[ITA] Repressionswelle gegen No TAV-Bewegung

TAV-Bewegung
Italien: landesweite Razzien gegen die No TAV-Bewegung +++ über 40 GenossInnen betroffen +++ erste Proteste gegen die Repression
Hintergrund: No TAV!

TAV (treno ad alta velocità = Hochgeschwindigkeitszug) ist die Bezeichung eines monströsen Eisenbahnprojektes, dass einmal das italienische Turin mit der französischen Stadt Lyon verbinden soll. Die geplante Strecke quert auch das malerische Val di Susa in den südwestlichen Alpen. Dagegen regt sich seit über 20 Jahren Wiederstand aus der Bevölkerung, die durch die Naturzerstörung mit dem Tourismus ihre Existenzgrundlage verlieren würden. Unterstützung erhalten sie aus der (post-)autonomen Bewegung, unter anderem AktivistInnen aus dem Centro Sociale Askatasuna in Turin beteiligen sich seit langem an den Protesten. Nachdem im Jahr 2005 der massive Widerstand (80.000 Menschen beteiligten sich an einer Großdemo in Turin; kurz darauf wurden in der „Schlacht von Vernaus“ Bauarbeiter und Polizei aus dem Tal vertrieben) zur Beendigung von Probebohrungen geführt hatte, beruhigte sich auch die Lage im Val di Susa. Im letzten Sommer wurden die Bauarbeiten jedoch wieder aufgenommen und damit regte sich auch der Widerstand von neuem. In der damaligen Situation, in der die Regierung Berlusconis in einer schweren Krise steckte, war der Widerstand des kleinen Tals in Piemont Motivation und Bezugspunkt für Linke in ganz Italien.

 

Der 3. Juli 2011

 

Die Spannung baute sich langsam auf, eine Vielzahl von Demonstrationen und Protestveranstaltungen sorgten für dauernde Aufmerksamkeit. Am 27. Juni räumte die Polizei ein Camp mit 3000 Menschen, dass in Maddalena auf dem Baugelände errichtet worden war (Video der Räumung. Am 3. Juli eskalierten daraufhin die Proteste (damaliger indymedia-Bericht): Landesweit war zu einer Demonstration mobilisiert worden. Zwei Demonstrationszüge mit zehntausenden TeilnehmerInnen setzten sich in Bewegung, um gegen das Bauprojekt zu protestieren. Teile der Demos versuchten, direkt an die Baustelle zu gelangen, die Tore einzureißen und diese erneut zu besetzen. In dem schwer überschaubaren Gelände mit großen waldigen bzw. buschigen Teilen kam es zu stundenlangen Scharmützeln mit der Polizei, die mit großer Brutalität auf die Angriffe reagierte. Polizeibeamte feuerten tausende von Tränengasgranaten, teilweise gezielt auf die Köpfe einzelner Protestierender, wodurch mehrere Menschen schwer verletzt wurden. Auch Steinwürfe von Polizisten und Misshandlungen von Verhafteten sind dokumentiert. Auch nach diesem Tag kam und kommt es immer wieder zu Protesten, die Fahnen der No TAV-Bewegung sind weiterhin Symbol des Widerstands und bei Demos überall in Italien zu sehen. Dennoch beruhigte sich die Lage über den heißen Sommer, in dem sich Italien kollektiv im Urlaub befindet.(Videos: Angriff auf die Baustelle, Polizei feuert Tränengas gezielt auf Menschen, Verletzter Protestierer, einen Überblick über die Geschehnisse bieten die Links von labournet)

 

Die aktuelle Verhaftungswelle

 

Die Reaktion ließ lange auf sich warten, schlug dafür jedoch umso härter zu: Am gestrigen 26. Januar wurden im Morgengrauen landesweit koordinierte Razzien in Centri und Privatwohnungen durchgeführt. So sollten angeblich an den Auseinandersetzungen vom 3. Juli Beteiligte festgenommen werden, da sonst Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehe. Insgesamt sind über 40 GenossInnen sowohl im Val di Susa als auch in Mailand, Turin, Genua, Rom, Padua und einer Vielzahl weiterer Städte betroffen. Einige sind alte Bekannte der Proteste, andere bisher nicht öffentlich in Erscheinung getreten. Die Repression ist offensichtlich medienwirksam inszeniert und kommt zu einem Zeitpunkt, in dem Streiks weite Teile Italiens (insbesondere im Süden, wo Sizilien in der letzten Woche von einer veritablen Sozialrevolte lahmgelegt wurde. Dort blockierten LKW-Fahrer, BäuerInnen, FischerInnen zusammen mit Studis, SchülerInnen und AktivistInnen fünf Tage lang Häfen, Straßen und eine Raffinerie) treffen und vieles auf einen neuen Aufschwung der Sozialproteste gegen die neoliberale Monti-Regierung hindeutet.

 

Reaktionen auf die Repression

 

Die Medien greifen die offenkundig politisch motivierte Repression bereitwillig auf und beteiligen sich an der Verleumdung und Vorverurteilung der AktivistInnen. Selbst die linksliberale „repubblica“ veröffentlichte detaillierte Informationen wie vollständige Namen, Fotos sowie die Wohn- und Arbeitsorte einiger Betroffener. Heute erschien außerdem ein ausführlicher Bericht über die Verwicklung von „Extremisten“ in die Proteste des vergangenen Sommers.

 

Gegen die staatliche Repression und die Berichterstattung gab es jedoch auch schon eine Vielzahl spontaner Solidaritätsaktionen: Durch das Val di Susa zog gestern eine schnell mobilisierte. Auch in Turin waren spontan 500 DemonstrantInnen (Zeitungsangabe) auf der Straße, die gestern Abend das Stadtzentrum lahmlegten. In Mailand zog eine Gruppe vor das Gefängnis, in dem die GenossInnen gefangen gehalten werden, um ihnen mit Musik und Feuerwerk solidarische Grüße zu übermitteln. In Genua begab sich eine Gruppe auf den zentralen Platz der Stadt, um dort mit Flugblättern, Reden und Transparenten auf die Verwicklungen von Staat und mafiösen Bauunternehmen hinzuweisen und die Freilassung der Gefangengen zu fordern.

Für morgen, Samstag den 28. Januar wird zu einer großen Antirepressionsdemo in Turin aufgerufen.

 

Liberi tutti, libere tutte, liber* subito!
Freiheit für alle, Freiheit sofort!
Für 10, 100, 1000 Val di Susas überall!
Hoch die internationale Solidarität!

 

Ergänzungen erwünscht!