Griechenland - dennoch eine Reise wert?

Griechenland - dennoch eine Reise wert?
Erstveröffentlicht: 
21.06.2012

Ein Besuch bei Daniel und Maria in Thessaloniki. Mit Bildern.

 

Klein ist sie, die Wohnung direkt neben dem großen Aris Thessaloniki Stadion, das hier alle einfach „Aris“ nennen – nach dem griechischen Kriegsgott. „Wie in einem Krieg“, so sieht auch Daniel die Lage in Griechenland zurzeit. „Diese ständige Anspannung, die scheinbar unausweichlich sich nähernde Katastrophe!“. Wenn hier Heimspiele von Aris Thessaloniki sind, dann kommt Daniel manchmal kaum zu seiner kleinen Wohnung am Rande des Zentrums Thessaloniki durch, dann muss er das Auto stehen lassen und zu Fuß weiter gehen. „Daran gewöhnt man sich hier, in der Schweiz würde man das vielleicht als Chaos betrachten“, sagt Daniel schmunzelnd. Aber nicht für ihn. Er hat Griechenland liebgewonnen, seit es ihn damals, vor 30 Jahren, wegen seiner großen Liebe aus der Schweiz nach Griechenland gezogen hat. Jetzt scheint das alles in Gefahr und das macht ihn traurig.

 

Die Touristen bleiben aus - trotz Gastfreundschaft

So wie ihm geht es vielen hier in Griechenland. Die Touristen bleiben aus – in manchen Gegenden sind die Zahlen um bis zu 50 Prozent eingebrochen. Nur die Inseln seien nach wie vor beliebt, sagt Daniel. Er und seine Familie sind von diesem Einbruch nicht direkt betroffen. Aber viele hier leben vom Tourismus. „Das wirkt sich auch auf uns aus. Das wirkt sich vor allem auf die Stimmung aus, denn im Tourismus lag unsere Hoffnung.“, beschreibt Daniel die Situation.

Wieso immer weniger den Weg nach Griechenland finden, kann er sich leicht vorstellen: „In den Medien wird Unverständnis auf beiden Seiten geschürt. Die Griechen sind sauer auf die unnachgiebige Politik von Frau Merkel, und die Deutschen glauben, dass sie in Griechenland nicht mehr willkommen sind.“ Aber das entspräche nicht der Realität. Natürlich könne es mal sein, dass man sich auf eine Diskussion einlassen muss, meint Daniel: „Die Griechen diskutieren generell gerne. Es gibt ein griechisches Sprichwort: Was einer in einer Stunde schafft, dafür brauchen zwei Leute zwei Stunden – weil sie so viel diskutieren.“ Aber sie wissen, was sie an ihren Gästen aus Deutschland haben, wie sehr sie auf zufriedene, wiederkehrende Besucher angewiesen sind. „Sowieso waren die Griechen immer ein sehr gastfreundliches Land und so habe auch ich als Schweizer sie immer erlebt! Daran hat sich auch seit der Krise nichts geändert.“

 

Spardiktat erinnert an Versailler Vertrag

Das Spardiktat der Troika vergleicht Daniel gerne mit dem Versailler Vertrag. Vielleicht hofft er, auf diese Weise gerade den Deutschen den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Schließlich wird Deutschland im europäischen Ausland als einer der Hauptakteure der rigiden Sparpolitik wahrgenommen. Diese nahm den Griechen erst ihren Stolz, dann ihre Souveränität, so die weitverbreitete Meinung in Griechenland. „Natürlich gibt es Unterschiede. Aber wie der Versailler Vertrag ist das Sparpaket den Griechen auferlegt worden.“ Verhandeln? „Unmöglich.“

Daniel, der Schweizer, er könnte für viele Griechen stehen, die sich zurzeit Sorgen machen. Sorgen um ihre Zukunft, die Zukunft ihrer Kinder, Sorgen um Griechenland. Vor vielen Jahren kam er nach Griechenland, er hat eine griechische Frau geheiratet und nennt Griechenland seine Heimat. Was er jetzt miterleben muss, das hätte er nie für möglich gehalten: „Es ist wie ein furchtbarer Albtraum!“ Denn er verstand sich als Europäer. Doch miterleben zu müssen, wie die EU, so formuliert Daniel es, Wirtschaft über alles stelle und die demokratischen Rechte der einzelnen Staaten umgehe und aushebele, das macht ihn wütend. „Das ist ein Verbrechen am griechischen Volk. Es geht ihnen ja nicht um die zehn Millionen Griechen. Ihre einzige Angst ist, dass der Euro mit dem Austritt Griechenlands zusammenbrechen könnte.“ Angst, Hoffnungslosigkeit, Wut. Ein Dreiklang, den viele hier kennen.

 

Maria verdient als Lehrerin 700 Euro

Dann kommt Daniels Frau Maria heim, eine Griechin. Sie ist Lehrerin und hatte einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich. Kaum zu Hause, kümmert sie sich mit Daniel um die Kinder. Das ist ihre größte Sorge, dass sie mal eine gute Zukunft in Griechenland, ihrer Heimat, haben können. Laut diskutiert sie mit Daniel die Ergebnisse der Neuwahlen. „Die Lage in Griechenland ist hier eigentlich überall Thema. Zuhause, an der Arbeit, in den Bars. Es lässt einen gar nicht mehr los. Es verfolgt dich bis in den Schlaf.“ Die Konservativen haben gewonnen - „das sind doch genau die, die den Karren vor die Wand gefahren haben“, regt sich Maria auf.

