Leipzig: angeblich "keine Mordmerkmale erfüllt"

Demo nach dem Tod Kamals

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat Anklage im Tötungsfall Kamal K. erhoben. Gegen Marcus E. wegen des Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung und des Totschlags und gegen Daniel K. wegen des Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung. Ein rassistisches Tatmotiv sei in den Ermittlungen nicht zutage getreten, so die Staatsanwaltschaft. Wundern wird sich in Leipzig darüber wohl niemand, von Nazis begangene Morde werden seit Jahren geleugnet, das hat Prinzip.


"Ohne erkennbaren Grund" ermordet,so sieht es die Staatsanwaltschaft Leipzig

Die Leipziger Staatsanwaltschaft kann keinen Grund für den Mord an Kamal K. finden, es verwundert auch nicht, sie scheint auch nicht wirklich suchen zu wollen, so heißt es bei ZeitOnline:
Da die Staatsanwaltschaft den tödlichen Stich nur Marcus E. zurechnet, kam Daniel K. im Dezember aus der Untersuchungshaft frei. Dass er, der mehrere Jahre in Nordrhein-Westfalen lebte, der Neonazi-Gruppierung „Kameradschaft Aachener Land“ nahestand, habe bei den Ermittlungen keine Rolle gespielt, sagte Schulz dem Tagesspiegel.

Es waren Journalisten und linke Gruppen die nicht müde wurden zu recherchieren und darauf hinzuweisen, dass Daniel K. jahrelang in der neonazistischen Kameradschaft Aachener Land organisiert war und während der Tat ein Shirt, das seine Gesinnung zur Schau stellt ("Kick off Antifacism") trug. In seiner 2007 angetretenen Haftzeit – in der er auch Marcus E. kennenlernte – wurde Daniel K. von der einschlägigen neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) unterstützt. Marcus E. soll Tätowierungen tragen, die auf eine Affinität zur rechten Szene schließen lassen. Dennoch kann und will die Staatsanwaltschaft keinen Grund für den Mord an Kamal erkennen und finden. Für die Staatsanwaltschaft ist es nicht mal Mord, sondern nur Totschlag.

Auch dies ist schwer nachzuvollziehen, wie die Staatsanwaltschaft selber mitteilt, wurde Kamal von den beiden Tätern geschlagen, Daniel K. besprühte Kamal sogar mit Pfefferspray, nahm ihm somit die Möglichkeit einer Verteidigung und der Flucht, am Ende des Angriffs, rammte Marcus E. ein Messer in die Seite Kamals. Die Staatsanwaltschaft will dennoch nicht auf Mord plädieren, dabei heißt es:
§ 211 Mord

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oderum eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Warum das abstechen eines wehrlosen und schon am Boden liegenden Menschen, kein Mord ist, wird nur die Staatsanwaltschaft Leipzig wissen.

Rechte Morde im Jahre 2010 in Sachsen? "Hat es nich gegeben."

 

Auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz nach “Tötungsdelikten aus rassistischen, fremdenfeindlichen rechtsorientierten und/ oder antisemitischen Gründen in Sachsen im Jahr 2010″ antwortet Sachsen Innenminister Markus Ulbig klar und bestimmt: “Im Jahr 2010 wurden keine Tötungsdelikte aus rassistischen, fremdenfeindlichen rechtsorientierten und/ oder antisemitischen Gründen bekannt.” Damit urteilt der CDU-Politiker auch über den Mord an Kamal.


Die Antwort verwundert, am 10. Mai 2001 beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) ein neues Meldesystem für politisch motivierte Straftaten. Damit hoffte man, der anhaltenden Kritik an der offiziellen Zählung rechter Gewalttaten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach den neuen Erfassungskriterien wurden Straftaten nun mitgerechnet,
»wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen … sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten … gegen eine Person gerichtet sind, wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status und die Tathandlung damit in Kausalzusammenhang steht, bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüberhinaus werden Tatbestände erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte nach §§ 74a, 120 GVG sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.«

(weiter geht es mit dem Text zur Reform der Erfassungskriterien hier: Reform der polizeilichen Erfassung rechter Straftaten)

Trotz dieser Definition will das sächsische Innenministerium den Mord an Kamal nicht in ihrer Statistik aufführen.

Leugnen mit System, die verschwiegenen Toten

Einen älteren Bericht ist bei Panorama zu finden: Die verschwiegenen Toten (24.10.2000, Panorama), aber auch Leipzig hat seine ganz eigene Geschichte was das verschleiern von rechten Morden angeht. In Leipzig sind seit 1990 mindestens sechs Menschen durch rassistische und andere diskriminierende Übergriffe zu Tode gekommen, nur ein einziger Mord wurde zehn Jahre später offiziell anerkannt. Leugnen und vertuschen hat also auch in Leipzig eine lange Tradition.

