Am 29. März 2012 fand in Spanien ein landesweiter Generalstreik gegen die von der Regierung aufgrund der Wirtschaftskrise beschlossenen Sparmaßnahmen statt. In Barcelona blieb es dabei nicht bei der von den Gewerkschaftsfunktionären gewünschten Passivität geordneter Massenkundgebungen: Schon in den frühen Morgenstunden wurden in verschiedenen Vierteln durch mobile Streikposten Straßen blockiert und Geschäfte, die trotz des Streiks öffnen wollten, an der Arbeitsaufnahme gehindert; bei den Demonstrationen kam es zu erheblichen Sachbeschädigungen, zahlreiche Feuer wurden entfacht und schließlich lieferte sich eine buntscheckige Menge, die weit über die üblichen Verdächtigen hinausging, eine stundenlange Schlacht mit der Polizei, wobei es zum ersten Mal seit langem in dieser Stadt gelang, die Ordnungskräfte zurückzuschlagen.
Ereignisse wie dieses markieren den Übergang des relativ befriedeten gesellschaftlichen Zustands, der in Spanien wie auch im übrigen Europa der letzten Jahrzehnte der Normalfall war, zu einer zunehmend unkalkulierbaren Situation, in der die sozialen Widersprüche wieder offener zutage treten. Wie aber verhalten sich die radikalen Minderheiten, die den sozialen Krieg zuspitzen wollen, mit dem letztendlichen Ziel, ihn ein für allemal zu überwinden, angesichts dieser Entwicklung? Gelingt es ihnen, den neuen Möglichkeiten und Herausforderungen gerecht zu werden? – Diese Fragen stehen im Zentrum des Textes Die Feuerrose ist zurückgekehrt, einer ausführlichen Geschichte des Generalstreiks vom 29. März, sowie dessen Vorgeschichte und Nachwehen, die von einem anarchistischen Genossen aus Barcelona niedergeschrieben wurde.
Da selbst in den deutschsprachigen Territorien der befriedete Zustand nicht ewig anhalten wird und wir uns auf unruhigere Zeiten gefasst machen müssen, halten wir diese Reflexionen auch für hiesige Subversive für nützlich, zumal das Ereignis, auf das sie sich beziehen, hierzulande sowohl von den offiziellen als auch von den untergründigen Medien weitgehend ignoriert wurde.
Der Text wurde zuerst in englischer Sprache auf der Internetseite des US-amerikanischen anarchistischen Crimethinc. Ex-Workers' Collective veröffentlicht: http://www.crimethinc.com/texts/atoz/rosefire.php
Übersetzerkollektiv et al., August 2012
Editorische Notiz
„Vielleicht werden die in Barcelona erzeugten Erschütterungen dabei helfen, die in anderen Ländern immer noch herrschende Illusion der Stabilität ins Wanken zu bringen, indem sie der ganzen Welt zeigen, dass es nicht die Aufrührer in den Straßen waren, die von den Kräften der Ordnung umstellt sind, sondern die herrschenden Klassen, die sich an verschwindende Inseln klammern, inmitten eines anschwellenden Meers der Wut.“
Die Geschichte
„La rosa de foc ha tornat!“ Mit diesen Worten drückten viele Leute während des Generalstreiks in ganz Spanien am 29. März ihre Begeisterung aus. Die Gewerkschaften schätzten die Beteiligung am Streik auf beeindruckende 77%, aber es waren die Feuer, die den Himmel über Barcelona verdunkelten, über die alle sprachen.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als in Barcelona mehr anarchistische Attentate und Bombenanschläge durchgeführt wurden als in zwei beliebigen Ländern zusammen und als dort Dutzende von Kirchen und Polizeistationen niedergebrannt wurden, wurde die Stadt liebevoll la rosa de foc genannt, „die Feuerrose“. Die Periode der „revolutionären Gymnastik“ in den 1920ern und 30ern machte die Stadt zu einem Laboratorium der Subversion für anarchistische Kämpfe weltweit, eine Rolle, die durch die Revolution vom Juli 1936 noch verstärkt wurde. Der Kampf der katalanischen maquis – Guerillas – während der Franco-Jahre war der Vorläufer der Guerillakämpfe, die in Europa und Lateinamerika in den 1960er und 70er Jahren aufblühten; in manchen Fällen wurden von ihnen ausgehend auf direktem Wege Erfahrung und Material weitergegeben. Jedoch ist diese Geschichte aufgrund des durch Faschismus und Demokratie erzwungenen Bruchs weitgehend verloren gegangen und Barcelona hat seine Bedeutung auf der Bühne der Revolution verloren.
Unterstützt von den demokratischen Mächten haben vierzig Jahre Diktatur und Repression die anarchistische Bewegung in Katalonien und im restlichen Spanien erfolgreich unterdrückt. Ein pro-anarchistisches Gefühl blieb in großem Ausmaß bestehen, versickerte jedoch, als die wiederkehrende soziale Revolution in den 1970er Jahren durch den Übergang zur Demokratie abgelenkt wurde. Hunderttausende gingen auf die Straßen, in der Hoffnung, die Fackel wiederaufzunehmen, die 1936 fallengelassen worden war, aber die Regierung spielte ihr Blatt geschickt aus, die zurückgekehrte CNT hingegen ihres erbärmlich, und die Demokratie triumphierte. Seither wurde die Stadt gezähmt, um nicht zu sagen: vollständig befriedet, und die Feuerrose war vergessen.
Heftige Stadtteilkämpfe fanden bis in die 1980er Jahre statt, aber sie beschränkten sich weitgehend auf marginalisierte Einwandererviertel (1) und wurden durch die politische und wirtschaftliche Integration – oder den Abriss – der Slums und Barackensiedlungen beruhigt. In den 1990er Jahren gab es mehrere intensive, durch Hausbesetzer und Antifaschisten angezettelte Krawalle, aber die Medien konnten diese erfolgreich als isolierte Phänomene darstellen. In den 2000er Jahren schritten die gesellschaftliche Kontrolle und Befriedung mit großen Sprüngen voran. Eine neue, in demokratischen Kontrolltaktiken ausgebildete Polizeitruppe, die mossos d'escuadra, wurde etabliert, parallel dazu mit Nachdruck ein Feldzug zur Durchsetzung obrigkeitlicher Verhaltensvorschriften geführt. Die Krawalle verschwanden und mit ihnen das know how des Straßenkampfs, der Gebrauch von Molotowcocktails und der Widerstand gegen Gebäuderäumungen. Die Polizei wurde unberührbar: Sobald sie angriff – oder auch nur ihre Knüppel schwang –, stoben die Leute auseinander.
Ein kämpferischer Geist war immer noch weit verbreitet, zumindest unter Anarchisten, einigen Hausbesetzern und einem Teil der indepes, der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung (2), aber die Mittel, um diesen auszudrücken, waren verloren. Im Jahr 2007, als die Polizei versuchte, ein für alle Mal die unangefochtene Kontrolle über die Straßen zu gewinnen, indem sie einen nicht genehmigten Protest einkesselte und unterband, konnten die sogenannten antisistemas (3) diesen Versuch stoppen, indem sie breitere Bündnisse suchten, auf die Straßen zurückkehrten und den Widerspruch zwischen der Machtanmaßung des Staates und seiner demokratischen Selbstdarstellung betonten. Diese Beharrlichkeit war nicht ganz erfolglos, aber niemand hatte einen Plan, wie man wieder in die Offensive kommen könnte.
Als die Wirtschaftskrise das staatliche Sozialsystem erodieren ließ, welches den sozialen Frieden garantiert hatte, begannen viel mehr Leute als die paar Tausend antisistemas aktiv zu werden. Nachbarschaftsversammlungen bildeten sich, iniitiert von wohlmeinenden Reformisten, indepes und heimlichen Libertären, die ein paar Trotzkisten und ähnliche Leute anzogen. Die anarchistische CNT und die anarcho-reformistische CGT, die durch kleine Arbeitskämpfe in einer Supermarktkette und unter den Busfahrern in Form gehalten wurden, rüsteten sich für eine Schlacht, die ihrer Geschichte eher gerecht würde. Die indepes waren verärgert über ihre jahrelange Bedeutungslosigkeit trotz der verbreiteten Befürwortung der Unabhängigkeit von Spanien. Durch das Aufkommen einer neuen politischen Partei, die noch nicht in die Regierung eingetreten ist, um sie zu verraten, witterten sie Morgenluft und machten sich ebenfalls bereit zu einer neuen Offensive. Die Anarchisten des schwarzen Blocks, die nun nach Jahren der Aktion-Repression-Gefangenenunterstützung endlich die Initiative ergreifen konnten, bewegten sich von dem begrenzten Feld der klandestinen Aktionen, antisozialen Propaganda und der Selbstorganisation in autonomen Ghettos hin zu einem durchlässigeren Terrain, auf dem die von ihnen ausgebildeten Fähigkeiten größere Wirkung entfalten konnten.
Zum Generalstreik vom 29. September 2010 war von den großen Gewerkschaften (CCOO und UGT) zusammen mit kleineren Gewerkschaften wie der CNT und der CGT aufgerufen worden. Ein großer Teil der organisatorischen Arbeit wurde jedoch auch von Stadtteilversammlungen, nicht gewerkschaftlich organisierten Anarchisten, indepes und anderen übernommen. Auf nationaler Ebene war der Streik vom Gewerkschaftsstandpunkt aus ein Erfolg, da sich die Mehrheit der Beschäftigten an ihm beteiligte, obwohl es der erste Generalstreik seit acht Jahren war. In Barcelona war er vom aufständischen Standpunkt aus ein Erfolg, da er Anlass zu einem heftigen Krawall gab, in dem sich Angriffe auf Repräsentanten der Regierung und des Kapitalismus verallgemeinerten. Der Aufruhr war weitgehend spontan, es waren viel mehr Leute beteiligt als die üblichen Verdächtigen, und er erreichte eine Größenordnung und Intensität, die man mindestens seit den La-Cine-Princesa-Krawallen 1996 (4) nicht mehr gesehen hatte. Eine große Anzahl von Festnahmen mit schweren Anklagen und eine intensive Dämonisierungskampagne durch die Medien wurden zur Grundlage für zukünftige Aktionen und Haltungen. Nichtsdestotrotz verlieh der September 2010 vielen Akteuren mehr Kraft und größeren gesellschaftlichen Rückhalt.
CCOO und UGT gingen sofort an den Verhandlungstisch und verscherbelten einen Großteil dieses Rückhalts für das Privileg, bei der Rentenreform der sozialistischen Regierung mitmischen zu dürfen. Beide Gewerkschaften waren ganz in ihrem Element. Die UGT spielte in den 1920er und 30er Jahren eine wesentliche Rolle bei der Behinderung proletarischer Kämpfe; sie war die Massenorganisation, die dem armseligen Häuflein von Stalinisten die Stütze bot, die es brauchte, um die Revolution zu sabotieren. Die CCOO (Comisiones Obreras, Arbeiterausschüsse) ist die Institutionalisierung der libertär- kommunistischen Arbeiterautonomiebewegung der 1970er Jahre. Als die Faschisten, die sich in den partido popular, die Volkspartei, verwandelt hatten, nach Linken suchten, die sie in die Regierung einbinden konnten, um ihnen zu helfen, die Revolution zu verhindern, indem sie eine demokratische Maske aufsetzten, fanden sie ihre Leute in der CCOO und der neu gegründeten Sozialistischen Partei (PSOE).
Auf der anderen Seite der Barrikade überwanden die CGT (eine Abspaltung von der CNT) und die beiden CNTs (eine weitere Spaltung) ihre uralte Feindschaft und begannen, enger zusammenzuarbeiten. Hausbesetzer und Anarchisten des Schwarzen Blocks begannen ebenfalls, mit CNT-Anarchisten zusammenzuarbeiten oder sich den Nachbarschaftsversammlungen anzuschließen und mit indepes, heimlichen Libertären und Community-Aktivisten zu arbeiten. Die weitverbreitete Isolation, die sicherlich ebenso sehr Folge einer gemeinsamen sozialen Lage wie einzelner Entscheidungen war, begann, sich aufzulösen.
