Proyecto Memoria – Die Morde an Martin Kemming, Dagmar Kohlmann und Patricia Wright

Trauer

Vor 15 Jahren, am 15.3.1996, ermordete der Nazi Thomas Lemke seinen ehemaligen Kameraden Martin Kemming mit einer Pumpgun. Darüber hinaus hatte er in den 8 Monaten zuvor seine Bekannte Dagmar Kohlmann und die junge Antifaschistin Patricia Wright vergewaltigt und bestialisch ermordet.

Mit der Vergewaltigung und dem Mord an der Antifaschistin gab er zudem in der Naziszene des Ruhrgebiets an.

 

An Martin Kemming, Dagmar Kohlmann und Patricia Wright sei hiermit erinnert.

 

Der Mord an Martin Kemming

 

Am 15.3.1996 ermordete der 27jährige Gladbecker Nazi Thomas Lemke seinen ehemaligen Kameraden Martin Kemming mit zwei Schüssen aus einer Pumpgun. Jeder Schuß den er dabei auf seinen 26 Jahre alten früheren Freund Martin Kemming im Treppenhaus von Dorsten-Rhade abgab enthielt 9 Kugeln. Von 18 Kugeln aus kurzer Distanz getroffen starb Martin Kemming an den Schußverletzungen.

Lemke sah Kemming als Verräter an. Und das obwohl er derjenige war, der Kemming schon Jahre zuvor bedrohte. So schob er z.B. Kemming den Lauf eines Gewehrs in den Mund, u.a.. Diese Taten führten zu einem schweren Zerwürfnis zwischen den Beiden an dessen Ende der Fememord an Martin Kemming stand.

 

 

Weitere Morde des Nazis Lemke

 

Der Fememord brachte die Verhaftung Lemkes mit sich und die Aufdeckung zweier weiterer grausamer Verbrechen. Um seine Freundin Bianka Weidemann an sich zu binden, zwang Lemke sie zu einem Mord an der gemeinsamen Bekannten Dagmar Kohlmann aus Hagen. Am 16. Juli 1995 verabredeten beide sich mit der 25jährigen Dagmar Kohlmann. Sie fuhren nach Altena, überrumpelten sie und brachten sie schließlich in einen Wald. Lemke zwang seine Freundin Dagmar Kohlmann mit ihm zu erdrosseln. Als diese sich immer noch regte, schlug er mit einem Spaten auf deren Kopf und Hals ein und verscharrte sie im Wald.

 

Am 3. Februar 1996 mietete Lemke einen Leihwagen. Mit einem weiteren Nazi aus Oberhausen, Marcel Müthing, fuhr er nach Bergisch Gladbach zu Patricia Wright. Diese hatte Lemke am Hagener Hauptbahnhof kennengelernt. Dort war sie ihm wegen des Aufnähers „Nazis Raus“ auf der Jacke aufgefallen. Er sortierte sie als „Linke“ ein. Die arglose junge Frau öffnete den Beiden. Lemke überwältigte sie und begann sie zu vergewaltigen, während sein Kamerad im Nebenzimmer auf ihn wartete. Lemke hatte sich extra Kondome mitgebracht, um keinerlei Spermaspuren zu hinterlassen. Um sich des Todes der jungen Antifaschistin sicher zu sein, erdrosselte er sie nicht nur. Er zertrümmerte ihren Kopf mit einer Gipsbüste und stach noch 91 mal auf sie mit einem Messer ein. Mit dieser Tat rühmte sich Lemke später in der Naziszene.

 

Durch seine Verhaftung, sowie den Vernehmungen von ihm und seinem Umfeld kamen diese Verbrechen ans Licht. Am 18. März 1997 wurde Thomas Lemke von der Schwurgerichtskammer des Essener Landgerichts wegen dreifachen Mordes, der Vergewaltigung und der versuchten Vergewaltigung für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Der mit angeklagte Marcel Müthing wurde wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und Mord an Patricia Wright zu 5 Jahren verurteilt. Bianca Weidemann wurde wegen des Mordes an Dagmar Kohlmann zu 6 Jahren Haft verurteilt.

 

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Die Morde und die Ereignisse um den Prozess sind relativ gut dokumentiert. Relativ heißt, dass die Presse teils reißerisch, teils widersprüchlich berichtete. Das lag daran, dass sie teils Boulevardpresse war, wenig tiefergehende Interessen hatte oder keine Journalisten, die den Prozess verfolgten. Einige Personen der Hertener VVN erstellten 1996 eine sehr arbeitsreiche Dokumentation, der man heute noch verdankt, mehr Einsicht in das damalige Geschehen zu haben.

