"Wir werden keine Gesetze respektieren, die uns nicht als Menschen respektieren." - Aus dem Aufruf des Organisationskomitee der streikenden Flüchtlinge in Deutschland, September 2012
Zusammenfassung des aktuellen Flüchtlingsprotests in Deutschland. Seit 19. März 2012 auf der Strasse.
Vor acht Monaten, am 19. März 2012, begannen Flüchtlinge aus dem Iran in Würzburg einen Hungerstreik. Sie reagierten damit auf den Selbstmord von Mohammad Rahsepar im Würzburger Flüchtlingslager. Dazu errichteten sie zwei Pavillons und einige Zelte vor dem Würzburger Rathaus. In ihrer ersten Pressemitteilung schrieben sie: „Wir werden unseren Streik fortführen, bis die Verantwortlichen für die bayerische Asylpolitik mit uns verhandeln und wir die Anerkennung unseres Asylantrags, sowie eine Verbesserung der Situation all der Schutzsuchenden in Deutschland erreichen.“ Um den eigenen Asylantrag geht es allerdings den wenigsten. Dies beweisen auch bereits anerkannte Geflüchtete, die weiter kämpfen trotz dubioser Gespräche mit der Stadt Würzburg, die den Geflüchteten einen sicheren Aufenthalt versprach, insofern sie den ihre Protestaktion beenden würden. (Natürlich dementiert die Stadt Würzburg diese Gespräche. Die erste große Aufmerksamkeit erreichteten die Geflüchteten in Würzburg als sich mehrere von ihnen Anfang Juni ihre Lippen zunähten und einer in einen trockenen Hungerstreik trat.
In Würzburg selbst wurde allerlei versucht. Hungerstreik verbieten, Zelt verbieten, Heizung verbieten, Strom verbieten, Schlafen verbieten, nur ein Bett für zehn Personen etc. 5 Doch trotz all dieser Schickanen blieben die Geflüchteten auf der Straße. Erst als Ende Juni/ Anfang Juli, als den ersten Geflüchteten Verhaftungen drohten, weil sie die Residenzpflicht verletzten, kehrten sie in die ihnen zugewiesenen Bezirke zurück und errichteten dort ebenfalls Protestcamps. Schon bald existierten neben dem selbstorganisierten Protest in Würzburg auch in Aub, Bamberg, Düsseldorf und Regensburg Protestzelte. Auch hier wurde abermals versucht, den Geflüchteten mit schickanösen Auflagen beizukommen (nur drei Betten für sechs Personen, Verbot des Schlafens, auch bei Wind und/ Wetter geöffnete Pavillons, etc...). Doch die Bewegung wurde nur noch größer. Protestzelte in Berlin, Passau und Nürnberg folgten sowie unzählige weitere lokale Aktionen in anderen Städten, die von Geflüchteten selbst organisiert wurden.
Bereits vom 24.-27. Juli führte Mohammad Hassanzadeh Kalali die Residentpflicht ad absurdum und besuchte gemeinsam mit einem Journalisten die damaligen Protestzelte in Bamberg, Aub, Würzburg und Düsseldorf. Zwar kontrollierte in Würzburg die Polizei seine Personalien, hielt ihn aber nicht von der Fortführung seiner Reise ab. Anfang August schließlich wurde verkündet, von Würzburg nach Berlin zu laufen. Drei Tage vor Beginn des Protestmarsches wurde ein Geflüchteter in Würzburg festgenommen, der gegen die Residenzpflicht verstoßen hatte und am Protestmarsch teilnehmen wollte. Er wurde zurrück in den ihm zugewiesenen Bezirk gebracht. Weder ihn noch viele andere hielt dies aber davon ab, am 8. September um 14 Uhr von Würzburg aus loszulaufen. Gleichzeitig fuhr ein Bus los, um Geflüchtete in den westlichen und nördlichen Gegenden Deutschlands aufzusuchen und jene nach Berlin zu mobilisieren.