Im Januar 2011 beschlossen die letztgenannten Gruppen, einen weiteren Generalstreik ohne die zwei großen Gewerkschaften zu organisieren. Die meisten Leute hielten diesen zweiten Streik aufgrund der geringen Beteiligung für eine Niederlage. Sie fassten den Zweck eines Streiks im Sinne der quantitativen, organisatorischen Mentalität der Gewerkschaften auf. Die historische Bedeutung des Januarstreiks bestand jedoch darin, zu zeigen, dass CCOO und UGT die Dinge entgleiten. Er zeigte, dass diejenigen, die von einer eher aufständischen Logik ausgehen, die Initiative ergreifen, eine bedeutende Störung des Normalbetriebs herbeiführen und radikale Ideen verbreiten können, wenn sie bereit sind, über ihre engen Kreise von Gleichgesinnten hinauszugehen und die unmittelbaren Fragen der materiellen Existenzgrundlage anzusprechen, die normalerweise von reformistischen Diskursen monopolisiert sind. Diese Entdeckung berührt den Kern zweier Spannungen, die in der Geschichte der Ereignisse des 29. März immer wiederkehrten. Diese Spannungen haben damit zu tun, wie das Prinzip der Affinität seine Funktionsweise ändert, je nach dem, ob man es mit Zeiten der Isolation oder mit solchen der Vereinigung zu tun hat; und damit, dass unmittelbare Anliegen normalerweise mit reformistischen Methoden und idealistische Anliegen mit revolutionären Methoden verbunden werden, was zu einer falschen Gegenüberstellung führt. Darauf wird im letzten Abschnitt genauer eingegangen.
Nach dem 27. Januar 2011 war das nächste bedeutende Datum der 1. Mai, an dem der antikapitalistische Protestmarsch, bestehend aus Anarchisten des Schwarzen Blocks, der CNT und vielen indepes, von Gràcia in das reiche Viertel Sarrià zog, wo er Hunderte von Banken und Luxusgeschäften zerstörte, bevor es der Polizei gelang, ihn auseinanderzutreiben. Der 1. Mai 2011 demonstrierte die Stärke dieses neuen Zusammentreffens von bisher getrennten Sektoren der antisistemas. Die Leute hatten noch nicht die Kraft, der Polizei zu widerstehen und sie hatten auch das know how des Straßenkampfs noch nicht wiedergewonnen, aber sie haben es geschafft, zum Angriff überzugehen. In den Jahren vor 2011 hatten die Anarchisten des Schwarzen Blocks in Barcelona versucht, den 1. Mai als einen kämpferischen Feiertag zurückzugewinnen, wobei sie trotz kreativer und verschiedenartiger Versuche nicht erfolgreich waren, während die CNT-Anarchisten sich damit zufriedengaben, friedliche Märsche im Gedenken an eine verblichene Geschichte abzuhalten. Der Erfolg von 2011 war ein wichtiger Durchbruch. Er weckte offenbar auch eine Furcht, dass antikapitalistische Gewalt gegen die Reichen weithin Anklang finden könnte – die Medien unterdrückten fast alle Nachrichten und Bilder über den Protest.
Andererseits zeigte die Kritik einiger am Protest Beteiligter, dass diese neuen Beziehungen verloren gehen würden, wenn die Vermummten heterogene, vielgestaltige Räume instrumentell als ein stummes und bequemes Terrain betrachten, auf dem man Chaos anrichten kann und sonst nichts. Diese Kritik war nicht pazifistisch und kam auch nicht von Leuten, denen es missfällt, wenn ein reiches Viertel verwüstet wird. Sie hatte mehr damit zu tun, wer die Hauptleidtragenden der Repression waren, wer die Front gegen die Polizei hielt und wer die Scheiben einschlug; es ging auch darum, ob man sich an gemeinsame Ziele hält und ob man Informationen weitergibt, sodass andere nicht unvorbereitet auf eine konfrontative Situation sind. Nichtsdestotrotz, nachdem sie jahrelang auf eine breite gesellschaftliche Ablehnung ihrer Gewalt gestoßen waren, lag es für die eher insurrektionalistischen unter den antisistemas nahe, diese Kritik zu ignorieren.
Kurz nach dem 1. Mai begann die Bewegung der Platzbesetzungen vom 15. Mai. Wie die M15-Bewegung sich entwickelte und wie die Demokraten sich maskieren mussten, nur um an ihrer eigenen Kreation teilzunehmen, zeigte den Einfluss von Anarchisten, der weit über deren Zahl hinausging. Politiker waren nicht erlaubt. Die Praxis der offenen Versammlungen und die Idee, dass „niemand uns repräsentiert“, waren generalisiert. Jede Gruppe und Organisation musste zumindest ein Lippenbekenntnis zur Denzentralisierung, Horizontalität und gegenseitigen Hilfe abgeben, und in einigen neuen Gruppen und Aktionsformen wurden diese Ideen auch tatsächlich praktiziert. Eine schnell wachsende Minderheit innerhalb der Bewegung brach mit der Sichtweise, dass die Medien Verbündete seien, und reagierte auf diese mit Kritik, Abscheu und sogar mit physischen Angriffen. Die pazifistische Hegemonie wurde innerhalb von Monaten besiegt. Die Stadtteilversammlungen erlebten einen Quantensprung: Anstatt sechs gab es nun über zwanzig davon, an denen sich nicht mehr Dutzende, sondern Hunderte beteiligten und die von geschlossenen Räumen auf zentrale Plätze in jedem Viertel umzogen. Einige Nachbarschaftsversammlungen ließen sogar autonome direkte Aktionen von Beteiligten zu und praktizierten eine pluralistische, nicht einheitliche Entscheidungsfindung und gingen so über den Kleinautoritarismus der direkten Demokratie hinaus.
Protestmärsche, und mit ihnen die Praxis, in Kolonnen von jedem Stadtteil aus zum Startpunkt der Demo ins Zentrum zu marschieren – wobei sogar eine Gruppe von nur 50 Leuten in der Lage war, eine Hauptstraße zu übernehmen –, wurden so alltäglich, dass die Polizei nicht länger versuchte, unangemeldete Demonstrationen zu unterbinden. Solidarität und die Unterstützung von Gefangenen wurden zur gemeinsamen Verantwortung: Tausende, einschließlich ganzer Stadtteilversammlungen, wurden aktiv, als diejenigen, die bisher als antisistemas isoliert geblieben waren, wegen Verhöhnung von Politikern verhaftet wurden. Diverse Nachbarschaften riefen „Netzwerke gegenseitiger Hilfe“ ins Leben, die sich lose an einem von Anarchisten in Seattle und Tacoma entwickelten Modell orientierten. Das erste dieser Netzwerke, im Stadteil Clot, sorgte in ganz Katalonien für Aufsehen, indem es die erste Aktion gegen eine Räumung wegen Zwangsvollstreckung organisierte, die der Polizei physischen Widerstand entgegensetzte.
Einige Leute änderten nur ihre Wortwahl, aber im Ganzen betrachtet änderte sich die Praxis. Obwohl immer mehr Leute begannen, sich Anarchisten zu nennen, blieben die Anarchisten zwar eine kleine Minderheit – jedoch eine einflussreiche.
Anarchisten schwärmten über ein erweitertes Terrain aus und kämpften oft zusammen mit neuen Freunden im Viertel oder am Arbeitsplatz. Gleichzeitig intensivierten sie die interne Kommunikation durch Debatten und Versammlungen, schärften ihe Praktiken, teilten Ideen und entwickelten ein Gefühl der gemeinsamen Stärke. Einige strebten eine Vereinigung aller Anarchisten an, die meisten lehnten dies jedoch ab, sodass der anarchistische Raum zersplittert, aber kommunikativ blieb. Der Großteil der Koordination erfolgte spontan – auf der Basis von geteilten Informationen anstatt durch gemeinsame Planung.
Diese Entwicklung war jedoch nie ein reibungsloser Prozess. Anarchistische Prinzipien waren schon sehr einflussreich, aber anarchistische Arroganz verhinderte noch weiter gehende befruchtende Effekte. Die Kritik der Rekuperation – d.h. die Kritik an reformistischen Aktivisten und Institutionen, die soziale Kämpfe neutralisieren – war unter den Anarchisten in Barcelona weit verbreitet; in den 1990er und 2000er Jahren wurde sogar die CNT von anderen Anarchisten der Rekuperation bezichtigt. Die Mehrheit der katalanischen Libertären hat sich niemals als Teil der Linken verstanden. Jetzt aber entdeckten Anarchisten einen unbestreitbaren Wert darin, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die reformistische Neigungen hatten oder deren Vorstellung von Revolution zur Rekuperation tendierte.
Es war schwer, zu entscheiden, mit wem man zusammenarbeiten sollte, wie man gegen eine reformistische Position argumentieren sollte, ohne dass man mit der Botschaft auch gleich ihren Überbringer verurteilte, wie man mit einer Situation umgehen sollte, in der Anarchisten plötzlich großen Einfluss hatten, wobei es nun auch andere Leute brauchte, um unsere hehren Prinzipien in der Praxis zu verwirklichen. Viele Anarchisten veränderten sich durch diese Erfahrungen, aber man hörte von wenigen, die zugaben, wie viel sie durch den Kontakt mit anderen Leuten gelernt haben oder wie notwendig die Kämpfe von Nicht-Anarchisten für das widersprüchliche, chaotische Ganze waren. Andererseits war es plötzlich weniger cool, offen arrogant zu sein, und viele Anarchisten kritisierten ihre Genossen und sich selbst und riefen zu mehr Bescheidenheit auf. Einige argumentierten, dass bei der Frage, mit wem man kooperiert, Ernsthaftigkeit wichtiger sei als Gruppenzugehörigkeit oder politische Übereinstimmung.
Ende Februar 2012 sollte ein viertägiger Streik im öffentlichen Nahverkehr von Barcelona stattfinden. Die Arbeiterführer – also diejenigen, die in den Versammlungen am lautesten und wortgewandtesten sprachen – riefen zu einer großen Verkehrsunterbrechung und einem gemeinsamen Kampf der U-Bahn- und Busfahrer sowie der Fahrgäste auf – d.h. all derjenigen, die nicht reich genug sind, um ein Auto zu besitzen. Diese Vorschläge stießen auf breite Zustimmung und wurden nach einer Abstimmung beschlossen. Da die CGT eine der größten Gewerkschaften unter den Busfahrern ist und die Unterstützung eines Busfahrerstreiks bereits in der Vergangenheit gut funktioniert hat, beschlossen die meisten Anarchisten ohne zu zögern, sich in Aktivitäten zur Unterstützung des Streiks zu stürzen.
Trotz der öffentlichen Unterstützung, die durch die Stadtteilversammlungen und andere Instanzen organisiert wurde, wurden die Transportarbeiter zögerlich, als die Medien eine fiktive allgemeine Missbilligung des Streiks an die Wand malten. Kurz bevor es losgehen sollte, spielten die Gewerkschaftsbürokraten schmutzige Spielchen und die Arbeiter brachen ihre Versprechen, handelten private Vereinbarungen aus und ließen diejenigen im Stich, von denen sie Solidarität gefordert hatten. Der Streik kam nicht in Gang, und die Bemühungen zu seiner Vorbereitung erwiesen sich als ein großer Misserfolg. Einige Genossen sahen dies als ein Zeichen, dass man vorsichtiger sein solle, andere als Mahnung, kompromissloser zu sein. Bezeichnenderweise wurde deutlich, dass viele Anarchisten, wie die Trotzkisten und Sozialisten, sich bei dem Streik nicht als Protagonisten sahen – als Passagiere, die schon seit Monaten gegen Tariferhöhungen kämpften – sondern als Unterstützer eines Kampfes, der nicht ihr eigener war. Einerseits verschleierte diese Sichtweise das populistische Versagen, einen offenen Bruch eines Solidaritätsversprechens zu kritisieren. Andererseits zeigte sie eine Offenheit für Selbstkritik seitens derjenigen, die sich mit einem reformistischen Kampf nur aufgrund der in ihm enthaltenen Möglichkeit der Konfrontation beschäftigt hatten. Diese Begebenheit warf auch die Frage nach der Legitimität von in Versammlungen getroffenen Entscheidungen auf – beziehungsweise die Frage, wie ernst man solche Entscheidungen zu nehmen habe, wenn die Leute nach einer mitreißenden Rede für das Eine stimmen und nach einer Woche schlechter Presse für das Gegenteil.
