Nazis morden, der Staat(sschutz) hilft !

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Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter.

Die genannten Menschen wurden zwischen 2000 und 2007 von der überregional agierenden klandestin-bewaffneten Gruppierung “Nationalsozialistischer Untergrund” ermordet. Dies wurde erst vor einer Woche bekannt, nachdem zwei der bislang drei bekannten TäterInnen, der 38-jährige Uwe Mundlos und der 34-jährige Uwe Bönhardt, im westthüringischen Eisenach Selbstmord begingen. Das dritte Mitglied der Gruppe, Beate Zschäpe, 36 Jahre alt, wurde festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

 

Ihr wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB vorgeworfen. Auch Holger Gerlach, der dem Nazi-Trio logistische Hilfe zur Verfügung stellte, sitzt mittlerweile in U-Haft. Gemeinsam haben die vier Neonazis, die seit mindestens Mitte der 90er Jahre in der thüringer rechten Szene aktiv waren, sich in der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ organisiert. Bei den Tatortuntersuchungen fanden die Ermittler_innen neben der Dienstwaffe einer 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin auch eine Pistole, die von 2000 bis 2006 bei insgesamt 9 Morden an Menschen mit migrantischem Hintergrund benutzt wurde. Im Zuge der Aufklärung der Morde hatte die Polizei nie in Richtung einer rassistischen Motivation ermittelt, sondern stattdessen versucht, die Opfer als Teil von kriminellen Machenschaften zu diffamieren. Bedenken und Hinweise von Hinterbliebenen der Opfer auf einen rechten Hintergrund ignorierten die Beamt_innen. Diese beschränkte Sichtweise zeigte sich auch in der Namensgebung der SOKO „Bosporus“ und der medialen Bezeichung als so genannte „Dönermorde“.

 

Entgegen der allgemeinen Empörung, die diese Mordserie als eine neue Form von rechtsterroristischer Gewalt und Organisierung darstellte, zieht sich die Spur rechter Morde seit 1945 wie ein brauner Faden durch die Geschichte der BRD. Hier nur einige Morde aus Baden-Württemberg:

 

Martin Katschker (29. August 1970 / Konstanz)

Nach wochenlanger Hetze gegen Gammler und Asoziale seiten des damaligen Bürgermeisters, des Südkuriers und der NPD Stadtratsfraktion, wird der Jugendliche Hippie Martin Katschker von dem offensichtlich alkoholisierte, 38-jährige Druckereihilfsarbeiter Hans Obser mit einem "Hasentöter" aus nächster Nähe erschossen.

 

Agostinho Comboio (16. Juni 1991 / Friedrichshafen)

In der Nacht zum 16. Juni 1991 wurde Comboio im Alter von 34 Jahren vor einer Kneipe in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) von einem Neonazi verprügelt und erstochen. Laut dem Landgericht Ravensburg wurde der Täter nach dem Verbrechen in der rechten Szene als "Held von Friedrichshafen" gefeiert. Er wurde wegen Totschlags zu fünf Jahren Haft verurteilt.

 

Sadri Berisha (8. Juli 1992 / Ostfildern-Kemnat)

In der Nacht des 8. Juli 1992 drangen 4 Naziskinheads in eine offenstehende Arbeiterunterkunft in Ostfildern-Kemnat (Baden-Württemberg) ein. Mit einem Baseballschläger schlugen sie auf den aus Albanien stammenden Berisha und einen Kollegen ein. Berisha starb, sein Kollege überlebte schwererletzt.

 

Werner Weickum (19. Juli 1996 Eppingen)

Der 44-jährige Elektriker Werner Weickum wird am 19. Juli 1996 am Bahnhof von Eppingen (Baden-Württemberg) von einer rechtsgerichteten Jugendbande überfallen, ausgeraubt und zu Tode geprügelt.

 

Arthur Lampel (9. September 2001 Bräunlingen)

Dem aus Russland stammenden Aussiedler wurde am 9. September bei einem Fest in Bräunlingen (Baden-Württemberg) von einem Naziskinhead ein Weizenbierglas auf den Kopf geschlagen. Ein Splitter drang in die Halsschlagader ein, woran Arthur Lampel verblutete.

