Wie die Presse Ende Januar berichtete, findet in der JVA Würzburg ein Hungerstreik von Gefangenen gegen die inakzeptablen Haftbedingungen statt, insbesondere auch für diejenigen, welche die Justiz zu den sogenannten „Russlanddeutschen“ zählt.
Forderungen der Hungerstreikenden
Laut Presseberichten hatte am 23.01.2012 eine größere Zahl von Inhaftierten, berichtet wurde von 125, mit einem Hungerstreik begonnen. Angesichts von circa 600 Gefangenen eine erhebliche Anzahl, fast ein Viertel!
Unter anderem kämpfen sie für substantielle Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen; das fängt bei scheinbaren Kleinigkeiten wie angemessene Ausstattung der Anstaltsbetten an, geht über die an den Zellengittern noch zusätzlich montierten Fliegengitter, diese erschweren den Lichteinfall, den Blick aus der Zelle und auch den Luftaustausch), eine abwechslungsreichere Lektüre während des Arrestes (bei Verstößen innerhalb der JVA kann die Anstaltsleitung bis zu 4 Wochen „Arrest“, zu verbringen in einer kahlen Zelle, anordnen. Bislang darf man lediglich die Bibel – oder den Koran – als Lektüre mit in die Arrestzelle nehmen) und offenbar auch eine Beendigung der Diskriminierung der Gruppe der „Russlanddeutschen“ Gefangenen.
Exkurs: „Russlanddeutsche“ Gefangene, bzw. „Aussiedler“
Im Rahmen des Zuzugs von Menschen aus dem Raum ehemaliger Sowjetstaaten in die BRD stieg gerade in den 1990er-Jahren der Anteil sogenannter „Aussiedler“ unter den Inhaftierten stark an. Vielfach schon als Kinder nach Deutschland gekommen, galten sie hier, nicht selten untergebracht in ghettoartigen Siedlungen, als die „Scheiß-Russen“; wobei sie zuvor in den GUS-Staaten (z.B. Kasachstan, Ukraine, woher ein großer Teil der Betroffenen stammte) häufig als die „Scheiß-Deutschen“ galten und dort schon Diskriminierung erfuhren.
Jedenfalls bildeten sich in den Gefängnissen Gruppierungen von „Aussiedlern“, die sich nach außen durchaus abschotteten. Sie sprachen ihre eigene Sprache, verweigerten jegliche Kooperation mit der Justiz und pflegten einen eigenen Ehrenkodex. Und sie verhielten sich innerhalb ihrer Gruppierung auch solidarisch. In den meisten Anstalten gibt es jemanden von ihnen, der den „Abdschjak“ verwaltet, einen gemeinsamen „Topf“: wer neu in die Anstalt kommt, erhält so sofort Tabak, Kaffee und manches mehr, braucht sich also bei niemandem etwas zu borgen.
Wegen der Abschottung nach außen und insbesondere gegenüber der Justiz geriet diese Gruppierung von Gefangenen bald in den Fokus der Sicherheitsorgane; in vielen Bundesländern bildete man bei den Landeskriminalämtern besondere Ermittlungsgruppen, die sich dann speziell mit diesen Inhaftierten beschäftigten, da sie in den Verdacht gerieten bspw. am Drogenhandel hinter Gittern maßgeblich beteiligt zu sein.
Ferner reagierten die Gefängnisleitungen mit der Verhängung besonderer Sicherung-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen gegen jeden Gefangenen, der auch nur entfernt als „Aussiedler“ gelten könnte; selbst Geburt in der BRD und beide Eltern deutsche Staatsangehörige helfen meist nicht.
Exemplarisch kann dies in der JVA Bruchsal beobachtet werden; ein besonders strenges Regime führte Direktor REHRING (heute Oberstaatsanwalt in Karlsruhe) und nur wenig subtiler geht dessen Nachfolger Thomas MÜLLER vor. Wer als „Aussiedler“ gilt, bekommt u.a. zur Auflage Briefe ausschließlich in deutscher Sprache zu versenden und zu empfangen, darf Telefonate nur in deutscher Sprache führen, was auch für Besuche gilt. Um nur die wichtigsten Maßnahmen zu nennen. Für keine andere Personengruppe in der JVA, ob „Araber“, „Muslime“, „Türken“, „Italiener“ gilt in dieser Pauschalität ein solches Regime und wird deshalb auch von den Betroffenen als besonders diskriminierend erlebt, verstärkt damit letztlich auch noch die gruppeninterne Solidarität. Sprich die Justiz fördert mit ihren Maßnahmen den Fortbestand der von ihr doch angeblich abgelehnten Subkultur der „Aussiedler“.
