Wie sicher darf, wie sicher soll man sich fühlen in einem durchschnittlichen französischen Städtchen? In Cernay, Ribeauvillé, Altkirch, Lutterbach und Soultz jedenfalls scheinen die Bürger in Sicherheitsfragen einen Nachholbedarf zu sehen.
Sonst würden diese südelsässischen Kleinstädte, alle in der
Größenordnung von 10.000 Einwohnern, nicht an einem Sicherheitsprogramm
teilnehmen, das die Präfektur in Colmar organisiert.
"Participation citoyenne" (Bürgerbeteiligung) oder etwas suggestiver
"Tranquilité citoyenne" (Bürgerliche Ruhe) nennt sich die
Nachbarschaftshilfe, die über dieses Programm erreicht werden soll.
Dessen Ziel ist es allein, die sozialen Kontakte von Haus zu Haus zu
stärken. Über eine solche soziale Kontrolle soll sich die
Aufmerksamkeit der Einwohner auf alles richten, was verdächtig
erscheint. Eine Kontaktperson in den ausgewählten Wohnvierteln sorgt
dafür, dass die Meldekette der Bürger bis zu den Ordnungshütern reicht.
Gemeinsam stärker sein gegen Wohnungseinbrüche und Vandalismus? "Auf
keinen Fall wollen wir eine Bürgerwehr", widerspricht Jean-Paul Omeyer,
Beigeordneter aus Cernay, Befürchtungen der Kritiker. Mit dem
Frühwarnsystem, dessen Grundidee auf die französische Regierung
zurückgeht, will er das Sicherheitsgefühl vor allem der älteren
Bevölkerung erhöhen. Ähnliche Aktionen gibt es in Frankreich schon
mehrfach, besonders in der Ferienzeit. "Tranquilité vacances" (Ruhe im
Urlaub) und "Tranquilité séniors" (Ruhe für Senioren) heißen sie dann.
Mehrere Départements haben diese Art institutionalisierter Nachbarschaftshilfe bereits erprobt. In den französischen Seealpen beispielsweise wollen die organisierten Bürger die Kleinkriminalität in ihren Orten binnen drei Jahren auf diese Weise um 40 Prozent gesenkt haben. Doch das überzeugt nicht alle. So haben viele Südelsässer zurückhaltend reagiert, als ihnen bei den ersten Bürgerversammlungen die Aktion vorgestellt wurde. Dabei sollte es darum gehen, die Kontaktperson als Mittelsmann zwischen Rathaus, Gendarmerie und Bürgerschaft zu bestimmen.
In Soultz erschien vor wenigen Wochen sogar nur ein Ehepaar zur
Versammlung. "Wenn die Täter von einem Wohnviertel aus schnell wieder
die Landstraße erreichen, haben wir ohne einen unverzüglichen Hinweis
aus der Bevölkerung meist keine Chance sie zu erwischen", sagte ein
Beamter bei der missglückten Versammlung. Die Polizei erhofft sich auch
Hinweise aus der Bevölkerung, wo sie zur Prävention von Straftaten ihre
Präsenz verstärken könnte und sollte, erläutert eine Sprecherin der
Präfektur in Colmar. "Es ist nicht so, dass wir zu wenig Polizei
hätten", argumentiert Omeyer. "Aber sie kann in der Beobachtung des
täglichen Geschehens nicht die Kontinuität gewährleisten, die ein
aufmerksamer Nachbar zu bieten hat."
Wer die französische Politik unter dem früheren Innenminister und
jetzigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy verfolgt, der weiß:
Sicherheit ist dessen Steckenpferd, und dies nicht erst seit dem
Sommer, als er mit der Ausweisung von Romafamilien im großen Stil
Schlagzeilen machte. Er hat damit durchaus seinen Finger am Puls der
Zeit – zumindest in Frankreich. Das Sicherheitsbedürfnis der Franzosen,
das belegen Umfragen, ist den vergangenen Jahren deutlich gewachsen.
Sarkozy gilt zudem als Anhänger der amerikanischen Kultur – und so
ähnelt seine "Ruhe für die Bürger" nicht von ungefähr
Schutzorganisationen, wie sie aus dem angloamerikanischen Raum als
"Neighbourhood Watch" (Nachbarschaftswache) bekannt sind. "Die Leute
werden sich verantwortlicher und vor Einbrüchen und Vandalismus besser
geschützt fühlen" – dessen ist sich Jean-Paul Omeyer sicher. "Heute
kennt man seine Nachbarn doch kaum noch."