Anti-Banken-Protest: Liebe Autonome, wo bleibt der Aufstand?

Jan Fleischhauer
Erstveröffentlicht: 
17.10.2011

Von Jan Fleischhauer

 

Alle reden vom Protest gegen den Kapitalismus - nur in Deutschland kommt die neue linke Widerstandsbewegung nicht in die Gänge. Ein Problem des linken Aufbegehrens ist sein eklatanter Mangel an Originalität.

 

Es hilft nichts, man muss es einmal sagen: Auch der Linksextremismus war in Deutschland schon in besserer Verfassung. Was ist das für ein Kinderkram, Plastikflaschen mit Benzin zu füllen und neben das Bahngleis zu stellen, anstatt sie wie jeder vernünftige Mensch zum nächsten Supermarkt zu tragen? Gut, bei Leuten mit empfindlich eingestelltem Moralpegel macht auch das Eindruck, wie man lesen konnte.

 

Während man sich rechts der Mitte schon vor einer neuen RAF fürchtet, sieht man auf der Linken in den Flaschen die Vorboten eines neuen revolutionären Bewusstseins.

 

Eine "stilistisch gelungene Abhandlung" über das Leiden am Kapitalismus erkannte die "taz" pflichtschuldig in dem zugehörigen Bekennerschreiben. Jakob Augstein zog in seiner Kolumne die Linie von den Brandsätzen, die nicht richtig brennen wollten, zum "kommenden Aufstand", diesem Manifest des angekündigten Widerstands, das immer herhalten muss, wenn in einer europäischen Großstadt ein paar Jugendliche über die Stränge schlagen.

 

Zunächst einmal scheinen die Berliner Pyromanen ihre Nase jedenfalls viel zu tief in die gängige Miriam-Meckel-Betroffenheitsliteratur gesteckt zu haben. Wenn man ihren im Netz abgelegten Selbstbezichtigungstext richtig versteht, wollten sie mit ihrer Aktion ein Zeichen gegen "Leistungsdruck und Arbeitszwang" setzen, unter dem jeden Tag in Deutschland Menschen "zerbrechen". "Wir haben diese Metropole in einem bescheidenen Umfang in den Pausenmodus umgeschaltet", heißt es in dem Brandschreiben. "Die Stadt hält den Atem an, verlangsamt ihr Tempo, vielleicht hält sie inne. Entschleunigung." Das hätte Frau Meckel auch nicht schöner sagen können, womit die Autoren als erste Anti-Burnout-Terroristen in die Geschichte eingehen werden. Irgendwie ging es dann auch noch um die Soldaten in Afghanistan, den Hunger in Somalia und natürlich die Finanzkrise. Die darf ja im Augenblick nicht fehlen, wenn man sich kritisch äußert. Was immer man von der RAF halten will: So einen Sentimental-Quatsch hat sie ihren Anhängern erspart. Aber auch Autonome sind Kinder ihrer Zeit. Inzwischen ermittelt ja schon der Staatsanwalt wegen fahrlässiger Körperverletzung, wenn im Sommer die Klimaanlage im Zug ausfällt. Kein Wunder also, dass heute im linksradikalen Lager eine reguläre 38-Stunden-Woche Grund genug ist, sich wieder mit dem Bau von Zeitzündern zu beschäftigen.

 

Eklatanter Mangel an Originalität


Große Hoffnung setzen jetzt alle, die den Aufstand herbeisehnen, auf den Anti-Banken-Protest, das soll der gerechten Sache endlich Auftrieb geben. Der Start war hierzulande nicht ganz so vielversprechend, wie sich die Organisatoren das gewünscht hatten. 5000 in Frankfurt, ein paar mehr oder weniger in Berlin beim Marsch auf das Kanzleramt. Aber dafür kann sich die Liste der Sympathisanten sehen lassen. Wie es scheint, hat sich auch in der Politik übers Wochenende eine große Empörungskoalition gegen die Finanzwelt zusammengefunden, die von der bekannten Globalisierungskritikerin Gerda Hasselfeldt bis zum Grünen-Anführer Cem Özdemir reicht.

 

Ein Problem des linken Protests ist sein eklatanter Mangel an Originalität. Schon die Annahme, dass der Steuerzahler nun ein weiteres Mal für das verantwortungslose Treiben an den Finanzmärkten geradesteht, hält einer näheren Betrachtung kaum stand. An dieser Krise sind nicht die Banken schuld - es sei denn, man will ihnen zum Vorwurf machen, dass sie sich über Jahre auf die Zusicherung der Politik verlassen haben, dass für die von ihr in Umlauf gebrachten Staatsanleihen kein Ausfallrisiko besteht. Nun ist zur großen Überraschung aller europäischen Institutionen doch der Schadensfall eingetreten, und weil es keine Aussicht gibt, dass die Verantwortlichen die von ihnen verschuldeten Probleme ohne Schuldenerlass in den Griff bekommen, sollen die Banken jetzt auf einen Teil ihrer rechtmäßig verbrieften Titel verzichten. Tatsächlich muss der Steuerzahler also für die Ausfälle eintreten, die seine Regierungen gerade den Gläubigern zumuten, aber so erklärt es ihm selbstverständlich niemand.

 

Man wäre fraglos mehr beeindruckt, wenn den Vorhaltungen zur Finanzwirtschaft eine Analyse vorausgehen würde, die einen Gedanken enthielte, der nicht schon bei jedem Anti-Globalisierungsgipfel rauf- und runtergebetet wurde. Aber alles, was sich in den Erklärungen zur aktuellen Krise findet, sind Grundsatzreden gegen den "Raubtierkapitalismus", also ziemlich genau das, was sich in zwei, drei Tagen ohne tiefere Kenntnis der Materie zusammenschreiben lässt. Das letzte Mal, dass die Linke in der Lage war, mit den Akteuren auf Augenhöhe zu debattieren, war beim Kampf gegen die Atomkraft; von der Mühe, die sich die Kritiker damals gemacht haben, zehrt die grüne Bewegung noch heute. So gründen die meisten Vorbehalte auf Ressentiment, nicht auf Überlegung. Das macht sie nicht notwendigerweise falsch, aber untauglich für die Arbeit an einer neuen Weltfinanzordnung, wie sie jetzt allenthalben angemahnt wird.

 

Immerhin, ein Fortschritt ist von der revolutionären Front zu vermelden: Die Zeichensetzung hat sich stark verbessert. Die Vorreiter des bewaffneten Kampfes standen bekanntlich nicht nur mit dem System, sondern auch mit dessen Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Das ist jetzt dank der Prüfprogramme, die jede Textverarbeitung automatisch anbietet, anders. Diesen Erfolg des Systems müssten eigentlich auch die Carpe-diem-Autonomen anerkennen.