Illegale Romalager in Straßburg vor der Räumung

Roma-Camp Strasbourg
Erstveröffentlicht: 
11.09.2012

400 Roma-Migranten leben im Großraum Straßburg. Vier illegale Camps an der Peripherie will die rot-grüne Koalition im Rathaus nun per Gerichtsbeschluss räumen lassen.

 

Bianca ist stolz, dass ihr jemand eine Arbeit angeboten hat. Die junge Frau mit den dunklen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren erzählt, dass sie seit einem Jahr Französisch lernt. Auf drei Schritte zwischen Bett und Tisch lebt Bianca Stancu mit Ehemann und Eltern in einem Wohnwagen auf einem Platz zwischen alten Festungsmauern und Eisenbahngleisen, nicht weit vom Straßburger Hauptbahnhof.

In 26 Wohnwagen haben Roma-Familien hinter einem Drahtzaun eine vorübergehende Bleibe gefunden, Armutsmigranten aus Rumänien, die im Land der Kultur gestrandet sind. Sie hoffen auf ein besseres Leben. Mit einfacher Arbeit Geld verdienen dürfen sie nicht, zumindest nicht bis 2014. Dann erst genießen Roma aus Bulgarien oder Rumänien Freizügigkeit wie andere EU-Bürger auch – obwohl sie das heute schon sind. Bianca Stancu, 24, sagt: "Ich will nicht betteln müssen." Dreimal hat sie bei der Präfektur vergeblich um eine Genehmigung gebeten. Jetzt ist die Frustration unendlich groß.

Bianca ist eine von 400 Roma-Migranten, die im Großraum Straßburg mit seinen 500.000 Einwohnern leben. Vier illegale Camps an der Peripherie will die rot-grüne Koalition im Rathaus nun per Gerichtsbeschluss räumen lassen – und hat damit den Zorn von Vereinigungen wie "Ärzte ohne Grenzen" auf sich gezogen, die sich für die Rechte der Roma einsetzen. Sie hatten gemutmaßt, die 110 Erwachsenen und Kinder sollten in den Sommerferien in ihre Herkunftsländer Rumänien und Ungarn abgeschoben werden.


"Unsere Absicht war es niemals, eine Räumung mit Polizeigewalt durchzusetzen – und schon gar keine Abschiebung", verteidigt die Straßburger Sozialbürgermeisterin Marie Dominique Dreyssé das Vorgehen. Die Anhörung bei Gericht wurde seit Mitte August zweimal bis auf den heutigen Dienstag verschoben. Die Kommunalpolitikerin fühlt sich verunglimpft. Die vier Plätze, um die es gehe, seien in einem unzumutbaren hygienischen Zustand. Immer wieder habe man Müll wegräumen lassen. Dergleichen sei eine Art Tropfen auf den heißen Stein. "Wir bemühen uns, eine Alternative zu finden", sagt Dreyssé. "Dass ein Richter entscheidet, ist wichtig, weil es dann kein Zurück mehr gibt." In einem Fall will die Stadt an gleicher Stelle Wohnungen bauen lassen.

Damit bewegt sich Dreyssé auf der neuen Linie der französischen Regierung. Ursprünglich hatte vor allem Innenminister Manuel Valls harte Töne angeschlagen und Anfang August in der ansonsten ereignislosen Ferienzeit Räumungen angekündigt und Abschiebungen erwogen. Wohnungsbauministerin Cécile Duflot hingegen versprach anschließend, es werde keine Räumungen ohne Alternativen geben.

"In meinen Augen versucht die Stadt einfach, Druck zu machen und die Betroffenen zu zermürben", wendet Dominique Steinberger ein. "Manche dieser Familien leben seit fünf Jahren im Raum Straßburg – warum will man sie jetzt an einen anderen Ort schaffen, wo doch niemand eine vernünftige Lösung hat?" Steinberger, 47, leitet seit mehr als 20 Jahren in Straßburg eine Organisation, die reisende Sinti und Roma im Elsass bei Verwaltungsangelegenheiten und beim Schulunterricht für die Kinder unterstützt.

Am meisten erbost ihn, dass wieder einmal Roma, die seit Generationen als Nomaden leben und französische Staatsbürger sind, mit den Armutsmigranten aus den ehemaligen Ostblockstaaten in einen Topf geworfen werden. "Es gibt keinen normalen Blick auf diese Leute", bedauert er, "sie werden latent als Kriminelle wahrgenommen." Eine neue Polizeistatistik verstärkt das Misstrauen: Seit 2009 haben Straftaten durch bulgarische und rumänische Staatsangehörige in Frankreich um 70 Prozent zugenommen. Am Oberrhein fürchtet man seit Jahren Kinderbanden, die am helllichten Tag in Häuser einbrechen.

Anders als die Regierung Sarkozy, die im Sommer 2010 Hunderte Roma abschob, wollen die sozialistischen Nachfolger auf Räumungen verzichten und den 15 000, in Frankreich lebenden Roma den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Zumal Umsiedlungen keine dauerhafte Lösung sind. Im Januar 2009 war ein Camp unter einer Autobahnbrücke bei Straßburg-Koenigshoffen geräumt worden, heute leben wieder fünf Familien dort. Im Sommer seien die Umstände unhygienisch, sagt Dreyssé, im Winter lebensbedrohlich.

Bianca Stancu lebt längst nicht mehr in einem Zelt. Auf dem Wohnwagenplatz am Festungswall gibt es Toiletten und Duschen, einen Waschraum und eine Schule im Container. Sie hofft auf den nächsten Schritt aus der Enge: auf Arbeit. Aber selbst wenn die Regierung ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, haben die meisten Roma wegen einer fehlenden Ausbildung kaum Chancen auf einen einträglichen Job.