Zur Festnahme von Soufien Chourabi - Neue Proteste in Tunis und soziale Unruhen in Sidi Bouzid

Protest in Tunesien am 5. August 2012

Für gestern (05. August 2012) hatten verschiedene AktivistInnen, darunter der auch international bekannte Blogger Soufien Chourabi, über soziale Netzwerke zu einer Demonstration im Zentrum von Tunis gegen die tunesische Regierung, die von den gemässigte Islamisten der Ennahda Partei sowie zwei linken Parteien gebildet wird,  aufgerufen.


Am Vortag der angekündigten Proteste wurde Soufien Chourabi unter dem Vorwurf des öffentlichen Konsums von Alkohol festgenommen. Außerdem habe er mit seinem Verhalten während des Ramadan die öffentliche Ordnung gestört.
Trotzdem versammelten sich viele Protestler auf der zentralen und geschichtsträchtigen Habib Bourguiba Avenue. Hier hat das Innenministerium seinen Sitz, während des Aufstandes gegen Ben Ali hatten hier schwere Strassenschlachten getobt.

Die neue tunesische Regierung hatte nach schweren Unruhen im April 2012  erklärt, hier keine weiteren Demonstrationen mehr zulassen zu wollen, trotzdem hatten z.B. am 1. Mai Tausende sich hier zu einer Kundgebung versammelt und waren zum Innenministerium gezogen.
Die gestrige Protestaktionen wurde gewaltsam von den Bullen angegriffen, etliche TeilnehmerInnen wurden verletzt. Trotzdem zogen immer wieder Gruppen singend und Parolen rufend über den belebten Boulevard.

Video von den Protesten:

http://youtu.be/60TNVHFiiVE

Hintergrund der Proteste ist die  Kritik an der derzeitigen Regierungspolitik aus verschiedenen Ecken.  
So geht es unter anderem um die neue tunesische Verfassung. Der vorgesehende Artikel 27 nimmt Frauen ihre individuellen Rechte, als "Herz der Familie" sind sie nur "dem Mann beigeordnet". Schon im letzten Herbst hat ein führender Repräsentant der Ennahda Partei erklärt, allein erziehende Frauen hätten "kein Recht zu existieren".
Den jetzt aufbrechenden Proteststurm von FeministInnen, Menschenrechtelern und linken Politikern und Aktivisten hatten die sich immer wieder gerne "gemässigt" gebende Ennahda Partei mit der öffentlichen Erklärung entkräften zu versucht, bei der Veröffentlichung im Netz habe es "Missverständnisse und Fehlinterpretationen" gegeben.

Bereits am Dienstag hatte es in Tunis eine Demo von der "Vereinigung der arbeitslosen Akademiker" (ein sehr aktiver Zusammenhang, der im gesamten Land soziale Proteste organisiert) gegen ein geplantes Entschädigungsgesetz für rund 12.000 ehemalige politische Gefangene der letzten Dekaden gegeben. Das Gesetzesvorhaben sieht Zahlungen in Höhe von 500 Millionen Euro (!) vor, profitieren würden fast ausschliesslich (ehemalige) Angehörige von islamistischen Organisationen. Diese Klientelpolitik trieb selbst den Finanzminister zur Weissglut und zum Rücktritt, auf der Demo am Dienstag war zu hören und zu lesen:
"Weder Entschädigung, noch Heuchelei! Ihr Bande von Dieben!" und "Die verarmten Menschen brauchen dieses Geld", außerdem "Schande über diejenigen, die Geld für ihren politischen Kampf fordern".

 

Nachdem für heute Abend weitere Proteste in Tunis angekündigt wurden, verfügte im Laufe des Tages ein Gericht die Freilassung von Soufien Chourabi

Aber nicht nur in Tunis gerät die Regierung unter Druck. Immer wieder kommt es im gesamten Land zu örtlich begrenzten Protesten und Unruhen, im Juni folgte dann schwere riots, die sich über sechs Regionen ausbreiteten. Ausgelöst von militanten Protesten von "Salafisten" gegen eine Kunstausstellung in einem Vorort von Tunis (s.o.) bekommen die Aktionen schnell einen anderen Charakter. Tausende von Jugendlichen und sozial Deklassierten aus den Armenvierteln ziehen durch die Strassen und liefern sich heftigste Auseinandersetzungen mit den Bullen, die mehrmals mit scharfen Waffen in die aufgebrachten Mengen schiessen. Obwohl offiziell nur "in die Luft geschossen" wurde, erliegt ein angeschossener Demonstrant im Krankenhaus seinen Schussverletzungen. Übereinstimmend
berichten tunesische Zeitungen und blogger, dass die die Mehrzahl der Akteure mit den Salafisten nichts gross am Hut hatten, nur in den westlichen Medien laufen immer wieder die gleichen Bilder von Auseinandersetzung in einem Viertel in Tunis, die tatsächlich von Salafisten geführt wurden.

In Sidi Bouzid, der "Wiege der tunesischen Revolution" kommt es nun seit fünf Tagen zu erneuten Protesten und Auseinandersetzungen mit den Bullen. Die wirtschaftliche und soziale Situation ist genauso trist wie unter Ben Ali, viel sagen sogar, es sei noch schlimmer. Vor Verweifelung hatte sich sogar ein Arbeitsloser genauso wie vor eineinhalb Jahren Mohamed Bouazizi selbst in Brand gesetzt.


Seit sechs Monaten herrscht in der Region eine extreme Wasserknappheit, weil sie angeblich die fälligen Gebühren nicht bezahlt hätten, wurde nun Einwohneren der Stadt Bakakria der Hahn ganz abgedreht. Außerdem bricht die Stromversorgung immer wieder zusammen. Aus Protest gab es seit Tagen "sit ins" und mehrere Hauptstrassen des Distrikts wurden mit Gegenständen blockiert. Die anrückenden Bullen wurden nach ihren Angaben sofort mit einem Steinhagel empfangen, woraufhin sie mit Tränengas gegen die Protestierenden vorgingen.
Schon vor zwei Wochen war es in der Region zu schweren Ausschreitungen gekommen, als Beschäftigte dagegen protestierten, dass ihnen seit 2 Monaten ihre Löhne nicht ausgezahlt wurden. Auf dem Höhepunkt der Proteste wurde Regierungsgebäude und Büros der Ennahdha Partei angegriffen.

Video:

http://youtu.be/zYZ0_zsD0W8

recherchegruppe aufstand

 

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