Am 28. Mai 1994 wird der 43-jährige Klaus R. in einem Mietshaus in Leipzig-Lindenau von sechs Neonazis zu Tode geprügelt. Das spätere Opfer und die Täter wohnen zu diesem Zeitpunkt im selben Haus, in dem die Neonazis eine Wohnung besetzt halten. Nach einem Streit mit Klaus R. treten die Täter mit Stiefeln auf ihren Nachbarn ein und schlagen ihn mit Boxhandschuhen. 1995 verurteilt das Leipziger Landgericht den 18-jährigen Hauptangeklagten wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung zu fünf Jahren Haft. Die fünf Mittäter kommen mit niedrigeren Haft- und Bewährungsstrafen davon.

Bernd G., 43 Jahre alt, wird in der Nacht zum 8. Mai 1996 in Leipzig-Wahren auf offener Straße von drei Neonazis zusammengeschlagen und niedergestochen. Nachdem die Täter auf ihn eingetreten, einen Ziegelstein auf seinen Kopf geschmissen und 36 Mal auf ihn eingestochen haben, stirbt der 43-Jährige schließlich an einem Genickbruch. Die Leiche bringen die Täter per Auto zu einem Steinbruch in Ammelshain und versenken sie im Wasser. Blut und Kleidungsstücke von Bernd G. bleiben am Tatort zurück, doch die Anwohner_innen kommen nicht auf die Idee, die Polizei zu benachrichtigen.

Während die homosexuelle Orientierung des Opfers medial und polizeilich bekannt ist, spielen beim Prozess die politischen und homophoben Hintergründe der Täter keine Rolle. Zwar seien die Angeklagten der rechten Szene zuzuordnen, der Urteilsbegründung des Leipziger Landgerichts zufolge ist Bernd G. jedoch „aus Lust und Laune an körperlicher Mißhandlung” gestorben. Nach einem Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird der Haupttäter wegen Mordes zu vierzehneinhalb Jahren und seine Komplizen zu zehn und acht Jahren Haft verurteilt.

Der aus Syrien kommende Asylbewerber Achmed B., 30 Jahre alt, wird am 23. Oktober 1996 von zwei jungen Männern erstochen. Nachdem die Täter stundenlang faschistische und rassistische Parolen grölend durch die Stadt gezogen sind, betreten sie am Abend ein Gemüsegeschäft in der Leipziger Südvorstadt. Zunächst beschimpfen sie die Verkäuferinnen als „Türkenfotzen“ und „Türkenschlampen“ und drängen sie an eine Wand. Als Achmed B. seinen Kolleginnen zur Hilfe kommen will, wird er angegriffen. Nachdem es gelingt, die beiden Angreifer aus dem Geschäft herauszubewegen, sticht einer der beiden auf Achmed B. ein.

Der Mord mit rassistischem Hintergrund wird von Vertreter_innen der Stadt zum Teil verharmlost. So behauptet der damalige Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube: „ein rechtsextremes Potenzial ist mir hier nie begegnet“ und Leipzigs „Ausländerbeauftragter“ Stojan Gugutschkow pflichtet ihm bei: „Es hätte auch irgendeinen Deutschen treffen können“. Daniel Z. und Norman E. werden wegen „Mordes aus niedrigen Beweggründen“ angeklagt. Etwa ein Jahr später fällen die Richter des Landgerichts Leipzig das Urteil: Daniel Z. wird zu neuneinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt, sein Mittäter Norman E. erhält wegen Beihilfe viereinhalb Jahre Gefängnis. Laut Staatsanwaltschaft gebe es „keine Anhaltspunkte für einen fremdenfeindlichen Hintergrund“, stattdessen handle es sich um eine „spontane Tat“.

Der aus Portugal kommende Zimmermann Nuno L., 49 Jahre alt, wird am 4. Juli 1998 von acht Neonazis verprügelt. Nachdem das deutsche Fußballteam bei der Weltmeisterschaft der Männer gegen die Auswahl aus Kroatien verloren hat, ziehen acht Nazis los, um ihren Frust an „Ausländern“ abzulassen. Als sie auf Nuno L. treffen, tritt einer der Gruppe mehrmals mit Stahlkappenschuhen gegen dessen Kopf. Am 29. Dezember stirbt Nuno L. in Portugal an den Spätfolgen seiner Verletzungen.

Das Landgericht Leipzig wertet die Tat im September 1999 als Körperverletzung mit Todesfolge. Der Haupttäter wird zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, die Mitangeklagten – alle im Alter von 18 bis 20 Jahren – bekommen Bewährungsstrafen. Erst zehn Jahre nach dem Urteil benennt die Bundesregierung Nuno L. offiziell als Opfer rechter Gewalt. Er ist das einzige Opfer, welches offiziell anerkannt ist.

Der Obdachlose Karl-Heinz T., 59 Jahre alt, wird am 23. August 2008 im Zentrum Leipzigs von dem Neonazi Michael H. mehrfach verprügelt. Etwa zwei Wochen später, am 6. September, stirbt er im Krankenhaus an seinen Verletzungen.

