Was sich die letzten Tage in Bilbo (spanisch: Bilbao) abspielt, ist an Perversion und Brutalität kaum zu überbieten. Nach der Räumung des Stadtteilzentrums Kukutza geht die Staatsmacht mit aller erdenklichen Härte gegen diejenigen vor, die sich gegen die Räumung und den Abriss des Hauses stellen und gestellt haben. Bürgerkriegsähnliche Szenen spielen sich ab, und immer wieder werden Assoziationen an die finsteren Zeiten des spanischen Faschismus geweckt.
Das am 21.09.11 geraeumte Stadtteilzentrum Stadtteilzenrum Gaztetxea
Kukutza III in Bilbo (spanisch: Bilbao)wurde nun am 23.09.11 abgerissen.
Gegen 17:00 Uhr am vergangen Freitag verbreitet sich die
Nachricht im Arbeiter_innenviertel "Errekalde" wie ein Lauffeuer: Der
Abrissbescheid fuer ihr Stadtteilzentrum ist unterschrieben.
Hunderte Menschen stroemen Richtung Kukutza um zu protestieren.
Die Ertzaintza (die baskische Polizei) hat das Viertel schon vor Ankunft des Abrissunternehmens weitraeumig abgeriegelt.
Wer versucht Richtung Kukutza zu gelangen, wird ohne Vorwarnung sofort beschossen.
Gegen 17:15 Uhr rollt das Geraet des Abrissunternehmens von 6 Wannen begleitet an.
Name
und Nummernschilder des Abrissenunternehmen sind ueberklebt,
Mitarbeiter vermummt, aus Angst von den Protestierenden im Nachhinein
indentifiziert werden zu koennen.
Es sind viel mehr Polizisten der Ertzaintza im Einsatz, als bei der Raeumung zwei Tage zuvor.
Da durch die vielen Menschen auf der Strasse der Vekehr stockt kommt das Abrissunternehmen nur langsam voran.
Einige
Protestierende schaffen es zusaetzlich Muellcontainer auf die Strasse
zu schieben und den Verkehr noch weiter zu verstopfen.
Ausserdem
werden die Polizeifahrzeuge, die das Abrissunternehmen begleiten mit
Farbbeuteln beworfen, sodass die Windschutzscheiben mit roter Farbe
ueberzogen sind, noch bevor die Bullen es schaffen die Tuer aufzumachen
um die Werfer_innen zu beschiessen.
Trotzdem schafft es das
Abrissunternehmen zum Kukutza durchzukommen, indem die Polizei einfach
jeden Menschen, der Anstalten macht sich ihnen zu naehern, sofort
beschiesst.
In Errekalde liegt eine Mischung aus Hass, Wut und Fassungslosikeit in der Luft.
Viele Nachbar_innen, fallen sich auf der Strasse und an den Fenstern ihrer Wohnungen weinend in die Arme.
Monatelang
hatten alle gemeinsam versucht ihr Stadtteilzentrum auf kreative und
friedliche Weise zu verteidigen. Doch jetzt gehen die Politiker_innen
mittels der Polizei brutal gegen sie vor.
Es ist Schluss mit dem bunten Aktivismus. Die Clownsnasen werden abgelegt und die Vermummung angelegt.
Es sammeln sich immer mehr Menschen in den Zufahrtstrassen zu Errekalde.
Immer wieder trauen sich Menschen an die Bullen ran und bewerfen sie mit Steinen und Flachen.
Diese antworten mit Gummigeschossen.
Einigen Kleingruppen gelingt es an den Bullen vorbei ins Viertel vorzudringen.
Es
werden Parolen wie "Kukutza Aurrera" an die Waende Gesprueht,
Barrikaden aus Muellcontainern und Baustellenmaterial gebaut,
Pyrotechnik gezuendet, Farbbeutel geworfen und des oefteren brennen
Muellcontainer in den Strassen um das Kukutza.
