Bericht eines Genossen aus Bergamo über die aktuelle politische Situation in Italien. Der Bericht basiert auf dem Manuskript des Audiomitschnitts eines Vortrags der Autonomen Antifa Freiburg am 26. November 2008 im Autonomen Zentrum KTS Freiburg.
Einleitung | Vereinnahmung | Parteien | Fußball | Fazit und Fragen | Ergænzungen
Einleitung
Am 26.11.2008 referierte ein Genosse der Antifa Bergamo (Norditalien) in der KTS Freiburg in einem italienisch-deutschen, sehr gut besuchten Vortrag über rechtsradikale Tendenzen in Italien. Der Referent betonte, dass keine klare Trennlinie zwischen der parlamentarischen Rechten und der radikalen Rechten in Italien gezogen werden kann. Dementsprechend sollten nicht nur vereinzelte Verbindungen, sondern eine „grundsätzliche Einheit der beiden“ herausgestellt werden.
Es wurden sowohl die Zusammenarbeit von Faschisten mit Politikern, der Polizei und der Mafia, als auch die Infiltrationsversuche gesellschaftlicher und sozialer Bereiche durch die Rechten an Beispielen verdeutlicht. Als Aspekte der dahinter stehenden Strategie zeigten sich vor allem das Ausnutzen von Konfliktsituationen (z.B. Bildungsproteste, das Müllproblem in Neapel) und der Aufbau von Drohpotential gegenüber Bevölkerung und Regierung. Dass die Regierung zu rassistischer Hetze beiträgt, ist so offensichtlich wie der Nutzen, der sich für sie daraus ergibt.
Im Folgenden sollen einige im Vortrag genannte Beispiel umrissen werden, die in der Mitschrift des Vortrags ausführlicher nachgelesen werden können. Natürlich gibt es noch unzählige weitere Fälle, über die ihr euch unter anderem auf den am Ende genannten Links informieren könnt.
Beispiele für den Versuch ursprünglich linke Strukturen faschistisch einzunehmen
1) Piazza Navona: Eine faschistische Gruppe versucht sich an die Spitze einer studentischen Demonstration gegen die Bildungspolitik der Berlusconi Regierung zu stellen. Die Gruppe setzt sich aus Leuten des Blocco Studentesco, einer rechtsextremen, sich um Gianluca Iannone gruppierenden Studentenvereinigung mit Verbindungen zur neofaschistischen Partei „Fiamma Tricolore“, und der Lotta Studentesca, der Studentenbewegung der „Forza Nuova“, zusammen. Auf Videos des Vorfalls sind Verbindungen zwischen Polizei und Rechtsradikalen zu erkennen. Die Ausstrahlung eines dieser Videos in einem öffentlichen Sender bewirkte weitere Gewalt seitens der sich um Iannone gruppierenden Rechten. Sie sprachen Drohungen gegen den Sender aus und versuchten noch während des Sendebeitrags in das Studio einzudringen.
2) Casa Pound (in Anlehnung an den Schriftsteller Ezra Pound): Der Kampf um Wohnrecht, der ursprünglich der kommunistischen Linken in Italien vorbehalten war, wird in Rom von der sehr aktiven Gruppe um Iannone organisiert. Geplant ist, ein Netzwerk in ganz Italien aufzubauen. Das wichtigste Centro Sociale dieser Art ist das im Zentrum Roms gelegene Casa Pound: Es ist das infrastrukturelle und politische Herz der außerparlamentarischen, faschistischen Bewegung. Gefördert bzw. ermöglicht wurde dieses Projekt vom damaligen Oberbürgermeister Walter Veltroni, der mittlerweile an der Spitze der „Partido Democratico“ steht. Er hatte den rechtsradikalen Gruppen erlaubt mit der Stadt zu verhandeln. So machte sich die Politik durch ihr Entgegenkommen mitschuldig an der Errichtung faschistischer Zentren in einer der kulturreichsten Städte der Welt.
3) Selbst in der Tierrechtsbewegung „Animal Liberation Front“, ursprünglich anarchistischer Zuständigkeitsbereich, gibt es inzwischen Gruppen, die von Faschisten unterstützt werden.