In der Nacht nach einer Nazi-Demo unter dem Motto „Todesstrafe für Kinderschänder“, organisiert von den neonazistischen „Freien Kräften“, ziehen zwei junge Männer durch den Park hinter der Leipziger Oper. Dort finden sie den auf einer Bank schlafenden Karl-Heinz T.. Michael H. sagt ihm, dass er „nicht hier schlafen“ solle, versetzt ihm einen Fausthieb und springt ihm ins Gesicht. Der Täter – ununterbrochen von einem Kumpel begleitet – verlässt den Tatort für eine halbe Stunde, um sich mit Freunden zu treffen. Dann kehrt er zurück, um den 59-Jährigen erneut zu verprügeln. Die Ärzte stellen bei dem Opfer später massive Kopfverletzungen, Prellungen am ganzen Körper, Brüche im Gesicht, eine Halswirbelfraktur und Hirnblutungen fest.

Am 27. März 2009 verurteilt das Leipziger Landgericht den 18-jährigen Neonazi wegen „heimtückischen Mordes“ zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Wegen Reifedefiziten erhält er eine Jugendstrafe. Sein Kumpel wird nicht angeklagt. Der Staatsanwalt erklärte in seinem Plädoyer, das Opfer habe nichts getan, „außer im Park nachts zu schlafen“. Sein Mörder habe den Mann „zum bloßen Objekt degradiert“. Von polizeilicher Seite wird der Vorfall als „normale Straftat unter Alkoholeinfluss“ eingestuft.

Unter Alkohol geht alles, auch ein Mord

Auch beim Mord an Kamal wird wieder Alkohol als Entschuldigung für den Mord an einem Menschen geltend gemacht werden. Die Einstellung der Täter scheint jedenfalls wie oben schon erwähnt, nicht relevant zu sein. An dieser Stelle folgt die redigierte Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Leipzig:
Leipzig. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat gegen Marcus E. (32) Anklage wegen des Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung und des Totschlags und gegen Daniel K. (28) Anklage wegen des Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung zur Schwurgerichtskammer des Landgerichts Leipzig erhoben. Den Angeschuldigten liegt im Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen zur Last, in der Nacht des 24. Oktober 2010 in einer Grünanlage am Willy-Brandt-Platz in Leipzig ohne erkennbaren Grund mit dem irakischen Staatsangehörigen Kamal K. (19) Streit gesucht und sich dann mit ihm eine Schlägerei geliefert zu haben.

In deren Verlauf soll Kamal K. zunächst durch beide Angeschuldigten geschlagen, durch [das frühere Mitglied der Neonazi-Gruppe „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL), (1)] Daniel K. mit Reizgas besprüht und dann durch beide zu Fall gebracht worden sein, wodurch ihm Schmerzen zugefügt wurden. Der Angeschuldigte Marcus E. habe dann dem am Boden liegenden Kamal K. mit einem Messer einen Stich in den Rumpf versetzt. Kamal K. erlitt aufgrund des Stichs schwerste innere Verletzungen, an deren Folgen er trotz einer sofort eingeleiteten intensivmedizinischen Behandlung noch am 24. Oktober 2010 verstarb.

Die beiden Angeschuldigten waren unmittelbar nach der Tat in der Nähe des Tatortes vorläufig festgenommen worden. Während Daniel K. am 16. Dezember 2010 aus der Untersuchungshaft entlassen wurde [2], befindet sich der Angeschuldigte Marcus E. seit dem 25. Oktober 2010 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Hintergründe für die Auseinandersetzung und die Gewalteskalation konnten im Verlauf der Ermittlungen nicht aufgeklärt werden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche Motivation der beiden Angeschuldigten bei der Tat haben die Ermittlungen nicht ergeben.

Der Angeschuldigte Daniel K. hat sich zu den Tatvorwürfen eingelassen und erklärt, sich zwar mit dem Geschädigten geschlagen, nicht jedoch zugestochen zu haben. Im Übrigen könne er sich aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung nicht an den konkreten Ablauf des Geschehens erinnern. Anhaltspunkte dafür, dass ihm die Tötung des Kamal K. zuzurechnen ist, haben sich nicht ergeben, so dass gegen ihn nur Anklage wegen des Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung erhoben wurde. Der Angeschuldigte Marcus E. hat bisher von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht. Im Ergebnis der Ermittlungen hat er mit der Tat keine Mordmerkmale erfüllt, so dass gegen ihn nunmehr wegen des Tatverdachts des Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung Anklage erhoben wurde.

Im Hinblick auf die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der beiden zum Tatzeitpunkt nicht unerheblich alkoholisierten Angeschuldigten und die Strafzumessung für die mit Gewaltdelikten vorbestraften Angeschuldigten wurde durch die Staatsanwaltschaft ein Sachverständiger mit der Erstattung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. Dies liegt noch nicht vor.


Wer noch mehr über Dinge erfahren möchte, dies es auch angeblich in Liepzig nicht gibt sollte auf ChronikLE schauen. Für alle weiteren Informationen zum Mord an Kamal K. sei auf Initiativkreis Antirassismus verwiesen.