Vor der Krise verdiente sie 1200 Euro als Lehrerin. Das war schon damals nicht viel. Die Lebenshaltungskosten sind in Griechenland zum Teil höher als in Deutschland. Die Supermärkte sind teuer. Sie fragt sich, wie die Europäer zu dem falschen Bild kommen konnten: „Wir haben sicherlich nicht im unermesslichen Wohlstand gelebt, auf Kosten der anderen Europäer. Das ist ein bewusst gestreutes Vorurteil!“. Jetzt verdient sie noch 700 Euro. Um 500 Euro wurde ihr Gehalt innerhalb kürzester Zeit zusammengestrichen. Eine Katastrophe für jeden Griechen, der etwa noch Kredite für eine kleine Stadtwohnung abbezahlen muss. Aber immerhin hat sie noch ihren Job. „Und wir haben das Glück, diese Wohnung damals von unseren Eltern geschenkt bekommen zu haben. Aber wir leben jetzt schon mit unseren zwei Kindern am Rande des Minimums.“

 

Maximal ein Jahr lang Geld vom Staat, dann gibt es nichts mehr

Gute Schulen kosten Geld in Griechenland, wer auf eine staatliche Schule geht, ist danach kaum in der Lage, zu studieren. „Private Nachhilfe ist normal in Griechenland.“, sagt auch Maria. Über 25 Prozent der Griechen und 50 Prozent der Jugendlichen in Griechenland sind arbeitslos. Sie erhalten für maximal ein Jahr lang Geld vom Staat, danach gibt es nichts mehr. „Das wird in die Katastrophe führen“, ist sich Daniel sicher, „in zwei Jahren gibt es hier eine Revolution.“ Wohin die führen wird, das weiß er auch nicht. So wie die meisten Griechen befürchtet er, dass der Einfluss der faschistischen Partei „Goldene Morgenröte“ noch weiter anwachsen könnte. „Oder es kommt zu unkontrollierbaren sozialen Unruhen.“

Daniel und Maria überlegen, nach Deutschland zu gehen oder in die Schweiz zurückzukehren. Viele Griechen sehen darin für sich und ihre Kinder die letzte Hoffnung. Doch nur für wenige ist das eine Möglichkeit. Für Daniel ist das ein normales Krisenphänomen: „Diejenigen, die es sich leisten können oder die eine gute Ausbildung haben, können gehen.“ Das, was gerne als Brain-Drain betitelt wird, ist in Griechenland traurige Realität. Die wirklich Hoffnungslosen bleiben zurück. Sie ziehen aus den Städten aufs Land, während die Innenstädte leer werden und verslumen. Ein Geschäft nach dem anderen macht zu und wo vorher reges Leben herrschte, leben jetzt Junkies, Obdachlose – auch aus den bürgerlichen Schichten. Die Kinder der Krise. Die faschistische „Goldene Morgendämmerung“ sieht darin ihr großes Potenzial. Sie organisiert Bürgerwehren und sorgt für Ordnung. Die Betroffenen honorieren das mit Unterstützung und Wählerstimmen. Sieben Prozent haben sie bei den Neuwahlen vom 17. Juni erhalten. Für Daniel ist das eine Katastrophe: „Wenn die könnten, wie die wollten, hätten wir bald wieder eine faschistische Militärdiktatur wie 1967!“

 

Täglich werden 500 Menschen arbeitslos

Daniel muss jetzt wieder zur Arbeit. Wie lange er den Job noch hat, weiß er nicht. Täglich würden 500 Menschen arbeitslos, sagt Daniel. Auch dort, wo er arbeitet, wurden schon viele vor die Tür gesetzt. Wenn Daniel wählen dürfte, dann würde er wohl die demokratische Linke wähle, er könne aber auch jeden verstehen, der jetzt radikal wählt: „Die Wut ist groß. Die etablierten Parteien haben viel zu lange ihre Misswirtschaft getrieben. Die EU versucht es jetzt mit eben den Parteien, die uns in diese Krise gebracht haben. Das ist ein großer Fehler.“ Wie es mit Griechenland weitergehen wird, das weiß auch er nicht. Die Neuwahlen jedenfalls haben für Daniel und seine Familie keine Lösung gebracht.

 

Der Retsina fließt seltener

Abends sitzen sie noch mit Freunden in einer Bar. Touristen sind da und setzen sich dazu. Sie genießen diese tolle Atmosphäre, die so typisch für Griechenland ist. Ein leichter Abendwind bringt etwas Kühlung, aber es ist so warm, dass alle im T-Shirt draußen sitzen. Das Meer schlägt ruhig an das Ufer der Stadt. Der Retsina wird in großen roten Blechkannen serviert. In Momenten wie diesen scheint es, als wäre alles wie immer. Aber diese Besuche sind weniger geworden. Manchmal setzt sich der Wirt dazu und erzählt, so auch heute. Er sagt, dass die Griechen so leicht nicht am abendlichen Zusammentreffen in den Bars zu hindern seien. „Aber jetzt trinkt halt jeder etwas weniger, bleibt eine Stunde kürzer, kommt nur noch einmal die Woche statt mehrmals.“ Aber auch heute wird wieder diskutiert – natürlich über die letzten Wahlen.