Drei Monate nach den augenblicklich jüngsten Verhaftungen gegen die No-Tav Bewegung werden sechs der 42 Betroffenen der repressiven Aktion vom 26.01.2012 weiter in verschiedenen italienischen Haftanstalten festgehalten. Das Kollektiv Radiocane kontaktierte sie schriftlich zum postalischen Interview. Drei Rückmeldungen trafen bislang ein. Radiocane hat sie, am Vorabend des mailändischen Tages der Solidarität mit den No Tav Gefangenen am 21. April, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Rückmeldung von Mau – No Tav aus Mailand
Mau wird seit dem 26. Januar 2012 in Präventivhaft festgehalten
April 2012
Es wird Euch seltsam erscheinen... ein Interview geben beinhaltet aber immer das Erstellen einer Bilanz, eine Reflektion; Es ist ein inne halten, ein sich zurück wenden, zur Vergangenheit hin, während ich hier in einen Kessel hineinkatapultiert wurde, der stechend Woche für Woche Hunderte ergreift, die größtenteils die Brandmarken des Krieges, der Steuern, der Kündigung, des immer kargeren Lohnes tragen. Menschen, die oft immigriert sind, die in der Regel nichts als Angst haben, Angst vor den Prügeltrachten, die sie während der Reise bis hierher und auch hier eingesteckt haben, und Sehnsucht haben, den Hunger zu stillen, sich zu kleiden, zu waschen und RAUS ZU KOMMEN.
Statt dessen, stoßen sie auch noch auf eine Art von Distanzierung seitens der italienischen Leute, die man ebenfalls verstehen und mit denen man sich ebenfalls auseinandersetzen muss, sonst vertrackt sich Alles, wenn man zu hastig vorgeht wird Alles unverständlich. Der Alltag setzt einem nach, der Knast will den Kopf derer, die er krallt, er will, dass sie ihn senken, auf die eine oder die andere Weise, um jeden Preis, einschließlich des Lebens. Das ist die Realität. Könnt ihr das nachvollziehen? Auch vergangene Nacht gab es eine Person, die gestorben ist. Durch was? Durch den Knast. Was machst Du dann? Du nimmst es im Kopf zur Kenntnis, Du musst aber reagieren, weil sich die Einschüchterung verallgemeinert, immerzu verhindert oder zumindest behindert sie aufs Schärfste, die Herrschaft der Staatsräson, des Kapitalismus & Co. Hier ist das Praxis, Ziel, Zweckmäßigkeit des Apparates gegen den, der rebelliert, denkt und handelt, für befreite Beziehungen und so weiter.
Das ist es, was mich beschäftigt.
Hier wissen nur die Wenigsten, was der Tav und die No Tav sind. Was den Artikel 18 betrifft, so denken sie gewiss, dass es irgendein Gesetzbuch betreffen könnte. Es gibt keine Zeitung und keinen Sender, die über ihre Schwierigkeiten berichten: Strafe, Schulen, Hygiene, Gesundheit, Pflege und so weiter. Selten berühren sie unsere Initiativen, weil sie zu allgemein sind: das ständige Zu- und Abfließen macht allerdings unmöglich, dass eine oder auch zehn Beziehungen zum Beispiel an die afrikanische Ethnie, die diesen Ort durchläuft, übertragen werden könnten. Ich bin aber hier, ich kann nicht sein, wo mir beliebt, oder? Eine solche Verantwortung hinsichtlich einer Synthese übernehme ich nicht, und ich denke, ihr werdet es mir auch nicht erlauben, dem interview zum Trotz, das man immer noch machen kann.
Eine feste Umarmung, bis bald.
Mau
Interview mit Giorgio Rossetto - No Tav aus Bussoleno
Giorgio Rossetto wird seit dem 26. Januar 2012 in Präventivhaft festgehalten.
April 2012
Welche Aspekte sollten deiner Wahrnehmung nach als spezifisch für die aktuelle Situation, die Du zu beobachten Dich wiederfindest, und für die Behandlung, der Du unter diesen Umständen unterzogen wirst hervor gehoben werden – auch in Bezug auf die Kämpfe, die draußen weiter stattgefunden haben?
Die Überlegungen, die ich anstellen kann, basieren auf einen kurzen Aufenthalt in der großen metropolitanen Haftanstalt „Le Vallette“, der um die zehn Tage dauerte, und auf den noch längeren und weiter andauernden in Saluzzo.
