Reportage: Linkes Zentrum in Heslach

Erstveröffentlicht: 
16.03.2012

Stuttgart - Auf den Fensterbänken stehen Topfpflanzen, die Wände sind in einem warmen Rotton gestrichen, es gibt Sitzecken mit hellen Holztischen, ein Zettel weist auf das absolute Rauchverbot hin. Das Café im Linken Zentrum im Stuttgarter Stadtteil Heslach mutet beinahe bürgerlich an. „Nicht spießig, aber aufgeräumt“ soll es wirken, sagt Paul von Pokrzywnicki. Von Pokrzywnicki, 21, ist der Sprecher des Projektes. Er hat in den letzten zwei Jahren ungezählte Stunden mit der Renovierung des Hauses verbracht, sogar sein Abitur hat er deshalb verschoben.


Bis vor einigen Jahren befand sich in dem Eckhaus gegenüber dem Stuttgarter-Hofbräu-Stammsitz ein Lokal mit Mundartbühne. Das Schild mit der Aufschrift Rebstöckle hängt bis heute über dem Eingang. 2010 kaufte eine Gruppe junger linker Aktivisten das Gebäude. Ihr Traum: ein selbst verwaltetes Zentrum für Stuttgart, das – wie es auf der Homepage heißt – „dauerhaft dem profitorientierten Kapitalmarkt entzogen ist“ und sich „an sozialen Kämpfen beteiligt“. Ein Haus mit Wohngemeinschaften, Büros sowie Räumen für Konzerte und Partys unter einem Dach.

Das Konzept stammt ursprünglich aus dem Freiburger Vauban-Viertel. Als die französischen Truppen Anfang der 90er Jahre dort abzogen, blieben leer stehende Kasernen zurück. Aktivisten kauften von der Stadt vier Gebäude, die eigentlich abgerissen werden sollten, und renovierten sie. Heute leben im Wohnprojekt Susi (selbst organisierte, unabhängige Siedlungsinitiative) 260 Menschen. Etwa 50 ähnliche Einrichtungen sind inzwischen bundesweit entstanden. Mietshäusersyndikat heißt die Dachorganisation, die bei der Anschubfinanzierung hilft und garantieren soll, dass die gemeinschaftlichen Hausprojekte nicht in einigen Jahren wieder privatisiert werden.

Eine Vision nimmt Gestalt an

Das Stuttgarter Zentrum unterstützen viele Sympathisanten mit Kleinkrediten von mindestens 500 Euro. „Wir haben so inzwischen mehr als 300 000 Euro eingesammelt“, erzählt Paul von Pokrzywnicki. Etwa 800 000 Euro haben die Aktivisten bisher in den Kauf des Gebäudes und die Renovierung gesteckt; die fehlende halbe Million haben sie sich von einer alternativen Genossenschaftsbank geborgt.

Zwei Jahre nach dem Kauf des Hauses nimmt die Vision langsam Gestalt an. Vor einigen Wochen saßen die Besucher samstagabends, wenn es in der „Volxküche“ für einige Euro warmes Essen gibt, noch in dicke Jacken gemümmelt an den Tischen, weil die Heizung nicht funktionierte. Inzwischen ist es warm, am lauten Brummen der Lüftung wird noch gearbeitet.

In den Büros im ersten Stock haben sich Initiativen eingemietet. Das Kreisbüro der Linken findet man hier genauso wie die Deutsche Kommunistische Partei, die Gewerkschaftsjugend von Verdi trifft sich hier ebenso wie Flüchtlings- und Umweltschutzinitiativen.


Auch ständige Bewohner hat das Linke Zentrum inzwischen. In den oberen Stockwerken gibt es zwei WGs, sieben Leute leben dort. Zum Beispiel Robin. Der 23-Jährige engagierte sich von Anfang an für das Hausprojekt. Er gehörte auch zu den ersten Mietern des Eckhauses an der Böblinger Straße; als er einzog, war es noch eine Baustelle. „Anderen hätte man die Bedingungen nicht zumuten können, es war überall noch Staub und Lärm“, erzählt er. „Man gewinnt dadurch aber einen engen Bezug zum Projekt.“ Seinen Nachnamen möchte Robin nicht in der Zeitung lesen, auch ein Foto von ihm soll nicht abgedruckt werden: Er engagiert sich nicht nur in dem linken Zentrum, sondern auch bei antifaschistischen Aktionen – er will nicht, dass Neonazis ihn identifizieren können.

Zig Freiwillige haben an dem Haus in den vergangenen zwei Jahren mitgebaut, sie haben Decken abgeschlagen, Böden verlegt, das Dach gedeckt, die Wände gestrichen. Die Engagiertesten unter den Organisatoren sind zu Experten für Baurecht und ökologische Sanierung geworden – in einem Alter, in dem andere sich gerade einmal die Suche nach einem WG-Zimmer zutrauen.

Sie erzählen begeistert von der komplizierten Renovierung. Von den morschen Balken in der Decke des Veranstaltungsraumes, die ohne eine Stahlverstärkung wohl bald zusammengekracht wären. Oder von den dicken Isolierschichten, die das hundert Jahre alte Haus beinahe so energiesparsam machen wie ein Passivhaus.

Auseinandersetzung mit der Polizei

Weniger begeistert sind die Aktivisten, wenn sie auf den Prozess gegen Christopher angesprochen werden. Christopher, 26, gehört zum engsten Kreis des Hausprojektes. Er studierte in Greifswald, als die Idee von einem Linken Zentrum in Stuttgart konkrete Formen annahm. Daraufhin brach er sein Jurastudium ab und wurde hauptamtlicher Geschäftsführer des Heslacher Projektes – 600 Euro im Monat bekommt er dafür. Auch Christopher möchte weder mit Nachnamen noch mit Bild in der Zeitung erscheinen.

