Anerkennung - War er nun ein naturliebender Friedensfreund mit spitzer Feder - oder einer, dem der Nationalsozialismus noch nicht weit genug ging? Im Landkreis Pinneberg sorgt ein Ausstellungsprojekt um den Grafiker A. Paul Weber für Streit
VON ANDREJ REISIN
Eigentlich hätte alles ganz fabelhaft werden sollen, ja: ein "Leuchtturmprojekt" des Landkreises Pinneberg. Als kulturelles Highlight rund um den Jahreswechsel sollte einer der bekanntesten deutschen Zeichner und Lithografen des 20. Jahrhunderts gewürdigt werden. In der Pinneberger Drostei, im Torhaus Elmshorn sowie in der Galerie Atelier III in Barmstedt wurden mehr als 150 Arbeiten von A. Paul Weber (1893-1980) ausgestellt, die meisten aus dem Weber gewidmeten Museum in Ratzeburg. Dort wird sein Andenken gepflegt - die Asche des Künstlers selbst ruht seit 1980 im Museumsgarten.
Bereits vor der Eröffnung zog die Ausstellung Kritik auf sich: In einem offenen Brief monierte die Pinneberger Antifa den "unkritischen" Umgang mit dem Künstler: Weber habe sich im Nationalsozialismus auch als Kriegspropagandist betätigt und schon zuvor, in den 20er- und 30er-Jahren, völkische und antisemitische Motive und Illustrationen gefertigt.
Eindeutig antisemitisch
Nach dem Ersten Weltkrieg, als junger Mann, schloss sich Weber nationalistisch-völkisch orientierten Kreisen aus dem Umfeld der Jugend- und Wandervogelbewegung an. In dieser Zeit schuf er zum Teil eindeutig antisemitische Werke wie das Titelblatt zur Schrift "Die Sünde wider das Blut" (1918): Es zeigt die Karikatur eines Juden, der mit seinen Krallen einen muskulösen blonden Jüngling zu Boden drückt.
Später stieß Weber auf Ernst Niekisch, einen Vertreter der konservativen Revolution, der die Weimarer Republik von rechts bekämpfte. Niekisch sah sich in Konkurrenz zu Hitler, dem er vorwarf, zu viele Kompromisse zu machen, sich bei Demokratie und Westmächten anzubiedern und die Macht nicht militärisch an sich gerissen zu haben.
Nazi-Kritik von rechts
Die Nähe zu Niekisch, den die Nazis später wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilten, brachte auch Weber 1937 vorübergehend ins Gefängnis. Allerdings kam er nach knapp sechs Monaten wieder frei - mutmaßlich durch die Intervention von alten Bekannten, die sich mit dem Regime arrangiert und Karriere gemacht hatten.
In Niekischs "Widerstands-Verlag" - gemeint war der Widerstand gegen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs und gegen die Demokratie - war zuvor die Schrift "Hitler - ein deutsches Verhängnis" erschienen, die Webers Ruf als "Antifaschisten" begründen sollte. Seine Illustrationen zu Niekischs Text zeigen unter anderem eine Menschenmenge mit Hakenkreuzfahnen, die auf einen Abgrund zuläuft und in einen mit Hakenkreuz geschmückten Sarg stürzt.
Obwohl es sich ursprünglich um die Illustration einer rechtsradikalen Kritik an den Nazis handelte, ist das Bild bis heute in zahlreichen Schulbüchern zu finden: Nach 1945 gelang es Weber, sich anhand dieser "Widerstands"-Bilder als antifaschistischen Visionär zu inszenieren. Er erarbeitete sich einen Ruf als hellsichtiger Diagnostiker des Zeitgeschehens.
Seltsam allerdings ist, dass es von Weber kein einziges überliefertes Zitat oder Bild gibt, das sich explizit mit der Vertreibung und Vernichtung der deutschen und europäischen Juden beschäftigt - dabei wimmelt sein Werk ansonsten nur so von Totenköpfen, Leichenbergen, Fratzen und Schreckgespenstern.
1941 bereiste Weber die von der Wehrmacht eroberten Gebiete Osteuropas und fertigte aus seinen Eindrücken antisowjetische Kriegspropaganda. Vom Wüten der Einsatzgruppen, die zur gleichen Zeit hinter der Front mit dem Abschlachten Zehntausender Juden beschäftigt waren, scheint der kritische Visionär dabei nichts mitbekommen zu haben.