Da eines unserer Azzoncao-Mitglieder im Frühjahr 1997 alle Prozesstage am Essener Landgericht verfolgte und einen Bericht über den Prozess für die „Antifaschistische NRW-Zeitung“ verfasste, wollen wir diesen hier anhängen. Es gibt in diesem Artikel einige Abweichungen zu den öffentlichen Presseberichten, sowie den Einschätzungen der VVNler. Was die Tatbeschreibung, die Beschreibung des Täters und die politisch-soziale Analyse des Ganzen betrifft. Da der Verfasser der Zeilen aber bis auf einen Prozesstag bei allen Gerichtssitzungen anwesend war, ist das die Wahrheit, die er zu erzählen weiß.

Wir veröffentlichen hier diesen Artikel, der bisher nur als Printausgabe vorlag.

 

 

Aus: „Antifaschistischen NRW Zeitung“ Nr: 14/15 - sommer '97

 

Der Lemke Prozeß

 

Für eine kurze Zeit füllten die Taten und der Prozeß des Gladbecker Nazis Thomas Lemke die Schlagzeilen der Presse. Sensationslüsternd wurde über seine drei Morde berichtet. Wie üblich waren die Berichte oberflächlich und über die hinter den grausamen Morden stehenden politischen Auffassungen und Strukturen wurde kaum berichtet.

 

Das Essener Landgericht verfuhr nicht anders in seiner Prozeßführung. Die II. Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Esders tat alles, um die Taten zu psychologisieren und zu individualisieren und ihnen die politische und gesellschaftliche Dimension zu nehmen. Dabei folgte sie den Motiven, die der Anklagevertreter, Staatsanwalt Gutjahr, vorgab. Dieser war schon in

den Vorermittlungen zu Lemke involviert gewesen. In diesen schlossen die Strafverfolgungsbehörden schon frühzeitig einen politischen Hintergrund der Taten aus.

 

Lemke, der zu den Vergewaltigungen angab: "Die Gelegenheit war günstig" ordneten sie sexuelle Motive zu. Diese Auffassung verfolgte Gutjahr weiter im Prozeß.

Fragen zu Lemkes politischem Hintergrund (WJ, DA, FAP, NSDAP/AO, 'Deutsche Liste', DVU, u.a.), seinen Waffenschiebereien, seinen internationalen Verbindungen und seinen heidnisch - religiösen Vorstellungen unterblieben.

Ebenso waren Nachfragen an die diversen faschistischen Zeuginnen selten. Die Befragung von Lemkes Mentor, dem 74jährigen Gelsenkirchener Nicolai Luisetti, war beispielhaft: Der ehemalige französische Freiwillige der Waffen-SS, der in den Siebzigern in Italien lebte, in den Achtzigern in der 'Wiking Jugend', der NPD und für die Kühnen-Gruppe aktiv war und Lemkes Mentor wurde, wurde frei nach der Art des heiteren Beruferatens befragt, Hintergründe schienen für Richter Esders uninteressant zu sein. Was das mangelnde Aufklärungsinteresse des Staatsanwaltes Gutjahr angeht, ist dies nicht weiter verwunderlich. Er war der leitende Staatsanwalt, der die faschistischen Spuren in dem Hattinger Brandanschlag nicht verfolgte, sondern stattdessen die türkische Mutter als Täterin anklagte. Mit diesem Konstrukt kam er damals nicht durch, mit der Entpolitisierung des Lemkeprozesses dafür um so besser.

Die Gutachterinnen, die Lemke und seine Mittäter psychologisch zu beurteilen hatten, taten das ihrige, daß der Prozess in diesem Sinne verlief. Da korrodierte Lemkes NS-Überzeugung zur Suche nach den Wurzeln eines Vaterlosen. Prägend sollen da die Kindheitsjahre gewesen sein. Was der heute 28jährige Lemke in den 14 Jahren NS-Szene dann an Prägung, an Gedankengut, menschenverachtendem Weltbild, Frauenfeindlichkeit, Aggressionspotential und Gewaltbereitschaft erfuhr, welche „Wurzeln" er hier fand, wie und warum dort gerade jemand darauf kommt, „daß Linke kein Lebensrecht haben", interessierte die Gutachterinnen nicht. Ganz zu Schweigen davon, das seine brutalen Vergewaltigungen der Ausdruck der Sexualisierung der dort favorisierten Gewaltverhältnisse sind.