Nachdem die
Feuerwehr bei ihrem ersten Loescheinsatz in diesem Zusammenhang von
mehreren Seiten mit Steinen und Flaschen angegriffen wird, weigert sie
sich wietere Container zu loeschen, da die Sicherheit der Einsatzkraefte
nicht mehr gewaehrleistet ist.
Die Polizei tut sich schwer die
Braende selbst zu loeschen und so sind immer mehr dunkle Rauchschwaden
zu sehen, die aus dem Viertel emporsteigen.
Zwei Autos werden
angezündet, an allen Ecken brennt es, der Verkehr staut, die Bullen sind
total überfordert. Ihren Mangel an Taktik machen sie durch Brutalität
wett. Wahllos wird auf Passant_innen geschossen, Kinder müssen sich
hinter Müllcontainern verstecken um nicht getroffen zu werden. Die
Bullen positionnieren sich vor der U-Bahnstation Ametzola und treiben
von da aus die Menschen noch weiter aus dem Viertel. Sie fangen an, in
einen Park zu schiessen, in dem Kinder spielen und Familien picknicken.
Panik bricht aus, die Menschen rennen in alle Richtungen. Fliehende
werden aus nächster Distanz (unter 3 Meter) beschossen, die Bullen
zielen auf Köpfe, es gibt üble Verletzungen. Platzwunden, Prellungen,
Blutergüsse, blaue Augen, gebrochene Gliedmassen, an jeder Ecke sieht
mensch Verletzte.
Schockiert von den Nachrichten, die sie aus
Bilbo erhalten, machen sich viele Menschen aus den umliegenden Dörfern
auf den Weg nach Errekalde, es strömen immer weitere Menschen zum Ort
des Geschehens. Busse mit Aktivist_innen aus dem restlichen Baskenland
(Donostia, Gasteiz, Bermeo, Gernika...) machen sich auf den Weg, ein
Teil von ihnen wird auf der Autobahn von der Polizei rausgezogen um an
der Weiterfahrt gehindert. Auch Busse aus Madrid und Barcelona werden
angehalten.
Als es anfängt, dunkel zu werden, sind ein paar
Tausend Menschen in der Stadt, und die Ausschreitungen verlagern sich
auf das gesamte Stadtgebiet. Überall steigen dicke schwarze
Rauchschwaden hoch, von überall sind Schüsse zu hören, Kleingruppen von
Jugendlichen, von denen einige noch keine 14 Jahre alt sind, sind
unterwegs und legen mit Barrikaden den Stadtverkehr lahm, so dass es den
Bullen schwer gemacht wird, von einem Ort zum anderen zu gelangen.
Was
zu dem Zeitpunkt in Errekalde beginnt, erinnert an die finstersten
Zeiten des spanischen Faschismus: Ein Stromausfall im ganzen Viertel
sorgt dafür, dass nur noch die brennenden Barrikaden und die
Mündungsfeuer der Gummischrotgewehre die Strassen erleuchten. Die Bullen
scheinen ausser Kontrolle geraten zu sein, schiessen wild um sich.
Teilweise fahren sie mit ihren Wannen mit offenen Schiebetüren durch die
Gegend und schiessen aus den fahrenden Wannen.
Nachbar_innen, die
mit Kochutensilien an ihren Fenstern Lärm machen, oder einfach nur die
Polizist_innen bei ihrer Gewaltorgie aus den Fenstern beobachten, werden
eiskalt beschossen. Nachdem Leute auf der Flucht vor der Gewalt
Zuflucht in einer Kneipe suchen, und die Barkeeperin die Rollläden der
Kneipe hinter ihnen schliesst, treten Bullen die Rolläden kaputt,
stürmen die Kneipe, verprügeln wahllos alles, was sich drinnen bewegt,
und hauen wieder ab. In eine andere Kneipe, in der sie Aktivist_innen
vermuten, gehen sie rein, schliessen die Rollläden von innen und
schlagen die Menschen in dem Lokal zusammen.
