Pinkwashing – Israels “schwuler Propagandakrieg”

Erstveröffentlicht: 
18.07.2012

Israel ist ein böser Staat – diese Gewissheit lassen sich “Israelkritiker” auch nicht dadurch kaputt machen, dass der jüdische Staat bei vielen Schwulen, Lesben und Transsexuellen, die anderswo gesteinigt werden, wegen seiner liberalen Haltung hoch im Kurs steht. Wenn Israel Gutes tut, dann nur, um in Ruhe weiter Böses zu treiben, um abzulenken, sich reinzuwaschen – im Fachjargon: Pinkwashing.
Als im März 2011 die Kampagne »Tel Aviv Gay Vibe – Free; Fun; Fabulous« des israelischen Ministeriums für Tourismus vorgestellt werden sollte (29) rief die Gruppe »Palestinian Queers for Boycott, Divestment and Sanctions« zum Protest auf: Israel versuche mit der Kampagne, von seiner Kolonialpolitik gegenüber dem palästinensischen Volk und der Besatzung Palästinas abzulenken (30). Die Regierung nutze die scheinbar liberale und demokratische Haltung gegenüber LSBTIs (31) aus, um von Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten abzulenken (32). Israel wasche seine schmutzige Wäsche pink statt weiß.

Wegen der relativen Toleranz gegenüber LSBTIs, gilt Israel als einziger Ort im Nahen Osten, an dem Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten offen leben können und als Zufluchtsstätte für LSBTIs aus den palästinensischen Gebieten. (33) In der LSBTI-Szene, insbesondere außerhalb Israels, gibt es deswegen eine eher positive Einstellung gegenüber dem israelischen Staat. Dem entgegen stehen palästinasolidarische Positionen, die Homophobie und Sexismus in der palästinensischen Gesellschaft als zumindest mitverursacht durch die israelische Politik betrachten. So schreibt die Gruppe »Berlin Queers for international Solidarity with Palestine« auf ihrer Homepage: »Es kann zu keiner sexuellen Befreiung kommen, solange nicht die ganze Gesellschaft ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit erlangt hat.« (34) Die Gruppe fordert Solidarität mit dem »Palästinensischen Freiheitskampf« aus einer queeren Perspektive: Ein wahrhaftes Eintreten für sexuelle Befreiung müsse einhergehen mit dem Kampf gegen jede Form der Unterdrückung. (35) Queers, die sich nicht solidarisch mit den Palästinenser_innen zeigten, fielen auf das Pinkwashing der Regierung herein und seien dem rassistischen Vorurteil des homophoben Muslims aufgesessen. (36)

Diese Argumente finden sich längst nicht mehr nur in der szeneinternen Auseinandersetzung. Sowohl der britische Guardian als auch die amerikanische New York Post veröffentlichten unlängst Kommentare, die Israel Pinkwashing vorwarfen. (37)

Laut dem Blog »Pinkwatching«, der die vermeintlichen Pinkwashing-Aktivitäten der israelischen Regierung überwacht, ist nicht nur die Tel Aviver Tourismuskampagne Teil der israelischen Pinkwashing-Strategie. Auch die Ausrichtung der WorldPride 2006 in Jerusalem oder die relativ liberale Gleichstellungspolitik gegenüber homosexuellen Partnerschaften seien Versuche der israelischen Regierung, die Gay-Community auszunutzen. (38) Ziel dieser Instrumentalisierung sei es zum einen, von Menschenrechtsverletzungen abzulenken, zum anderen eine Exklusion von Muslim_innen aus dem hegemonialen Diskurs des Westens voranzutreiben.

Jasbir Puar, Referenztheoretiker_in der Pinkwashing-Aktivist_innen, beschreibt diese Exklusion in Zusammenhang mit einem neuen Nationalismus seit 9/11: Im hegemonialen, westlichen Diskurs wären Schwule, Lesben und Queers vor den terroristischen Anschlägen aus dem heteronormativen Nationalismus ausgeschlossen gewesen. (39) Nach 9/11 wurden insbesondere in den USA LSBTIs in das nationale Narrativ eingeschlossen. (40) Diese Inklusion fasst sie unter dem Begriff »Homonationalismus«.(41)

Damit gehe ein diskursiver Ausschluss von Muslim_innen aus dem nationalen Kollektiv als homophob und rückständig einher.(42) Muslim_innen seien zu den »Anderen« geworden, die es zu bekämpfen gelte.(43) Die Homophobie wird also durch einen islambezogenen Rassismus ersetzt, so Puars These in ihrem 2007 erschienen Buch »Terrorist Assemblages -homonationalism in queer times«.

“Homonationalismus”

Pinkwashing-Aktivist_innen wenden dieses Argument auf die israelische Politik an: Wie die USA bediene sich der israelische Staat des Homonationalismus, um sich als fortschrittlich und liberal darzustellen. Ziel sei es zugleich, die Palästinerser_innen und den Islam als homophob und orientalisch rückständig zu diffamieren. LSBTIs, die sich positiv auf Israel bezögen, würden sich zu Kompliz_innen des israelischen Nationalismus machen. (44)

Gay Propaganda War

Auch wenn Israel nicht im Fokus von »Terrorist Assemblages« steht, kommt Puar mehrmals auf den jüdischen Staat zu sprechen: Israel wird wahlweise als »Unterdrücker«, »brutaler Besatzer«, »Kolonialstaat« oder »Apartheidsregime« verurteilt.(45) Begründet werden ihre Einschätzungen nicht. Vielmehr operiert Puar mit einer »Hermeneutik des Verdachts«:(46) Jegliche Politik Israels diene der Delegitimierung des palästinensischen Widerstands und der Unterdrückung der palästinensischen Gesellschaft, so auch die Politik gegenüber sexuellen Minderheiten.

