Das bitterarme mittelamerikanische Land Honduras
gehört nicht zu den Staaten, die normalerweise die Schlagzeilen der
internationalen Medien füllen. Das änderte sich am 28. Juli diesen
Jahres schlagartig, als frühmorgens schwer bewaffnete Maskierte in die
Wohnung des gewählten Präsidenten Mel Zelaya eindrangen, um ihn
kurzerhand im Pyjama außer Landes zu verschleppen. Militärs besetzten
den Präsidentenpalast, patroullierten in den Strassen der Hauptstadt
Tegucigalpa, kontrollierten Radio und Fernsehstationen und verkündeten
die Absetzung des gewählten Präsidenten.
Die ehemalige Bananenrepublik machte wieder Schlagzeilen, extrem
negative Schlagzeilen. Später war zu erfahren, dass die Militärs mit
Zelayas Verschleppung im Namen des Obersten Gerichtshofes gehandelt
hätten, wobei hier sich natürlich sofort die Frage stellt, auf welcher
Gesetzesgrundlage? Später versuchte auch der Kongress mit einer
gefälschten Rücktrittserklärung dem Putsch einen legalen Anstrich zu
verleihen und ernannte Zelayas parteiinternen Gegner Micheletti als
Interimspräsident bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode. Zelaya,
der zu diesem Zeitpunkt bereits in Costa Rica von der Illegitimität
seiner Verschleppung sprach und seinen Willen zum Ausdruck brachte,
sein Mandat gemäß der honduranischen Verfassung bis zum Ende weiter zu
führen, verneinte, ein solches Rücktrittschreiben verfasst zu haben,
dass zu allem Überfluss auch noch mit falschem Datum versehen war, dem
25. Juni, dem Tag, an dem bereits ein Militärputsch in Honduras
befürchtet wurde. All dies klingt lächerlich, und könnte als absurdes
politisches Schmierenstück abgetan werden, wenn es nicht so ernst wäre
für diejenigen, die in Honduras leben, wenn es nicht gleichzeitig
diesen bitterernsten Beigeschmack des Rückschritt in die bleierne Zeit
der Militärmacht gerade auch in Honduras in sich beherbergen würde.
Die Putschisten und ihre Verbündeten reden von Rettung der Demokratie,
die von Zelaya außer Kraft gesetzt worden wäre. Für diese
„demokratische Rettungsaktion“ fahren sie also Panzer und
Militärpatrouillen auf, verhängen Ausgangssperren, schalten Radio- und
Fernsehstationen ab (dabei ist gerade das Radio die wichtigste
Informationsquelle innerhalb des Landes), verschleppen Journalisten,
Politiker, Anführer von sozialen Bewegungen, blockieren Demonstrationen
gegen den Putsch, verhaften deren Teilnehmer und prügeln wild um sich.
Was an diesem 28. Juni in Honduras durch die Militärs eingeläutet wurde
ist nichts anderes als ein illegaler, einzig durch die Präsenz der
Gewehrläufe realisierter Staatsstreich, der gerade in Honduras
Erinnerungen an die bittere Zeit unter den Militärs der 1980er Jahre
hochkommen lässt. Doch anders als in diesen 1980er Jahren wird er sehr
deutlich von der internationalen Staatengemeinschaft einschließlich den
USA verurteilt.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gab den selbst ernannten
neuen Machthabern eine Frist bis zum 3. Juli zur Wiedereinsetzung
Zelayas. Wenn nicht, droht der Ausschluss des Landes aus der OAS. Die
EU Außenminister verurteilten bereits am ersten Tag den Putsch und
beschlossen, ihre Botschafter aus dem Land abzuziehen.
Der vermeintliche Grund zu dieser illegalen Aktion war eine für den 28.
Juni geplante Umfrage, bei der Zelaya herausfinden wollte, ob die
Bevölkerung damit einverstanden wäre, bei der Präsidentschaftswahl am
29.November eine zusätzliche – die vierte – Urne aufstellen zu können.
Mit dieser vierten Urne sollte dann eine Abstimmung über die
Einrichtung einer verfassungsgebenden Versammlung durchgeführt werden.
Das Projekt zielt auf mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft an
politischen Entscheidungsprozessen ab. Untragbar für die
Traditionalisten des Landes, und dazu gehören die Militärs, ein
Großteil der nationalen Unternehmer und das große Spektrum der
Politiker zwischen Liberaler und Nationaler Partei, die sich in trauter
Eintracht die politische Macht des Landes seit Jahrzehnten teilen.
