Nach den überzogenen Einsätzen von polizeilicher Gewalt am 26.3. und 10.4.2010 in Bochum fanden seit Mitte September bisher fünf Prozesse statt, die auch rechtskräftig abgeschlossen sind. Ein Prozess endete mit einem Freispruch und einer wurde eingestellt. Zwei Prozesse endeten mit Verurteilungen zu skandalös hohen Geldstrafen (jeweils 1200 Euro und 800 Euro). Eine Person erhielt einen rechtskräftigen Strafbefehl über 450 Euro. Ein weiterer Prozess fand am 10.9. am Amtsgericht statt, wurde aber auf einen bis dato unbekannten Termin vertagt.
Im folgenden wollen wir versuchen, einen umfassenden Bericht über die aktuellen Verfahren abzugeben und in fundierter Weise über die Hintergründe der Repression aufzuklären. Teil 1 setzt den Schwerpunkt auf den „26.3.“. Der „10.4.“ wird im zweiten Teil besprochen.
(Anmerkung: in dieser Veröffentlichung tauchen teilweise Lücken auf, die sich aus Diskrepanzen in den Ermittlungen und der Kommunikation mit Betroffenen oder ZeugInnen ergeben.)
1. Überblick über die Verfahren vom 26.3.
Im Zuge der Kundgebung und der Blockade gegen die RassistInnen von ProNRW am 26. März 2010 wurden insgesamt 11 Personen festgenommen (darunter 2 Minderjährige). Darüberhinaus wurde der Anmelder der Antifa-Kundgebung wegen „Aufrufs zu Straftaten“ angezeigt.
Nach unserem Erkenntnisstand nahm die Polizei gegen 10 der 11 BlockiererInnen Ermittlungen wegen Landfriedensbruch auf. Daneben stand gegen 9 der Betroffenen jeweils noch der Vorwurf des „Widerstands“ im Raum. Mit Ausnahme eines einzigen wurde gegen 8 der 9 Personen noch entweder wegen Körperverletzung oder Beleidigung ermittelt.
Gegen einen Polizisten wird wegen Körpverletzung im Amt ermittelt, weil er einen Festgenommenen bis zur Ohnmacht gewürgt hat. Diesbezüglich versucht die Staatsanwaltschaft aus fadenscheinigen Gründen eine Einstellung zu erwirken.
Die relativ kurzen Zeiträume zwischen Ermittlungen und Anklageerhebungen (wenige Wochen) bei manchen Verfahren legt nahe, dass für die Staatsanwaltschaft ein unmittelbares und konsequentes Vorgehen gegen antifaschistisch engagierte Jugendliche eine hohe Priorität genießt. Zunächst ermittelte der Staatsschutz in einem gesammelten Verfahren gegen alle Festgenommenen vom 26.3., die Staatsanwaltschaft teilte diese dann in Einzelverfahren auf. Zwei Verfahren gegen einen Mindener, der auch am 10.4. festgenommen wurde, wurden selbstverständlich zu einem einzigen Verfahren zusammengelegt.
Ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme sahen sich die 11 BlockiererInnen einer ganzen Palette von juristischen Konsequenzen ausgesetzt. Für zwei von ihnen hielt man nicht mal eine Hauptverhandlung für notwendig: die Aussagen von PolizistInnen reichten der Anklagebehörde völlig, um zwei Strafbefehle anzufertigen.
Eine Studentin, die eine Anzeige wegen Beleidigung, Widerstands und versuchter gefährlicher Körperverletzung erhielt, bekam einen Strafbefehl über 20 Tagessätze zu je 15 Euro (= 300 Euro) zugesandt. Der Strafbefehl bezog sich jedoch „nur“ auf die angebliche Widerstandshandlung, d.h. die anderen Vorwürfe wurden von der Staatsanwaltschaft offensichtlich fallen gelassen worden. Hiergegen legte die Betroffene Widerspruch ein und wartet z. Z. noch auf eine Entscheidung des Amtsgerichts.
Ebenfalls einen Strafbefehl über 450 Euro sandte die Staatsanwaltschaft einem Studenten zu. Bei ihm gesellte sich zusätzlich zum Vorwurf des Landfriedensbruchs nach Entscheidung der Staatsanwaltschaft noch ein „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“.
Bei fast allen erhob die Staatsanwaltschaft ebenfalls zusätzlich Anklage wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz („Vereitelung einer nicht-verbotenen Versammlung“).
Aus dem Bericht zur Verhandlung gegen einen 20-jährigen Bochumer am 11.9.