Die Vallette, mit ihren durchschnittlich 1500 Häftlingen, 3 unterschiedlichen Trakten und einem Kommen und Gehen von Wachen und Häftlingen, einem kontinuierlicheren turnover und stärkerem Lärm in der Luft. Block C bestand aus 10 Abteilungen. Jede Abteilung hatte 20 bis 25 Zellen. Zwei Häftlinge pro Zelle. Etwa 50 Häftlinge pro Abteilung. Die Zusammensetzung der Abteilung war vielfältig, durch die unterschiedlichen vorhandenen Ethnien. Bei einer schnellen Analyse habe ich den Eindruck gewonnen, dass die „Maghrebiner“ eher zu individuellen und selbstverletzenden Handlungen neigen, dass die „Rumänen“ dazu tendieren, durch Zusammensein auszuhalten und dass die „Schwarzen“ eher offen dafür sind, kollektiv zu denken. Schließlich, die „Italiener“, die den anderen Ethnien die Schuld für die Situation geben. Alle auf unterschiedliche Weise klagend. Keiner der sich die Frage nach dem, was zu tun sei, um Veränderung herbeizuführen stellen würde. Zum Hofgang ging man mit 3 Abteilungen auf einmal. In jener Zeit schneite es, die Kälte war eisig, also sind abschließende Einschätzungen unmöglich, ich denke aber, dass es mit 150 Gefangenen möglich gewesen wäre, ein wenig Auseinandersetzung herzustellen. Sich exponieren, diskutieren, die entstehenden Bedürfnisse deuten ist jedenfalls einer der Wege, um wieder eine minimale Spur von Protagonismus in den Haftanstalten dieses Landes in Gang zu setzen.
Wir wurden jedenfalls umgehend von den Vallette wegverlegt - gewöhnt, wie wir an den frenetischen Takt des politischen Handelns sind, haben wir uns auf hastige Weise „exponiert“. Der Schreck des Anstaltsleiters, die Entscheidungen des DPA [Strafvollzugsverwaltung], haben zur Verlegung der sechs NOTAV in sechs unterschiedliche Vollzugsanstalten der Region geführt, mit dem Stempel „Hohe Überwachungsstufe“.
Ich bin in Saluzzo angekommen, hier ist Alles „sauberer, reinlicher, professioneller2: Die gesamte bürokratische Organisation des Systems mit ihren Spezialisierungen und ihren variablen Stufen der kapillaren Überwachung, die ganz darauf ausgerichtet sind, die Unterwerfung des Gefangenen über die Mechanismen der Begünstigung und Belohnung herbeizuführen.
In Saluzzo gibt es zwei Abteilungen mit hoher Überwachungsstufe mit zu hohen Strafen verurteilten Gefangenen (lebenslänglich auf 30 Jahre) und weitere vier mit zu geringeren Strafen rechtskräftig verurteilten Gefangenen.
Die Abteilung in der wir sind, war jene, die einst der Isolationshaft gewidmet war. Im Laufe der Jahre wurde sie „Beschuldigten“ (die auf ein Verfahren warten) vorbehalten, allerdings unter Beibehaltung der Abläufe und der Räume, die der Isolationshaft eigen sind. Strengstes Regime, der Hof ist in gangartige Parzellen unterteilt, der Einsatz von Metalldetektoren ununterbrochen, ab und zu, individuelle Kontrolle durch eine Wache, die beim Hofgang zwei Stunden lang vor deinem Minihof/Box sitzt und natürlich Ausschluss von allen kreativen und sportlichen Aktivitäten in der Haftanstalt.
Gibt es einen speziellen Fragment des täglichen Lebens in der Haftanstalt, den zu erleben Dir widerfahren ist und über den Du Lust hast, mit uns zu sprechen?
Ein angenehmes Teilstück sind die „alten“ Bank- und Postfilialenräuber, die zu den ruhmreichen Batterien der 70er/80er gehören, die nie das Handtuch werfen und inzwischen 60 bis 70 Jahre alt sind. Sie leben von den goldenen Erinnerungen der vergangenen Jahre, die der Revolten und der Ausbrüche.
In den Vallette gibt es einen, der TEPEPA genannt wird und 74 Jahre alt ist. Er ist dort und versteht angesichts seines Alters nicht warum. Inzwischen hat wegen er Raubtaten vor drei Jahren 10 Jahre durch das Gericht von Mondoví bekommen. Er wurde mit einer Reisetasche voller Waffen, Uniformen und Handschellen verhaftet.
Gibt es einen speziellen Fragment des No TAV Kampfes, an dem Du Teilgenommen hast und über den Du Lust hast, mit uns zu sprechen?