Der Misserfolg des Streiks der Verkehrsbetriebe, nur einen Monat vor dem geplanten Generalstreik, auf den so viele Leute ihre Hoffnungen setzten, hätte leicht demoralisierend wirken können. Unerwarteterweise brach jedoch am Mittwoch derselben Woche ein kleiner, aber wichtiger Riot aus. Zu dem Krawall kam es bei einer Demonstration von Studenten und Lehrenden anlässlich eines eintägigen Unistreiks. Dieses Ereignis hob die Moral und vermittelte eine wichtige Botschaft bezüglich des Ursprungs von Widerstand. Dieser breitete sich aus, nachdem die Studentenführer, die in der Vergangenheit Bewegungen kontrolliert und befriedet hatten, wirksam zum Schweigen gebracht worden waren – indem libertäre Studenten ihnen buchstäblich das Mikrofon aus der Hand rissen. Daraufhin gerieten rauflustige Studenten außer Rand und Band, von denen viele in keiner Weise an irgendetwas Politischem beteiligt waren, während viele andere sie symbolisch unterstützten und zu den Konfliktzonen hinströmten, anstatt aus diesen zu flüchten. Im Nachhinein sahen sich die Sprecher der Plattform gegen die Privatisierung der Unis gezwungen, den Krawall nicht zu verurteilen, da sie wussten, dass sie sonst einen gefährlichen Verlust an Unterstützung erlitten hätten.
Schließlich riefen die CCOO und die UGT zu einem Generalstreik am 29. März auf. Kleinere regionale Gewerkschaften in Galizien und im Baskenland hatten bereits vorher für einen Streik an diesem Tag mobilisiert; nun sprangen die zwei großen Gewerkschaften mit auf, sodass aus dem Streiktag ein landesweiter Generalstreik wurde. CNT und CGT, die nach der Erfahrung des 27. Januar nicht mehr allein streiken wollten, folgten bald dem Beispiel und beteiligten sich ebenfalls. CCOO und UGT war die Sache im Grunde aufgezwungen worden. Seit dem vorhergehenden Sommer, als die abbröckelnde M15-Bewegung nach wirkungsvollen Zielen und Taktiken suchte und die Reichen und Mächtigen ihren Angriff fortsetzen, redeten alle von der Notwendigkeit eines neuen Generalstreiks. Die Gewerkschaften trödelten herum und erklärten pedantisch, wie schwierig es sei, so etwas durchzuziehen. Letztlich, so heißt es zumindest scherzhaft, habe Präsident Rajoy den Streik versehentlich herbeigeführt, als er im Januar während eines wichtigen EU-Gipfels dem niederländischen und dem finnischen Premierminister erzählte, wie gut und „aggressiv“ seine neue Arbeitsmarktreform sei, wie sie es leichter machen würde, Arbeiter zu feuern – sie würde ihn jedoch „einen Generalstreik kosten“. Er wusste nicht, dass sein Mikrofon eingeschaltet war.
Die Strategie der großen Gewerkschaften bestand darin, ihren eigenen Streik zu sabotieren. Beim letzten Generalstreik im September 2010 hatten die Leute monatelang Zeit gehabt, um sich vorzubereiten, sodass sie ihre eigenen Pläne unabhängig von den Gewerkschaften machen konnten. Diesmal kündigten CCOO und UGT den Streiktag weniger als drei Wochen im Voraus an. Sie hängten bis ein oder zwei Tage vor der Aktion so gut wie keine Plakate auf und überließen die Debatte den Medien. Das ideale Ergebnis wäre für sie eine zahlenmäßig hohe Beteiligung an ihren eigenen Protesten, aber ohne Krawalle und großes Durcheinander gewesen. Angesichts der weit verbreiteten Wut der Bevölkerung war es allerdings von vornherein so gut wie unmöglich, Menschenmengen auf den Straßen zu versammeln und dabei die Kontrolle zu behalten; aber wenn die Gewerkschaften die Möglichkeiten der antisistemas einschränkten, auf Unordnung hinzuarbeiten, und wenn sie gleichzeitig ihre eigene Anhängerschaft vom Pöbel auf den Straßen fernhielten, würden sie ihre Verluste gering halten können.
Die antikapitalistischen Vorbereitungen auf den Streik nahmen unterschiedlichste Formen an. Anarchisten arbeiteten in den Nachbarschaftsversammlungen, Streikkomitees und den Versammlungen von Arbeitern oder Arbeitslosen mit indepes, Sozialisten und anderen zusammen; oder sie bereiteten sich in ihren eigenen affinity groups, Versammlungen oder Gewerkschaften (den CNTs) vor. Niemand, weder die Polizei noch die antisistemas, konnte verlässliche Pläne für den Tag machen. Sie konnten entweder versuchen, für Ordnung zu sorgen, oder sich inmitten von Unordung zu bewegen.
Der Streik
In etlichen Vierteln begann der Generalstreik um Mitternacht: kleine Gruppen schlossen Bars und lösten traca aus, lange Serien von lärmendem Feuerwerk. In Casc Antic betrat ein Streikposten, der angeblich der CGT angehörte, ein Casino, scheinbar, um es zu schließen – und machte sich mit 2000 Euro Bargeld aus dem Staub. Die Gewerkschaft verneinte schnell jede Verbindung mit dem Täter. Als Resultat musste das Casino unerwartet am Tag des Streiks schließen und meldete einen Schaden von 50.000 Euro. Ab 6:30 Uhr am Morgen versperrten Barrikaden die wichtigsten Autobahn- und Eisenbahnzufahrten nach Barcelona: Av. Meridiana; Gran Via; Diagonal; la Ronda Litoral; metro Zona Universitaria; metro Llacuna und andere.
Umherschweifende Streikposten sammelten sich in einigen Vierteln schon um 4 Uhr früh, in anderen um 7 Uhr. Sie machten die Straßen dicht und blockierten Geschäfte, die versuchten zu öffnen – hauptsächlich Bäckereien, Bars und Supermärkte. In Horta blockierten 200 Menschen Straßen, stoppten und sabotierten Busse und schlugen die Scheiben von Mercadona ein, einer großen Supermarktkette, die dafür berüchtigt ist, ihre Arbeiterinnen und Arbeiter zu bedrohen und zu schikanieren. In Sants drangen die Streikposten in die Bahnstation ein und verprügelten einen Geschäftsmann, der versucht hatte, einen der Streikposten zu packen. In Clot gingen Steikposten im Viertel auf und ab, um jede einzelne Straße mit Müllcontainern zu versperren, bis die Bereitschaftspolizei angriff und drei Festnahmen machte. Im benachbartem Poble Nou blockierte ein kleiner Streikposten der CCOO und UGT symbolisch die Straße, während ein größerer Nachbarschaftsstreikposten Läden schloss, bis die Bereitschaftspolizei auf der Jagd nach Streikposten aus Clot auftauchte, die dort Schutz gesucht hatten. In Sant Andreu griff die Polizei Streikposten vor der Stadthalle an und verhaftete drei Personen. In Raval und Eixample gab es zusätzlich zu den Steikposten eine morgendliche Protestkundgebung.
Um 11 Uhr morgens trafen sich Leute aus vier unterschiedlichen Vierteln am Plaça Glories, um gemeinsam ins Zentrum zu marschieren. Auf dem Weg dahin blockierten sie die Gran Via und beleidigten eine kleine Gruppe von CCOO- und UGT-Streikposten, die auf dem Bürgersteig standen. Im Zentrum versammelten sich Tausende von Menschen zu einem „einheitlichen Streikposten“. Genau an diesem Ort hatten beim Streik im September 2010 die Ausschreitungen begonnen. Jedoch waren es dieses Jahr mehr Menschen, und der Plan war, aus dem Zentrum heraus nach Gràcia zu marschieren. Unglücklicherweise hatte man als direkteste Marschrouten die breiten Hauptstraßen gewählt, die eigens dafür entworfen worden waren, Rebellionen zu kontrollieren. Die großen Menschenmengen kamen nur langsam in der heißen Sonne voran, weit entfernt von allen Geschäften an den Bürgersteigen. (5) Das Ergebnis war weder ein Protestmarsch noch ein Streikposten. Nichtsdestotrotz hatten die meisten Geschäfte in der Umgebung als Sicherheitsvorkehrung geschlossen. Ein luxuriöses Hotel, welches einst 1936 von Anarchisten kollektiviert worden war, wurde mit Farbbomben beworfen, aber generell war die Atmosphäre ruhig. Schon zu Beginn des Umzugs waren ein paar Leute ausgeschwärmt und hatten Müllfeuer vor der Börse entzündet – sie zogen sich schnell zurück, als die Bereitschaftspolizei auftauchte. Am Jardinets de Gràcia stoppte der Marsch für fast eine Stunde, obwohl sich die Menschenmenge immer noch bis zurück zum Plaça Catalunya zog.
Dann schafften es Leute mit Fahnen und Bannern schlussendlich, die Menschenmenge zu bewegen und nach links in Richtung Eixample abzubiegen. Bald warf jemand ein Leuchtfeuer auf den Dachvorsprung eines Hotels, was einen kleinen Brand auslöste. Der Anblick von Rauch hatte einen magischen Effekt. Die passive, hilflose Menge war plötzlich transformiert, als Masken auftauchten und Leute ihr Gesicht vermummten. Werkzeuge kamen hervor oder wurden der Umgebung entnommen, und bald war jede Bank und jeder luxuriöse Laden eingeworfen. Müllcontainer wurden umgeworfen und angezündet. „Aber sie haben ihren Laden doch zugemacht!“ fragte ein älterer Demonstrant, überrascht darüber, dass ein luxuriöses Geschäft eingeworfen wurde. „Was macht ihr?“ – Klar, manche Leute wollten, dass der Streikposten ein Streikposten bleibt, und verstanden nicht die Bereitschaft, zum Angriff überzugehen.
Ein Feuerwehrwagen rückte an und Transporter der Bereitschaftspolizei wurden herumrasend in der Ferne gesehen; es sollte später festgestellt werden, dass sie die Hauptmasse der Leute zurückdrängten, die vom Pl. Catalunya heraufkamen, um Unterstützung zu verhindern, wenn die Zeit kam, die Randalierer anzugreifen. Viele Menschen zögerten, jedoch drückten Tausende nach vorne, sie zerstörten weitere Banken und schlossen den Kreis, um wieder zu den Jardinets zurückzukehren. An diesem Punkt griffen die mossos (die katalanische Polizei) an, sie rasten mit ihren Transportern nach vorne, um sowohl die Straßen zu flankieren, als auch einen Teil der Jardinets abzuschneiden. Mehrere Leute wurden überfahren und noch viel mehr verprügelt, als sie sich plötzlich in einem Spießrutenlauf wiederfanden. Ein paar Personen wurden auch verhaftet, jedoch war die Menge so groß, dass es für die Polizei schwierig war, den nötigen Raum freizuhalten, um Menschen einfangen und wegbringen zu können. Der größte Teil der Randalierer, hauptsächlich Anarchisten, verzog sich in die Straßen von Gràcia, wo sie möglicherweise die gesamte Nachbarschaft einnehmen und das Rathaus hätten zerstören können. Dieses wurde lediglich von ein paar Polizisten bewacht, die sich beim Anblick von 500 schwarz vermummten Demonstranten selbst eingeschlossen hatten. Aber Letztere waren immer noch im Panikmodus nach dem Polizeiangriff und sie verstreuten sich. Über die folgenden Stunden des Versteckens und der Versuche, sich wieder zu sammeln, kommentierten viele Anarchisten die altbekannte Schwäche bei Straßensituationen in Katalonien: die Leute laufen immer vor den Bullen davon. Anderswo, weiter unten in der Stadt, rückte eine Gruppe mit Müllcontainern, Steinen und Leuchtfeuern vor, ohne gleich zerstreut zu werden; jedoch war eine erhebliche Steigerung nötig.
Um 16:30 startete die Demo der CNTs, der CGT und anderer Anarchisten in Jardinets, um zurück zum Pl. Catalunya zu marschieren. Er war um die 10.000 Personen stark und es waren weitere zehntausende Menschen in der Nähe, die die Polizei aufhielten. Man spazierte gemächlich durch die schicke Straße von Pau Claris, verbrannte Müllcontainer an jeder Kreuzung, entglaste jede Bank und warf Leuchtfeuer und Müll hinein. Die Ausschreitungen führten auch zu Konflikten innerhalb der Demonstration, als manche Protestierende den Randalierern entgegentraten und versuchten, sie zu demaskieren. Unheimliche Szenen spielten sich vor ihren Augen ab: Zuschauer glotzten auf die Ruinen, die zahlreichen Rauchsäulen und die Feuerwehrleute, welche Müllfeuer mit fünf Metern Durchmesser links liegen ließen, als sie vorbei rasten, um die Feuer in den brennenden Banken zu löschen. An der Ecke des Pl. Catalunya bei der Corte Inglés, einem der wichtigsten Einkaufszentren des Landes, griffen die mossos an und bildeten eine Kette, um die Mall zu schützen.