Gruppen von vermummten
Zivibullen lauern in dunklen Seitenstrassen Kleingruppen und
Einzelpersonen auf und verprügeln sie auf brutalste Art und Weise. Im
örtlichen Krankenhaus warten Polizist_innen auf verletzte
Aktivist_innen, bedrohen sie und greifen sie teilweise tätlich an, um
ihnen ihre ärztlichen Atteste abzunehmen, mit denen sie Anzeige gegen
die Polizei stellen könnten. Wohnhäuser werden von Uniformierten
gestürmt, weil vermutet wird, dass Fliehende in die Häuser rein sind,
Wohnungen von bekannten Sympathisanten werden gestürmt.
Gegen 22
Uhr wird ein neuer Treffpunkt für eine Demo in der Altstadt
bekanntgegeben, doch als dort die Menschen anfangen, sich zu sammeln,
werden sie wieder von den vermummten Schergen des spanischen Staates
unter massivem Einsatz von Gummigeschossen und Schlagstöcken
auseinandergetrieben. Auch dort gibt es viele Verletzte. Im Anschluss an
den Angriff verteilen sich die Menschen wieder auf das gesamte
Stadtgebiet und bauen Barrikaden, zünden Container an, und versuchen ab
und zu, die Bullen mit Steinen und anderen Wurfgeschossen anzugreifen.
Die
Bilanz dieser Krawallnacht liegt bei offiziell über 40 Verletzten,
wobei die Dunkelziffer um einiges höher sein wird (gezählt werden nur
diejenigen, die sich getraut haben, das lokale Krankenhaus aufzusuchen),
und bei 28 Festnahmen wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt,
tätlichem Angriff auf Polizeibeamte, Brandstiftung und "öffentlichen
Unruhen" (vergleichbar mit schwerem Landfriedensbruch). Alle 28
Festgenommen wurden am Samstag dem Haftrichter vorgeführt und unter
Auflagen vorläufig freigelassen. Sie erwarten Verfahren und hohe
Geldstrafen bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen.
Die beiden
Genossen aus Hamburg, die während der Auseinandersetzungen am Mittwoch
von Zivibullen brutal festgenommen wurden, bleiben weiterhin in U-haft.
Ihnen wird vorgeworfen, einen Container angezündet zu haben. Begründet
wurde die Untersuchungshaft einerseits damit, dass sie keinen festen
Wohnsitz auf spanischem Territorium haben und andererseits damit, dass
sie die Telefonnummer eines Anwalts auf dem Arm stehen hatten, und dass
man "sich ja keine Telefonnummer von einem Anwalt auf den Arm schreibt,
wenn man nichts geplant habe". Ihnen wurden während oder nach der
Festnahme die Ausweispapiere entwendet. Eine Anwohnerin will beobachten
haben, wie die Zivibullen, die die beiden festgenommen haben, kurz zuvor
selber Container angezündet haben.
Es bleibt unklar, wie lange die
beiden in Untersuchungshaft sitzen müssen und mit was für Strafen sie zu
rechnen haben. Das Zündeln an Müllcontainern kann, wenn es in
Verbindung mit "kale borroka" (deutsch: Strassenkampf), also nach
offizieller Auffassung von der ETA gesteuerten und somit terroristischen
Ausschreitungen, gebracht wird, mit mehrjähriger Haft bestraft werden.
Es
bleibt nach wie vor sehr wichtig, den Menschen hier in Bilbo
Solidarität zukommen zu lassen. Die Freude über die bisher gelaufenen
Soli-Aktionen in Deutschland ist sehr gross und vor allem im Hinblick
auf die Situation der beiden Hamburger Genossen ist es wichtig und gut,
zu zeigen, dass wir keinen Angriff auf unsere Zusammenhänge zulassen.
Organisiert
euch, zeigt eure Solidarität mit den Genossen Raffi und Flo und mit den
kämpfenden Menschen in Bilbo, plant Aktionen und führt sie durch!
Kein Angriff auf uns bleibt unbeantwortet!