Ich überspringe die Frage.
Was hältst Du von der Tatsache, dass die Bewegung in Folge von Euren Verhaftungen weiter geht und viel mehr noch, einen starken Auftrieb erlebt hat? Das heißt, dass wir in den vergangenen Jahren fähig gewesen sind, Schritt für Schritt soziale Beziehungen, Strukturen, Beteiligungsniveaus, Volk- und Klassenzusammenhänge aufzubauen, in denen man sich auseinandersetzt, wohl wissend, dass die Repression ein von der Magistratur um uns zu schwächen und zu erpressen aufgestülpter, dem Kampf externer Aspekt ist. Unser Anliegen ist aber das Gegenteil: die Bewegung, die Mobilisierung, müssen uns in der Solidaritätsbeziehung zu den Gefangenen stärken, die deren grundlegender Bestandteil sind, ohne jede Differenzierung unter ihnen durch Gebrauch von irreführenden Kategorien wie Unschuld und Schuld.
Schon die Verhaftung des Kommunalrats und des Friseurs von Bussoleno haben sich für das Anklagekonstrukt, das einen Unterschied zwischen NOTAV aus dem Tal und Auswärtige, zwischen guten und Bösen NOTAV nachweisen wollte, schon als Eigentor entpuppt. Für uns autonome Strukturen hat das eine weitere Bestätigung eines politischen Vorschlags dargestellt, der die Rolle der Organisation und der Subjektivität in den Bewegungen und in den Transformationsprozessen als zentrale Knotenpunkte würdigt. Starke innere Kohärenz in den Bewegungen, ohne jedes Zugeständnis an existenzielle Darstellungen oder unergiebige Affinitäten, die sich in jenen Städten und Territorien vermehren, in denen Anderssein und Gegenmacht auf der Flucht sind.
Hat die Tatsache, dass ihr verhaftet wurdet, weil ihr Euch an den NO TAV Kampf beteiligt habt die Wahrnehmung der Gefangenen Euch gegenüber beeinflusst?
Das ist was neues, sie sind an die Ankunft von Häftlingen, die kämpfen, um soziale Ziele zu erreichen und keinerlei persönlichen Nutzen dabei haben nicht gewöhnt. Einige denken sogar, dass ihre Inhaftierung richtig sei und dass sie eine Strafe verbüßen, während die Unsere als eine Ungerechtigkeit angesehen wird, als eine Verfolgung, und sie gehen davon aus, dass wir bald rauskommen werden. Viele überschätzen das Gewicht der NOTAV, und hoffen dabei, dass die etwaige Unterstützung der Bewegung zu einer medialen Aufmerksamkeit bezüglich der Probleme in den Haftanstalten und der Notwendigkeit einer Amnestie, welche die Forderung ist, die alle eint.
Wie wurde und wie wird die Situation Lucas im Inneren der Haftanstalt erlebt? Wie verbreitete sich die Nachricht dessen, was ihm geschehen war?
Die Nachricht verbreitete sich rapide, innerhalb von einigen Dutzend Minuten hat man den Ernst des „Unfalls“ erfasst, was unter Allen große Sorge auslöste. Die Gefangenen baten permanent um Informationen, auf der Grundlage dessen, was ich ihnen durch Radio Blackout (das man in Saluzzo ganz gut empfangen kann) vermittelte. Alle wünschen ihm eine rasche Genesung, und wir können jetzt laut sagen: Das Glück ist im besonders hold gewesen.
Wie wird der Kampf der NO TAV im Gefängnis wahrgenommen?
Natürlich sind sie solidarisch, sie ergreifen Partei für die no tav Bewegung, sie sind erstaunt ob der zum Ausdruck gebrachten Kraft, dem Mut, und der Entschlossenheit beeindruckt. Einige bleiben bezüglich der Möglichkeit, dass wir gewinnen, skeptisch. Es ist an uns allen, sie zu widerlegen.
Draußen wird über eine Kampagne für die Befreiung der NO TAV Gefangenen nachgedacht. Was haltet ihr da drinnen davon?
Mir scheint es so, als habe sich draußen eine Volkskampagne in Gang gesetzt, um den Kontakt zwischen der kämpfenden Gemeinschaft und die Gefangenen zu stärken, dutzende Initiativen sind aufeinander gefolgt, während die repressive Operation Stück für Stück zerfällt. Der Weg ist noch lang, das tempo, mit der wir ihn beschreiten scheint mir aber der richtige.