Presseberichterstattung
Die Berichte in der Presse sind, wenig überraschend, ersichtlich unreflektiert und käuen die Justizsicht auf die erwähnte Gruppe der „Russlanddeutschen“ wider. Aber wenn es nur das wäre, sie machen den Kampf der Gefangenen auch lächerlich; exemplarisch sei die Überschrift aus Nordbayern zitiert: „Frankens Häftlinge hungern für weichere Kissen“.
Nicht viel besser agiert auch die Süddeutsche Zeitung, die das Klischee des angeblichen „Gruppendrucks“ innerhalb der Gruppe der Aussiedler ungeprüft übernahm und sich so letztlich als Sprachrohr des Leiters der JVA, Robert HUTTER, gerierte.
Eine kritische Reflexion und Verständnis für die Situation der Inhaftierten suchte man vergebens, bzw. sie blieb in der online-Ausgabe der SZ dann einem Leser/ einer Leserin übrig zu ergänzen, während leider die meisten der übrigen Leser(innen)kommentare das Niveau der Presse noch unterbieten.
Warum liest man nicht von den wichtigen Forderungen?
In der Presse ist von einem immerhin 15 Forderungen umfassenden Katalog die Rede; in der Berichterstattung fokussieren die Zeitungen auf „weichere Kissen“, „Hefekringel“ und ähnliche „Forderungen“; ganz offenkundig um von den dramatischen Zuständen in den Gefängnissen, insbesondere auch in der JVA Würzburg, abzulenken, wo es nämlich schon einen Hungerstreik 2011 gegeben hatte. Und um den Protest zu diffamieren und zu delegitimieren.
Würde man sich auf die desolate Situation der Gefangenen einlassen, sie würden einerseits entdämonisiert und sie würden dann zu Mitmenschen und man käme wohl nicht umhin, grundlegende Veränderungen einzufordern.
Nicht wenige Gefangene wünschen sich, dass JournalistInnen mal mit demselben Eifer recherchieren wie in der causa um den Bundespräsidenten Wulff.
Aber kein Presseorgan nimmt Notiz beispielsweise vom Sterben hinter Gittern. Ob es nun todkranke Gefangene betrifft (wie Willi, vgl. http://de.indymedia.org/2011/03/303363.shtml), wo sich Staatsanwaltschaften und Gerichte schlicht weigern ein Sterben in Freiheit und Würde zu ermöglichen (im Fall des vorgenannten Willi konnten selbst nachdrückliche Briefe und Anrufe seines Anwaltes die zuständige Richterin am Landgericht Karlsruhe bislang nicht dazu bewegen, endlich über seinen Antrag auf Haftunterbrechung zu entscheiden, fast so als wolle sie die Sache aussitzen und würde auf die sie erlösende Todesnachricht warten). Gefangene bringen sich um: Am 10.01.2012 wurde zuletzt in Bruchsals Knast ein Gefangener nach erfolgtem Suizid in seiner Zelle gefunden.
Wenn eine Gesellschaft Menschen einsperrt, dann trifft sie die Pflicht deren Menschenwürde zu wahren (einmal unterstellt, dass das Einsperren überhaupt damit zu vereinbaren ist). Indem Menschen, die letztlich mit dem eigenen Tod drohen, denn nichts anderes bedeutet ein konsequent geführter Hungerstreik in seiner letzten und tragischen Konsequenz, der Lächerlichkeit preisgegeben werden, offenbart sich darin auch ein stückweit das Fehlen von Empathie und Mitmenschlichkeit – auch und gerade gegenüber Inhaftierten.
Umso wichtiger, dass es eine zunehmende Zahl an Menschen gibt, die sich solidarisch an die Seite der Gefangenen stellen und ihre Forderungen aufgreifen. Einzelperson, aber auch Gruppierungen (z.B. http://www.abc-berlin.net).
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de
http://www.freedomforthomas.wordpress.com