Logistiker der Rechten

Erstveröffentlicht: 
20.09.2012

Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen mutmaßlichen Neonazi-Techniker. Er soll diverse Nazi-Internet-Plattformen eingerichtet haben.

 

Als das Bekennervideo der Nazi-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) öffentlich wurde, in dem die Comicfigur Paulchen Panther auftritt, wechselten zahlreiche Benutzer rechtslastiger Internet-Foren plötzlich ihr Profilbild: zum rosa Panther mit Pumpgun und Patronengurt.

 

Einen wichtigen Akteur der rechtsextremen Internet-Szene hat nun offenbar die Staatsanwaltschaft Hamburg am Wickel: Sie ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen den Hamburger Robert M., der zahlreiche Neonazi-Webseiten eingerichtet und technisch verantwortet haben soll. Auch für die wohl wichtigste deutsche Neonazi-Plattform thiazi.net soll er die Infrastruktur beigesteuert haben. Im Juni schaltete das Bundeskriminalamt nach mehreren Razzien die Seite ab.

 

Die Spur kam aus Österreich


Auf die Spur kamen die Ermittler M. offenbar auch aufgrund eines Amtshilfe-Ersuchens aus Österreich. Das dortige Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und die Staatsanwaltschaft Wien ermitteln seit 2010 gegen die Betreiber der Website alpen-donau.info. Die Gruppe um den berüchtigten österreichischen Neonazi Gottfried Küssel soll damit unter anderem gegen das Verbot der "Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn" verstoßen haben.

 

Das Portal galt als wichtigster Treff der österreichischen Neonazis. Die User auf alpen-donau.info verbreiteten übelste Hetze: Von "Stänkerjuden" war dort die Rede, deren Vernichtung wünschenswert sei. Parlamente waren in Anspielung an NS-Diktion "Schwatzbuden", Politiker "Bonzen" oder "hysterische Weiber", und Schwule gehörten "zwangstherapiert". Der einschlägig vorbestrafte Küssel hatte in der Vergangenheit auch "Wehrsportübungen" organisiert und wurde mit Waffen erwischt.

 

Nach Ansicht der Wiener Staatsanwaltschaft lag die inzwischen von den Behörden geschlossene Plattform alpen-donau.info auf einem Server, der dem Hamburger Robert M. gehörte – wie fast 50 weitere einschlägige Webseiten mit Namen wie angriff.org, blutundboden.com oder nationalsozialismus.net. Auch als Administrator etlicher Neonazi-Foren soll der 41-Jährige tätig gewesen sein. Die noch aktive, passwortgeschützte Rassisten-Plauderecke grossdeutsches-vaterland.net soll er sogar mitgegründet haben.

 

Einer der in Wien Angeklagten, Wilhelm A., sagte aus, er betreibe mit Robert M. die "Arbeitsgemeinschaft" Perfect Privacy – eine erfolgreiche Internetfirma, die Verschlüsselungsdienstleistungen gegen Gebühr anbietet. Kunden sind Hacker, aber auch Rechtsextreme, die sich unerkannt im Netz bewegen wollen. Schon als 2007 das Thiazi-Forum gegründet wurde, soll Robert M. die Moderatoren im Umgang mit verschlüsselter Kommunikation geschult und ihnen die nötige Software eingerichtet haben.

 

Aus Sicht der Ermittler ist M. ein "Logistiker digitaler Netzstrukturen des rechten Spektrums", der "als Domaininhaber, Administrator und Lieferant von Verschlüsselungsdienstleistungen in Erscheinung getreten" ist. Er soll im Oktober per Videokonferenz vor dem Wiener Straflandesgericht aussagen.

 

Erst spät distanzierte sich der Chaos Computer Club von dem Nazi-Techniker


Für Diskussionen sorgte der Fall auch in der Hacker-Szene. Robert M. ist Vorsitzender eines Vereins, der den Attraktor betreibt, einen "Hacker- & Makerspace" in Hamburg. Unter anderem tagte dort die Hamburger Ortsgruppe des Chaos Computer Clubs (CCC). Als Antifaschisten M. bei den CCC-Hackern als "Nazi-Techie" enttarnten, reagierten die zunächst nicht. Später hieß es, M. sei nach eigenen Angaben 2008 aus der rechten Szene ausgestiegen. Die österreichischen Behörden gehen allerdings davon aus, dass M. Administrator beim erst 2009 gegründeten alpen-donau.info war und später dabei half, den Thiazi-Server zu wechseln. Inzwischen hat sich der CCC vom Attraktor distanziert.

 

Die Hamburger Ermittler verdächtigen zwei weitere Rechtsextreme, alpen-donau.info als Administratoren betreut zu haben. Der Burschenschafter Michael J. chattete nach Informationen von Szenekennern in Internet-Foren unter dem Spitznamen "Langemarck" und schrieb etwa zum Geburtstag Adolf Hitlers: "Sein Licht brennt auch in dieser tiefen Dunkelheit und verhilft manchem Deutschen zu etwas Wärme und Hoffnung."

 

Der dritte im Bunde, Jörg L., wurde im Frühjahr in Herzberg, rund 60 Kilometer nordwestlich von Berlin, tot in einer Pension aufgefunden. Der Mitvierziger soll an einem Herzinfarkt gestorben sein – und einen Rucksack voll Waffen bei sich gehabt haben. Der Fund löste Razzien in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg aus. Der Verdacht: Verstöße gegen das Waffengesetz und Bildung einer bewaffneten Gruppe.

 

In Österreich erregt der Prozess um Küssel und seine Gesinnungsgenossen großes Aufsehen. Die Medien berichten von jedem Verhandlungstag, auch wegen Verbindungen zur rechtspopulistischen Partei FPÖ. In Deutschland hat das Vorgehen der Behörden gegen das Thiazi-Netz bisher ebenso wenig Beachtung gefunden wie die Spur, die aus Wien zu Robert M. und seinen bewaffneten Mitstreiter Jörg L. führte. Die Medien konzentrieren sich auf die Aufarbeitung der NSU-Mordszene – die Strukturen, durch die der Rechtsterror möglich wurde und wieder möglich werden kann, geraten aus dem Blick.