Ende Januar trafen sich im Berliner Südblock bei einer Podiumsdiskussion zur Reform der Versammlungsgesetze Aktivisten aus Niedersachsen, Sachsen und Berlin. Anlass war einerseits der bald in Berlin stattfindende europäische Polizeikongress und der Vorstoß des Berliner Senats künftig alle Versammlungen per Kamera überwachen zu lassen und dafür ein eigenes Gesetz zu schaffen, dass das bisher geltende Bundesversammlungsgesetz um "Übersichtsaufnahmen" ergänzt. Die Veranstaltung diskutierte vor rund 60 Leuten neben den rechtlichen Details, die allgemeinen Grundlagen von Versammlungsfreiheit und die zunehmenden Beschränkungen durch Versammlungsgesetze auf Länderebene.
Diese entpuppen sich in der Praxis eher als "Polizeischutzgesetze" und verunmöglichen zunehmend Demonstrationen und neue Konzepte sich Gehör zu verschaffen. Die Inputs von Michael Ebeling (Niedersachsen), Tim Detzner (Sachsen), Christian Schröder (Grundrechtekomitee) und dem AK Vorratsdatenspeicherung Berlin stehen zum Download als Mp3 bereit. Der umfangreiche Reader zur Veranstaltung ist leider nur im Infoladen Daneben in Friedrichshain bzw. per Post zu bekommen.
Da in Niedersachsen und Sachsen schon eigene Versammlungsgesetze beschlossen wurden, war der Abend geprägt vom Abgleich und Ratschlägen für die Berliner. Der Diskurs sollte nach Meinung der Veranstalter Antifa Friedrichshain und Out of Control nun auch in linksradikalen Kreisen angeschoben werden, da die GegenerInnen der Demonstrationsfreiheit schon seit langem ihre Verschärfungen in der Schublade hätten und gerade auch wieder öffentlich gegen "ungebändigte Demokratie" (Brokdorf-Urteil) in Form von Protestcamps und Massenblockaden bei Neonaziaufmärschen vorgingen.
Berliner Gesetz für Übersichtsaufnahmen
Die aktuell in Berlin diskutierte anlasslose Videoüberwachung von Versammlungen stand schon 2011 im Koalitionsvertrag von SPD/CDU und soll demnächst mit einem eigenen "Gesetz über Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen" im Abgeordnetenhaus beschlossen werden.
Dieses Ergänzungsgesetz soll gelten, bis sich Berlin irgendwann ein komplett eigenes Versammlungsgesetz gegeben hat. Die Initiative des CDU-Innensenats reagiert damit auf die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts zur Anti-Atom-Demo 2010, die eine Videoüberwachung von friedlichen Versammlungen untersagt hatte. Der Senat will angeblich unübersichtliche Versammlungen besser leiten können, und schafft sich dafür eine Ermächtigung, um die Versammlungsfreiheit mittels videotechnischer Einschüchterung der DemonstrationsteilnehmerInnen, einzuschränken.
Das Ende des Bundesversammlungsgesetzes
Bisher gilt in Berlin noch das Bundesversammlungsgesetz von 1953, welches durch die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts der nicht anlassbezogenen Videoüberwachung (und anderen polizeilichen Bedürfnissen) klare Grenzen aufzeigt. Das Bundesgesetz kann seit der Föderalismusreform 2006 aber durch Landesgesetze ersetzt werden. Die Kannregelung haben seitdem vor allem die Länder genutzt, die das Versammlungsrecht weiter einschränken wollten. In Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen gab es in den letzten Jahren dazu neue Gesetze und mehr oder weniger breiten Protest von Bürgerrechtsinitiativen, die mit Verfassungsklagen gegen die Neuregelungen vorgingen.