Die Veränderung des rechtlichen Situation von LSBTI-Menschen, Unterstützung der Gay-Community oder die Thematisierung der Unterdrückung von homosexuellen Menschen in den palästinensischen Gebieten und den Staaten der Region diene Israel dazu, einen »gay propaganda war«(47) zu führen, wie Puar in »The Guardian« erklärte. Israel stelle sich als progressive und harmlose Demokratie dar und investiere Unsummen an Geld, um sich gegen seinen Ruf als imperialer Aggressor zu wehren.(48) Glücklicherweise werde die politische Strategie des Pinkwashing von Aktivist_innen enttarnt(49).

Puars Verdächtigungen sind verankert in einer Feindschaft gegenüber Israel, die sich vor allem in ihrer ästhetisierenden Beschreibung des Selbstmordattentats als legitime Form des Widerstands zeigt.(50) Das Urteil, bei den Attentaten handele es sich um terroristische
Anschläge, weist sie als rassistisch zurück.(51) Auch ihre unbegründete Unterstellung, ein israelischer Folterknecht sei während der Foltervorfälle in Abu Ghraib zugegen gewesen(52), macht deutlich, dass diesen Vorwürfen eine Imagination von Israel als dem absoluten Feind, der für alles Schlechte verantwortlich ist und mit allen Mitteln bekämpft werden darf, zugrunde liegt.

Queerer Antisemitismus?

In Puars Anklage der israelischen Politik und den Pinkwashingvorwürfen finden sich Argumente und Vorstellungen, die anschlussfähig für antisemitische Positionen sind oder solche Implikationen beinhalten. Die universale Verdachtshaltung kann als verwandt mit verschwörungstheoretischen Überlegungen gesehen werden. Israel wird dabei grundsätzlich unterstellt, dass sich hinter den artikulierten Interessen eigentlich Machtinteressen verbergen würden.

Gegen diese Behauptung kann nicht argumentiert werden, da Gegenargumente durch den Verweis, man durchschaue die politischen Strategien Israels nicht, abgewehrt werden. Diese Immunisierungstaktik führt zu einer Bewertung Israels, die sich von Urteilen über andere Staaten unterscheidet: Wenn Berlin mit seiner Gay-Community Werbung macht, würde man vermutlich zunächst von mehr
oder minder gelungener Standortpolitik sprechen. Israel hingegen führe einen »gay propaganda war«. Die israelische Eigenwerbung wird nach anderen Kriterien bewertet, die scheinbare, verborgene Machtpolitiken entblößen würden. Israel ist nach diesem Vorgehen immer schuldig, unabhängig von seiner realen Politik.

Das Frappierende der Thesen Puars und des Pinkwashingvorwurfs ist die Tatsache, dass zahlreiche Argumente nicht belegt werden müssen, sondern sie sich in einem Diskurs bewegen, in dem die Klassifizierungen Israels als brutale (Neo-) Kolonialmacht, Apartheidsregime oder imperialistischer Aggressor als sicheres Wissen gelten. Hier zeigt sich auch, dass es sich bei den Argumenten nicht um eigenständig queere Argumente oder gar um einen queeren Antisemitismus handelt, sondern Einschätzungen und Analysen aus der antiimperialistischen Theoriebildung übernommen werden.


Diese Attribuierungen unterstellen, Israel allein sei für die Probleme und Konflikte in der Region verantwortlich, und erklären Israel zur Inkarnation eines Feindes, für dessen Bekämpfung selbst tödliche Attentate auf die israelische Zivilbevölkerung als legitimer Widerstand ausgegeben werden. Die Kritik an solchen terroristischen Handlungen wird hingegen als rassistisch abgetan und Israel somit das Recht auf Selbstverteidigung und Schutz seiner Bevölkerung abgesprochen.

Außerdem wird durch die Unterstellung der Instrumentalisierung der LSBTI-Belange ein eigenständiges Handeln der Gay-Community in Israel, die sich für ihre Rechte eingesetzt hat, ausgeschlossen. Zwar ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass LSBTIs rassistische Einstellungen haben können, und zu diskutieren, wie z.B. die schwulenfreundliche Politik von rechtspopulistischen Bewegungen, beispielsweise des Niederländers Geert Wilders, zu bewerten ist. Eine solche Auseinandersetzung hat jedoch zunächst nichts mit Israel zu tun. Sicherlich ist auch die Frage zu stellen, welche Verbindung zwischen Nationalismus, Herrschaft und Sexualität besteht oder ob und wie sich ein islambezogener Rassismus entwickelt hat. Allerdings muss dies unter der Prämisse geschehen, sowohl Rassismus als auch Antisemitismus zu thematisieren und eigene Zuschreibungen und Verdächtigungen zu reflektieren.

 


Von Nina Rabuza