Die Regierung mag nicht ablassen von dem Dogma, Rechts- und Linksextreme seien das gleiche Problem unterschiedlicher Ausprägung. Das ist gefährlich. Kommentar
Sollte man jemanden ablehnen, weil er linksextrem denkt? Kommt darauf an. Akzeptiert er Gewalt? Schwebt ihm eine autoritäre Führung vor? Dann ja. Oder besteht sein Linksextremismus darin, gesellschaftliche Güter – Geld, Bodenschätze, Arbeitskraft – radikal umverteilen zu wollen? Dann ist er vielleicht ein Dogmatiker, vielleicht ein Träumer. Jedenfalls ist er weder menschenverachtend noch gefährlich für andere.
Sollte man jemanden ablehnen, der rechtsextrem denkt? In jedem Fall. Neonazis (dis-)qualifizieren Menschen vor allem nach angeborenen Merkmalen: Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht. Deshalb ist ihre Weltsicht selbst dann menschenverachtend, wenn sie gewaltfrei auftreten.
Schon dieser Unterschied wäre Grund genug, Rechts- und Linksextremisten nicht in denselben Karton zu packen, wie es die Bundesregierung in einer Erklärung gerade wieder getan hat. Man kann aber auch die reinen Zahlen hernehmen – Neonazis sind nicht nur in der Theorie brutaler. Knapp 150 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Einheit zählten ZEIT ONLINE und der Tagesspiegel. Dem steht ein linksextremer Mord gegenüber – verübt von der mittlerweile aufgelösten RAF.
Schröders Linken-Feindseligkeit
Familienministerin Kristina Schröder (CDU) kämpft schon lange für die Gleichsetzung von rechts- und linksextrem, Neonazis scheint sie vor allem für überschätzt zu halten. Rassismus, prangerte sie vor einiger Zeit an, werde immer häufiger von Migranten gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft ausgeübt. Antisemitismus sei ein großes Problem der Linkspartei. Und Linksextremisten müsse man schon am Rand der SPD fürchten. Der sichtbarste Ausdruck dieser altherrenrechten Haltung war die von ihr eingeführte Extremismusklausel.
Initiativen gegen Rechtsextremismus müssen seit einiger Zeit ihre Kooperationspartner eine Unterschrift auf das Grundgesetz leisten lassen – obwohl zahlreiche Wissenschaftler und Initiativen in einem offenen Brief warnten, die Arbeit gegen Neonazis werde diskreditiert und gefährdet. Selbst das Familienministerium hat bei der Einführung der Klausel keinen Fall benennen können, in dem Verfassungsfeinde staatliche Gelder erhalten haben.
Dass der Kampf gegen die Neonazis auf diese Weise operativ geschwächt wird, ist noch das kleinere Problem. Viel schlimmer ist, dass Schröder in ihrer Partei keine Außenseiterin ist. Selbst Angela Merkel bekennt sich zur Totalitarismustheorie "Rechtsextrem gleich Linksextrem". Sie wird wissen, dass in dem Thema eine der letzten konservativen Überzeugungen verborgen liegt.
Man kann sich diese Denkschablone wie ein nach oben geöffnetes Hufeisen vorstellen: Unten die gemäßigte Mitte; an den Rändern, gleichweit von der Mitte entfernt, Rechts- und Linksextreme.
Ein alter westdeutscher Kampf um die Deutungshoheit
Spielend leicht gerät in diesem Bild die besondere Bedrohung durch den Rechtsextremismus in den Hintergrund. Die unterschiedslose Ablehnung von ganzen Menschengruppen – nicht aus politischen oder sozialen Gründen, sondern wegen angeborener Merkmale – ist eine einzigartige, konzeptionelle Brutalität. Und sie birgt große Gefahren.
Um eine ethnische Fragmentierung des Landes zu erreichen, brauchen Nazis nicht unbedingt Mehrheiten bei den Wahlen. Es reichen kleine Gruppen, die den Hass säen und eine Mitte, die gleichmütig reagiert. Man kann die Effektivität dieses Konzeptes gut an den ländlichen Räumen Ostdeutschlands ablesen.
Konservative Medien, Wissenschaftler und Politiker aber führen hier einen alten westdeutschen Kampf. Ihre Lesart lautet: Rot-Grüne 68er dominieren die öffentlichen Debatten, sie wollen den Patriotismus und den Konservatismus im Kampf gegen Rechts gleich mitentsorgen. Deswegen ist es für dieses Milieu eine hochpolitische Frage, ob Linksextreme im gleichen Atemzug wie die Neonazis genannt werden.
Dieses paranoide Paradigma macht Fehlgriffe wie in Sachsen erst möglich, wo der Streit um die Extremismusklausel dazu führte, dass die Staatsregierung einen eigenen Zivilcourage-Preis auslobte, der den Widerstand gegen die Neonazis nicht mehr als ehrungswürdig bezeichnet. Wo Schwarz-Gelb gemeinsam mit der NPD dem Fraktionschef der Linken die Immunität entzog, weil er einen Naziaufmarsch mitblockiert haben soll. Wo die Behörden mit großem Eifer gegen die angeblich drohende linke Gefahr vorgehen, während Neonazis das Land jahrelang ungestört als organisatorische Basis nutzen konnten.
Die Union sollte sich den Begriff Extremismus verbieten. Natürlich muss verfolgt werden, wer Gewalt einsetzt. Doch wer nicht zwischen Rechts- und Linksextremisten unterscheidet, merkt auch nicht, wenn ganze Landstriche in die Hand von Neonazis geraten. Er verliert auch den Blick dafür, welche Form der Dissidenz sich in der Bevölkerung ausbreitet.
Von Jahr zu Jahr glauben weniger Menschen daran, dass Demokratie und Marktwirtschaft ihre Probleme lösen können. Es ist ein Unterschied, ob die Bürger darauf mit der Forderung nach Umverteilung reagieren oder sich rassistische Feindbilder suchen. Wer das misst wie Schröder, kann nur feststellen, dass ein großer Teil der Deutschen bereits jetzt unter latenten Extremismusverdacht gehört.