1937, nach seiner Entlassung aus der Haft, suchte Weber händeringend nach Anerkennung - und er bekam sie: "Wir haben heute auf dem Gebiet der politischen Karikatur in Deutschland nichts, was wir dieser scharfen, peitschenden Phantasie an die Seite stellen könnten", hieß es 1941 in einer Rezension in Die Kunst im Deutschen Reich, der wichtigsten Kunstzeitschrift im nationalsozialistischen Deutschland. Das überschwängliche Lob bezog sich auf Webers "Britische Bilder", eine Sammlung von rund 50 Motiven, die sich mit Missständen im britischen Kolonialreich beschäftigen und dessen moralischen und militärischen Bankrott prophezeien. Die "Bilder" erschienen im "Nibelungen-Verlag", der direkt Goebbels' Propagandaministerium unterstellt war.
Der aus dem Exil nach Hamburg zurückgekehrte deutsch-jüdische Künstler Arie Goral hat auf Webers Schaffen vor und während der Nazizeit schon in den 1970er-Jahren hingewiesen. Aus seiner Sicht war Weber ein reiner Opportunist, der sich dem Zeitgeist anzupassen wusste.
Von seinen Liebhabern und Nachlassverwaltern wird Weber gegen diese Kritik bis heute immunisiert. Im Weber-Museum in Ratzeburg verwaltet Direktor Klaus J. Dorsch einen Großteil des Nachlasses und stellt etwa 300 Exponate dauerhaft aus. Von Dorsch stammt auch die einzige umfassende Monografie zu Leben und Werk Webers.
Darin werden Webers Tätigkeiten für die NS-Propaganda weitgehend als "Auftragsarbeiten" kleingeredet. Oder die Bilder werden als universelle Kritik an Kolonialismus und Imperialismus verkauft - die der aufmerksame Betrachter gar als Kritik am NS-Imperialismus habe verstehen können.
In ihrer Ankündigung sprechen auch die Pinneberger Veranstalter von einem "Meister der zeitlos gültigen Gesellschaftskritik". Tatsächlich aber lässt sich Webers vermeintlich visionäre Kritik genauso gut als rückwärtsgewandte Ablehnung der Moderne lesen: Verhasst sind ihm die Masse, die Großstadt und der technische Fortschritt, geschätzt hingegen Natur, Landleben, Pflanzen- und Tierwelt. Webers Kritik war zu verschiedenen Zeiten sowohl antidemokratisch als auch fortschrittskritisch. Folgerichtig fand sich Weber später in der Nähe der 68er-Bewegung und ihrer antikolonialen Kritik wieder. Auch die junge Grünen-Bewegung nahm Webers Eintreten gegen Atomkraft und Umweltzerstörung begeistert auf.
Dünnhäutige Reaktion
Der Pinneberger Kreispräsident Burkhard E. Tiemann, auf den die Idee zur aktuellen Ausstellung maßgeblich zurückgeht, reagierte auf die Antifa-Einwände gegen das Ausstellungskonzept ausgesprochen dünnhäutig: Zunächst sprach er von "anonymer Kritik übereifriger Jugendlicher", die viel zu viel Beachtung fände. Heute vergleicht er die Forderung, die Ausstellung nicht in der bestehenden Form zu zeigen, sogar mit der Praxis der Nazis, entartete Kunst zu verbieten.
Gespräch im Februar
Angeschlossen haben sich der Kritik inzwischen auch Vertreter der Linkspartei sowie das übergreifende "Bündnis gegen Rechts", in dem auch die Kirche vertreten ist. Der Pinneberger Probst Thomas Drope hofft nun auf einen verspäteten Dialog: "Webers Biografie und die Geschichte seiner Bilder provozieren nun einmal auch berechtigten Widerspruch. Das ist doch eigentlich das Beste, was Kunst passieren kann, wenn es eine intensive öffentliche Auseinandersetzung gibt."
Anfang Februar wollen sich die Ausstellungsmacher zunächst hinter verschlossenen Türen mit Vertretern des "Bündnisses gegen Rechts" treffen, um über die unterschiedlichen Auffassungen zu diskutieren. Für eine Änderung des Konzepts ist es dann allerdings zu spät: Die Ausstellungen in Pinneberg und Elmshorn sind mittlerweile beendet, nur der letzte Teil ist noch bis zum 3. März in Barmstedt zu sehen.