Das Linke Zentrum ist ein Treffpunkt für Gruppen wie dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart & Region. Im großen Veranstaltungssaal lehnen Transparente für die nächste Demonstration an der Wand, auf denen gegen einen Naziaufmarsch oder für die „Befreiung politischer Gefangener“ aufgerufen wird. Im Erdgeschoss hängen die Listen für die Busse, die zu den Demonstrationen fahren.

Im vergangenen Sommer war es das „Islamkritische Wochenende“ gegen das mobil gemacht wurde. Innerhalb weniger Tage fand Anfang Juni in Stuttgart ein gemeinsamer Kongress der rechtspopulistischen Bewegung Pax Europa und des islamkritischen Webportals Pi-News statt, wenige Tage später der Gründungsparteitag der ebenfalls islamkritischen Partei Die Freiheit. Gegen diese Veranstaltungen gab es massive Proteste linker Aktivisten, auch Christopher war dabei.

Zwei Monate später wurde er verhaftet; bis Dezember 2011 saß er als Untersuchungshäftling in der Justizvollzugsanstalt Stammheim. Der Vorwurf gegen ihn: zusammen mit anderen Demonstranten hatte Christopher am 2. Juni auf dem Stuttgarter Schlossplatz die Bühne des Pax Europa-Kongresses besetzt und sie auch nach Aufforderung von Polizisten nicht verlassen. Als die Beamten die Bühne daraufhin unter Einsatz von Pfefferspray räumen wollten, soll Christopher nach einem Polizisten getreten haben.


Drei Tage später, bei der Gründungsveranstaltung der Partei Die Freiheit, soll Christopher zudem – gemeinsam mit anderen linken Aktivisten – drei Die-Freiheit-Mitglieder in einem Parkhaus überfallen haben. Einer der Männer wurde zu Boden geschubst, anschließend sollen die Angreifer nach seinem Kopf getreten haben. Das Opfer ist selbst Polizist; er sagte vor Gericht aus, dass er Christopher auf einem Foto als einen der Täter wiedererkannt habe. Vor zwei Wochen ist Christopher vom Landgericht zu einer Bewährungshaftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden.

Wer nach diesen Ereignissen fragt, erhält einsilbige Antworten. Der Prozess gegen Christopher habe nichts mit dem Linken Zentrum zu tun, meint Paul von Pokrzywnicki. Auch Christopher will nicht, dass das Heslacher Haus als „Projekt von ein paar Halbkriminellen“ erscheint und beteuert, dass er mit dem Überfall in der Tiefgarage nichts zu tun habe. Vor Gericht hat er sich nicht zu den Vorwürfen geäußert – warum? „Die bürgerliche Justiz ist nicht die Instanz, vor der wir unsere Aktionsformen diskutieren wollen“, entgegnet er. Die Bewegung solle „unter sich“ ausmachen, was angemessen sei.

Es ist paradox. Auf der einen Seite bemühen sich die Hausprojektler, ein soziales und ökologisches Vorbild zu schaffen, das in eine Zeit passt, in der die Finanzkrise viele Menschen am Kapitalismus zweifeln lässt und sich selbst die CDU eine Energiewende verordnet hat. Die Aktivisten bemühen sich um einen breiten Rückhalt für ihr Projekt und um ein gutes Verhältnis zu Behörden und Nachbarn: Im Café ruft ein Zettel die Besucher auf, „keinen Dreck und kein Krach in der Nähe des Zentrums“ zu machen, den Nachbarn nicht vor die Haustür zu pinkeln und ihre „Autos, Blumenkübel und Gartenzwerge“ in Ruhe zu lassen. Niemand soll provoziert werden.

Auf der anderen Seite haben manche Aktivisten eine fragwürdiges Verhältnis zur Gewalt. Robin sagt, dass er es zwar „prinzipiell scheiße findet, wenn Leute zusammengetreten werden“. Doch im nächsten Atemzug erklärt er: „Man kann Gewalt nicht mit Gewalt gleichsetzen.“

Erklärungen für die Eskalation

Wenn Neonazis oder Rechtspopulisten Diffamierendes über Migranten in Deutschland verbreiten würden, müsse man verhindern, dass „so was zur gesellschaftlichen Normalität“ wird. „Es wäre ein fataler Fehler zu sagen, wir bleiben immer friedlich“, sagt Robin. Wohin es führe, wenn man Rechtsextreme nicht deutlich genug in ihre Schranken weise, könne man ja in Ostdeutschland sehen. Christopher nennt die Demonstrationen gegen die Naziaufmärsche, die in Dresden zum Jahrestag der alliierten Bombardierungen stattfanden, als Beispiel für eine erfolgreiche antifaschistische Aktionen. Zuletzt seien aus Angst vor den linken Gegendemonstranten fast keine Nazis mehr angereist.

Vom Landgericht hat Christopher die Auflage erhalten, sich von gewalttätigen Demonstrationen fernzuhalten. Das sei in der Praxis schwierig, meint er: „Ich habe noch nie erlebt, dass jemand gesagt hat: ,Wir planen eine gewalttätige Demonstration.‘“ Kundgebungen würden plötzlich eskalieren – oft wegen der Polizeieinsätze.

Der nächste Anlass zur Eskalation könnte sich schon morgen ergeben: Am Samstagnachmittag, dem Tag der politischen Gefangenen, soll auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine „Antirepressionsdemo“ stattfinden. Die Plakate im Linken Zentrum sind schon fast fertig gemalt.