Die Anarchisten zerstreuten sich und die meisten von ihnen schlossen sich der immensen Menschenmenge auf dem Platz an. Für über eine Stunde herrschte Ruhe, Journalisten mischten sich unter die Menge und filmten ungehindert. Dann begannen Jugendliche und Hooligans (6), von denen viele nicht einmal vermummt waren, an der oberen rechten Ecke des Platzes nach und nach die Konfrontation mit der Polizei zu eskalieren. Sie warfen mit Abfall und setzten einen Müllcontainer in Brand. Als das Feuer des Containers so groß wurde, dass die Polizei ihre Mannschaftswagen zurückziehen musste, damit diese nicht Feuer fingen, griff die wilde Meute an und jagte die Polizei einen gesamten Block zurück zum Plaça Urquinaona. Dann tat die Polizei so, als ob sie einen Gegenangriff starten würde, und die Demonstranten gerieten in Panik und rannten weg. Dieses Mal beruhigten die Leute mit mehr Straßenerfahrung die Panik und drängten alle dazu, standhaft zu bleiben und Widerstand zu leisten, was die Hooligans und einige andere schnell taten. Die nötigen Werkzeuge, um die Straße und den Bürgersteig in Wurfgeschosse umzuwandeln, tauchten schließlich auf oder wurden aus dem, was zur Hand war, geschaffen, und die Polizei wurde mit einem Steinhagel eingedeckt. In beinahe einer Stunde der Freiheit auf einer gewaltsam eroberten Straße entglasten Hooligans, Anarchisten und indepes einen Starbucks und setzten ihn und eine Bank in Brand. Mit einer beinahe wahnsinnigen Entschlossenheit durchbrachen sie zuerst eine Glas- und dann eine Metallwand, um einen Hintereingang des Corte Inglés zu öffnen und ein Feuer in dem Einkaufszentrum zu legen. Die Szene wurde von Medienleuten und Passanten gefilmt, von manchen aus Neugier und von anderen als ein bewusster Versuch der Einschüchterung. Ein paar Leute schrien die Randalierer auch an, aber Tausende andere applaudierten und blieben vor Ort, anstatt Panik zu bekommen, davonzulaufen und die Krawallmacher isoliert zurückzulassen, wie es normalerweise passiert.
Aufgrund der riesigen Menschenmenge, die die Randalierer absichtlich oder unbeabsichtigt schützte, konnte die Polizei nicht um sie herum gelangen, um sie von hinten anzugreifen. Langsam rückten sie unter einem Steinhagel vor. Als eine weitere Gruppe Bereitschaftspolizei entlang des Corte Inglés von der unteren rechten Ecke des Platzes anrückte, wich die Menge zurück und die Polizei nahm wieder den gesamten Block ein, welcher ihr zuvor genommen worden war, einschließlich des Pl. Catalunya.
Die Leute gaben aber immer noch nicht auf. Sie griffen mehrere Pressewagen an und stahlen einen Benzintank von dem Generator auf einem derselben, um ihn gleich zum Einsatz zu bringen. Sie begannen, Barrikaden zu improvisieren und auf der Suche nach Steinen den Bürgersteig aufzubrechen. Für eine geschätzte weitere Stunde schoss die Polizei ununterbrochen einen Hagel aus Gummigeschossen und verletzte viele Protestierende. Ein Mensch verlor ein Auge, ein weiterer wurde in die Lunge getroffen. Ein vier Jahre altes Kind wurde angeschossen. Die Leute aber machten sich Schilde oder suchten Schutz hinter einer Reihe von Straßenabsperrungen und anderen Hindernissen, um weiter Steine auf die Polizei zu werfen. In dem meisten Fällen waren Hooligans und migrantische Jugendliche an vorderster Front, zusammen mit einer Handvoll Anarchisten, und ihr Mut war inspirierend.
Zum Schluss mussten die mossos zum ersten mal in ihrer zehnjährigen Geschichte Tränengas einsetzen, um den Platz zurückzuerobern. Das Gas war nicht so stark, doch als etwas Unbekanntes löste es Angst aus. Die ersten paar Kanister wurden zurückgekickt, die nächsten jagten die Massen zurück zum Placa Universitat, wobei auf dem Weg weitere Feuer entzündet und Banken eingeworfen wurden. Für die nächste Stunde gehörten alle Straßen um den Placa Universitat dem Volk, bis die Polizei es schlussendlich schaffte, zwei weitere Häuserblocks voranzukommen. Als nächstes brachen Feuer in Passeig de Gràcia (über dem Pl. Catalunya) und Raval (die migrantische Nachbarschaft unter dem Pl. Universitat) aus. In letzterem Gebiet entzündeten Einwanderer und Anarchisten die ganze Nacht über Feuer, bauten Barrikaden, griffen Banken an und sammelten Steine in der Hoffnung, die Polizei würde kommen. Außer mit ein paar Zivilbullen, die schnell verjagt waren, gab es kaum Konfrontationen, jedoch nur, da die Ordnungsmacht sich entschied, diese zu vermeiden. Überall in der Stadt raubten Leute am Rande der Hauptkonfliktpunkte Supermärkte aus, schlugen Banken ein, verbrannten Mülltonnen und verprügelten Zivilpolizisten. Bis spät in die Nacht raste die Feuerwehr hin und her, im Zentrum oder in den Vororten der Stadt. Für einen Tag hatte die Polizei die Kontrolle über die Stadt verloren, so wie am 27. September 2010; vielleicht für das erste Mal seit den Cine Princesa-Ausschreitungen von 1996 – auch wenn es dieses Mal in einer ganz anderen Größenordnung geschah – hatte nun eine große Menge von Menschen gelernt, wie man die Polizei in einem anhaltenden Kampf zurückdrängt.
Die Ausschreitungen waren ein Ereignis von großer Bedeutung. Daß es gelungen war, den Geschäftsbetrieb stillzulegen war offensichtlich, auch wenn einige Geschäfte nicht geschlossen hatten. Vielleicht tausend Mülltonnen wurden in Barrikaden verwandelt, neben unzähligen Reifen und anderen Objekten. 295 Müllcontainer wurden verbrannt, was für die Stadt einen Schaden von eineinhalb Million Euro bedeutete, wobei die aufgebrochenen Straßen und Bürgersteige und die eingeschlagenen oder angezündeten Banken und Kaufhausfilialen nicht mitgezählt sind. Jedoch war die Erfahrung, die Straße zu gewinnen, das Wichtigste. In der Zeit danach fühlten sich die Anarchisten siegreich, während der katalonische Innenminister anerkannte, dass dies ein Zeichen kommender Zeiten sei – gewissermaßen ein Bild der Zukunft (7). Bei der Vorbereitung zum Generalstreik hatte niemand geglaubt, dass eine Eintagesaktion irgendein Problem lösen würde, und diese Überzeugung ist geblieben, auch wenn der Streik die wildesten Erwartungen aller bei weitem übertroffen hat. Was jedoch gewonnen wurde, wird für die zukünftigen Schlachten von enormer Bedeutung sein.
Die Repression
In Tarragona, einer anderen Stadt in Katalonien, nutzten die antisistemas die Tatsache aus, dass sich die gesamte Bereitschaftspolizei in Barcelona befand, und machten Randale: Sie brannten die Geschäftsstellen mehrerer politischer Parteien nieder und griffen Polizeiautos an. Am nächsten Tag nahm die Polizei neun bekannte Radikale fest, von indepes bis hin zu Anarchisten; der Mangel an Beweisen wurde dabei von ihrem Verlangen nach Rache wettgemacht.
Insgesamt gab es am 29. März in ganz Katalonien 79 Festnahmen, davon 56 in Barcelona. Viele der Festgenommenen wurden auf den Polizeiwachen geschlagen und verletzt. Zweien musste infolge der Schläge die Milz herausoperiert werden. Bei einer Solidaritätskundgebung vor dem Modelo-Gefängnis einige Tage nach dem Streik nahm die Polizei eine willkürliche und besonders grausame Festnahme eines Demonstranten vor, den sie aus seinem Rollstuhl herausholten und diesen auf der Straße stehen ließen, während Bereitschaftspolizisten eine Gasse für den Gefangenentransporter durch die wütende Menge freischlugen, wobei sie mindestens einem Demonstranten einen Knochenbruch zufügten.
Die meisten Festgenommenen sind mittlerweile gegen Kaution oder unter Auflagen auf freiem Fuß und warten auf Prozesse mit schwerwiegenden Anklagen, die sich wohl zwei Jahre oder länger hinziehen werden. Drei der Verhafteten wurde die Freilassung gegen Kaution verweigert: zwei indepes, die am Morgen mit belastendem Material festgenommen worden waren und einem der Streikposten, die man früh am Tage in Clot verhaftet hatte. Gegen Letzteren läuft bereits ein Prozess wegen der Belästigung von Politikern während der Belagerung des Parlament im Juni. Während der intensivsten Momente der Kämpfe war die Polizei kaum in der Lage, Festnahmen zu machen, und es gibt wenig Beweise, um die Verhafteten mit den ungeheuerlichsten Verbrechen des Tages in Verbindung zu bringen. Nichtsdestoweniger begreifen die Gerichte die politische Notwendigkeit exemplarischer Strafen – und sie werden die erforderlichen Vorkehrungen treffen.
Die Politiker suchen währenddessen nach neuen Repressionsinstrumenten, um einer rebellischer werdenden Zukunft zu trotzen. Die spanische Regierung in Madrid treibt Änderungen des Strafrechts voran und die Generalitat (8) in Katalonien ruft nach scharfen neuen Maßnahmen. Die Grundmerkmale werden jedem vertraut sein, der Repression kennt und sie wurden vom katalanischen Innenminister Felip Puig zusammengefasst, der sich beschwerte, dass das Gesetz zu tolerant gegenüber den „Gewalttätern“ sei und der an die braven Bürger Kataloniens appelliert, zu helfen, diese zu isolieren. In erster Linie soll das Strafrecht geändert werden, voraussichtlich mit den folgenden Ergebnissen: Das Versammlungsrecht wird durch ein Vermummungsverbot eingeschränkt; der Tatbestand der „Störung der öffentlichen Ordnung“ soll künftig auch auf Personen angewendet werden, die eine öffentliche Einrichtung betreten, um dort zu protestieren beziehungsweise den Eingang einer solchen blockieren; die Mindeststrafe für dieses Vergehen wird auf zwei Jahre erhöht, wobei es möglich sein wird, den Angeklagten für die Dauer dieser zwei Jahre im Gefängnis auf seinen Prozess warten zu lassen; der Tatbestand „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wird flexibler gehandhabt; „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ schließt künftig auch passiven Widerstand gegen die Polizei ein; wegen des Werfens von Objekten auf die Polizei werden viel schärfere Anklagen erhoben und die Strafen für Vandalismus werden denen für vergleichbare Vergehen angeglichen, die unter die Antiterror-Gesetze (9) fallen. Als besondere Maßnahmen in Katalonien sollen die Anzahl der Beamten der Bereitschaftspolizei um ein Viertel erhöht sowie ein spezieller Staatsanwalt ernannt werden, der sich ausschließlich um „städtische Gewalt“ kümmert. Mehr Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen werden installiert und die Polizei intensiviert das Filmen von Demonstranten.
Als weitere Maßnahme wird die Generalitat eine Webiste einrichten, um das Denunziantentum anzuregen und zu erleichtern und vielleicht auch eine Technik bereitstellen, um die Bevölkerung an der Identifizierung von Krawallmachern auf Fotos zu beteiligen, wie dies in anderen Ländern bereits gemacht wird. Sie wird auch versuchen, Websites, Blogs und Twitter-Accounts zu schließen, die zu gewalttätigen Protesten aufrufen, und sie wird die Bürger auffordern, solche Gewalt nicht zu fördern, indem sie persönliches Filmmaterial auf ihren Blogs oder auf Facebook teilen. (10) Die Medien wiederum werden fortfahren, die „Gewalttäter“ zu dämonisieren, in der Hoffnung, sie dadurch zu isolieren. Und das neue Strafgesetz wird es der Staatsanwaltschaft erlauben, jede Organisation eines schweren Verbrechens anzuklagen, die zu einem Protest aufruft, der in Gewalt endet.