Beispiele für die Rolle rechtsradikaler Parteien
1) Die bis 2006 an der Regierung beteiligte Partei „Fiamma Tricolore“ versucht die radikalsten Arme der Rechten zu verbinden. Innerhalb der „Fiamma Tricolore“ ist z.B. die Gruppe "Base Autonoma" von Maurizio Boccaccio organisiert. Diese ist bemüht, Skinhead-Gruppen in Italien nationalistisch zu politisieren und für die eigenen Ziele zu (be)nutzen. Eine weitere Gruppierung („Kulturvereinigung“) ist die „Veneto Fronte Skinheads“ von Piero Puschiavo. Die VFS arbeitet auch mit deutschen Neonazis und der NPD zusammen und organisiert rechtsradikale Musikfeste, Demonstrationen usw.. Der „Blocco Studentesco“ trat nach dem Ausschluss von Gianluca Iannone aus der „Fiamma Tricolore“ aus, welcher daraufhin eine neue Organisation gründete, um ein Netzwerk von besetzten Häusern in Italien aufzubauen.
2) Die „Forza Nuova“ ist eine rechtsextreme Partei, die 1997 von Roberto Fiore und Massimo Morsello gegründet wurde. Erklärtes Ziel der Partei ist der Aufbau einer „European National Front“. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war der Einzug Roberto Fioris ins Europäische Parlament, der ihm durch Berlusconi ermöglicht wurde. Fiori ist ein verurteilter Rechtsterrorist. Die Studentenverbindung der „Forza Nuova“ ist die „Lotta Studentesca“, die neben dem „Blocco Studentesco“ an der geschilderten Auseinandersetzung an der Piazza Navona beteiligt war. Die faschistischen Gruppierungen um die „Forza Nuova“ sind extrem gewalttätig. So sorgten sie z.B. während der Prodi-Regierung für schwerste Auseinandersetzungen, die indirekt und wohl nicht unbeabsichtigt die Opposition (Berlusconi-Anhänger) stärkten. Auch bei den Ausschreitungen gegen die Roma Bevölkerung spielten sie eine wichtige Rolle.
3) Der Verteidigungsminister Ignazio La Russa („Alleanza Nationale“), der das Militär auch schon mal im Inneren einsetzt, ist gleichzeitig Chef der Mailänder Rechten.
4) Die Gruppe um Gianluca Iannone: Die Gewalttätigkeit/-bereitschaft dieser Gruppe darf nicht unterschätzt werden und offenbart sich vielleicht am Besten in der demonstrativen Selbstbezeichnung als „Squadristi“ (Schlägertruppe unter Mussolini). In Pick-Ups stehend fahren sie, ihre Vorbilder nachahmend, in Autokolonnen durch Rom um Präsenz zu zeigen.
Vor einigen Jahren zogen gut 1.500 Menschen durch Rom, angeführt von der Gruppe in Militärkleidung, die vordersten Reihen maskiert und trommelnd. Auch Übergriffe bleiben nicht aus, wie der Vorfall an der Piazza Navona verdeutlicht. Folgende Episode zeigt sowohl das militärische Potential also auch die Ignoranz der Politik: Nach einem Banküberfall mit Kalaschnikows (!) liefern sich sechs Anhänger Iannones eine Schießerei mit der Polizei, die von den Zeitungen als Kriegs-Szenario bezeichnet wird. Trotz diesem Vorfall in Civitavecchia (70km nordwestlich von Rom) konnte Iannone drei Monate später ohne Probleme fürs Parlament kandidieren.
Beispiele für die Zusammenarbeit von neofaschistischen Parteien und Fussballfans
1) Nach dem Tod eines Fussballfans durch die Kugel eines Polizisten sorgen u.a. Lazio-Anhänger (Fußballverein aus Rom) zusammen mit der „Forza Nuova“ für schwerste Ausschreitungen, – „Rom stand in Flammen“ – bei der auch mehrere Polizeistationen mit Molotowcocktails angegriffen werden.
2) Nach der Ermordung einer Frau durch einen Rumänen, organisierten Lazio-Anhänger gemeinsam mit Anhängern der „Forza Nuova“ Progrome gegen die Roma-Bevölkerung. Armutsflucht, ein Leben jenseits des Existenzminimums mit der höchsten Geburtensterblichkeit und der geringsten Lebenserwartung, die Ausgrenzung von Bildung und die Jahrhunderte lange Erfahrung von Gewalt und schließlich von Vernichtung werden in den Augen der Mehrheitsbevölkerung – nicht nur in Italien – als Lüge oder als selbstverschuldet betrachtet.
3) Während der Proteste gegen die Müllproblematik in Neapel infiltrieren die genannten Gruppen sowie die ortsansässigen Ultras (extreme Anhänger der Fußballmannschaft Neapels) und Mitglieder der „Alleanza Nationale“ die protestierende Bevölkerung. Es kommt zu schweren Ausschreitungen.
4) Als die Prodi-Regierung einen Teil des Mülls in Sardinien deponieren will, stellen sich Leute der Alleanza Nationale gemeinsam mit den dortigen Fußballanhängern an die Spitze der demonstrierenden Bevölkerung.