Der mitangeklagte Oberhausener Nazi Marcel Müthing soll sich aus Oppositionshaltung zu den Eltern der NS-Szene zugewandt haben. 10 Jahre pubertierende Oppositionshaltung? Billiger kann man einen Freifahrtschein bei einem Mordprozeß nicht bekommen. Was Müthing in seinen 10 Jahren NS-Szene trieb, interessierte die Psychologen ebensowenig, wie der Umstand, wie es unter Menschen aussieht, bei denen man sich -wie Lemke- brüsten kann „eine Linke durchgezogen und abgestochen" zu haben . Stattdessen nahmen die Herren und Damen Gutachter auf Treu und Glauben Müthing seine angebliche Gewaltfreiheit ab.

 

Eigentlich sollte man davon ausgehen, daß den Nazis die Entpolitisierung dieses Prozesses entgegengekommen wäre, daß sie sich bei einem Prozeß bedeckt gehalten hätten, in dem ihre Kameraden angeklagt waren, eine Antifaschistin unter dem Vorwand, selber Antifaschisten zu sein, aufsuchten und Lemke sie unter Müthings Beihilfe vergewaltigte und schließlich erwürgte, erschlug und mit über neunzig Messerstichen liegenließ.

In dem der Hauptangeklagte seine von ihm betrogene, gedemütigte und mißhandelte Lebensgefährtin dadurch erpressbar machen wollte, daß er sie in einen Mord verwickelte. Einen Mord, bei dem er das Opfer per Zufallsprinzip aus dem Adressbuch heraussuchte. Eine vertrauensvolle Bekannte, die sie in ihre Wohnung mitnahmen, wo Lemke sie fesselte und vergewaltigte. Und die er mit der in Todesangst versetzten Bianca Weidemann in einem Waldstück erdrosselte. Anschließend schlug er mit einem Klappspaten auf ihren Hals ein und verscharrte sie. Einem Prozeß, zu dem es deswegen gekommen war, weil der Hauptangeklagte seinen dritten Mord, einen Fememord, in aller Öffentlichkeit beging. Einem ehemaligen Kameraden, den er früher schon bei einer Streitigkeit eine Gewehrmündung in den Rachen hielt und von dem er deswegen angezeigt wurde, zerfetzte er mit einer Pumpgun. Mit zwei Schüssen von jeweils 9 Kugeln erschoß er ihn.

Aber die Nazis übten sich offen in Solidarität. Wohl auch um eventuelle Aussagen der Gesinnungsgenossen vorzubeugen. In „Der Weiße Wolf" (Nr.3) wurde zur Solidarität für Lemke aufgerufen. Und den Prozeß beobachteten neben HNG-Funktionär Erhard Kemper, die JN - Kader Melanie Dittmer und Andreas Posselt, sowie „Ruhrfrontler" und Glatzen um den ehemaligen FAP - Führer Ralf Panek aus Duisburg. Sie amüsierten sich sichtlich bei den Verlesungen der Protokollaussagen zu den Vergewaltigungen und witzelten zu den Aussagen der Gerichtsmediziner, als diese die Verletzungen der toten Frauen beschrieben. Als Lemke dann bei der Urteilsverkündung in das Mikro rief: "Somit haben die Juden ihren Willen bekommen", applaudierten die anwesenden Nazis. Ernst Tag und Markus Wolter von der „Aktion sauberes Deutschland" sowie Ralf Panek durften daraufhin drei Tage in Ordnungshaft verbringen. Andreas Posselt, Melanie Dittmer und der Dortmunder Sebastian Dost durften, mit einer väterlicher Ermahnung versehen, wieder Platz nehmen.

 

Die Aktion der braunen Claqueure warf nicht nur ein Schlaglicht auf den charakterlichen Zustand der Rechten, sondern auch auf den ausgeblendeten Hintergrund des Verfahrens. Ebenso widerlegte es die vom Gericht ausgegebene These des „Einzeltäters", der von niemanden ernst genommen und über keinerlei politische Einbindung in der Szene verfüge.

Lemke verwies in diesem entpolitisierten Prozeß selber noch auf die obskure Rolle, die der Verfassungsschutz einnahm. In seinem Schlußwort sprach er seine Observierung durch den Verfassungsschutz an, die anscheinend über Monate ging. Er mutmaßte, daß VS ihn nicht festnehmen ließ, da die Behörde ein Psychogramm von ihm erstellt und darauf gewartet hätte, daß er etwas macht, was in der Öffentlichkeit den Rechten schaden könnte. Eine gewagte These. Diese entspricht auch eher dem Werwolf-Konzept der Nazis selber. Dies bezieht Terrorakte der Kameraden in Folge „psychologischer Entgleisungen" mit ein, kommt dies doch dem von ihnen angestrebten Bedrohungsszenario entgegen. Daß der VS Lemkes Aufenthaltsort kannte, ist sehr wahrscheinlich. Schon im März 1996 verwies das FBI auf Altana als Aufenthaltsort von Lemke. Der VS versuchte sich später herauszureden, die Adresse hätte nicht gestimmt. Lemkes Lebensgefährtin, bei der er wohnte, war zu dieser Zeit innerhalb Altonas in die Wohnung der Schwester umgezogen. Daß dies zu schwer für den VS zu ermitteln war, ist wenig glaubwürdig. Es ist also fraglich, welche Rolle wieder einmal der VS im Bezug auf die NS-Szene spielte.