Die Anarchisten verloren keine Zeit, auf all dies zu reagieren. An den beiden Tagen nach dem Streik gab es Solidaritätskundgebungen vor dem Gefängnis und den Gerichten. Am 2. April zog eine Solidaritätsdemonstration mit vielleicht fünfhundert Teilnehmern von Platz der Universität zum Modelo-Gefängnis. Weniger als eine Woche nach dem Streik tauchten an den Wänden der Stadt Tausende Exemplare von mindestens zwei verschiedenen anarchistischen Plakaten auf, die die Krawalle rechtfertigten. Das eine fragte: „Was habt ihr den erwartet?“, während das andere „Das Ende des Gehorsams“ verkündete. Es wird darüber gesprochen, diese Repressionsfälle mit anderen neueren Beispielen der Repression in Verbindung zu bringen, für die bereits Proteste und Unterstützungsaktionen geplant sind – den Verhaftungen während des Streiks im September 2010, der Räumung des Plaça Catalunya am 1. Mai, der Schlacht gegen die Räumung in Clot im July 2011, den Verhaftungen vor dem Parlament. Koordinierte Versuche, die neuen Gesetze bekannt zu machen und zurückzuweisen, sind ebenfalls in Arbeit.
Es gibt auch Versuche der Kritik und des gemeinsamen Lernens, da einige Verhaftungen vermeidbar gewesen wären und in einigen Momenten Leute Konfrontationen herbeiführten, als es nicht klug war, dies zu tun oder andere eine sicherere Atmosphäre wünschten. Auf dem Plaça Catalunya konnten diejenigen, die sich in Sicherheit bringen wollten, leicht auf die Seite des Platzes und weg von den Straßenkämpfen gehen und tatsächlich gab es dort viele Familien mit Kindern oder ältere Leute, die die gegen die Polizei Kämpfenden symbolisch unterstützten. Dies war jedoch an anderen Orten nicht möglich, genausowenig gab es dort vielversprechende Möglichkeiten, die Polizei anzugreifen, selbst wenn alle es gewollt hätten.
Es ist viel leichter, solche Kritik zu verstehen und ihr gemäß zu handeln, nachdem die pazifistische Heimtücke überwunden ist, die mit der 15M-Bewegung aufgekommen war. Und es scheint, als ob Anarchisten, anstatt solche Bedenken im unbeirrten Streben nach ständiger Konfrontation zu denunzieren – eine Strategie, die hier schon versucht und wieder aufgegeben wurde –, bereit sind, zuzuhören und ihr Verhalten zu ändern, da sie gute Erfahrungen dabei gemacht haben, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die derartige Kritik äußern. Alle Änderungen wären keine in Richtung Befriedung, sondern hin zur Vermischung verschiedener Räume und Formen des Kampfes, um in einer Weise in die Offensive zu gehen, die andere nicht gefährdet und sich ausbreiten kann.
“Gegen den Angriff der Reichen und ihrer Politiker - Selbstverteidigung”
Die gewonnenen Erfahrungen
Die Ereignisse des 29. März machten einige wichtige Einsichten unmissverständlich klar.
Was Straßenkämpfe angeht, so stehen einige Beobachtungen unmittelbarer im Vordergrund als andere. Die wichtigste Voraussetzung für Aktionen besteht weder darin, einen Plan zu haben – da Pläne in solchen Situationen immer in sich zusammenfallen – noch darin, materiell vorbereitet aufzutauchen, auch wenn das nicht schadet. Die grundlegendste Notwendigkeit ist die Fähigkeit, die Polizei zurückzuschlagen. Diejenigen, die der Polizei einen Raum direkt entreißen, können in der Folge alles machen. Die Fähigkeit, die Polizei zu schlagen, folgt primär aus der inneren Einstellung, zweitens aus der Erfahrung und drittens aus der Ausrüstung. Die ersten beiden Voraussetzungen können die dritte aus der städtischen Landschaft erzeugen, wenn sie niemand im Voraus vorbereitet hat.
Diejenigen, die die Polizei am effizientesten zurückschlagen konnten, setzten sich aus jungen Leuten mit unterschiedlichen sozioökonomischen und ethnischen Hintergründen zusammen, die wenig oder keine vorangehende Straßenerfahrung hatten. Ihre Effektivität multiplizierte sich, sobald sich ihnen Leute mit mehr Erfahrung und Vorbereitung anschlossen. Gleichfalls konnten die an ihrer Seite kämpfenden Anarchisten an einem Tag mehr Straßenerfahrung machen, als bei allen Protesten des vorangegangenen Jahres zusammen. Erfahrung sammelt sich nicht passiv an. Sie fällt nur jenen mit der adäquaten Haltung zu.
Weniger offensichtlich ist die Wichtigkeit derer, die nicht an den Frontlinien stehen. Die sine qua non der Krawalle des 29. März war die Menschenmenge, die diejenigen im Zentrum des Geschehens physisch und emotional unterstützten. Die Formen dieser Unterstützung müssen sich breiter ausfächern, die Intensität muss sich steigern – Notwendigkeiten, die von der Idee gehemmt werden, Anarchisten müssten entweder an vorderster Front kämpfen oder davonlaufen. Die Anarchisten in der dritten Reihe, die die Hände erheben und den Leuten sagen, sie sollen ruhig bleiben, sind genauso wichtig, zusammen mit den sich weiter hinten Befindenden, die das Pflaster in Wurfgeschosse zertrümmern – zu oft wird letztere Aktivität direkt an der Frontlinie ausgeführt, wo die Leute und die von ihnen angehäuften Steinhaufen angreifbarer sind. Es ist außerdem nötig, Genossen zu haben, die nicht an den Kämpfen teilnehmen, aber in ihrem Sinne gegen diejenigen argumentieren, die die Aufrührer befrieden oder isolieren wollen und andere – noch weiter hinten, an Orten, die sicherer für Kinder und Alte sind –, die den Kämpfen applaudieren oder jedes Mal in Jubel ausbrechen, wenn ein neues Feuer ausbricht, und die die Leute ermutigen, die Kämpfer nicht zu verlassen, sondern sie vielmehr als die „Unsrigen“ anzusehen.
Unterstützung für diese Art von Straßenkampf zu gewinnen, war ein schrittweiser aber stetiger Prozess nach der Massenerscheinung des Pazifismus in der 15M-Bewegung. In vielerlei Hinsicht war diese Bewegung darauf ausgerichtet, die Erinnerungen an die Kämpfe hier anzugreifen, und von den indepes bis zu den Anarchisten hatten viele Leute ein Interesse daran, eben diese Geschichte wieder ins Zentrum der neuen Bewegung zu rücken, so wie sie das Zentrum der Bewegungsbahn des Kampfes vom 29S-Generalstreik zum 1. Mai 2011 bildete. Diese Geschichte beinhaltet eine tief verwurzelte antikapitalistische Analyse und eine kampflustige Praxis. Indem sie die Oberflächlichkeit des Pazifismus und des demokratischen Populismus herausstellen, legitimieren diese beiden Aspekte der populären Geschichte die radikalen Auseinandersetzungen sowie die Aktionen, die diese begleiten müssen.
In den ersten Wochen der Platzbesetzungen der Bewegung des 15. März mussten Anarchisten sich wiederholt mit dem Pazifismus auseinandersetzen, Flyer und Texte verteilen und jede kleine Abweichung von den zahmsten und staastsbürgerlichsten Aktionsformen rechtfertigten. Die Polizeigewalt beschleunigte diesen Lernzyklus. In allen folgenden Großdemonstrationen definierten die Anarchisten die zentralen Konflikte und versuchten, die Sache voranzutreiben, wobei sie mehr Wert auf sichtbare als auf klandestine Aktionen legten. In den ersten paar Monaten entzündete sich der Konflikt am Graffiti. Fast alle hatten sich bereits die formaljuristisch illegale Aktion der Straßenblockade angemaßt, nahezu bei jedem einzelnen Protest. Aber wenn Leute sich maskierten und damit begannen, während der Proteste Banken zu bemalen, wurden andere aus der Menge wütend und versuchten sogar, die Banken physisch zu beschützen. Für zwei sprühende Leute brauchte man fünf und mehr Leute, um deren Aktionen zu verteidigen und sie manchmal körperlich zu schützen. Protest für Protest lehnten weniger Leute die politischen Graffiti ab – solange sie gegen Banken, Regierungsgebäude und andere verhasste Institutionen gerichtet waren – und mehr Leute aus der Menge argumentierten für die Sprühereien. Die entscheidende Handlung bestand nicht darin, mutwillig eine Bank zu beschmutzen, sondern in der öffentlichen Debatte, die aufkam, um dies zu legitimieren.
Der nächste Konfliktpunkt drehte sich rund um die Vermummung. Ab Oktober kritisierte kaum noch jemand die Sprühereien bei den Demonstrationen, aber man brachte vor, dass man das ohne eine Maske tun solle. Wieder verteidigten Anarchisten diese Praxis und verteilten Schriften darüber. Aber Vermummung eignete sich weniger zur Erzeugung eines offenen Konflikts als die Sprühereien, und so gab es weniger Gelegenheiten, sich zu engagieren. In dieser Zeit verhaftete die Polizei Leute, die dabei gefilmt worden waren, wie sie während der Belagerung des Parlaments im Juni Politiker belästigten. Dadurch wurde es einfacher, die praktischen Gründe für die Vermummung zu erklären, obwohl die Medien vor Rhetorik gegen die Feigheit der Vermummten überquollen. Glücklicherweise erklärt sich diese Praxis leicht selbst, vor allem unter der Jugend; aber in Barcelona erzeugt sie immer noch einen Bruch zwischen denen, die automatisch mit dieser Praxis sympathisierten und denen, die sich automatisch davon abgestoßen fühlten.
In anderen Demonstrationen führten Leute eine offensivere Taktik ein, indem sie besonders verabscheuungswürdige Ziele – wie die Börse und Büros der politischen Parteien – mit Farbbomben bewarfen. Außerhalb des Demonstrationsraums tauchten an zufälligen Tagen in zufälligen Vierteln Vermummte auf, zerstörten eine Bank und verschwanden schnell wieder, was eine weitere Möglichkeit darstellte, Angriffe zu normalisieren. Aber bevor dieser Prozess auf diese Weise weitergehen konnte, wurde er plötzlich durch die Studentenkrawalle und dann durch den Generalstreik beschleunigt. Einerseits normalisierten diese Ereignisse den offensiven Volkswiderstand, indem sie mehr Leuten die Möglichkeit gaben, daran teilzunehmen. Andererseits erlaubten sie denjenigen, die solchen Angriffen sympathisierend gegenüberstanden, schnell voranzuschreiten und sich von denen zu trennen, die dazu tendieren, die Gewalt zu verdammen. Während einige Tausend vielleicht fähig sind, auf der Straße für eine oder zwei Stunden zu gewinnen, werden sie langfristig gesehen unabwendbar isoliert und befriedet, wenn solch eine Gruppe sich nicht fortwährend ausweitet und die um sie herum aufgebauten Barrieren der Legitimität untergräbt. Wie dem auch sei, zur Zeit des Streiks war ein großer Teil der katalanischen Bevölkerung bereits an ein niedriges Niveau des Straßenkonflikts und der Eigentumszerstörung gewöhnt und die sich verdüsternden Zukunftsaussichten gaben einigen von ihnen die Wut, eine plötzliche Eskalation dieses Konflikts zu unterstützen.
