Längst keine Randgruppen-Erscheinung mehr

Erstveröffentlicht: 
12.11.2010

Worms

 

Längst keine Randgruppen-Erscheinung mehr

 

Von Claudia Wößner

 

AUSSTELLUNG „Tatort Rheinland-Pfalz“ zeigt, dass Neonazis mitten in der Gesellschaft aktiv sind / Journalistin recherchiert verdeckt über Ewiggestrige

 

Bis Mittwoch, 17. November, ist im Rathaus die Ausstellung „Tatort Rheinland-Pfalz“ zu sehen. Die Dokumentation zeigt die aktuellen Erscheinungsformen der Neonaziszene in Rheinland-Pfalz; ihre Botschaft: Neonazis sind schon längst keine Randgruppenerscheinung mehr.

 

Sie sind unter uns, angekommen mitten in der Gesellschaft, in Vereinen, Elternbeiräten und der Freiwilligen Feuerwehr. Dort, wo sich schnell an Pöstchen kommen lässt. Sie leisten Hartz IV-Beratung, leiten eine Krabbelgruppe oder geben Schülern Nachhilfe. „Neonazis in Nadelstreifen“ sind das, die als der „Wolf im Schafspelz“ für ihr „braunes“ Gedankengut werben. Bullige Glatzköpfe mit Springerstiefel und Bomberjacke, wie man sich landläufig den „typischen“ Neonazi vorstellt, sind seltener geworden. So skizziert Andrea Röpke in ihrem Vortrag zur Ausstellungseröffnung jedenfalls die moderne Neonazi-Szene, wie sie auch in Rheinhessen und der Pfalz zu finden ist.

 

Röpke ist eine Insiderin des rechten Milieus. Seit Jahren recherchiert die freie Journalistin teils verdeckt im Kreis der Ewiggestrigen. Sie hat den Weg der NPD von der „Altherrenpartei zur parlamentarischen Spitze der Bewegung“ so intensiv verfolgt, dass Röpke mittlerweile eine „lebenslange Ausladung“ von der NPD erhalten hat, da sie nicht mehr „resozialisierbar“ sei. Regelmäßig erhält die mutige Frau nach eigenen Angaben „Hausbesuche“ von den „Kameradschaften“. Die Zivilgesellschaft würdigte Röpke für ihren „praktischen Verfassungsschutz“ im vergangenen Jahr mit dem Preis der Lutherstädte für das unerschrockene Wort.

 

Röpke steht da vor ihrem Rednerpult im Ratssaal. Sie kann nicht anders, als eindringlich vor den Neonazis zu warnen. Gerade ganz besonders am 9. November, diesem deutschen Schicksalstag, an dem 1938 nicht nur die Synagogen brannten, sondern an dem 1918 Philipp Scheidemann die Weimarer Republik ausrief und der Mauerfall 1989 ein ganzes Volk in den Freudentaumel stürzte. Die geistigen Brandstifter von heute sorgen für blankes Entsetzen in den leider doch sehr überschaubaren Publikumsreihen. Röpke erzählt von einer zehnfachen Mutter, die im Kampfanzug durch ihre Wohnung läuft, die Hakenkreuz-Torten backt und deren Kinder glauben, dass die deutschen Farben immer noch schwarz, weiß und rot seien. Diese Mutter lebt nach Angaben Röpkes nicht irgendwo in einem Provinz-Dorf in entvölkerten Landstrichen im Osten, sondern in einer Großstadt hier in der Region.

Die „modernen“ Nazis sind mittlerweile überall. „Die NPD“, erklärt Journalistin Röpke, „ist bereit, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich geistig befinden“. Und das ist heute nicht mehr der Obersalzberg oder Stalingrad, sondern häufig die soziale Frage. „Dort, wo die Alltagssorgen sind, wollen sich die Neonazis kümmern“, weiß Röpke. In Rheinland-Pfalz gelte die Westpfalz als Hochburg der NPD. Zwei größere Immobilien besitze die Partei in Pirmasens und Herschberg. Dort werde die „Schaffung einer nationalen Gegenkultur“ gelehrt. Ziel der NPD, so Röpke, sei es, die Demokratie durch eine „Volksgemeinschaft“ zu ersetzen. Was tun gegen die „Kameraden“? Vor allem eine Sensibilisierung der Zivilgesellschaft für die „braunen Machenschaften“. Deshalb wünscht sich OB Michael Kissel, dass möglichst viele Schulklassen die Neonazi-Ausstellung besuchen.