 

 

Was an diesem Prozeß weiterhin auffallend war, war die Kälte der verwendeten Sprache aller Beteiligten. Es wurde von den „Straftaten zum Nachteil von..."etc. gesprochen. Die wenigsten der verbeamteten Leute sprachen von Opfern, von „Vergehen an.." Das Subsumieren von Opfern zu reinen Aktenzeichen in einem technokratischen Ablauf war gruselig. Ebenso patriachal wie die Sprache, war die Auffassung von Gutjahr, daß die Morde an den Frauen nicht grausam gewesen sein, da ihnen über die Tötung hinaus kein weiteres Leid und Schmerz zugefügt worden sei.

 

Die Vergewaltigungen fallen da als Grausamkeiten dem Mann Gutjahr nicht auf.

Besonders auffallend war die Männerlogik Esders und Gutjahrs bei der unterschiedlichen Bewertung der Tatbeteiligung der beiden Mitangeklagten. Diese fiel für Bianca Weidemann, die im Prozess immer wieder in Tränen ausbrach, weit schlechter aus, als für den unterkühlten Marcel Müthing. Weidemann stand zu Lemke, ihrer großen Liebe, in einem psychologischen Abhängigkeitsverhältnis. Sie schaffte es nicht, sich von diesem trotz Schläge und Demütigungen zu trennen und unternahm nach dem Mord, zu dem sie von ihm gezwungen worden war, mehrere Selbstmordversuche.

Kurz vor der Tat wurde sie von Lemke eingesperrt und bei der Tat selber mußte sie um ihr Leben fürchten. Trotzdem warfen ihr die Herren Juristen wesentlich härter als Müthing vor, sich der Tat nicht widersetzt zu haben. Müthing, der ein ganz anderes Verhältnis zu Lemke hatte, der besser hätte agieren können und nicht bedroht worden war, wurde sein „ängstliches Mitläufertum" positiv ausgelegt. Was der Frau zum Nachteil gereichte, sprach für den Mann. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lang nicht dasselbe.

 

Am 18.3."97 ergingen die Urteile.

Gegen Lemke wurde eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung ausgesprochen. Er wurde des dreifachen Mordes, der Vergewaltigung und der versuchten Vergewaltigung für schuldig befunden. Sein Mitangeklagter Marcel Müthing wurde wegen Beihilfe zur Vergewaltigung, sowie zu dem Mord an Patricia Wright zu 5 Jahren verurteilt. Bianca Weidemann wurde wegen Mordes an Dagmar Kohlmann zu 6 Jahren Haft verurteilt.

 

(antifaschistische nrw zeitung 14/15 - sommer '97)

 

 

 

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weitere Quellen und Verweise:

 

Zu Staatsanwalt Gutjahr hier:

Brandprozeß Hattingen - "Modell Lübeck" an der Ruhr -

linksunten.indymedia.org/de/node/22293

 

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Von Wikipedia: Thomas Lemke

http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Lemke

 

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Aus der Frankfurter Rundschau (23.9.2000):

„Sie starben, weil sie anders aussahen, anders dachten, anders lebten

Eine Bilanz der vergangenen zehn Jahre“
http://www.trend.infopartisan.net/trd1000/t041000.htm

 

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Von Serienkiller.de: THOMAS LEMKE

http://www.serien-killer.com/000000968e11c0e2b/0000009690118c728/537359972913cc603/index.html

 

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Der Spiegel: Verräter verfallen der Feme (13.5.1996)

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8923537.html

Der Spiegel: Zuflucht bei den Nazis (24.3.1997)

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8681143.html

 

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Welt-online: Archaischer Haß auf seine Opfer (19.3.1997)

http://www.welt.de/print-welt/article635306/Archaischer_Hass_auf_seine_Opfer.html

Welt-online: Er verführte seine Freunde zum Mord (19.3.1997)

http://www.welt.de/print-welt/article634082/Er_verfuehrte_seine_Freunde_zum_Mord.html

 

 

 

 

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