Die Feuerwerke, bei denen Frankreich wegsieht

Erstveröffentlicht: 
02.01.2013

Seit Jahren brennen in Frankreichs Vororten zu Silvester die Autos - Heuer waren es 1193 Fahrzeuge, aber Medien mieden das unbequeme Thema

Spanier essen zu Neujahr Trauben, Brasilianer kleiden sich gerne in Weiß. Und Franzosen fackeln zu Silvester gerne Autos ab, ließe sich heute anfügen. 1193 Fahrzeuge, darunter ein paar Motorräder, sind in Frankreich in der Nacht auf den 1. Jänner in Flammen aufgegangen. Wie Innenminister Manuel Valls erklärte, brannten die meisten Autos, nämlich je rund 200, in den Vorstädten von Paris und Straßburg.

 

Von der Elsass-Metropole aus begann dieser neuartige Banlieue-Brauch Ende des 20. Jahrhunderts um sich zu greifen. Und dort kam es in dieser Neujahrsnacht auch zu Krawallen zwischen Jugendlichen und der Polizei. 339 Personen wurden dabei festgenommen, sieben Ordnungshüter verletzt.

 

Vergleichszahlen mit dem Vorjahr gibt es nicht: Schon 2010 hatte die Rechtsregierung von Präsident Nicolas Sarkozy die Bilanzierung des etwas anderen Silvesterbrauchs eingestellt. Zur Begründung meinte sie damals, sie wolle dem Neujahrsspektakel nicht noch Vorschub leisten; einzelne Jugendliche könnten sich durch die hohe Zahl zerstörter Autos noch angestachelt fühlen. Offiziell brannten deshalb in Frankreich keine Autos mehr in der Neujahrsnacht.

53.000 Sicherheitskräfte im Einsatz

 

Der Sozialist Valls veröffentlicht die Polizeistatistik des Jahreswechsels erstmals wieder - um Transparenz herzustellen, wie er sagt. Die Zahl der zerstörten Privatfahrzeuge bleibt demnach stabil: Bei der vorletzten Erhebung 2009 waren es 1147 gewesen, fast genauso viel wie beim jüngsten Silvester. Aneinandergereiht würden die Autowracks eine Kolonne von fünf Kilometer Länge ergeben.

 

Valls sprach deshalb lakonisch von der "Notwendigkeit, noch mehr Polizei zu mobilisieren". In der Neujahrsnacht zu 2013 waren in Frankreich 53.000 Sicherheitskräfte im Einsatz gewesen.

 

Über das soziale Umfeld des Autoabfackelns sagte Valls nichts. Seine " Operation Wahrheit" bewirkte auch keinerlei Debatte. Die Hauptnachrichten der großen Fernsehsender brachten keine Bilder von den Straßenschlachten und meldeten die Zahl der Autowracks nur in einem Satz, gut versteckt zwischen festlichen Neujahrsbildern aus aller Welt.

 

Auch über die Brandstifter machte Valls keine Angaben. Vor Jahren hatte die Polizei einmal bekanntgegeben, dass 63 Prozent der Täter minderjährig seien; eine Mehrheit scheine in keinem Strafregister auf. Damals hatte ein Staatsanwalt auch erklärt, die Vorstadtkids seien beim Silvester-Zündeln eher "spielerisch" als sozialpolitisch inspiriert. Ob die betroffenen - meist keineswegs betuchten - Autobesitzer in den verelendeten Banlieues das Ganze auch als Spiel auffassen, bleibt dahingestellt.

 

Versicherungsprämien

 

Die ganze Nation schaut jedenfalls lieber weg, als das Ausmaß des Phänomens zu erfassen: Unabhängigen Schätzungen zufolge brennen in den " heißen" Vorstädten Frankreichs jedes Jahr mehr als 20.000 Autos aus. Greift die Polizei bei diesen Banlieue-Feuerwerken zu hart durch, mündet es meist in gewaltsame Konfrontationen.

 

Unbekannt ist auch, wie viele Autobesitzer ihr eigenes Fahrzeug in Brand stecken, um die Versicherungsprämie einzusacken. In Paris-Nanterre wurde immerhin ein Mann gefasst, als er gerade dabei war, ein brennendes Streichholz in den offenen Kofferraum seines Wagens zu werfen. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 3.1.2012)