TSCHÜSS, GIORGIO
Eine Umarmung an Alle
* Wenn ihr Materialien aus der Bewegung oder eigene Publikationen über die Probleme in den Haftanstalten habt, SCHICKT SIE MIR BITTE.
Interview mit Marcelo – No Tav aus Mailand
Marcelo wird seit dem 26. Januar 2012 in Präventivhaft festgehalten
April 2012
Welche Aspekte sollten deiner Wahrnehmung nach als spezifisch für die aktuelle Situation, die Du zu beobachten Dich wiederfindest, und für die Behandlung, der Du unter diesen Umständen unterzogen wirst hervor gehoben werden – auch in Bezug auf die Kämpfe, die draußen weiter stattgefunden haben?
Die NO TAV Bewegung kommt auch ohne uns weiter – das, weil es in ihrem Inneren keine Chefs gibt sondern einen heterogenen Fächer von Singularitäten, die in diesem Kampf Partei ergriffen haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass nicht nur die community der Bewohner des Susa Tals, sondern ein ganzes Land rebelliert hat. Die Solidarität kommt aus allen Ecken Italiens und auch aus dem Ausland. Das Susa Tal ist zurzeit überall. Caselli sagt, dass es sich bei dem, was diese Ermittlungen beanstanden, um spezifische Vorfälle handelt. Ich sage dagegen, dass das, was sie versucht hat anzugreifen, nicht nur die NO TAV Bewegung ist, sondern jeder Kampf, den es in Italien gibt und sich angesichts der mittlerweile unumkehrbaren Krise des wirtschaftspolitischen Systems in Italien in einer unmittelbaren Zukunft entwickeln könnte. Unsere Verhaftungen sind eine klare Botschaft an Alle, die aufgehört haben, sich zu empören, und sich von unten organisieren, auf selbstbestimmte Weise und ohne Vermittler. Ein weiterer Aspekt bei dem die Magistratur versucht hat zuzuschlagen sind die emotionalen Bindungen – man darf nicht vergessen, dass jeder von uns draußen Familie, Freunde, Gefährten, Eheleute, Kinder hat. Das ist die infamste Seite der Repression. Man muss aber blind sein, um nicht zu merken, dass diese Ermittlungen entgegengesetzte Wirkung hatte. Das Gefängnis ist ein Kampfterrain, und ich fahre hier Tag für Tag damit fort, zusammen mit den vielen Proletariern, die hier drin lebendig begraben sind, zu kämpfen. Meine Stimmung bleibt gut, ich bleibe klarsichtig und gelassen.
Gibt es einen speziellen Fragment des täglichen Lebens in der Haftanstalt, den zu erleben Dir widerfahren ist und über den Du Lust hast, mit uns zu sprechen?
Vor Wochen spielte ich zusammen mit anderen Häftlingen Fußball, nach fünfzehn Minuten flog der Ball raus. Die Wachen haben niemanden raus gelassen, um ihn zu holen und gesagt, dass das Spiel beendet sei. Der sechste Trakt hat zwei Mal die Woche die Möglichkeit zum Fußball spielen. Es ist der einzige Moment sozialen Miteinanders und kreativer Regeneration. Die Antwort war unvermittelt und spontan. Alle haben wir damit begonnen, gegen die Tür zu treten und zu schreien und die Wachen zu beschimpfen. Diese sind im Rudel herbeigekommen. Sie haben harsch gefragt, wer es gewesen sei, und die Antwort hat gelautet: ALLE. Die Schließer sind in Panik geraten und zum Schichtleiter gerannt, um zu berichten. Dieser kam nach zehn Minuten mit dem Ball wieder. Er hielt eine pathetische Rede über Respekt und anderen Blödsinn. Es ist ein aufregender Moment gewesen, der mich hat nachdenken lassen, im Knast passiert nie etwas, es herrscht die Polizei und ich habe Angst. Zu sehen, dass wir auch im Gefängnis all das, was uns zusteht bekommen können, wenn man auf entschlossene Art gemeinsam gegen die Ungerechtigkeiten rebelliert und man das Bewusstsein hat, dass das, was wir uns aufmachen, uns zurück zu nehmen, unser Leben ist. Diesmal war es ein Ball, morgen, wer weiß...
Gibt es einen speziellen Fragment des No TAV Kampfes, an dem Du Teilgenommen hast und über den Du Lust hast, mit uns zu sprechen?
