Kampagne gegen die zunehmenden „Gemeinsamen Polizeioperationen“ in der EU! Widerstand gegen die tausendfache Aussetzung der Bewegungsfreiheit durch Polizeien der EU-Mitgliedstaaten vom 24. bis 30. Oktober 2011!
Nach den teils erfolgreichen Aufständen in Nordafrika steht die Wiedererrichtung der Grenzsicherung Tunesiens, Ägyptens und Libyens weit oben auf die Agenda der EU-Mitgliedsstaaten. Das Ziel westlicher Interventionen zum Polizeiaufbau unter dem Deckmäntelchen einer „Sicherheitssektorreform“ ist die möglichst umfassende, technikgestützte Kontrolle von Migrationsbewegungen in die EU.
Eine tragende Rolle spielt die sogenannte „EU-Grenzschutzagentur“ Frontex, die Migrant_innen mit geheimdienstähnlicher Aufklärung, schnellen Eingreiftruppen und weitläufigen Operationen zu noch waghalsigeren Grenzübertritten zwingt. Mitte September hatte das EU-Parlament der neuen Frontex-Verordnung zugestimmt, wonach die Agentur zukünftig eigene Ausrüstung beschaffen und Operationen selbst initiieren kann.
Frontex versucht, neben mittlerweile regelmäßigen Missionen auf See auch an den Land noch mehr Migrant_innen aufzuspüren. Der Seeoperation „Hermes“ folgte deshalb ein gleichnamiger Einsatz innerhalb der EU-Landgrenzen, an dem sich Polizeien aus 22 Mitgliedsstaaten beteiligten. Mit dieser Erweiterung von „Hermes“ dehnte Frontex sein Mandat von den Außengrenzen auf das Gebiet der EU-Binnengrenzen aus, obwohl dies in den Statuten der Agentur bislang nicht vorgesehen ist. Formal stand der „Hermes“-Folgeeinsatz an Land daher unter Verantwortung der damaligen belgischen EU-Präsidentschaft.
EU-weite Kontrollen wie „Hermes“ sind in den letzten Jahren mit sogenannten „Gemeinsamen Polizeioperationen“ („Joint Police Operations“, JPO) ohnehin zur Regel geworden. Die inzwischen teilweise halbjährlich stattfindenden „Gemeinsamen Polizeioperationen“ sollen die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten sowie EU-Institutionen miteinander verzahnen. Die großflächigen Einsätze, die bis zu 20.000 Polizist_innen bündeln, setzen die vielgepriesene Freizügigkeit innerhalb der EU für mehrere Tage außer Kraft. Ihre Ergebnisse unterfüttern zudem die perfiden Analysen von Frontex über zukünftige Migrationsrouten mit frischen Statistiken.
„Gemeinsame Polizeioperationen“ werden jeweils von verschiedenen EU-weiten Polizei-Vernetzungen organisiert, die sich in den letzten Jahren etabliert haben: TISPOL (Verkehrswege), RAILPOL (Bahnanlagen und Schienen), AQUAPOL (Wasserstraßen) oder AIRPOL (Flughäfen). Im Rahmen der „Gemeinsamen Polizeioperation“ „Automotor“ hatten dieses Jahr 21.000 Polizist_innen unter Leitung des TISPOL-Netzwerks von Verkehrspolizist_innen Fahrzeuge und Personen innerhalb der EU kontrolliert. Mit der Operation „Rails“ überwachten noch einmal 17.288 Angehörige europäischer Polizeien aus 17 Mitgliedsstaaten Bahnanlagen und den Bahnverkehr. Die Operation „Danubius“ wiederum koordinierte eine Aktion unter EU-Wasserschutzpolizeien im Rhein-Main-Donau-Gebiet; Polizeibehörden und Gendarmerien aus 14 Mitgliedsstaaten waren hierfür auf 200 Schiffen unterwegs. Neben Frontex war auch die internationale Polizeiorganisation Interpol beteiligt, während die EU-Polizeiagentur Europol mit einer Standleitung für den ungebremsten Zugriff auf deren Datensammlungen sorgte.
Zwar richten sich nicht alle JPO vorrangig gegen undokumentierte Grenzübertritte, jedoch freuen sich die beteiligten Polizeien in den Abschlußberichten immer über nebenbei gefangene Migrant_innen. Mit „Mitras“ („Migration, Traffic and Security“) wurde im Frühjahr 2011 zudem eine mehrtägige Kontrollmaßnahme durchgeführt, die sich wie „Hermes“ ausschließlich einer „Bekämpfung illegaler Migration“ widmete. Hinzu kommen Operationen wie „Amazon“, die Frontex an Flughäfen in Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Portugal und Spanien ausführt – und unter anderem dem in Frankfurt stationierten Ableger des US-Department of Homeland Security (DHS) Einblicke in die Operation gewährt.
