Seit 2010 finanziert die Bundesregierung Initiativen gegen Linksextremismus und islamischen Extremismus. Auch zwei Vereine in Baden-Württemberg profitieren davon. Doch Experten zweifeln am Sinn des Programms, manche Projekte scheuen die Öffentlichkeit.
An einem Mittwoch im Februar, kurz nach 16 Uhr, erreicht der Islam das Jugendhaus Reutlingen. Eine Gruppe arabischer Teenager entert den ersten Stock des historischen Gebäudes in der Innenstadt, sie stöpseln Keyboards und E-Drums ein, Minuten später dröhnen fremde Laute durch die Flure. "Plötzlich hatten wir die Parallelgesellschaft hautnah", beschreibt Wolfgang Theurer den Auftritt der unangemeldeten Gäste. Der Sozialpädagoge ist Leiter der Kulturwerkstatt im Haus, und mit Muslimen kennt er sich aus.
Seit knapp zwei Jahren beteiligt sich die Kulturwerkstatt am Bundesprogramm "Initiative Demokratie stärken – gegen Linksextremismus und islamischen Extremismus". Insgesamt rund fünf Millionen Euro verteilt Familienministerin Kristina Schröder (CDU) jährlich an Vereine, die "Einstiegsmotive", "Attraktivitätsmomente" und "antistaatliche Affekte" bestimmter Ideologien oder Jugendszenen "zielgruppen- und sozialraumorientiert in den Blick nehmen", wie es in den Programmleitlinien heißt. Hinter der sperrigen Soziologensprache verbirgt sich ein lukratives Angebot. Während Initiativen gegen Rechtsextremismus nur gefördert werden, wenn sie einen Eigenanteil von 50 Prozent aufbringen, müssen Organisationen, die Jugendliche davor bewahren möchten, in autonome, kommunistische oder salafistische Gruppen zu geraten, gerade mal zehn Prozent selbst finanzieren.
Wer jedoch wissen will, was mit dem Steuergeld passiert, trifft oft auf eine Mauer des Schweigens. Anfragen, an den Workshops für Jugendliche teilnehmen zu dürfen, werden abgelehnt, Interviewwünsche gelten als unzulässige Einmischung. Bei der Europäischen Jugendbildungsstätte Weimar (EJB) beispielsweise. "Eine Förderung bedeutet nicht, dass gleichsam Tür und Tor für die breitere Öffentlichkeit geöffnet sind", teilt EJB-Leiter Moritz Kilger mit. Immerhin erklärt der aus Tübingen stammende Pädagoge, warum niemand erfahren darf, wie die jährlich mit 247 000 Euro subventionierte "Rahmenkonzeption zur Auseinandersetzung mit antidemokratischen, gewaltbereiten, linksextremistischen Ideologien" beim Publikum ankommt. Aktuell befinde man sich in einer "projektsensiblen Erforschungs- und Erprobungsphase", so Kilger. Drei Jahre nach dem Start ist das eine erstaunliche Begründung.
Der Berliner Verein "Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung" versucht gar nicht erst, die eigene Intransparenz zu rechtfertigen. "Wir betreiben in diesem Zusammenhang keine Pressearbeit; ich bitte von weiteren Anfragen abzusehen", blockt ein Sprecher ab. Auf Diana Golze, Bundestagsabgeordnete und jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei, wirkt das "sehr befremdlich". Als gelernte Sozialpädagogin habe sie durchaus Verständnis für die Sensibilität von pädagogischer Arbeit, aber hier handele es sich um Präventionsprogramme, die vor allem auf Bildung und Aufklärung setzten, und die Vereine sollten eigentlich daran interessiert sein, dass dies von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Bei Minor sieht man das anders. Dabei kassierte die Truppe allein im vergangenen Jahr 148 000 Euro an öffentlichen Mitteln für die "sekundäre Prävention bei linksaffinen Jugendlichen".
Verschwundene Projektleiterin im Rems-Murr-Kreis
Ein paar Kilometer östlich von Stuttgart hat man potenzielle Gotteskrieger im Visier. Man wolle "kulturell vorgegebene Strukturen aufbrechen" und "Radikalisierungstendenzen bei jungen Muslimen entgegenwirken", heißt es im Handlungskonzept des Projekts "Sichtbar", das sich der Kreisjugendring Rems-Murr (KjR) ausgedacht hat. Sichtbar im Rems-Murr-Kreis sind vor allem gewalttätige Neonazis. Derzeit sitzen zwölf Rechtsextremisten auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts, weil sie im April 2011 in Winterbach eine Gruppe junger Männer mit türkischen und italienischen Wurzeln in eine Gartenhütte gejagt und dann die Laube angezündet haben sollen.
Der Kreisjugendring ist der zweite Verein aus Baden-Württemberg, der vom Bundesprogramm profitiert. 120 000 Euro waren es 2012. Wofür, bleibt unklar. Denn laut Sprecher Werner Schultz ist dem KjR die zuständige Projektleiterin abhandengekommen. Ein Gespräch sei nicht möglich, die bislang verantwortliche Kollegin "ist ganz weg", und "die neuen Mitarbeiter müssen sich noch einarbeiten". Mehr könne er nicht sagen, sagt Schulz.
