Baden-Württemberg bereitet Abschiebungen von Roma nach Kosovo vor
Bei einer Podiumsdiskussion mit Roma-Organisationen in Freiburg haben Gabi Rolland von der SPD und der Grüne Thomas Marwein die Katze aus dem Sack gelassen: »Es wird weitere Abschiebungen geben.« Im August hatte die baden-württembergische Landesregierung Abschiebungen von Roma nach Kosovo ausgesetzt. Gleichzeitig wurde eine Delegationsreise des Petitionsausschusses nach Kosovo geplant. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wolle man sich nicht auf externe Expertisen verlassen, sondern sich selbst ein Bild von der Situation der »rückgeführten« Roma, Ashkali und Ägypter machen. Nun, drei Wochen nach ihrer Rückkehr, legt sich die Delegation fest: Es gebe keinen Anlass für einen generellen Abschiebestopp.
Diese überraschende Erkenntnis entspringt nach Ansicht der Göttinger Roma-Organisation »Alle bleiben« aber offensichtlich stärker der politischen Opportunität als der Realität in Kosovo. Die Organisation hatte im Vorfeld einen »Roma-Mediator« vorgeschlagen, der die Landtagsdelegation begleiten sollte, »damit man nicht nur von albanischer Seite Informationen bekommt«. Dies wurde jedoch abgelehnt, und auch ein Treffen der Delegation mit »Alle bleiben« in Kosovo ist geplatzt: »Wir hatten es einen Monat vorbereitet und waren mit Betroffenen vor Ort, aber im letzten Moment hat die Delegationsleiterin abgesagt. Die wollen die Wahrheit nicht wissen«, urteilt ein Sprecher der Roma-Organisation. Auch der Freiburger Soziologieprofessor Albert Scherr bewertete die Berichte der Kosovo-Delegation als »oberflächlich« und kritisierte insbesondere, dass die Betroffenen nicht hinreichend zu Wort gekommen seien.
Ein offensichtlich nicht geringer politischer Druck mag die Entscheidung beeinflusst haben, Abschiebungen wieder zuzulassen. Einerseits hätten andere Landesregierungen es »sehr schlecht aufgenommen«, dass Baden-Württemberg keine Abschiebungen nach Kosovo mehr durchführte, wie Daniel Lede Abal, integrationspolitischer Sprecher der Grünen im Land, feststellt. Andererseits verstärkten aber auch Kommunen wie das grün regierte Freiburg den Druck, indem sie öffentlichkeitswirksam über die Belastung durch Flüchtlinge aus Kosovo klagten. So sprach Oberbürgermeister Dieter Salomon in einem Brief an seinen Grünen-Parteifreund, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, von einer »nicht mehr darstellbaren und unvertretbaren Sonderlast«, die Freiburg mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus Kosovo aufgebürdet werde.
Dementsprechend legte sich die Grünen-Vorsitzende des Petitionsausschusses, Beate Böhlen, auch kurz nach ihrer Rückkehr aus Kosovo in einem Interview mit »Radio Dreyeckland« darauf fest, es gebe in Kosovo »keine Diskriminierung im Sinne eines Abschiebehindernisses«. Ihr Diskriminierungsbegriff bleibt dabei seltsam eng: Zu den Kriterien gehöre »natürlich auch Folter«, und solche habe man vor Ort nicht feststellen können.
Eine Arbeitslosigkeit von über 70 Prozent und die bittere Armut von Minderheiten waren der Delegation hingegen ebenso bekannt wie die Tatsache, dass rund drei Vierteln der rückgeführten Roma-Kinder der Schulbesuch verwehrt wird und die von der kosovarischen Regierung versprochenen Sprach- und Reintegrationskurse nicht existieren. Doch Beate Böhlen erklärt nach ihren Gesprächen mit der kosovarischen Europa- und Integrationsministerin: »Die Problematik wird dort klar erkannt. Dieses Land ist auf dem Weg nach Europa.«
Es gibt noch keine offizielle Stellungnahme der Landesregierung zu künftigen Abschiebungen. Eine Wiederaufnahme während des Winters ist unwahrscheinlich. Doch die Aussage des Koalitionsvertrags, nach der »Abschiebungen in Länder, in denen die Sicherheit und Integration nicht gewährleistet werden kann«, ausgesetzt werden sollen, scheint inzwischen hinfällig.