werden derartige Trainings wohl auf dem GÜZ in in Schnöggersburg stattfinden.
Die europäische Polizeizusammenarbeit verlagert sich zunehmend auf eine supranationale Ebene, deren einzelne Einrichtungen und Arbeitsgruppen mitunter sehr undurchsichtig sind. Sanktionen, etwa die geplante „Europäische Ermittlungsanordnung“, werden erst nach einigen Jahren spürbar, wenn sie in nationales Recht umgesetzt werden. Die Kämpfe dagegen bleiben häufig auf nationaler Ebene stecken, obwohl linke Aktivisten eigentlich gut über Grenzen hinweg vernetzt sind. Es braucht eine gemeinsame Reaktion auf diese quasi-Staatswerdung der EU, deren Polizei- und Justizapparat ein immer lebendigeres Eigeneleben entwickelt. Anknüpfungspunkte dazu gäbe es reichlich.