Zelaya, der wahrlich kein Politiker mit linker Tradition ist und als
Repräsentant der konservativen Liberalen Partei gewählt wurde, scherte
aus diesen bis zu seiner Amtszeit reibungslos funktionierenden
Spielregeln aus, schloß ein Abkommen mit Petrocaribe und forcierte den
Beitritt seines Landes in das linke, von Venezuelas Präsidenten Hugo
Chávez initiierte ALBA Bündnis (Bolivarianische Alternative für
Amerika). Sein hemdsärmeliges, zum Teil auch einzig populistisches
Vorgehen erschreckte dabei nicht nur seine Gegner. Er ist weit davon
entfernt, ein Politiker der klaren Linie, mit wirtschafts- und
finanzpolitisch greifbaren, nachvollziehbaren Konzepten zu sein, der
einer Vision folgend auch sozialpolitische Maßnahmen spürbar
angeschoben hätte. In einem Land wie Honduras wäre dies von einem
Politiker nach einer gut dreijährigen Amtszeit wahrscheinlich auch
zuviel verlangt. Doch er hat das vorhandene Monopol auf Einführung von
Benzin aufgehoben, dann die vorhandenen Möglichkeiten zur Steuerflucht
eingedämmt und den Mindestlohn erhöht. Und zur Überraschung aller,
seiner Gegner, die ihn zu entmachten suchen und auch seiner Anhänger,
die heute auf den militarisierten Strassen des Landes die Rückkehr
Zelayas fordern, dafür gejagt, verprügelt, verhaftet werden, hat er in
Honduras zumindest einen Paradigmenwechsel angeschoben.
Vor seiner Amtszeit sprach man in Honduras nicht über “sozialistische
Konzepte. Die Politik Castros oder auch die von Chavez waren
Tabuthemen“ erinnert sich Bertha Oliva, Menschenrechtlerin seit mehr
als zwanzig Jahren, seit der Zeit, als ihr Mann von den Militärs
verschleppt wurde und sie mit anderen Familienangehörigen die
Organisation Cofadeh - das Komitee der Familienangehörigen von
verschwundenen Honduranern gründete. Vor Zelayas Amtsübernahme hätte
sie sich nie träumen lassen, dass ihr Land dem ALBA Bündnis beitreten
würde. Im August 2008 unterzeichnete Zelaya die Beitrittserklärung.
“Uns hat dieser Beitritt überrascht. Wir konnten es kaum glauben. Uns
schien es irreal, so als ob die Regierung uns auf den Arm nehmen würde.
ALBA war unser Traum,“ Mit Cofadeh gehört Bertha Oliva zum Bloque
Popular, einem bis dahin eher marginal agierenden linken Bündnis, das
immer die Aufnahme von Honduras ins ALBA Bündnis gefordert hatte. Und
so sah Bertha Oliva darin auch „einen Paradigmenwechsel in Honduras,
der vor Allem für diejenigen, die bisher aufgrund ihrer politischen
Macht die Gedanken und Gefühle der Bevölkerung bestimmt haben, einen
Einschnitt in ihrer Machtausübung bedeutet.“
Mehr noch, Zelaya fährt damit eine außenpolitische Linie, mit der er
Honduras neu zu orten sucht, eine längst fällige politische
Positionierung innerhalb der zentralamerikanischen Region, so Zelayas
Berater Milton Jimenéz, denn „Honduras spielte in der Vergangenheit
eine unheilvolle Rolle. Von hier wurden die Nachbarländer bedroht. Hier
installierten sich die US-amerikanischen Truppen, ebenso wie das
salvadorianische und guatemaltekische Heer oder die gegen Nicaragua
kämpfenden Contragruppen, um in die Bürgerkriege oder die Konflikte,
die in der Region stattfanden, einzugreifen. Unserem Land brachte dies
einen großen Prestigeverlust.“
Mit ALBA und Petrocaribe-Dollars sollten auch innenpolitisch neue
Impulse und soziale Projekte angeschoben werden, so der Plan und so
verkünden es aufwendig erstellte Werbespots der Regierung. Projekte,
die das Land bitter nötig hat und die von keiner der vergangenen
Regierungen in Angriff genommen worden sind. Zwei Drittel der
Gesamtbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, über 40 Prozent
davon gelten als extrem arm. Demgegenüber protzen die Reichen mit ihren
Palästen unweit der Armenviertel, mit ihren Strandvillen und Jachten
und Privatjets. Ihre Kinder, deren Taschengeld das Jahreseinkommen
eines Großteils der Bevölkerung übersteigt, lassen sie von den
Privatschulen von ihren Chauffeuren mit Hummern oder Porsches abholen.