„Der
Prozess [am 11.9.] begann mit einer Erklärung des Angeklagten, in
der er zu seiner Beteiligung an der Blockade, den politischen
Hintergründen der rassistischen Mahnwache und der Polizeigewalt an
dem Tag Stellung nahm. Er brachte seine Empörung darüber zum
Ausdruck, dass nun AntifaschistInnen an den Pranger gestellt werden
und nicht etwa die Nazis, oder die Bullen, die erhebliche Gewalttaten
an dem Tag begangen hatten. Außerdem widersprach er der Darstellung
der Staatsanwaltschaft, dass er von einem Polizeibeamten zu Boden
gebracht worden wäre. Er erzählte von seiner brutalen Festnahme
durch drei Beamte, bei der sein Kopf, während er komplett am Boden
fixiert war, ohne Grund mehrfach auf den Asphalt geschlagen wurde.
Sein Verteidiger stellte infrage, ob ein gewaltfreies
Sich-durch-schieben durch eine Polizeikette als Landfriedensbruch zu
bezeichnen wäre. Da die Aussage des Angeklagten in Teilen der
Darstellung der Staatsanwaltschaft widersprach wurde der weitere
Fortgang des Prozesses vertagt, weil es als notwendig angesehen
wurde, die Videos der Polizei von den Geschehnissen in Augenschein zu
nehmen. Der vorgeladene Polizist wurde dementsprechend nicht mehr
angehört.“
Verfahrenseinstellung im Fall eines minderjährigen Bochumers
Das Verfahren gegen einen 17jährigen Bochumer wurde in der Hauptverhandlung eingestellt. Angeklagt war er wegen Landfriedensbruch, Widerstand und Körperverletzung. Im Verfahren wurde u.a. ein Polizeivideo abgespielt, in welchem die Szene des Durchbruchs durch die Polizeikette zu sehen war. Das Gericht befand, dass ein bloßes kollektives Anrempeln beim Passieren einer Polizeikette nicht annähernd hinreichend dem Tatbestand des Landriedensbruchs entspricht. Die Staatsanwaltschaft stimmte mittlerweile dem Vorschlag des Gerichts zu und stellte das Verfahren ein.
Dieser Befund wird sich auf die kommenden Hauptverhandlungen auswirken, da die Anklagen teilweise auf den selben Beweisen und Polizeivideos beruhen.
2. Zu den Vorwürfen nach der Blockade am 26.3.
Bei den Ermittlungsverfahren gegen diejenigen, welche direkt an der Blockade beteiligt waren ist der Vorwurf des Landfriedensbruchs und des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz am augenfälligsten. Dazu sollten wir uns nochmal vor Augen führen, was eigentlich der Stein des Anstoßes ist.
Rückblick
Die ProNRW-“Mahnwache“ sollte um 14
Uhr unweit der Moschee in der Dibergstraße stattfinden. Neben der
Grottenstraße gibt es noch zwei weitere Wege zur Dibergstraße, von
denen der eine Weg praktisch nur zu Fuß begehbar ist und die andere
Zufahrtsstraße nicht in Frage kam, da dort die Protestkundgebung
stattfand und aus Polizeisicht seit Jahren die Prämisse für solche
Einsätze gilt, gegnerische Gruppen auf Distanz zu halten (dazu
später mehr). Eine Gruppe von 20 Personen begann um etwa 13:20 Uhr,
die Mündung der Grottenstraße, welche durch eine Polizeikette
gesperrt war, durch eine Sitzblockade dicht zu machen. Im Verlauf
einer viertel Stunde wuchs die Blockade auf 50 Personen an. Schnell
wurden mehrere Züge der 6. Duisburger Hundertschaft zur
Grottenstraße hinzugezogen, die die BlockiererInnen umstellten und
provozierten. Um etwa 14 Uhr bewegte sich der Konvoi von ProNRW auf
die Grottenstraße zu. Laut dem Bericht eines Augenzeugen hatten die
Polizeibeamten ursprünglich geplant, den Konvoi an der rechten Seite
der Blockade vorbeizuschleusen, jedoch verwarf die Einsatzleitung
dieses Vorhaben kurzfristig und entschied, die RassistInnen über den
letztmöglichen Weg zu ihrem Kundgebungsort zu eskortieren. Dieses
Vorgehen mutet aus einsatztaktischer Sicht sehr seltsam an.
Einerseits, weil die Polizei mit der Schleusetaktik gegen ihre eigene
Einsatzprämisse (räumliche Distanz) verstoßen hätte, andererseits
weil die Einsatzleitung sehr spät umdisponiert hat, nämlich erst,
als dem Pro NRW-Konvoi keine andere Möglichkeit mehr blieb, als
direkt an der Blockade zu wenden. Dieser Umstand kann entweder als
Fahrlässigkeit und Desorganisation gedeutet werden, oder als
bewusste Provokation gegenüber den etwa 70-100 GegendemonstrantInnen
an dieser Kreuzung.