Das alltägliche Leben letztes Jahr im Camp in Chiomonte. Du kamst am Bahnhof an und es schien Dir, im Wunderland angekommen zu sein, die Luft war anders, und nicht nur, weil Du im Gebirge warst, sondern weil man Solidarität und Freiheit atmen konnte. Du arbeitetest, diskutiertest, kämpfest, manchmal betrankst Du dich mit Leuten, die Du nie gesehen hattest, es kam Dir aber vor, sie ein Leben lang schon zu kennen. Du kehrtest nach Mailand zurück und überlegtest: Verdammt, wie hießen die überhaupt? Das, weil die einzige Identität und Zugehörigkeit NO TAV war. Das leben gründete gänzlich auf Autonomie und Selbstorganisation. Das ist das, was Du in der Stadt versuchst zu machen und im kleinen lebst. Dort erlebtest Du das in seiner höchsten Ausdrucksform. Ich spreche in der Vergangenheitsform, weil ich von einer Erinnerung erzähle, aber alles, was ich geschildert habe, das lebt man auch außerhalb der Camps die es vergangenen Sommer gab. Das gemeinschaftliche Leben und die Wiederaneignung des Lebens sind zusammen mit dem Mut der NO TAV das trojanische Pferd Bewegung gewesen.
Was hältst Du von der Tatsache, dass die Bewegung in Folge von Euren Verhaftungen weiter geht und viel mehr noch, einen starken Auftrieb erlebt hat?
Es ist das Ergebnis der langwierigen Arbeit, die von den Bewohnern des Susatals und der Genoss_innen geleistet wurde. „Man startet gemeinsam und kehrt gemeinsam zurück“ ist nicht nur eine Parole, sondern die Tatsache, die es dem Staat, der mit den Verhaftungen versucht hat, zu spalten nicht gelingt, abschließend zu verstehen, nämlich die Solidarität, das Vertrauen, die Erinnerung an jeden im Kampf erlebten Moment.
Hat die Tatsache, dass ihr verhaftet wurdet, weil ihr Euch an den NO TAV Kampf beteiligt habt die Wahrnehmung der Gefangenen Euch gegenüber beeinflusst?
Nicht so sehr, weil die Kommunikationsmedien des Staates keinen reinen Wein einschenken, wenn sie von den NO TAV sprechen hört es sich an, als sprächen sie von ALQAEDA. Die Häftlinge interessieren sich für Politik nur um zu sehen, ob früher oder später mal Amnestie oder Straferlass Thema sind. Als sie begriffen haben, dass ich aus politischen Gründen hinter Gittern war, haben sie mich gefragt, ob ich etwas für die Amnestie oder den Straferlass tun könnte. Das war ihr erster Eindruck, dann habe ich ihnen im Zuge von Gesprächen erklärt, wie ich denke und dass ich auf jeden Fall für jeden Kampf von unten einen Beitrag leisten kann, wobei ich klar gestellt habe, dass der Staat niemals etwas schenkt, und dass man alles erdenkliche erreichen kann, wenn wir uns alle entschlossen zusammen tun. Natürlich sind sie alle mit der NO TAV Bewegung solidarisch, hier erleben wir die Widersprüche und die Arglist des Staates auf der eigenen Haut, also nimmt keiner Stellung für ihn ein.
Wie wurde und wie wird die Situation Lucas im Inneren der Haftanstalt erlebt? Wie verbreitete sich die Nachricht dessen, was ihm geschehen war?
Jener tag ist sehr übel gewesen. Ich habe versucht Mao und Nick zu treffen, um über das Geschehene zu sprechen, und um zu sehen, ob wir zum Zeichen der Solidarität mit Luca irgendeinen Protest veranstalten könnten. Leider ist es mir nicht gelungen, sie zu treffen. Einige Häftlinge haben mich gefragt, was passiert war, mehr aber nicht. Ab und zu, hörte man den einen oder den anderen, der LOS, NO TAV! rief, wenn die Nachrichten liefen. Persönlich habe ich mich noch nie so ohnmächtig gefühlt, wie an jenem Tag. Ich bin froh, dass Luca es geschafft hat, und dass er sich langsam erholt. FORZA LUCA!
Wie wurde und wie wird die Situation Lucas im Inneren der Haftanstalt erlebt? Wie verbreitete sich die Nachricht dessen, was ihm geschehen war?