Spektakularisierung – die Praxis der Reduktion von Praxis auf Bilder – ist eine starke Kraft, um Krawallmacher zu isolieren. Während sich die Opposition zur Presse und das Bewusstsein der Notwendigkeit von Verteidigungsmaßnahmen langsam ausbreitet – in Form von Angriffen auf Journalisten und Bemühungen, Zuschauer davon zu überzeugen, nicht zu filmen – gibt es während der Ausschreitungen immer noch ein gefährliches Ausmaß von Spektakularisierung. Die Verbreitung neuer Sprechchöre – eine effektive Taktik für die Radikalisierung der 15M-Bewegung und den Kampf mit dem Pazifismus – wurde auch gegen die Medien benutzt. Ein Beispiel: „Die Presse zielt, die Polizei schießt“ wurde seit Oktober populär. Allerdings gibt es noch keinen Spruch gegen das Filmen durch normale Leute, wenn auch einige Propaganda zu diesem Thema verteilt wurde. Nichtsdestoweniger wird die gefährlichste Form der Spektakularisierung beseitigt, sobald die Journalisten aus den Protesten gedrängt werden können und sie zunehmend als Äquivalent zur Polizei begriffen werden.
Es ist auch notwendig, über die unmittelbaren Anforderungen des Straßenkampfes hinaus zu fragen, was erreicht wurde und was der entscheidende Punkt war. Die wichtigstem Bestandteile des Konflikts waren emotional und symbolisch, nicht ökonomisch. Der Staat – selbst die Quelle der Währung – kann nicht durch wirtschaftliche Verluste zerstört werden, sondern nur durch einen Angriff des Volkes. Hätte die CCOO und die UGT eine 2% höhere Teilnahme am Streik erreicht und alle Ausschreitungen und Eigentumsschäden verhindert, so wäre der wirtschaftliche Gesamtverlust sehr viel größer gewesen, aber die sozialen Kämpfe hätten nichts gewonnen. Erreicht wurde eine Unterbrechung des zum Regieren notwendigen Narrativs vom sozialen Frieden, die zeitweise Verbreiterung der Beteiligung an offenem Widerstand; es wurde die Erfahrung gemacht, die es ermöglichen wird, diese Erschütterung in Zukunft zu überbieten und Beziehungen zu Fremden zu schaffen, die einen Tag lang zu unseren Genossen wurden.
Letztere Aktivität wurde kaum versucht, obwohl sie eine der vielversprechendsten Möglichkeiten ist, die aufständische Momente bieten. Anarchisten leben im gleichen Viertel wie die Hooligans, die den Kampf gegen die Polizei anführten, aber sie sind voneinander vollständig entfremdet, solange kein Riot stattfindet. Leute, die sich am Straßenkampf beteiligen, sollten nicht idealisiert werden, aber viele von ihnen erleiden tagtäglich Polizeigewalt und immerhin einige von ihnen haben starke antiautoritäre Tendenzen. Anarchisten sollten sich ihnen und anderen als Menschen nähern, mit denen sie Seite an Seite leben und mit denen sie nach der Revolution an Versammlungen teilnehmen werden. (11)
Um die Revolution näher zu bringen, wird es nötig sein, die natürliche Spaltung zwischen Nacht und Tag zu überwinden und zu lernen, die Ausschreitungen über mehrere Tage aufrechtzuerhalten. Nur wenn sie sich zeitlich ausdehnen, werden sie die Chance haben, sich zu einem Aufstand auszuwachsen, der sich von Stadt zu Stadt ausbreitet. Andernfalls werden sie nur als emotionale Befreiung dienen. Einstweilen, da die Normalität zurückkehrt, besteht die Frage darin, wie man das Gewonnene ausbauen kann, wie man die kollektive Erfahrung der Ausschreitung nutzen und das gesellschaftliche Pendel daran hindern kann, Richtung Reaktion zu schwingen.
Nur der letzte Teil dieser Frage findet bereits innerhalb des kollektiven Gedankenguts seine Antwort: Unterstützt die von Repression Betroffenen; knüpft Beziehungen über die Spaltung hinweg, die zwischen guten und schlechten Protestierenden wie auch zwischen Zuschauern und Handelnden errichtet wird; tretet dem medialen Gegenschlag durch die Betonung der Rolle der Medien im sozialen Krieg entgegen; und widersetzt euch den neuen vom Staat verabschiedeten Unterdrückungsmaßnahmen.
Die strategischen Spannungen
Geschichtlich hat die anarchistische Bewegung Kataloniens ihre Identitäten eher um gemeinsame Handlungsweisen und Orte herum gebildet als durch vereinheitlichende Ideologien. Es ist ungenau und unzutreffend, wenn man – wozu Zuschauer aus der Ferne tendieren – von aufständischen Anarchisten und Anarchosyndikalisten als zwei einander gegenüberstehenden und getrennten Gruppen redet. Diese Ideologien existieren, aber als ein fließender Austausch zusammen mit anderen Positionen und nicht als gegensätzliche Pole. Es handelt sich hierbei eher um Praxis als um Ideologie.
Die CNT war zweifellos bis Ende Juli 1936, als sie zu einer klassenkompromisslerischen und im Grunde staatstragenden Organisation wurde, die wichtigste revolutionäre Organisation in Spanien. Allerdings fungierte sie zu gleichen Teilen als eine Gewerkschaft und als ein Standbein für die Bildung informeller, kampflustiger, nachbarschaftlicher Netzwerke. (12) Wichtige Personen in der Organisation verorteten sich innerhalb der ganzen Bandbreite vom Insurrektionalisten bis zum Syndikalisten, und der Austritt der Letzteren war ein wichtiger Schritt in ihrer Radikalisierung. Cenetistes (13) kämpften für den libertären Kommunismus, Kollektivismus und Kooperativismus oder aber sie kämpften einfach gegen die gegenwärtigen Verhältnisse, ohne zu wissen, was danach kommt. Viele Aktivisten wechselten ihre Positionen und Aktionsformen je nach Erfolg des gesellschaftlichen Kampfes, so dass die für den Augenblick Aufrührerischsten im nächsten Moment zu den Moderatesten wurden, wie im Fall von Garcia Oliver. Ascaso und Durruti, die von den einflussreichsten Mitgliedern vielleicht Prinzipienfestesten, waren beide überzeugte Syndikalisten – insofern sie in den Gewerkschaften ein wichtiges Hilfsmittel für die Agitation und Organisation am Arbeitsplatz sahen – und Insurrektionalisten, da sie glaubten, die Zeit für Angriffe und also für den Aufbau der Fähigkeit zum bewaffneten Kampf wäre immer gekommen; sie haben dafür in den 20ern gestritten und danach gehandelt, zu einer Zeit, als die Meisten dachten, dass es besonnener wäre abzuwarten. Zeitweise ging ihre Praxis sehr weit mit den individualistischen, illegalen Anarchisten zusammen, die oft ihre Basis im Stadtteil Raval errichteten; dann erschienen sie wieder wie reine Gewerkschaftsaktivisten.
Um ein anderes Beispiel zu geben: Das wahrscheinlich wichtigste anarchistische soziale Zentrum, welches in den Jahren vor 1936 in Barcelona gebildet wurde, war das zurecht so heißende L'Ateneu Eclèctic. (14) Es wäre mit der traditionelleren Beschreibung ateneu llibertari nicht an der Zensur vorbeigekommen, aber das Adjektiv „eklektisch“ war genauso zutreffend. Wie Abel Paz, der anarchistische Historiker aus demselben Viertel (Clot), später schreiben sollte: Das war ein soziales Zentrum, in dem Pazifisten sich mit den Praktizierenden der Propaganda der Tat mischten, wo ein einflussreicher anarchistischer Individualist neben der libertären Jugendgruppe Studienkurse abhielt, oder CNT-Aktivisten in den nahegelegenen Textilfabriken Propaganda machten oder Sabotageakte ausführten. Es war der Hauptstützpunkt des großen anarchistischen Kollektives Sol i Vida, das Vegetarismus, Nudismus und freie Liebe praktizierte sowie Exkursionen in die Berge durchführte, um dort mit Schusswaffen zu üben. Außerdem gab es der örtlichen Mujeres-Libres-Gruppe einen Raum, um sich zu formieren.
Heute bezeichnen sich die Anarchisten in Barcelona typischerweise mit unpräzisen Karikaturen (der schwarze Block, die Reformisten, die Hippies) oder mit Referenzen zu einem Ort, etwa einem Viertel oder einem Sozialzentrum, dessen Mitwirkende vielfältig sind und mit der Zeit wechseln, dessen jeweilige Zusammensetzung aber einen spezifischen Charakter verleiht. Auf diese Weise tragen sie dem zwangsläufigen Bedürfnis Rechnung, sich selbst und einander zu benennen und sie tun das auf eine Weise, die für Stereotypen und selbst für Respektlosigkeit anfällig ist, aber ebenso flexibel und verschwommen bleibt. Dies erlaubt es den Individuen, sich zwischen den Labels zu bewegen und so eine Debatte zwischen verschiedenen Gruppen zu erleichtern, statt die Unterschiede zu einem Wettbewerb zwischen unversöhnlichen ideologischen Gegensätzen zu machen.
Eine der beiden CNTs wird im Spaß mit einer Gewerkschaft von Insurrektionalisten verglichen, während einige „Schwarzer-Block“-Anarchisten Ideen über Einheit, formelle Organisation und technische Zivilisation haben, die anglophone Insurrektionalisten erschaudern lassen würden. Fast alle Anarchisten Barcelonas erkennen die Wichtigkeit der CNT für den Aufbau der revolutionären Bewegung an, die den Juli 1936 möglich gemacht hat; genauso geben sie der CNT die Schuld für die Erfolglosigkeit der Revolution. Die meisten Anarchisten außerhalb der CNT geben der Dynamik dieser Organisation die Schuld an der vertanen revolutionären Möglichkeit während des Übergangs zur Demokratie in den 70ern, während die Cenetistes eher einige Fehler anerkennen und ansonsten der staatlichen Unterdrückung die Schuld geben. Der durch die Bankräuber von Córdoba 1996 nach Spanien gebrachte italienische Insurrektionalismus fand seine aktivsten Anhänger unter der FIJL, der Jugendorganisation, die sich daraufhin von der CNT abspaltete. Die Position der CNT, die den Bankräubern die Unterstützung verweigerte, veranlasste auch viele andere zum Austritt, aber einige, die gegangen waren, sind später wieder eingetreten und der Charakter der CNT hat sich über die Jahre geändert.
In den Nachwehen des Streiks veröffentlichte die CNT aus Savadell (eine Stadt direkt bei Barcelona) eine Stellungnahme, die die Sektion der CGT aus Barcelona dafür kritisierte, sich von den Ausschreitungen distanziert und von guten und schlechten Protestierenden gesprochen zu haben. Der Titel ihres Kommuniqués war „Gegen das System, seine Verteidiger und seine falsche Kritik“, ein direkter Verweis auf den insurrektionalistischen Klassiker In offener Feindschaft mit dem Bestehenden, seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern.
Die Spannungen in der Strategie, die sich in der langen Geschichte des M29 ausdrückten, kennzeichnen keinen Wettkampf zwischen zwei ideologischen Polen; Leser, die versuchen, diesen Bericht danach zu durchsuchen, was einen solchen Wettbewerb fördert, gehen an den momentan in Barcelona unter Genossen geführten Diskussionen vorbei. Die hier herausgestellten Punkte wurden in hiesigen Debatten aufgeworfen; sie gründen sich auf momentane Nöte und nicht auf abstrakte Wettkämpfe.
Die oben angedeutete hauptsächliche strategische Spannung hat mit Einheit und Engagement zu tun. Eine wichtige theoretische Auseinandersetzung wird zwischen Anarchisten geführt, die Einheit als Ziel ansehen, und solchen, die das nicht tun. In Zeiten der Isolation ist es unwahrscheinlich, dass eine solche Spannung entsteht. Berücksichtigt man die Räume, in denen sie wirken können, dann haben sowohl die, die es bevorzugen, in Bezugsgruppen zu arbeiten, als auch die, die lieber in populären oder offenen Gruppen arbeiten, nur wenige Möglichkeiten. Die Projekte des einen Gruppentypus werden wahrscheinlich für die Projekte des anderen belanglos erscheinen. Diejenigen, die unterschiedliche Herangehensweisen bevorzugen, werden sich wahrscheinlich ablehnen oder ignorieren, während interne Tendenzen zur Uneinigkeit gewöhnlich durch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit überwunden werden, die aus dem Mangel an potentiellen Kameraden resultiert.
