Ärger um die Ausbildung: Die Bundestagsfraktion der Linken sorgt sich, das beim Polizeitraining die Grenzen zwischen Polizei und Militär verwischen könnten. Sie wirft der Bundespolzei vor, für „bürgerkriegsähnliche Zustände“ zu trainieren.
Die Autofahrt vom deutschen Bundestag zum Truppenübungsplatz Lehnin dauert gut eine Stunde, normalerweise trainiert dort die Bundeswehr den Häuserkampf. Im Sommer trafen sich dort Polizeieinheiten aus 16 Ländern zum European Union Police Force Training (EUPFT). Sie übten offensichtlich auch – das zeigen mehrere auf der Internetplattform YouTube veröffentlichte Videos –, wie sie gewaltsam gegen Ausschreitungen vorgehen. Offiziell diente die Übung der Vorbereitung gemeinsamer Auslandseinsätze.
Die vermeintlichen Störenfriede in den Videos, gespielt von Polizisten, könnten aber auch Demonstranten dargestellt haben. Sie hatten sich Tücher vor Mund und Nase gebunden oder sich als Clowns verkleidet. Besonders pikant: Auf einem Dach positionierte sich ein Scharfschütze.
Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken, hat einen der Filme online gestellt. Die Linksfraktion sorgt sich, dass mit dem Training die vom Grundgesetz gezogene Grenze zwischen polizeilichen und militärischen Einsätzen verwischt werden könnte. Sie bat daher die Bundesregierung um Aufklärung. In deren schriftlicher Antwort auf eine parlamentarische Anfrage heißt es allerdings ausdrücklich, dass niemand in Lehnin mit Scharfschützengewehren trainiert habe.
Die Bundespolizei, die das EUPFT organisiert hatte, will das Video nicht kommentieren. Ziel des Trainings sei es lediglich, die Zusammenarbeit der internationalen Polizeiverbände zu verbessern. Die Pressestelle des Bundespolizeipräsidiums bestätigt der FR aber, dass bei der Übung auch mit Scharfschützengewehren trainiert wurde. Die Polizisten hätten unter anderem auch geübt, Geiseln zu befreien. Es liege in der Natur der Sache, dabei auch solche Waffen einzusetzen.
Seit 2008 treffen sich Polizeibeamte aus europäischen Ländern zu den Übungen. Im Vordergrund stehen dabei taktische Übungen. 2008 trainierten die Beamten laut der Zeitschrift der Bundespolizei etwa, wie sie in „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ gegen ethnische Spannungen vorgehen. Die Blaupause dafür lieferte offenbar der Kosovo.
2010 war das Szenario ähnlich: Nach einem Militäreinsatz sollten Polizisten trotz der ethnischen Spannungen in einem fiktiven Land „im Herzen Europas“ für Sicherheit sorgen und so etwa den friedlichen Ablauf von Wahlen gewährleisten. Die Videos legen nahe, dass es dabei auch zu Ausschreitungen kam.
Auch warum sich die Bundespolizei auf „bürgerkriegsähnliche Zustände“ vorbereitet, wollte das Bundesinnenministerium auf die Anfrage der Linksfraktion hin nicht erklären. Es seien keine bürgerkriegsähnlichen Zustände trainiert worden, hieß es nur lapidar.
Das EU-Projekt Godiac verfolgt einen anderen Ansatz im Umgang mit politischen Demonstrationen. Das von der schwedischen Polizei geleitete Forschungsprojekt will bis 2013 in zehn Feldstudien untersuchen, wie die Polizei in verschiedenen EU-Ländern versucht, die Lage nicht eskalieren zu lassen, indem sie auf die Demonstranten zugeht. Als Erstes schauten sich die Forscher die Proteste gegen die Atommülllieferung nach Gorleben an. Demnächst beobachten sie in London Demonstrationen gegen Sozialkürzungen.
Schweden hat das Projekt bekommen, weil die Polizei dort seit 2004 Dialog-Polizisten einsetzt, die bei politischen Demonstrationen mit den Organisatoren in Kontakt bleiben. Sie treffen dabei Vereinbarungen – etwa dass sich keine uniformierten Polizisten der Demonstration nähern, solange es friedlich bleibt.