Wie ich vorhin erklärt habe, ist es schwierig, das was im Susa Tal und in ganz Italien passiert, wenn man TV guckt und Zeitung liest. Auch ich tu’ mich schwer, die Dinge zu verstehen. Das, weil die Medien es vermögen, mit unglaublicher Leichtigkeit zu lügen. Ich erinnere noch einmal daran, dass sie eine Woche lang das Video mit dem jungen Mann ausgestrahlt haben, der einen BePo verulkte. Das, was sie zu jener Episode gesagt haben ist irre gewesen, wegen der Natürlichkeit, mit der sie ihre schwachen Standpunkte argumentativ stützten, was aber, wenn man es im TV sieht, leicht irre führen kann.
Draußen wird über eine Kampagne für die Befreiung der NO TAV Gefangenen nachgedacht. Was haltet ihr da drinnen davon?
Was ihr bisher gemacht habt, ist grandios. Wenn dann noch der Wille besteht, eine breitere und eingehendere Kampagne für unsere Befreiung zu machen, können wir nur froh darüber sein. Das Wichtige ist, dass nicht vergessen wird, dass es am 3. Juli schon andere Verhaftungen gegeben hat und dass auch diese Leute das Susa Tal verteidigt haben. Ich möchte Euch auch bitten, den gesamten politischen Diskurs nicht allein auf uns zu konzentrieren, sondern die Gelegenheit zu nutzen, um dem Kampf gegen den Knast und die Solidarität mit denen, die an diesen unmenschlichen Orten die Staatsgewalt hinnehmen müssen.
Vorweg: Du bist als Kind in Italien angekommen. Wir haben erfahren, dass man Dich im Knast mit Landsleuten zusammen gelegt hat, sobald Du angekommen bist. Hattest Du Gelegenheit, Deine wurzeln wiederzufinden?
Ich kam als 17-Jähriger in Italien an, ich war bereits ein Heranwachsender. Wer mich kennt, weiß, dass ich allerorten versuche, meine Wurzeln und meine Traditionen zu behaupten. Also, ernsthaft, die Tatsache, dass man mit den gleichen Leuten in einer Zelle sitzt, führt entweder dazu, dass man diese hasst, oder dass man sie lieb gewinnt. Für mich gilt Letzteres. Manchmal kommt es mir vor, als sei ich in Südamerika und nicht in Italien. Das, weil ich ständig Spanisch spreche und gerade Gelegenheit bekomme, Gewohnheiten zu erinnern und zu erleben, die ich lange nicht mehr erlebte. Alles ist aber auf völlig natürliche Weise passiert, weil ich nie vergessen habe, wer ich bin und woher ich komme. Das Wichtige ist aber nicht die Staatsangehörigkeit Deiner Zellengenossen, sondern die menschliche Qualität. Diese erlaubt es, den Knast mit größerer Gelassenheit zu erleben. Wir haben alle unterschiedliche Geschichten, gegen die Langeweile und die Depression macht man aber gemeinsame Front.
Nach der Prophezeiung der Maya wird die Welt am 21.12.2012 verschwinden. Werden die Knäste Deiner Meinung nach stehen bleiben?
Wir sind Inca und keine Maya, wir hatten die Lamas, sie das Rad. Leider haben wir uns nie getroffen, sonst... von wegen griechische Zivilisation und römisches Reich! Da hätten wir jetzt statt Gott Pachamama und der unsterbliche Atahuslpa wäre immer noch Reggeaton tanzend an der Macht. Die Knäste werden aus zwei Gründen nicht stehen bleiben: Erstens, wegen der Überbelegung, die sie vor Dezember zum Einsturz bringen wird. Zweitens, weil der Knast wie der TAV ein nutzloses, lebensfeindliches Werk ist. Wer Wind sät, erntet Sturm. Die Schmerzgrenze der Menschenwesen, die hier drin sind, hat einen Limit. So wie die Sklaverei abgeschafft wurde, werden eines Tages auch diese abstoßenden Orte niedergerissen werden und von ihnen bloß Trümmer zurück bleiben.
Ich bedanke mich bei Allen für die Solidarität. Ich sende eine Umarmung an alle NO TAV in Italien und in der ganzen Welt. Der Unsere heißt Widerstand, wir müssen stolz darauf sein, dass wir gegen die Gewalt des Staates die keinen eines Blickes würdigt kämpfen. Wir können jeden Morgen in den Spiegel scahuen. Ich weiß nicht, ob Staatsanwalt Caselli das auch kann. Vielleicht hat er die Nacht vom 28. März 1980 vergessen.
A SARA DURA!
Radiocane Seite zur Initiative
Radiocane Sendung mit Auszügen aus den Rückmeldungen
Originalabschrift der Rückmeldung von Mau
Originalabschrift der Rückmeldung von Giorgio