Flüchtlinge auf Lampedusa: Italien zeigt sein hässliches Gesicht

Erstveröffentlicht: 
10.10.2011

Die Lage der Flüchtlinge auf Italiens Mittelmeerinsel Lampedusa ist prekär - und sie könnte noch schlimmer werden. Denn nach dem Brand eines Erstaufnahmelagers soll kein neues errichtet werden. Unklar ist zudem, ob Bootsflüchtlinge in Zukunft überhaupt noch in Lampedusa an Land dürfen.

 

In Sachen Flüchtlingspolitik vermittelt Italien momentan zwei Eindrücke: Das Land zeigt erstens sein hässliches Gesicht und demonstriert zweitens seine Unfähigkeit. Das ist, kurz gesagt, das Fazit von Marco Paciotti, dem zuständigen Koordinator für Immigration bei der demokratischen Partei Italiens. Drei Wochen ist es her, dass das Erstaufnahmelager auf der Insel Lampedusa abgebrannt ist. Italiens Regierung beschloss daraufhin kurzerhand, Lampedusa zum nicht sicheren Hafen zu erklären und die Insel quasi für Flüchtlinge zu schließen.

Ein politischer Deal und ein Machtspielchen der Regierung sei das, sagt Marco Paciotti: "Das Versprechen, das die Regierung dem Bürgermeister der Insel gemacht hat, ist wohl, dass es auf Lampedusa keine Erstaufnahmelager mehr geben soll. Ich fürchte aber, dass das ein weiteres von vielen Versprechen dieser Regierung ist, das nicht eingehalten wird." Lampedusa liege so nahe an Afrika, dass es ein natürlicher Zufluchtsort für diejenigen sei, die vor Krieg, Armut und Hunger fliehen. "Die Flüchtlinge werden natürlich trotzdem in Lampedusa landen", so Paciotti, "und es wäre nur recht und billig, sie dort anständig zu behandeln und zu versorgen."

 

UN-Sprecherin befürchtet Tote

Das sieht auch Laura Boldrini so, die Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissariats. Sie weist auf die schwerwiegenden Auswirkungen hin, die diese Entscheidung hat, und befürchtet sogar, dass es deswegen Tote geben könnte. Denn künftig - so zumindest der Plan - läuft die Seenotrettung von Sizilien aus, das etwa 200 Kilometer weiter nördlich, sprich: für die Retter mindestens sieben Stunden weiter entfernt liegt.

"Die größere Entfernung bedeutet auch, dass es weniger Rettungsmittel geben wird", erklärt Boldrini. "Wenn mehr als ein Boot in Schwierigkeiten ist und die Schnellboote gerade die Insassen von einem anderen Boot nach Porto Empedocle auf Sizilien bringen, dann muss man die anderen ihrem Schicksal überlassen. Für die Sicherheit ist so etwas wirklich eine grundlegende Entscheidung."
Viele offene Fragen

Unabhängig davon ist vollkommen unklar, was passiert, wenn - wie schon oft geschehen - ein Flüchtlingsboot ohne Hilfe der Küstenwache in Lampedusa ankommt: "Diese Anweisung des Verkehrsministers ist nicht genau ausgeführt. Es heißt nur, Lampedusa sei kein sicherer Hafen für die Seenotrettung. Wenn also ein Flüchtlingsboot auf der Insel landet, was passiert dann? Sagt man denen, sie sollen noch sieben Stunden weiterfahren - mit all den damit verbundenen Risiken und Gefahren?"

Wenn ein Bahnhof abbrennt, lässt man die Reisenden doch auch nicht 100 Kilometer weiter aussteigen, sagt Boldrini. Sie fordert, dass das Lager schnellstmöglich wieder aufgebaut wird. Außerdem sagt sie, war klar, dass so etwas passieren kann. 2009 gab es nämlich wegen der exakt gleichen Probleme schon einmal einen Aufstand und einen Großbrand im Flüchtlingslager. Auch damals war dieses über Wochen überfüllt - mit Tunesiern, die abgeschoben werden sollten. Irgendwann eskalierte die Situation, die Häftlinge zündeten Matratzen an, mehrere Gebäude brannten nieder.

 

Schwere Vorwürfe gegen Italiens Regierung

Auch deswegen äußert die UNHCR-Sprecherin extrem schwere und selten deutliche Vorwürfe in Richtung italienische Regierung: "Der UN-Flüchtlingshochkommissar hat eine Woche vor dem Lagerbrand eine Pressemitteilung herausgegeben, nachdem er zahlreiche Briefe an die italienischen Behörden geschrieben hatte. Darin hat er davor gewarnt, dass die Spannung im Aufnahmelager immer weiter zunimmt, dass die Stimmung sehr schlecht ist, dass es Menschen gibt, die sich selbst verletzt haben, dass es andauernd Fluchtversuche und Hungerstreiks gibt, und dass man diese Migranten so schnell wie möglich in andere Lager verlegen sollte - bevor es zu spät ist." Aber passiert sei nichts, so Boldrini. Man halte 1200 Tunesier in einem Lager eingesperrt, in dem nur 850 Menschen Platz hätten. Sie seien behandelt worden wie in einem Abschiebelager - das habe dann zu dem Brand und den Auseinandersetzungen mit der Polizei geführt. Nur wäre all das vermeidbar gewesen.

Als Reaktion auf die Warnung des UNHCR hat übrigens eine Staatssekretärin noch kurz vor dem Brand - und nach einem Besuch auf Lampedusa - erklärt, es sei alles in bester Ordnung, und es gebe keine Probleme. Paciotti erinnert hingegen daran, wie Minister der italienischen Regierung im Frühjahr auf Kosten der Bootsflüchtlinge versucht haben Stimmung zu machen: "Ich weiß noch, wie Innenminister Maroni vom Exodus in biblischen Ausmassen gesprochen hat. Verteidigungsminister La Russa sprach von Hunderttausenden von Menschen, die die italienischen Küsten überschwemmen würden. All das musste dann Innenminister Maroni selbst zurücknehmen. Denn im August hat er bekanntgegeben, dass nur 56.000 Menschen übers Meer gekommen sind - jetzt sind es vielleicht 60.000."

 

Überfahrt  dürfte noch gefährlicher werden

Auf jeden Fall kein Vergleich zu den 1,3 Millionen Menschen, die wegen des Libyen-Kriegs in Richtung Tunesien und Ägypten geflüchtet sind. Klar ist: Auch in Zukunft werden Menschen übers Mittelmeer flüchten. Nur dürfte ihre gefährliche Überfahrt noch gefährlicher werden, wenn die italienische Regierung bei ihrer derzeitigen Haltung bleibt. "Ich frage mich auch: Wer übernimmt die Verantwortung dafür, wenn es Tote gibt, wenn die Fragen kommen, warum den Menschen auf Lampedusa nicht geholfen wurde?", fragt Boldrini. "Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, wie viele Menschen ihr Leben Lampedusa verdanken. Wer wird das dann wohl verantworten?"

Die Lega Nord, der rechts-rassistisch-populistische Koalitionspartner von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, kann mit dem in einen Sexskandal verwickelten Regierungschef derzeit so ziemlich alles machen, was sie will, weil er ohne sie keine Mehrheit hat. Zu bemerken ist das unter anderem bei der Flüchtlingspolitik des G8-Landes Italien, bei der man eigentlich nur feststellen kann: Es gibt sie nicht.