5) Auch in den Fussball-Stadien ist der Einfluss rechtsradikaler Parteien zu bemerken: In Mailand organisierten Mitglieder der „Alleanza Nationale“ rechte Fussball-Fan-Gruppen, die traditionsreiche Anhängergruppen, wie z.B. die linke „Forza di Lione“ aus der Kurve verdrängten.
Der Referent betont, dass nicht die extremen Fußballfans das Problem seien, sondern die Infiltrierungsversuche der Rechten. Da Fußballspiele oft als Experimentierfeld der Polizei für neue Spezialgesetze und antikonstitutionelle Methoden verwendet werden, seien die Proteste der Fußballanhänger oftmals gerechtfertigt. Die radikale Rechte nutzt dieses Konfliktpotential zum einen um Situationen zu verschärfen und somit eine „law and order“-Politik voranzutreiben, zum anderen um Leute für die eigene Bewegung zu rekrutieren. Auch die Versuche sich an die Spitze von Protesten z.B. gegen die Bildungspolitik oder die Müllproblematik zu stellen, zeugen von einem äußerst selbstbewussten und progressiven Vorgehen. Dies verwundert nicht, denkt man an den Schutz und die Förderung durch Parteien, Repressionsorgane und Medien.
Fazit und Fragen
Geschlossen wird der Vortrag durch folgende Einschätzung:
„Also ich hab immer geglaubt, dass Faschismus und Rassismus keine glaubwürdigen ideologischen Bezugspunkte besitzen, sondern dass es sich einfach um Werkzeuge handelt, die in jeder historischen Situation für ähnliche Zwecke eingesetzt werden können. Dieser institutionelle Rassismus und die rassistischen Gesetze dieser Regierung haben der italienischen Wirtschaft eine Horde illegaler Einwanderer geschenkt, die man als neue Sklaven einsetzten kann.“
Die Fragerunde
In der anschließenden Fragerunde erfuhren wir u. a. von Gesetzen aus der Zeit der Mussolini-Diktatur, die seit dem Genua-Gipfel wieder angewendet werden:
Hierzu gehören unter anderem der „Concurso Morale“ (Moralische Mittäterschaft) und „Verwüstung und Beute machen“. Letzteres ist eigentlich gewöhnliche Sachbeschädigung, die aber mit bis zu 15 Jahren geahndet werden kann. Die Bedeutung des ersten Paragraphen, der sich sonst in keinem anderen westlichen Land findet, lässt sich an Hand von zwei Beispielen erklären:
In dem ersten Fall wurde ein Gebäude der „Alleanza Nationale“ beschädigt. Auf Videos zeigte sich, dass die Festgenommenen in keiner Hinsicht an den Verwüstungen teilgenommen hatten. Dennoch wurde die Tatsache, dass sie in der Demonstration standen, so gewertet, als hätten sie selbst an den Ausschreitungen teilgenommen. Im zweiten Fall wurden nach einer gewalttätigen Demonstration gegen die Fiamma Tricolore aus Solidarität gegen verhaftete Genossen rote Hände an die Wände gedrückt. Die anschließend verhafteten drei Personen wurden für alle Handabdrücke, also einige Tausend, verantwortlich gemacht und mussten 25.000 Tausend Euro Strafe bezahlen.
Obwohl die Radikale Linke in Italien derzeit einen Rückgang zu verzeichnen hat, bleibt sie weiterhin sehr aktiv und unterstützt andere Bewegungen. Betrachtet man die Bevölkerung im Allgemeinen, so ist durchaus eine gewisse Mobilisation zu verzeichnen. Es wurde errechnet, dass die heutigen Bildungsproteste die 68er-Bewegung zahlenmäßig übertreffen. Auch die Tatsache, dass die Berlusconi Regierung die größte Gewerkschaft Italiens, die GGL, von den Verhandlungen ausgeschlossen hat, wird für den Staat wohl nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Das größte Potenzial sieht der Referent bei den ArbeitnehmerInnen. Viele von ihnen leben jetzt schon am Rande des Existenzminimums und wenn sie unter den Entwicklungen der Wirtschaftskrise noch mehr zu leiden haben, wird es für die Regierung Italiens zukünftig immer schwerer werden, soziale Unruhen klein zu halten.
Bezüglich des G8 Gipfels, der 2009 in Italien stattfinden wird, liegen dem Referenten keine genauen Informationen vor:
„Sicher ist nichts so Großes in Vorbereitung wie damals für Genua, andererseits ist die italienische Bewegung auch bekannt für ihre sehr schnellen Kursänderungen/Initiativen. Es kann noch was passieren...“
Ergænzungen