Die mehrtägigen Kontrollen setzen den 2006 in Kraft getretenen Schengener Grenzkodex außer Funktion, der unter anderem den Wegfall von Personenkontrollen und Grenzüberwachungsanlagen an den Binnengrenzen der Schengen-Staaten regelt: Die Grenzen zwischen EU-Mitgliedsstaaten dürfen demnach an jeder Stelle ohne Anhalt überschritten werden – die Staatsangehörigkeit der Reisenden soll dabei keine Rolle spielen. Stattdessen werden zwar Schlagbäume an Binnengrenzen demontiert, dafür aber die Kontrollen im Hinterland zeitlich und räumlich auf immer mehr Land-, Luft- und Wasserwege ausgeweitet.
Letztes Jahr hatte der Europäische Gerichtshof überdies geurteilt, dass der Schengener Grenzkodex ebenso ausschließt, in einem 20 km breiten Streifen entlang der Binnengrenzen ohne Anlass Personen zu kontrollieren – eine Praxis, die in Deutschland munter betrieben wird und vor allem Migrant_innen mit rassistischen Kontrollen belästigt. Allein in 2010 haben Bundespolizist_innen im gesamten Bundesgebiet die Identität von über drei Millionen Personen festgestellt.
Die „Gemeinsamen Polizeioperationen“ demaskieren die angebliche Bewegungsfreiheit innerhalb der EU, die einem großen Teil ihrer Bewohner_innen ohnehin nicht zugestanden wird. Hinzu kommt die zeitweise Wiedereinführung von Grenzkontrollen, etwa anlässlich von Gipfelprotesten wie beim G8-Gipfel in Heiligendamm oder dem NATO-Gipfel in Strasbourg, die vorrangig politische Aktivst_innen treffen sollen. Doch auch hier geraten regelmäßig Migrant_innen ins Netz der Grenzpolizeien.
In einem Vermerk hatte selbst die ansonsten sicherheitsversessene EU-Kommission diese Praxis gerügt: Normalerweise müssen die Bewohner_innen der EU-Mitgliedstaaten über die Aufhebung ihrer Freizügigkeit im Vorfeld der Maßnahme früh unterrichtet werden. Zukünftig sollen deshalb laut einem Vorschlag der Kommission die EU-Mitgliedstaaten ein Veto gegen einseitig ausgerufene Grenzschikanen einlegen können. Eine Praxis, gegen die der deutsche Innenminister Friedrich eilig nationale Ressentiments beschwört: Weil die Grenzkontrollen eine „Kernaufgabe eines Staates“ seien, will der CDU/CSU-Politiker mit seiner Fraktion gegen eine etwaige Überwachung der Freizügigkeit durch andere Mitgliedstaaten oder die Kommission „entschieden Widerstand leisten und auch mobilisieren“.
Termine und Einsatzpläne „Gemeinsamer Polizeioperationen“ unterliegen normalerweise der Geheimhaltung. Dennoch ist bekannt, dass die gegenwärtige polnische Ratspräsidentschaft demnächst zwei weitere JPO leiten will: Im September wollen die Polizeien der EU-Mitgliedsstaaten mit „Eurocar“ wieder für mehrere Tage die Bewegungsfreiheit auf den Straßen außer Kraft setzen. In der Woche vom 24. bis 30. Oktober wird mit „Demeter“ eine Folgeoperation von „Hermes“ und „Mitras“ organisiert, die sich explizit der Kontrolle unerwünschter Migrationsströme widmet. Deutsche Polizeien sind wie üblich mit einem Großaufgebot beteiligt, als Neuerung kommen dieses Jahr Kontrollen an Flughäfen hinzu.
Wir rufen dazu auf, der Heimlichtuerei um die JPO „Demeter“ mit einer größtmöglichen Öffentlichkeit zu begegnen. Hierfür schlagen wir vor, vom 24. bis 30. Oktober 2011 auch an Land für Bewegungsfreiheit zu kämpfen und die tausendfachen Polizeikontrollen mit Protest und Widerstand zu beantworten.
Freedom of movement! No Border!
Sicherheitsarchitekturen einstürzen!
Bislang ist unbekannt, wo die vermutlich wieder mehreren Hundert Angehörigen deutscher Länderpolizeien sowie der Bundespolizei mit den großflächigen Kontrollen im Herbst die Bewegungsfreiheit innerhalb der Operation “Demeter” aufheben wollen. Achtet auf Ankündigungen!
Bei den letzten vergleichbaren Übungen lag der Fokus auf Autobahnen sowie grenzüberschreitenden Bahnverbindungen in Süddeutschland. Angesichts der polnischen Federführung von „Demeter“ kann von einer starken Beteiligung von Landes- und Bundespolizeidirektionen in Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ausgegangen werden. Sicher ist zudem ein starker Fokus auf Flughäfen.
Näheres zu “Demeter” unter http://euro-police.noblogs.org/files/2011/09/demeter_2011.pdf
Out of Control Berlin