Spätestens mit dem Grenzübertritt von Bayern nach Thüringen verstießen alle Geflüchteten des Protestmarsches gegen die Residenzpflicht. Um zu demonstrieren, dass ihre Aufenthaltsgestattungen sowie ihre Duldungen mit einer begrenzten Gültigkeit und diskriminierenden Regelungen Teil einer unmenschlichen Asylpolitik sind, haben bei dem Grenzübertritt Geflüchtete diese Aufenthaltspapiere öffentlich zerrissen. Übernachtet wurde während des Protestmarsches teils auf Sportplätzen, teils bei Menschen, die den Geflüchteten für eine Nacht eine Unterkunft gaben, und auch im freien Feld. Während des ganzen Protesmarsches mobiliserte die NPD gegen eben jenen. Nächtliche Angriffe von Nazis blieben aber glücklicherweise aus. Und als die NPD in Erfurt versuchte, die Pressekonferenz vor dem Thüringer Landtag der Geflüchteten zu stören, wurde ihnen ihr Propagandamaterial entrissen und wurden sie selbst entschlossen vertrieben. Weitere Störversuche wie in Potsdam und jüngst während des Hungerstreiks am Brandenburger Tor waren nur marginal und gingen im Gegenprotest unter.
Am 6. Oktober kamen die Geflüchteten am Oranienplatz in Berlin an. Zwei Tage zuvor war die Busprotestgruppe in Potsdam zu ihnen gestoßen. Seitdem existiert am Oranienplatz ein selbstorganisiertes Protestcamp von Geflüchteten. Am 13. Oktober gab es eine Demonstration mit mehr als 6000 Teilnehmenden. 9 Am 15. Oktober wurde die nigerianische Botschaft besetzt um auf die Abschiebepraxis von Deutschland und Nigeria aufmerksam zu machen. Die Polizei verhaftete mehrere Aktivist_innen und misshandelte jene im Polizeigewahrsam. Mehr als 800 Leute kamen am frühen Abend zu einer Spontandemonstration und viele von ihnen forderten bis ca. 23:30 vor der GESA in Tempelhof die Freilassung der Aktivist_innen. Dann waren auch alle wieder in „Freiheit“.
Am 24. Oktober wurde in Berlin das Denkmal für die von Deutschen zwischen 1933 und 1945 verfolgten und getöteten Sinti und Roma einheweiht. An eben jenem Tag begannen einige der Geflüchteten einen Hungerstreik und bezogen sich dabei auch auf die Hetze gegen einen angeblichen „Flüchtlingsstrom“ von „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus Serbien und Mazedonien. Diese sind vorwiegend Roma, die den dortigen antiziganistischen Zuständen schutzlos ausgeliefert sind. Die Polizei baute das vor dem Brandenburger Tor errichtete Zelt der Hungerstreikenden wieder ab und nahm den Geflüchteten bei Eiseskälte auch Schlafsäcke und sogar Pappkartons, die als Sitzunterlage dienten, ab.
Am 1. November wurde der Hungerstreik nach Gesprächen mit und Zugeständnissen von Regierungsvertreter_innen unterbrochen. Da sich aber nach kurzer Zeit die Vereinbarungen als leere Versprechen herausstellten, erklärten die Geflüchteten am 16. November „Wir lassen uns nicht täuschen“ und nahmen den Hungerstreik wieder auf. Am Oranienplatz befinden sich weiterhin Geflüchtete in den Zelten.
In einem aktuellen Statemeint heißt es: „Wir sind Menschen, und da wir unser Menschsein nicht ändern können, wollen wir die unmenschlichen Zustände ändern. Wir werden unseren Kampf nicht beenden, bevor die unmenschlichen Gesetze gekippt sind.“
Aktuelle Informationen:
Weitere Flüchtlingsproteste:
https://refugeecampvienna.noblogs.org/ Wien
http://rechtopbestaan.nl/ Niederlande/ den Haag
"Das allein ist der größte Teil unseres Protestes: mit Menschen zu sprechen, die in Mitten politischer Verhältnisse leben, die aus der schmutzigen kapitalistischen Welt hervorgehen. Wenn niemand das ins Gedächtnis ruft, wird diese Herrschaft über den Menschen und die Notwendigkeit für den Schutz des Menschen in Vergessenheit geraten." - Die streikenden Flüchtlinge in Regensburg, September 2012