Bestätigter Zeugenbericht auf "derwesten.de":
Ich war dabei und habe die
Situation beobachtet: Die Jugendlichen hatten einen Teil der
Grottenstraße durch die Sitzblockade blockiert; allerdings war über den
Parkplatz der Fussbodenfirma noch genug Zugang frei. Von den anwesenden
Polizisten habe ich gehört, dass man die pro NRW-Menschen dort
vorbeischleusen wolle. Als die (ca. 6) Busse aus Richting Hattingen
ankamen hatte es sich die Einsatzleitung scheinbar anders überlegt und
ließ die Busse am Grünstreifen der Hattinger Straße wenden um zur
kleinen Ehrenfeldstraße zurück zu fahren. Erst als sich alle Busse auf
dem Weg dorthin befanden - zu diesem Zeitpunkt war nicht ein pro NRW-ler
ausgestiegen geschweige denn aufmarschiert, sprangen die Jugendlichen
auf. Dies wurde durch die anwesenden Polizisten sofoert massiv
unterbunden, indem mehrer Polisten gleichzeit auf einzelne Jugendliche
zusprangen, diese zu Boden warfen und zum Teil mit drei Personen auf
einem Jugendlichen knieten und ihnen das Gesicht auf die Straße
drückten. Mehrer Minuten blieben sie in diesem Zusatnd dort
festgehalten. Die Situation wurde von vielen der Anwesenden fotografiert
und viele der anwesenden - hier vor allem Erwachsene - waren
erschüttert über den unverhältnismaßigen Übergriff der Polizei. Nachdem
die Kreuzung geräumt war, wurden noch auf der Straße befindliche
Jugendliche, die auch nicht an der Blockade beteiligt waren, von einem
Polizisten durch Griffe in den Nacken und vor sich herschubsen zum
"verschwinde jetzt von der Straße" genötigt. Auch hierzu sind Fotos
gemacht worden. Dieser Einsatz der Polizei war absolut
unverhältnismaßig!
Im folgenden rezitieren wir einen
Ausschnitt aus unserem Bericht, der sich in mehreren Gesprächen mit
Betroffenen und AugenzeugInnen bestätigte:
„In diesem Moment entschlossen sich die Blockierenden den „Pro NRW“-Konvoi an der Weiterfahrt auf der Hattinger Straße ebenfalls zu hindern. Der Versuch, sich auf die Hattinger Straße zu begeben, wurde von der Polizei mit brachialer Gewalt zerschlagen. Die in Rage geratenen Staatsbeamten schlugen die – zu jeder Zeit friedlichen – NazigegnerInnen mit Knüppeln auf den Kopf, fixierten sie auf dem Boden mit Knien auf dem Hals, schlugen bereits Festgenommene (!) mit dem Kopf auf den Asphalt. Eine Nazigegnerin wurde mit einem Knüppel 10 mal auf den Kopf geschlagen. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert [Anm.: das ist eine Fehlinformation. Es hat niemand 10 Schläge auf den Kopf bekommen und ein Krankenwagen wurde auch nicht gesichtet]. Eine andere Nazigegnerin erhielt drei Knüppelschläge auf den Kopf und befand sich danach im Delirium. Eine Person, die am späten Nachmittag auf dem Nachhauseweg war, berichtete, dass ein Polizeibeamter zur Durchsetzung einer Personalienkontrolle damit drohte, er würde auf sie schießen, wenn sie nicht stehen bleibe. Die Person blieb stehen und fragte, ob er wirklich geschossen hätte. Die Antwort des Ordnungshüters: „So ein Schuss löst sich schneller, als man denkt“. Auf der Wache machte die grüne Verbrechertruppe weiter. Ein Aktivist sollte einen Fingerabdruck abgeben und wurde zu diesem Zweck so lange gewürgt, bis er ohnmächtig wurde. Danach wurde er in seine
Zelle zurück getragen. Noch am selben Abend erstattete er Strafanzeige gegen den entsprechenden Polizisten. Die Polizisten in der Wache deckten jedoch ihren Kameraden, dessen Vorname bekannt ist, und ließen keine Gegenüberstellung zu.“
Zum Vorwurf des „Landfriedensbruch“
Wie weit der Straftatbestand des
Landfriedensbruch ausgelegt werden kann, zeigt sich ganz deutlich an
den angestrebten Verfahren: aus Sicht der Polizei und der
Staatsanwaltschaft war er bereits erfüllt, weil ein paar Dutzend
Menschen, die von PolizistInnen eingekreist waren, vom Straßenasphalt
aufstanden und versuchten die Polizeikette zu passieren. Die
Polizeibeamten wichen natürlich nicht aus, sondern versuchten die
Leute aufzuhalten. Dabei kam es zu Remepeleien und schließlich wurde
die Polizei etwa 10 der 50 Leute habhaft.