Diese Kluft, die sich zwischen arm und reich auftut, trägt in Honduras
deutlich das Etikett schamlos und ist selbst für den
lateinamerikanischen Kontinent extrem groß. Ein Produkt der im Land
herrschenden Einkommensverteilung, der vorherrschenden Korruption
innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite, die sich wie ein
roter Faden durch alle Regierungen zieht, sowie der fehlenden
arbeitsplatzgenerierenden Wirtschaftskonzepte. Über 1 Mio. Honduraner
haben das Land verlassen, um in El Salvador, Mexiko, den USA, Kanada
oder Europa Arbeit zu suchen. Deren Remesas, wie die Geldtransfers der
Arbeitsmigranten ins Heimatland benannt werden, betrugen im Jahr 2007
über 2,5 Milliarden Dollar. Dazu kommt eine poröse, unzureichende
Bildungspolitik, durch die noch immer annähernd 20 Prozent Analphabeten
im Land gezählt werden.
Mit Unterstützung des Petrocaribe Abkommens, das Zelaya bereits vor dem
ALBA Beitritt unterzeichnete, wurde in Honduras eine
Alphabetisierungskampagne angeschoben. Kubanische Lehrer unterstützen
dieses Projekt. Eduardo Facusse ist ehemaliger Vorsitzender des
Unternehmerverbands und Eigentümer von textilverarbeitenden Maquilas –
wie die großen Produktionshallen in zollfreien Freihandelszonen genannt
werden, in denen die Arbeitsverträge den Arbeiterinnen wenig Rechte,
dafür aber eine äußerst schlechte Bezahlung zugestehen. Er begrüßt
diese Alphabetisierungskampagne als eine sinnvolle Maßnahme, befürchtet
aber gleichzeitig die „darin einfließende Indoktrination der
honduranischen Kinder durch kubanische Lehrer“. Und er drückt aus, was
die unternehmerische Elite unter Zelaya befürchtet, nämlich dass dieser
sich erlaubt „Maßnahmen durchzuführen, die nicht mit dem freien
Unternehmertum vereinbar sind, wie die Verstaatlichung der Betriebe.“
Für ihn ist ALBA z.B. eine „in gewissen Aspekten ideologische,
drittweltmässige Übereinkunft, die Konstellationen schafft, die als
solche nicht notwendigerweise von demokratischen Regierungen gesucht
werden“.
Und so war Zelaya recht schnell mit seiner Politik, die vielfach
populistisch, oft auch recht simpel von ihm vertreten wurde, innerhalb
des Kreises der eigentlich Mächtigen im Land, dem Bündnis aus
Unternehmern, Militär und konservativer Politik, isoliert. Die dann
folgenden Debatten und auch viele seiner politischen Handlungen bekamen
mehr den Anschein von machtpolitischer Auseinandersetzung und
Positionierung gegen die bisherige politische Tradition im Land, als
der proklamierten notwendigen Korrektur der politischen Programme. Und
gerade diese sind dringend notwendig in Honduras, diesem kleinen
mittelamerikanischen Land, das schon vor dem Putsch an seinem
gewalttätigen Alltag zu ersticken droht. Ein Land in dem neben
paramilitärischen Gruppen und Maras – wie bewaffnete Jugendbanden
genannt werden -, auch selbst ernannte soziale Säuberungskomitees,
beauftragte Killertruppen, Drogenclans und gewöhnliche
Alltagskriminelle die Luft so dermassen mit Blei anreichern, dass die
Angst, zum falschen Moment am falschen Ort zu sein, heute so ziemlich
alle begleitet. Alle zwei Stunden wird in Honduras ein Mensch
umgebracht.
All diese Probleme des Landes erfordern dringlich eine politische
Neuorientierung, erfordern Konzepte, die an den Ursachen ansetzen. Die
Verschleppung des gewählten Präsidenten und der Versuch, einen
Militärputsch mit vermeintlichen demokratischen Konstrukten zu
etablieren, ist ein Schlag ins Gesicht für jegliche
Veränderungsbestrebungen und kann als solcher nur vollständig
verurteilt werden. Die internationale Gemeinschaft scheint dies
begriffen zu haben.