Was in Deutschland undenkbar wäre, gehört in Frankreich zur politischen Sprache. Zahlreiche französische Arbeitsagenturangestellte verweigern Sanktionen gegenüber Erwerbslosen, sprechen sich gegen die sogenannte Sippenhaft aus und zeigen sich solidarisch mit Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Obwohl zahlreiche Sachbearbeiter in den Hartz IV Behörden in Deutschland selbst unter einem ständigem Druck arbeiten müssen, teilweise mit Zeitverträgen ausgestattet sind und vielmals unter den Arbeitsbedingungen leiden, käme für die meisten Jobcenter-Mitarbeiter ein Solidarisierung mit den Betroffenen nicht in Frage. Zu groß ist die ideologische Verblendung im „Sinne des Steuerzahlers“ Erwerbslose zu schikanieren, obwohl das Grundgesetz und die Menschenwürde in vielen Punkten in Deutschland offensichtlich mit Füßen getreten wird. Würde das Grundgesetz beachtet werden, würde die freie Berufswahl, die freie Wahl des Wohnortes und die Würde eines jeden Hilfesuchenden und der Angehörigen beachtet werden. In Frankreich herrschen teilweise ähnliche Sozialgesetze, die ebenfalls darauf abzielen, Arbeitslose mit Sanktionen und Schikanen zu drangsalieren.
Die Gewerkschaften in Deutschland begnügen sich allerdings damit, hier und da einmal Hartz IV zu kritisieren. Tatsächliche Aktionen oder Streiks finden in den Erklärungen der gewerkschaftlichen Organisationen keinen Widerhall. Die Gewerkschaftsfunktionäre und Jobcenter-Mitarbeiter könnten von den Französischen Kollegen einiges lernen, damit die Würde des Menschen auch in den Behörden endlich Einzug hält. Hier nun die Erklärung zur beruflichen und bürgerlichen Ethik von Sud ANPE (Gewerkschaft in der Agentur für Arbeit)
„Unsere Aufgabe ist es vor allem, den Arbeitsuchenden zu helfen, eine Beschäftigung zu finden und das erwarten die Arbeitsuchenden von uns. Aber es gibt einfach keine Arbeit für alle. Die Zunahme von Gesprächen, die ständigen Aufforderungen zum Besuch der Agentur werden keine Arbeit schaffen, sondern erhöhen nur das Risiko für die Arbeitsuchenden, gezwungen, schikaniert und abgestraft zu werden. Wir, die Beschäftigten der ANPE, erklären, dass wir auf keine Weise Menschen schaden wollen, die schon durch den Verlust der Beschäftigung und des Einkommens verletzt sind.
Wir verweigern uns, sie auszugrenzen und wir werden keine Streichungen mehr durchführen, ohne vorher die moralischen und menschlichen Folgen mit zu beachten. Wir schlagen Angebote vor, wir zwingen aber Angebote nicht auf. Wir werden die Arbeitsuchenden nicht zwangsweise in kleine Kästen stecken. Wir erpressen sie auch nicht mit Streichung.
Wir verweigern uns auch, der Wut der Arbeitsuchenden ausgesetzt zu werden. Wir verweigern uns, eine soziale Polizei zu sein, angewiesen zur Unterdrückung, anstatt als öffentlicher Ratgeber für Beschäftigung agieren zu können. Weder Arbeitsuchende noch Beschäftigte der ANPE sind verantwortlich für den Zustand des Arbeitsmarktes und für die wachsende Prekarisierung. Wir sind mit den Arbeitsuchenden solidarisch. Wir weigern uns, falsche Zahlen, unlautere Angebote und leere Unterhaltungen zu produzieren und wir werden unsere beruflichen Praktiken dazu einsetzen, den Nutzern unserer Dienste zu helfen, im vollen Respekt ihrer bürgerlichen Rechte.” (sb)