Der generelle Kritikpunkt an den Ländergesetzen ist die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit durch die "Polizeigefahrenabwehr-Brille" und nicht als demokratisches Gestaltungsmittel. Das Versammlungsrecht soll offenbar nicht Versammlungen ermöglichen, sondern staatliche Notlagen durch diese ausschließen. Auch die gut gemeinten Versuche die Versammlungsgesetze halbwegs demonstrationsfreundlich zu gestalten (wie in Schleswig Holstein) sind von einem etatistischen Grundgesetzverständnis geleitet, das Rechte nur als welche kennt, die von oben gegen unten durchgesetzt werden müssen. Den Versammlungsgesetzen auf Länderebene ist deshalb entgegenzuhalten, dass jede weitere rechtliche Fixierung auch immer ein Eingriff in die allgemeine Demonstrationsfreiheit ist, die, so der Aktivist aus Niedersachsen, das einzige Kollektivrecht im Grundgesetz ist das radikaldemokratische Züge trägt. Plädiert wird daher für ein Bundesversammlungsgesetz, das so einfach wie möglich gehalten ist und das Strafrecht (Vermummungsverbot usw.) sowie Bußgelder raushält. Denn Eingriffsmöglichkeiten bei nicht genehmen Versammlungen gibt es für die Polizei auch jetzt schon genug: Das Versammlungsrecht wird regelmäßig unter Aspekten der Gefahrenabwehr, also des Polizeirechts außer Kraft gesetzt. Das neue Versammlungsgesetz z.B. in Sachsen kam bisher nicht ein einziges Mal zum Einsatz, da die Polizei mit ganz anderen Rechtsgrundlagen Versammlungen verhindern oder sprengen kann.
Immer wieder kam die Frage auf, ob es überhaupt eines Versammlungsgesetzes bedarf. Die Antwort lautete größtenteils ja, denn ohne ein Versammlungsrecht, das allgemeine Standards zur Auslegung des Grundgesetzes vorgibt, wäre die Demonstrationsfreiheit in der Praxis dem Ermessungsspielraum der Polizei bzw. unserer Stärke überlassen. Das Beispiel der bisher nicht geregelten Übersichtsaufnahmen zeigt doch, dass ein Versammlungsgesetz die Polizei sehr wohl einschränken kann. In der Publikumsdiskussion wurde in diesem Kontext auf die unterschiedliche Behandlung von deutschen und migrantischen Demonstrationen hingewiesen. Gerade das Berliner LKA als Versammlungsbehörde ordnet bei nicht-deutschen AnmelderInnen gern besondere Auflagen an, die gesetzlich meist unhaltbar sind. Auch die "polizeiliche Spielwiese" Fussballstadion muss stärker in den Fokus geraten, da hier meist als erstes neue Techniken und Einsatztaktiken ausprobiert werden.
Was tun?
Das konnte die Veranstaltung nicht wirklich beantworten. Die Diskussion war ergänzend zu den Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen und der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus gedacht - eine breite Bewegung gegen das Übersichtsaufnahmen-Gesetz ist wohl nicht zu erwarten. Erfahrungen aus Niedersachsen zeigen, dass es sehr schwierig ist für das Thema Öffentlichkeit zu erzeugen. Das liegt einerseits daran, dass diejenigen, die das Versammlungsrecht exzessiv nutzen, kein Interesse haben sich an der Reformdiskussion zu beteiligen oder sich bei Rechtsverstößen durch die Polizei durch die Instanzen zu klagen. Auf der anderen Ebene sind ParlamentarierInnen mit der Sachmaterie oft nicht genügend vertraut, da sie zu weit von der Straße entfernt sind und die Probleme der Praxis nicht kennen.
Hoffnungsvoll stimmt allerdings, dass sich gestern ein "Berliner Forum für Versammlungsfreiheit" rund um die Humanistische Union gegründet hat, dass sich dem Thema mit weiteren Veranstaltungen und kleineren Aktionen annehmen wird.
Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch auf der Straße Konzepte ausprobiert werden, die polizeiliche Strategien umgehen. Denn die Schärfung des Verständnisses von Demonstrationsfreiheit kann sicher nicht durch die Gerichte erfolgen, sondern nur durch die aktive Wahrnehmung des Rechts.