In Zeiten größerer Dynamik und Vereinigung treffen und überlappen sich diese unterschiedlichen Herangehensweisen, während viel mehr potentielle Genossen auftauchen. In dieser neuen Dynamik empfinden einige Anarchisten Unterschiede als kreativ, während andere sie als Desorganisierung sehen. Einige werden glauben, Fragmentierung sei eine natürliche Eigenschaft nicht-disziplinierter Gruppen, während andere glauben werden, dass stärkere Geistesverwandtschaft das natürliche Resultat der Zusammenarbeit sein wird. Einige werden versuchen, das Möglichkeitsspektrum zu maximieren, indem sie einen chaotischen gesellschaftlichen Kampf erschaffen, während andere danach trachten werden, zu koordinieren und zu vereinigen, um einen disziplinierten gesellschaftlichen Kampf zu erzeugen – oder sie werden, mangels Stärke oder einer allgemeinen Identität, um Disziplin einzuführen, eine Organisation aufbauen, die versucht, den ganzen Kampf zu umfassen oder zu repräsentieren.
Die andere theoretische Auseinandersetzung resultiert aus der irrtümlichen Assoziation reformistischer Praktiken mit der Thematisierung unmittelbarer Belange auf der einen Seite und der Assoziation revolutionärer Praktiken mit dem Festkleben an abstrakten Idealen auf der anderen Seite. In Zeiten schwacher gesellschaftlicher Kämpfe ist es für auf unmittelbare Belange konzentrierte Anarchisten das einfachste, reformistische Sprache und Praktiken zu übernehmen und für Anarchisten, die sich revolutionären Praktiken verschrieben haben, ihre Aktionen in den Begriffen langfristiger Ideale auszuformulieren. Sobald eine größere Bandbreite von Menschen anfängt, wütender und entschiedener über ihre unmittelbaren Probleme zu reden, werden einige revolutionäre Anarchisten zum gegensätzlichen Pol springen und plötzlich über unmittelbare Probleme reden – und über kraftvolle, vielleicht sogar revolutionäre Lösungen – ohne ihre langfristigen Sehnsüchte und radikalen Analysen auszudrücken.
Die anderen werden währenddessen die volkstümlichen Kämpfe verachten und sich weiter in Richtung rein anarchistischer Projekte zurückziehen. Kompromisslose anarchistische Ideale mit der Komplexität unmittelbarer Probleme zusammenzuführen, ist die schwierigste Option und folglich die seltenste.
Beide Spannungen haben alles mit der Bewegung von einer antisozialen zu einer populistischen Position zu tun. Der Fehler besteht im Grunde darin, die sowohl selbstgewählten wie auferlegten Grenzen der Zeiten gesellschaftlicher Isolation nicht zu transzendieren und sich statt dessen in die einfachste, oberflächlichste Kommunikationspraxis zu flüchten, sobald neue Annäherungen dies ermöglichen. Anarchistischer Populismus ist das Resultat von Kameraden, die die guten Instinkte der antisozialen Position aufgeben, aber die schlechten Gewohnheiten derselben bewahren.
In der Art von Vereinigung, die Barcelona zwischen 2010 und 2011 erfuhr, stand den Anarchisten eine sich verändernde Umgebung gegenüber und sie veränderten sich unweigerlich mit ihr. Alles was sie gewannen, erlangten sie durch einen Instinkt oder durch ein strategisches Engagement, welche sie neue Protesträume erforschen und in verschärfte gesellschaftliche Konflikte eingreifen ließ. Anarchisten haben die Ideale und Praktiken der neuen sozialen Bewegungen in einer Weise beeinflusst, die in keinem Verhältnis zu ihrer Anzahl steht. Indessen entstammen viele Fehler aus den Beschränkungen populistischer oder antisozialer Tendenzen. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, dass Anarchisten außerhalb dieser Bewegungen bleiben und zurückgelassen werden, wenn Reformisten diese in Richtung Institutionalisierung steuern. Es könnte auch passieren, dass Anarchisten sich in diesen Bewegungen verlieren, indem sie ihre Prinzipien preisgeben, aus Angst, an den Rand gedrängt zu werden. Diese beiden Irrwege werden parallel begangen und ergänzen sich.
Nach dem Generalstreik im September und der 15M-Bewegung erkannten Anarchisten die Möglichkeit, in sehr viel größeren Gruppen zu arbeiten, und das war die Gratwanderung, die sie bestehen mussten. Am Anfang hatte 15M die Erscheinung eines breiten gesellschaftlichen Erwachens. Als die meisten Teilnehmer keine Mittel fanden, in dieser Richtung weiter zu machen und zu den Schlafmitteln der Normalität zurückkehrten, floss die Welle zurück, hinterließ aber die vorhergehenden Formationen des gesellschaftlichen Kampfes in Unordnung. Sie waren bevölkerter, zahlreicher, heterogener und verstrickter.
In Reaktion auf den unabwendbaren Niedergang der sich während des Sommers 2011 plötzlich ausweitenden gesellschaftlichen Bewegung und in Reaktion auf den Umstand, dass neue Protest- und Aktionsräume immer noch viel größer und verschiedenartiger waren als zuvor – und nach konservativer Logik folglich anfälliger für Schwund und Fraktionierung –, bildeten einige Anarchisten eine populistische Tendenz. Aus Angst, ihre neu gefundene Unterstützung zu verlieren, spielten sie ihre anarchistische Identität herunter und suchten eine größere Einigkeit auf Grundlage einer notwendigerweise verwässerten antiautoritären Analyse. Andere Anarchisten befestigten ihre antisoziale Position, überzeugt davon, dass die Teilnahme an diesen neuen heterogenen Räumen die Kompromittierung ihrer Prinzipien voraussetzen würde, gerade so, wie es bei ihren populistischen Kameraden der Fall zu sein schien.
Der anarchistische Raum von Barcelona ist fragmentiert und kommunikativ. Er ist weder in einer einzigen Organisation oder Identität vereinigt, noch in vereinzelte, nicht miteinander kommunizierende Szenen geteilt. Fragmentierte und kommunikative anarchistische Räume sind der Tendenz nach besonders stark darin, neue Praktiken zu entwickeln und sich wechselnden Umständen anzupassen.
Die anarchistische Propaganda rund um den jüngsten Generalstreik war weniger offen anarchistisch und entsprechend weniger radikal. Viele den Anarchisten wichtige Probleme und Prinzipien wurden in der jüngsten anarchistischen Propaganda fast vollständig ausgelassen, zu einer Zeit, in der mehr Leute denn je für radikale Ideen offen sind und drastische Vorschläge benötigt werden. Diese Möglichkeit verschenkend, konzentrierten sich viele Anarchisten auf Einpunktpropaganda, die unmittelbare Probleme der normalen Leute herausstellt: Arbeit, Gesundheitsfürsorge, Unterkunft, Ausbildung, die Polizei. Sie führen diese Probleme auf den Kapitalismus und den Staat zurück, aber auf eine Art fördert dies eine auf Bequemlichkeit beruhende Kritik, die wieder verschwinden könnte, sobald jemand einen guten Job bekommt. Dieser Tendenz ging es eher darum, die Isolation zu vermeiden, als alle Möglichkeiten auszureizen. Sie kann vielleicht die Repression vermeiden, aber die Beziehungen, die sie erzeugt, und die Kritik, die sie verbreitet, sind wahrscheinlich oberflächlich.
Andere Anarchisten haben sich auf Veröffentlichungen und Aktionen zurückgezogen, die grundsätzlich nur für sie selbst und andere Anarchisten bestimmt waren. Einige haben Propaganda produziert, die das Verschwinden des Wohlfahrtsstaates auf eine Weise kritisiert, die sich über die Not lustig macht, die die Leute aufgrund dieses Verschwindens erleiden. Nichtsdestoweniger fördert diese Position eine gewisse Stärke und Unabhängigkeit der Aktion, denen wahrscheinlich teilweise der Sieg auf der Straße zu verdanken ist.
Diese Spannungen sind unaufgelöst und bilden eher ein Gleichgewicht als einen Wettstreit. Wie können wir eine radikale Kritik an dieser Gesellschaft teilen, ohne andere ihrer Mitglieder zu verschrecken? Wie können wir an heterogenen Räumen teilnehmen, ohne unsere eigene Rekuperation zu unterstützen? Wie können wir den Erzählungen zuwiderhandeln, die uns von den Medien angedreht werden, ohne aufzuhören, der bestehenden Ordnung gefährlich zu sein?
In jedem Fall haben die Anarchisten jetzt mehr und stärkere Verbindungen als vor zwei Jahren, und sie sind mit mehr fruchtbaren Erfahrungen bewaffnet. Die Debatten sind am Laufen; es gibt bereits Versuche, der Kriminalisierung zu begegnen, die der Staat in den Nachwehen der Ausschreitungen durchführt. Und es gibt Versuche, die Lektionen dieses Tages der spontanen Raserei zusammenzufassen.
Es werden wahrscheinlich weitere Neuerungen entstehen, da Genossen in anderen Ländern sich auf ihre eigenen Generalstreiks vorbereiten, und diese Neuerungen könnten ihren Weg zurück hierher finden. Vielleicht werden die in Barcelona erzeugten Erschütterungen dabei helfen, die in anderen Ländern immer noch herrschende Illusion der Stabilität ins Wanken zu bringen, indem sie der ganzen Welt zeigen, dass es nicht die Aufrührer in den Straßen waren, die von den Kräften der Ordnung umstellt sind, sondern die herrschenden Klassen, die sich an verschwindende Inseln klammern, inmitten eines anschwellenden Meers der Wut.
Anhang I: Eine Klarstellung bezüglich Einfluss nehmender Minderheiten
Der wesentliche Unterschied zwischen einer Einfluss nehmenden, aufständischen Minderheit und einer Avantgarde- oder populistischen Gruppe ist, dass die erstere ihre Prinzipien und horizontalen Beziehungen zur Gesellschaft wertschätzt und versucht, ihre Prinzipien und Modelle zu verbreiten, ohne sie als Besitzstand zu wahren. Eine Avantgarde hingegen versucht, diese zu kontrollieren – sei es durch Zwang, Charisma oder das Verbergen ihrer wahren Ziele. Eine populistische Gruppe bietet einfache Lösungen und nährt aus Angst vor Isolation die Vorurteile der Massen. Tatsächlich aber überwindet die populistische Gruppe niemals die Isolation, denn das würde eine Ausbildung starker Beziehungen erfordern, die Meinungsunterschiede aushalten. Stattdessen ahmt sie die Massen einfach nach.
Weil sie beide die Wärme der Herde suchen, liegen die Avantgardisten und die Populisten oft im selben Bett, wie es auch die Stalinisten und die UGT während des Spanischen Bürgerkriegs taten. In einer solchen Partnerschaft werden die ersteren effektiver sein und die letzteren benutzen.
Da ihr Idealismus im Widerspruch zu dem prinzipienlosen Pragmatismus der Mehrheit steht, neigt die Einfluss nehmende Minderheit dazu, eine antisoziale Tendenz zu entwickeln und sich an die Rolle eines Wadenbeißers zu gewöhnen. Wenn sich diese Tendenz als Verachtung für den Rest der Gesellschaft und als Entschlossenheit, ihre Prinzipien trotz und gegen die Massen zu realisieren, manifestiert, ist es wahrscheinlich, dass sie eine gemeinsame Basis mit avantgardistischen Gruppen findet, welche sie wohl als Schock-Truppen für Offensiven verwenden werden – wie in der Oktoberrevolution. Wenn sie aber den einfacheren antisozialen Weg nimmt, ihre Prinzipien ins Reich der Abstraktion zu verlegen, wird sie ihren Einfluss beschränken, weil nichts und niemand in ihrer Umgebung ihre Ideale reflektieren oder sie zum Engagement einladen wird. Nur wenn sie beständig Ihre Prinzipien auf die Komplexität ihrer Umgebungen beziehen, können solche Minderheiten für andere als Modell dienen, selbst Handelnde aus eigener Kraft zu werden.
Die Einfluss nehmende Minderheit wirkt durch Resonanz, nicht durch Kontrollen. Sie nimmt Risiken auf sich, um inspirierende Modelle und neue Möglichkeiten zu schaffen und um bequeme Lügen zu kritisieren. Sie genießt keine wesenhafte Überlegenheit, und auf die Annahme einer solchen zurückzufallen, würde zu ihrer Isolation und Irrelevanz führen. Wenn ihre Schöpfungen oder Kritiken niemand inspirieren, wird sie keinen Einfluss haben. Ihr Zweck ist nicht, Anhänger zu gewinnen, sondern soziale Gaben zu schaffen, die andere Menschen frei nutzen können.