Warum diese Geheimniskrämerei? Die Bundesregierung gibt sich ahnungslos. "Uns ist nicht bekannt, dass einzelne Vereine bei der Weitergabe von Informationen zurückhaltend reagieren", teilt ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums mit. Gleichzeitig stellt der Geldgeber klar, dass man Transparenz erwarte. "Die Programmpartner informieren Presse und Öffentlichkeit in ihrem Umfeld durch geeignete Maßnahmen, um eine öffentliche Wahrnehmung für ihre Aktivitäten herzustellen."
Rock gegen Islamismus in Reutlingen
Nicht überall ist die Botschaft angekommen. Ein Grund dafür dürfte die mangelnde Expertise in einigen Vereinen sein. Darauf deutet zumindest der Zwischenbericht des Deutschen Jugendinstituts (DJI) hin, das die Programmumsetzung im Auftrag der Bundesregierung evaluiert. Viele Projekte hätten "Schwierigkeiten, sich im Themenfeld zu orientieren und adäquate pädagogische Konzepte zu entwickeln", heißt es in dem 100-Seiten-Papier. Beim Thema Linksextremismus gebe es ein Defizit an verlässlichen Informationen und keine Klärung des Phänomens aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Im Bereich islamistischer Extremismus fehle es oft an geeigneten pädagogischen Materialien und Anknüpfungspunkten für die Arbeit mit Muslimen.
Auf die Lücken angesprochen, betont die Bundesregierung, dass sie das Projekt "bewusst als lernendes Programm" konzipiert habe. "Die festgestellten Defizite in der pädagogischen Praxis können nur durch die Erprobung von Methoden ausgeräumt werden", erklärt ein Sprecher. So richtig traut man dem Prinzip Versuch und Irrtum aber anscheinend nicht. Im Sommer 2012, zwei Jahre nach Projektbeginn, beauftragte die Bundesregierung Berliner Wissenschaftler von der Freien Universität und der Hochschule für Wirtschaft und Recht damit, "demokratiegefährdende Potenziale im Linksextremismus" sowie den schmalen Grat "zwischen Gesellschaftskritik und Militanz" zu analysieren. Die Ergebnisse sollen Ende 2014 vorliegen.
Wolfgang Theurer von der Kulturwerkstatt Reutlingen kennt sie nicht, die harsche Kritik der DJI-Experten am mangelnden wissenschaftlichen Fundament des Bundesprogramms. "Für so etwas haben wir keine Zeit", sagt er. Ansonsten pflegt man in Reutlingen aber eine ungewohnte Offenheit. "Schön, dass sich jemand für unsere Arbeit interessiert", freut sich Theurer und präsentiert sein Konzept gegen Islamismus. Die Heranwachsenden gestalten Fotostorys zum Thema Demokratie und Religion, befragen sich gegenseitig vor der Kamera über den Islam und machen einen amüsanten Film daraus; andere gründen eine Band und rocken in den Proberäumen im Keller. Etwa 200 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren besuchten bisher die mehrtägigen Workshops, knapp ein Drittel davon waren Muslime.
Regierung spart sich Resozialisierungsprogramm
"Wir haben hier viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, viele kommen aus multikulturellen Problemmilieus", begründet Vereinschef Theurer dieses Engagement. "Extremismus hat mich schon immer interessiert, und auch islamistisch motivierte Bewegungen erfahren Aufwind", sagt Projektleiter Darius Mozgiel. Doch wer genau in Reutlingen wo und warum im Aufwind ist oder wann für die Pädagogen religiöser Konservatismus endet und islamistischer Extremismus beginnt, das bleibt im Dunkeln. Fragt man Darius Mozgiel nach seinen Erfahrungen bei der Arbeit, dann erfährt man wenig über Islamismus, aber viel über Islamfeindlichkeit. "Die Jugendlichen bemerken, dass es eine große Distanz zu Muslimen gibt", erzählt er. Es scheint, als habe man gute Lösungen in Reutlingen, aber nicht das passende Problem.
Für Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), geht es nicht darum, Islamfeindlichkeit und Islamismus gegeneinander aufzurechnen. "Es ist wichtig, dass muslimische Jugendliche nicht radikalen Predigern auf den Leim gehen, deren Ideologie im Gewand der Religion daherkommt", betont Mazyek im Gespräch mit der Kontext:Wochenzeitung. Doch das Programm der Bundesregierung hält er für handwerklich schlecht gemacht. "Wir brauchen politische Bildungsarbeit direkt in den Gemeinden, mit den Imamen, denn Islamismus bekämpft man am besten mit dem Islam", ist sich der ZMD-Chef sicher.
Tatsächlich funktioniert dieser Ansatz. Seit 2001 organisieren der Zentralrat und der Verein Violence Prevention Network Deradikalisierungsprogramme und Anti-Gewalt-Trainings mit muslimischen Strafgefangenen in bundesweit elf Haftanstalten. "Da sitzen die wirklich harten Fälle, Menschen mit Hang zum Terrorismus", erzählt Mazyek. Die Zusammenarbeit von Imamen und Sozialpädagogen ist äußerst erfolgreich. Statt 40 Prozent werden nur noch 13 Prozent der Täter rückfällig, die Bundesregierung errechnete, dass so bis heute mehr als 20 Millionen Euro an Haftkosten eingespart wurden. Der frühere Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lobte das Projekt. Der jetzige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ebenso. 2014 ist dennoch Schluss. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Finanzierung zu beenden.