 

Viktor Filimonov, Aleksander S. , Waldemar I. (20. Dezember 2003 Heidenheim)

Die drei jugendlichen Spätaussiedler wurden am 20. Dezember 2003 von einem Naziskinhead in Heidenheim (Baden-Württemberg) vor einer Diskothek erstochen.

 

Tim Maier (26. November 2005 Bad Buchau)

Maier wurde am 26. November 2005 in Bad Buchau (Baden-Württemberg) von einem Neonazi erstochen. Als er mit Freunden ausländischer Herkunft ein Lokal verließ, wurde die Gruppe von dem ehemaligen NPD-Mitglied Achim M. und einem weiteren Rechtsextremisten verfolgt. Nach rassistischen Parolen kam es zu einer Rangelei, bei der Achim M. Maier ein Messer in den Bauch stieß.


Die Antonio-Amadeu-Stiftung zählt mindestens 182 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990, die Bundesregierung kommt im Zeitraum bis September 2011 lediglich auf 47. Das liegt vor allem daran, dass staatliche Stellen rassistische und rechte Tatmotive übersehen oder schlicht ignorieren. Es liegt an zivilgesellschaftlichen Initiativen, darauf aufmerksam zu machen. Doch während zumindest der thüringische Verfassungsschutz bei der Mordserie offensichtlich weggeschaut haben muss, sind die Verfassungsschutzämter ganz vorne mit dabei, gegen antifaschistische und antirassistische Initiativen zu hetzen.

 

 

Rechts = Links ? Zur Extremismustheorie


Die vom Verfassungsschutz und der bürgerlichen Rechten vertretene Extremismustheorie geht davon aus, dass es eine gute demokratische Mitte gibt, welche gegen ihre extremistischen Ränder von rechts wie von links verteidigt werden muss. Dabei werden linksradikale Antifa Gruppen, welche vielerorts eine effektive Arbeit gegen Neonazis leisten und sich für eine Gesellschaft frei von jeglichen Unterdrückungsmechanismen einsetzen mit rassistischen und menschenfeindlichen Nazigruppen gleichgesetzt. Aufgrund dieser Gleichsetzung sehen sich antifaschistische Initativen mit massiver staatlicher Repression konfrontiert und werden durch "Extremismusklauseln" oder §129-Verfahren wegen Massenblockaden kriminalisiert.

 

Ein oft angeführtes Argument um diese Gleichsetzung rechtzufertigen lautet, dass beide Seiten zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele Gewalt als mögliche Option in Betracht ziehen. Die Frage ob Militanz oder der Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung der politischen Ziele mögliche Optionen für eine antifaschistische Bewegung sein können, wurde lange und sehr kontrovers diskutiert. Und es gibt bis zum heutigen Tag etliche Meinungen zu dieser Frage. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass „Gewalt und Militanz von Linken“ in der Regel eine symbolische Funktion und nur in wenigen Ausnahmen auch körperliche Schäden zur Folge hat. Die entscheidende Unterscheidung zwischen neonazistischer und antifaschistischer Gewalt ist, dass sie für erstere konstitutiv, also notwendiger Bestandteil der menschenverachtenden Ideologie ist und sich auch in fast allen Fällen gegen Menschen oder deren Freiheiten richtet. Gewalt von Antifaschist_ innen gegen Menschen ist sozusagen die letzte mögliche Alternative und bedarf immer einer genauen Analyse des Ziels und der Wirkungen der Aktion. So kann eine physisch einschüchternde Aktion gegen einen bekannten Nazi durchaus spürbare positive Effekte für das Wohngebiet haben. Gewalt gegen Neonazis sollte aber nie als Selbstzweck oder aus Menschenverachtung stattfinden, sondern an die Verfolgung konkreter politische Ziele gebunden sein.



Wurzeln faschistischer Ideologie


Neonazistische Ideologieelemente entstehen nicht aus dem Nichts oder an einem von der Gesellschaft abgeschotteten "Rechten Rand". Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft.