Anhang II: Propagandaarchiv
Text eines anarchistischen Plakats, das vor dem Streik auftauchte:
Was ist ein Generalstreik?
Er ist die Unterbrechung des normalen Funktionierens des Systems. Er
blockiert die Flüsse der Menschen und des Handels. Er sabotiert die
Zahnräder, die nötig sind für das Funktionieren des Systems. Er
attackiert diejenigen, die verantwortlich sind für unsere Unterdrückung.
Er konfrontiert die Verteidiger und falschen Kritiker des aktuellen
Paradigmas. Er bedeutet, in unseren alltäglichen Räumen (Nachbarschaft,
Arbeit, Schule etc.) zu kämpfen. Er geht heraus auf die Straßen und
teilt das Bisschen, das wir haben: Wut, Brot und Träume. Er nutzt das
ganze Arsenal der Werkzeuge, welche die Geschichte der Unterdrückten uns
zur Verfügung gestellt hat.
Ein Generalstreik kann nur wild sein, alles andere ist Selbstparodie. Wir sehen uns am 29. März auf den Straßen!
Text eines Flugblatts, das vor dem Streik an Jugendliche verteilt wurde:
Sie haben Deine Zukunft gestohlen. Die oberflächliche Wohlfahrt, den amerikanischen Traum, mit denen sie früheren Generationen imponiert haben, die können sie euch nicht länger versprechen. Kein Diplom, kein Gesundheitssystem, kein Kredit, keine Karriere, kein Auto, keine Rente, kein iPod, kein Skiurlaub. Vergesst alles. Jetzt beladen sie euch mit dieser Zukunft: Ein gnadenloser Wettbewerb aller, die sich anstrengen, einen festen Arbeitsplatz zu bekommen als Bullen, als Bänker, als Metrowachen, Manager oder Ingenieure, und jenen, die davon leben werden müssen, von einem prekären Kurzzeitjob zum anderen zu wechseln, Werbeflyer zu verteilen, Touristen und reichen Leuten hinterherzuputzen, zu arbeiten als Kellner, Kassierer, Huren, Köche, Schrottsammler, sich den Arsch aufreißen auf dem Bau oder die Augen ruinieren vor dem Bildschirm. Anders gesagt, die Bastarde ohne Bewusstsein, die als Söldner, Streikbrecher oder Ausbeuter arbeiten wollen, werden triumphieren und alle anderen werden zurückgelassen ohne Rente, Gesundheitsfürsorge oder Lohn.
Schaut euch eure Freunde genau an: Wer von ihnen würde euch aus eurer Wohnung werfen, wenn ihr die Miete nicht aufbringen könnt? Wer von ihnen würde euch ins Gefängnis sperren für Diebstahl oder Drogenhandel als Mittel zum Überleben? Wer von ihnen würde euch feuern, nur um seinen Profit zu steigern? Das sind diejenigen, die die Welt übernehmen und eure Zukunft kontrollieren werden, während alle unter euch, die ehrlich, solidarisch und bescheiden sind, wie Dreck behandelt werden.
Sie haben die Welt zerstört, die ihr bewohnen werdet. Sie haben das Wasser und die Luft vergiftet durch ihre Gier und ihre Missachtung der Natur. Sie haben die Wälder abgeholzt, um sie in Waren zu verwandeln. Sie haben das Klima kaputt gemacht – aus reiner Laune und Arroganz. Sie haben unseren Verstand verseucht mit einer autoritären, pedantischen Erziehung und einer verblödenden Kultur. Sie haben unser Wissen gestohlen, wie wir uns selbst ernähren können, uns selbst heilen, unsere eigenen Häuser bauen und unsere Konflikte selbst lösen können, sodass wir von ihrer Lohnarbeit, ihrer Polizei und ihrer Justiz abhängig bleiben. Damit wir nur zu lernen haben, ihnen zu dienen, ihnen zu gehorchen und die Maschinen zu bedienen, die sie uns aufzwingen anstelle unserer eigenen Werkzeuge. Sie ließen die Geschichte verschwinden, so dass wir nicht verstehen, wie dies geschehen konnte, wie wir vor dem Kapitalismus lebten und wie wir in unserer eigenen Zukunft leben könnten, die von uns geschaffen wäre und nicht von ihnen, diesem gierigen Pack von Ausbeutern, Autoritäten, Folterern und Mördern.
Die verschwundene Geschichte ist die Geschichte unseres Widerstands, unseres Kampfes gegen alle Autorität, und deswegen ist sie der Boden für den Samen einer Zukunft ohne sie. Doch wenn sie die ganze Welt zerstören, wenn sie sie in einen unbewohnbaren Ort verwandeln, werden wir ewig von ihrer Technologie und ihrer Kontrolle abhängig sein, und es wird keine Zukunft für niemand geben.
Verbrennt also. Verbrennt die Zukunft, die sie euch zugewiesen haben. Verbrennt die Pläne, die sie euch aufzwingen wollen. Verbrennt ihre inhumane Autorität, verbrennt ihre falsche Weisheit. Verbrennt alles, was eine Lüge ist, um die Möglichkeit zu schaffen, wie unwahrscheinlich auch immer, dass die Samen einer neuen Welt aus der Asche der alten sprießen. Und vertraut niemandem, außer euren Freunden, jenen, die beweisen, dass sie solidarisch sind, jenen, welche Wut empfinden. Und wenn sie euch „gewalttätig“ nennen, wenn sie euch „unvernünftig“ heißen, wenn sie verlangen, dass ihr aufhört, oder wenn sie versuchen, euch zu rekrutieren, dann tun sie es, weil sie fürchten, die Kontrolle zu verlieren oder einfach als autoritäre Idioten entlarvt zu werden, die die Welt und die Zukunft zerstört haben.
Verbrennt alles, um neu zu beginnen – ohne sie.
Für den unbefristeten Streik, für die Rückkehr von Sabotage, Feuer, Rache und für permanenten Aufstand.
„Der Kampf gibt uns zurück, was die Macht uns wegnimmt!“
Ein Poster in einem Viertel, das zum Streik aufruft und die geplanten Aktionen des Tages auflistet.
Text eines anarchistischen Plakats, das nach dem Streik verbreitet wurde:
Das Ende des Gehorsams
Ihr musstet uns schlagen, uns ins Gesicht schießen, uns mit Gas
angreifen. Ihr musstet uns festnehmen und misshandeln, uns einsperren
und isolieren. Ihr musstet uns bedrohen mit neuen Gesetzen und allen
erzählen, wir seien „Terroristen“. Ihr musstet all das tun und noch
mehr, um uns dazu zu kriegen, unsere Köpfe zu senken. Doch trotz allem,
das ihr getan habt, habt ihr nicht bekommen, was ihr wolltet.
Im Angesicht all eurer Bedrohungen, all eurer Befehle und Erpressungen, haben wir am 29. März Freudenfeuer auf den Straßen entzündet. Wir waren keine kleine Gruppe, wir waren keine 300 oder 2000. Wir waren viel mehr. Wir waren die, auf denen ihr jeden Tag herumtrampelt, und euch dabei denkt, wir würden uns nicht verteidigen. Wir waren diejenigen, die ihr bis zum letzten Tropfen in prekären Jobs auspresst. Die, die ihr auf die Straße werft, wenn ihr ihre Häuser beschlagnahmen wollt oder wenn sie die Miete nicht zahlen können. Jene, die ihr verwaltet wie Ressourcen, wie Zahlen in euren Statistiken. Am 29. März gehorchten wir euch nicht, und plötzlich begann alles zu wanken. Nun sind wir uns unserer Stärke bewusst. Wir spüren, wie eure Welt zerbröselt und wir werden euch nicht helfen, sie erneut aufzubauen.
Wir ziehen es vor, unsere eigene aufzubauen. Das Ende des Gehorsams!
(1) Die meisten damaligen Einwanderer stammten aus Südspanien.
(2) Katalanen, die „die spanischen Besetzung ihres Landes“ [Anführungszeichen vom Übersetzer] ablehnen. Es gibt viele verschiedene indepe-Organisationen, von denen die meisten sich als sozialistisch verstehen, sowie zahlreiche Jugendorganisationen. Linke katalonische politische Parteien, die an der spanischen Regierung beteiligt sind, (z.B. die ERC) werden im Allgemeinen als indepes angesehen, jedoch von radikalen und sozialistischen indepes oft nicht als die Ihren betrachtet. Katalonische Faschisten werden dagegen nicht zu den indepes gezählt.
(3) Der Begriff wurde von der Presse erfunden, um alle sozialen Rebellen zusammenzufassen, die Repression und keine politische Stimme verdient haben. Aufgrund der katalonischen Geschichte können weder Anarchisten noch indepes explizit zur Zielscheibe der Repression erklärt werden, da beide Gruppen von breiten Kreisen eine politische Berechtigung zugesprochen wird.
(4) Die Cine-Princesa-riots waren eine Reaktion auf die Räumung eines besetzten sozialen Zentrums, des Cine Princesa auf der Via Laietana am 28. Oktober 1996.
(5) In Barcelona bestehen die großen Magistralen aus einer breiten Straße, die von Grünstreifen und schmaleren Seitenstraßen gesäumt wird. Große Demonstrationszüge laufen daher normalerweise auf der mittleren Straße und lassen so eine Pufferzone auf beiden Seiten frei, die für Polizeioperationen oder die Bewahrung einer friedlichen Atmosphäre nützlich sind. Die Grünstreifen machen es schwierig, alle drei Straße auf einmal einzunehmen, sofern keine große Entschlossenheit dazu besteht, da große Massen immer dazu tendieren, den Mittelweg entlangzugehen.
(6) Damit sind in diesem Fall nicht Sporthooligans im engeren Sinne gemeint, sondern marginalisierte und rauflustige Jugendliche, im Gegensatz zu Leuten, die bewusst und gewohnheitsmäßig an sozialen Kämpfen, revolutionären Projekten, aktivistischen Kampagnen oder Politik teilnehmen.
(7) Wahrscheinlich eine Anspielung auf den Slogan „Wir sind ein Bild der Zukunft“, den die rebellierenden Jugendlichen in Griechenland 2008 den Verteidigern der alten Ordnung als Drohung entgegenschleuderten. Vgl. A. G. Schwarz, Tasos Sagris u. Void Network (Hg.): Wir sind ein Bild der Zukunft – auf der Straße schreiben wir Geschichte. Texte aus der griechischen Revolte, Hamburg 2010. (Anmerkung des Übersetzers)
(8) Die katalanische Regierung, die eine „autonome Gemeinschaft“ innerhalb des spanischen Staates bildet.
(9) Der spanische Staat war einer der ersten, die eine innerstaatliche Antiterrorpolitik entwickelten. Diese war gegen den Unabhängigkeitskampf im Baskenland gerichtet, welcher auch vom Francoregime als ein zentraler innerer Feind betrachtet wurde. Viele Opfer der Antiterrorgesetze waren Jugendliche, die an militanten Straßenprotesten gegen die spanischen Behörden beteiligt waren. Im Rahmen dieser Gesetze konnten sie genau wie die Mitglieder der ETA verhaftet, gefoltert und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Die Anwendung von Antiterrrorgesetzen war in Spanien also bereits vorher von bewaffneten Guerillagruppen auf horizontal organisierte Straßenproteste oder autonome Sabotageakte übertragen worden.
(10) Es ist bemerkenswert, dass sowohl Anarchisten als auch die Regierenden sich durch die wachsende Verbreitung von riot porn durch Blogs, Facebook und ähnliche Medien bedroht fühlen. Die Anarchisten warnen vor einer Spektakularisierung der Konfrontation und befürchten, dass die Veröffentlichung von Bildern zu Festnahmen führen könnte, während der Staat fürchtet, dass die autonome, selbstorganisierte Verbreitung von Bildmaterial die Medienkontrolle unterminieren könnte.
(11) Wenn wir auch unseren Kampf nicht an der Erwartung ausrichten sollten, dass wir gewinnen werden – da wir das wahrscheinlich nicht werden –, so sollten wir doch unbedingt die Versprechung einer zukünftigen Herrschaftsfreiheit als ein aktives Bild benutzen, das uns unsere gegenwärtige Praxis anleitet und ihr Farbe gibt.
(12) Siehe Chris Ealhams Anarchism and the City; ignoriere seine widersprüchlichen, antiaufständischen Strategievorschläge.