Bürger im Elsass sorgen selbst für mehr Sicherheit

Erstveröffentlicht: 
10.01.2011

Wie sicher darf, wie sicher soll man sich fühlen in einem durchschnittlichen französischen Städtchen? In Cernay, Ribeauvillé, Altkirch, Lutterbach und Soultz jedenfalls scheinen die Bürger in Sicherheitsfragen einen Nachholbedarf zu sehen.

 

Sonst würden diese südelsässischen Kleinstädte, alle in der Größenordnung von 10.000 Einwohnern, nicht an einem Sicherheitsprogramm teilnehmen, das die Präfektur in Colmar organisiert.

"Participation citoyenne" (Bürgerbeteiligung) oder etwas suggestiver "Tranquilité citoyenne" (Bürgerliche Ruhe) nennt sich die Nachbarschaftshilfe, die über dieses Programm erreicht werden soll. Dessen Ziel ist es allein, die sozialen Kontakte von Haus zu Haus zu stärken. Über eine solche soziale Kontrolle soll sich die Aufmerksamkeit der Einwohner auf alles richten, was verdächtig erscheint. Eine Kontaktperson in den ausgewählten Wohnvierteln sorgt dafür, dass die Meldekette der Bürger bis zu den Ordnungshütern reicht.


Ein Frühwarnsystem – keine Bürgerwehr


Gemeinsam stärker sein gegen Wohnungseinbrüche und Vandalismus? "Auf keinen Fall wollen wir eine Bürgerwehr", widerspricht Jean-Paul Omeyer, Beigeordneter aus Cernay, Befürchtungen der Kritiker. Mit dem Frühwarnsystem, dessen Grundidee auf die französische Regierung zurückgeht, will er das Sicherheitsgefühl vor allem der älteren Bevölkerung erhöhen. Ähnliche Aktionen gibt es in Frankreich schon mehrfach, besonders in der Ferienzeit. "Tranquilité vacances" (Ruhe im Urlaub) und "Tranquilité séniors" (Ruhe für Senioren) heißen sie dann.

Mehrere Départements haben diese Art institutionalisierter Nachbarschaftshilfe bereits erprobt. In den französischen Seealpen beispielsweise wollen die organisierten Bürger die Kleinkriminalität in ihren Orten binnen drei Jahren auf diese Weise um 40 Prozent gesenkt haben. Doch das überzeugt nicht alle. So haben viele Südelsässer zurückhaltend reagiert, als ihnen bei den ersten Bürgerversammlungen die Aktion vorgestellt wurde. Dabei sollte es darum gehen, die Kontaktperson als Mittelsmann zwischen Rathaus, Gendarmerie und Bürgerschaft zu bestimmen.


Es fehlt nicht an Polizisten


In Soultz erschien vor wenigen Wochen sogar nur ein Ehepaar zur Versammlung. "Wenn die Täter von einem Wohnviertel aus schnell wieder die Landstraße erreichen, haben wir ohne einen unverzüglichen Hinweis aus der Bevölkerung meist keine Chance sie zu erwischen", sagte ein Beamter bei der missglückten Versammlung. Die Polizei erhofft sich auch Hinweise aus der Bevölkerung, wo sie zur Prävention von Straftaten ihre Präsenz verstärken könnte und sollte, erläutert eine Sprecherin der Präfektur in Colmar. "Es ist nicht so, dass wir zu wenig Polizei hätten", argumentiert Omeyer. "Aber sie kann in der Beobachtung des täglichen Geschehens nicht die Kontinuität gewährleisten, die ein aufmerksamer Nachbar zu bieten hat."


Wer die französische Politik unter dem früheren Innenminister und jetzigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy verfolgt, der weiß: Sicherheit ist dessen Steckenpferd, und dies nicht erst seit dem Sommer, als er mit der Ausweisung von Romafamilien im großen Stil Schlagzeilen machte. Er hat damit durchaus seinen Finger am Puls der Zeit – zumindest in Frankreich. Das Sicherheitsbedürfnis der Franzosen, das belegen Umfragen, ist den vergangenen Jahren deutlich gewachsen.

Sarkozy gilt zudem als Anhänger der amerikanischen Kultur – und so ähnelt seine "Ruhe für die Bürger" nicht von ungefähr Schutzorganisationen, wie sie aus dem angloamerikanischen Raum als "Neighbourhood Watch" (Nachbarschaftswache) bekannt sind. "Die Leute werden sich verantwortlicher und vor Einbrüchen und Vandalismus besser geschützt fühlen" – dessen ist sich Jean-Paul Omeyer sicher. "Heute kennt man seine Nachbarn doch kaum noch."