 

Tagtäglich finden in Deutschland Abschiebungen von "illegalen" Migranten statt, die die Forderung der Nazis "Ausländer raus!" praktisch umsetzen. Zudem häufen sich rassistische Äußerungen von Vertreter_innen des Staates, die immer wieder ideologische Elemente der Nazis aufgreifen und dabei gleichzeitig zu wirkungsvollen Stichwortgeber_innen der Nazis werden. So z.B. im Spätsommer letzten Jahres, als Thilo Sarrazin (SPD), Ex-Finanzsenator von Berlin, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ein Medienspektakel provozierte. Rassismus, im speziellen antimuslimischer Rassismus, wurde im Verlauf der Debatte vielfach als legitime Meinung dargestellt. Die von Massenmedien ständig angefeuerte Hetze gegen „integrationsunwillige Ausländer“ ist bis heute nicht abgerissen. Im Fahrwasser solch rassistischer Kampagnen können sich Nazis allzu leicht als VollstreckerInnen des „Volkswillens“ aufspielen.

 

Angesichts des Versagens des Verfassungsschutz stellt sich die Frage, ob die zuständigen Ermittlungsbehörden die lebensbedrohliche Gefahr durch Neonazis aus politischen Gründen nicht sehen wollten – weil nicht sein kann, was nicht sein darf: dass ihre Gesellschaft Menschen hervorbringt, die voller Hass auf „Ausländer“ und Juden sind und vor nichts zurückschrecken; dass die herrschende Politik durch rechtspopulistische Diskurse wie die “Leitkultur”-Debatte im Jahr 2000 oder eben die Sarrazin-Diskussion 2010 den latenten Rassimus befeuert, der in der bürgerlichen Gesellschaft stets vorhanden ist; dass Neonazis in ihrem menschenverachtendem Treiben bestärkt werden, während Antifaschismus kriminalisiert wird. Mit diesem Vorgehen wird Nazis willentlich und unwillentlich in die Karten gespielt.



Rolle des Verfassungsschutz ?


Dass Menschen in der BRD untertauchen können, ohne dass die Behörden oder die Nachbarschaft davon etwas mitbekommt, ist so gut wie unmöglich. Der deutsche Staat verfügt über die modernsten und mit am Besten miteinander verknüpften Exekutivinstitutionen der Welt: Wer nicht ins Ausland flieht, den kriegen die deutschen Polizist_innen früher oder später – wenn sie es nur wollen. Damit kommen wir zur Rolle des Verfassungsschutzes. Dessen V-Mann, Tino Brandt, war bis 2001 Chef des „Thüringer Heimatschutzes“ und enger Kamerad von Zschäpe und Co. Dass deren Untertauchen ebenso wie die Mord- und Anschlagsserie der darauf folgenden Jahre vom Verfassungsschutz und den anderen staatlichen Behörden, die bereits Jahre an den späteren MörderInnen dran waren, unbemerkt blieb, ist mehr als unwahrscheinlich. Ungeklärt ist bislang auch der Fund von sogenannten „legalen illegalen Papieren“ bei den Neonazis. Es scheint so, als ob die Nazi-MörderInnen vom Verfassungsschutz unterstützt wurden. An mehr als der Hälfte der Tatorte befand sich nachweislich unmittelbar vor oder nach den Morden desweiteren ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes. Dessen Rolle ist bislang ebenfalls unklar und wird es vermutlich auch bleiben.

 

Wir können, dürfen und werden uns im Kampf gegen Nazis und andere reaktionäre Strukturen nicht auf staatliche Behörden verlassen. Stattdessen gilt es, die Verwicklungen der Verfassungsschutzämter und deren Praxis, die von Desinteresse, Duldung bis – wie in Thüringen – zur Unterstützung neonazistischer Mörderbanden reicht, aufzuzeigen. Antifaschistische und antirassistische Arbeit kann nicht mit, sondern nur gegen den Inlandsgeheimdienst wirkungsvoll organisiert werden. Der deutsche Staat ist kein Verbündeter im Kampf gegen die Neonazis, das steht für uns auch unabhängig der unglaublichen Vorfälle fest.

 

Sosehr wir es auch begrüßen wenn sich nun die Konstanzer Zivilgesellschaft unter Führung der Jusos gegen rechte Gewalt und Neonazismus positionieren, so klar muss aber auch sein, dass es gerade auch die Politik der SPD und der Grünen war und ist, welche ein Klima fördert, in dem rassistisches Gedankengut entstehen kann.

 

 

Werdet aktiv gegen Neonazis und die Verhältnisse, die diese hervorbringen, tolerieren, bestärken !


Kampf den Nazis ! Kampf dem Staat ! Für einen autonomen Antifaschismus !


Hinein in den Antifa-Block ! 24.11 / 17 Uhr / Uni Haupteingang