Der Vorwurf des Landfriedensbruch hat in Zusammenhang mit Vorkommnissen dieser Art eine ganz spezielle Bedeutung. Laut Strafgesetzbuch ist der Tatbestand dann erfüllt, wenn Straftaten und Gewalthandlungen aus einer Menschenmenge heraus begangen wurden. Für die Erfüllung des einfachen Falls des Landfriedensbuchs reicht es schon aus, Teil dieser Menschenmenge gewesen zu sein, d. h. für begangene Straftaten wird pauschal jeder Einzelne haftbar. Oder wie der Volxmund es ausdrückt: Mitgehangen, mitgefangen. Und genau darauf zielt die Strafverfolgung nach diesem Paragraphen ab, nämlich Versammlungen und Aktionen, die sich aktiv der Kontrolle durch die Polizei entziehen, als Ganze zu kriminalisieren bzw. diejenigen, derer die Polizei habhaft werden kann, stellvertretend für alle zu bestrafen.
Zum Vorwurf der „Versammlungsvereitelung“
Bis vor einigen Jahren deuteten
Verfolgungsbehörden solche Blockade-Aktionen noch als (versuchte)
Nötigung, bis das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das reine
kollektive Sitzen für diesen Vorwurf nicht ausreicht. Nun versuchen
es die Staatsanwaltschaften an allen Orten also mit dem
Straftatenkatalog aus dem Versammlungsgesetz. Der Vorwurf des „Verstoßes gegen das
Versammlungsgesetz“ ist also ein weiteres Merkmal für den
politischen Charakter der Anklagen. Zwar wurde die Mahnwache von „Pro
NRW“ durch die Blockade, wenn auch wenigstens erheblich verzögert,
letztlich nicht ganz verhindert. Für den Straftatbestand reicht aber
schon der reine Versuch aus. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft soll in diesem Sinn aber nicht etwa „nur“ die Versammlungsfreiheit von
offensichtlich rassistisch motivierten Vereinigungen durchgesetzt
werden. Ganz grundsätzlich gehen sie davon aus, dass es nicht Sache
zivilgesellschaftlichen Handelns sein soll, sich in
Ausseinandersetzung mit RassistInnen und FaschistInnen in Form
friedlicher Sitzblockaden zu wehren. Ganz egal, wer sich wo
versammelt, der Staat verteidigt sein Vorrecht, Versammlungen zu
genehmigen oder zu verbieten, zu bestimmen in welcher Form
Versammlungen durchgeführt werden dürfen und notfalls zu Gunsten
der einen Versammlung eine andere mit brachialer Gewalt zu
unterdrücken, und zwar insbesondere solche, die das Vorrecht infrage
stellen. Die katastrophale Konsequenz aus solchen staatlichen
Eingriffen in zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen ist die
Abschreckung durch Strafverfolgung. Damit einher geht die
Entmündigung der Menschen, sich vernunftsgemäß gegen reaktionäre
Tendenzen selbstständig zu wehren.
Kriminalisierung kritischer Blicke
Neben vielen anderen Außenstehenden,
welche über die teils brutalen Festnahmen entsetzt waren und sich
bei Polizeibeamten beschwerten, versuchte die Polizei eine Studentin
vom Festnahmeort abzudrängen und quitierten ihre kritische
Äußerungen mit einem Platzverweis.
Diesem kam sie berechtigterweise nicht
nach und bekam deshalb einen Strafbefehl über 300 Euro zugestellt,
weil sie Widerstand geleistet haben soll. Neben ihr gab es noch viele
weitere kritische ZeugInnen, welche die Beamten je nach Lust und
Laune in den Nacken griffen und wegdrängten, oder z.B. einem
Pressefotografen mit Festnahme drohten. Ein Polizeibeamter schubste
eine Frau, welche ihn zur Vorsicht mahnte, da sie schwanger war. Dem
„entgegnete“ der Duisburger Polizist sinngemäß: „Pass auf,
gleich bist du tot“. Um nicht wiedererkannt zu werden, entfernte er
sich sofort. Im juristischen Jargon könnte mensch die beschriebenen
Übergriffe gegen Außenstehende als Vertuschungstaten bezeichnen, um
die „Maßnahmen“ ihrer KollegInnen gegen kritische Blicke
abzuschirmen. An den Festnahmen der 10 DemonstrantInnen waren jeweils
gleich mehrere Beamte beteiligt, von denen mindestens immer einE
Beamter/Beamtin zwecks Fixierung auf der festgenommenen Person
kniete. Mehr als genug Polizeibeamte also, die aus eigener Kraft ihre
„Maßnahmen“ ungehindert durchführen konnten. Die Platzverweise
und Gewalt gegen Umstehende können daher nur als „Entledigung“
unliebsamer ZeugInnen bezeichnet werden. ZeugInnen haben
Polizeibeamte selten gern, weil sie als Außenstehende später vor
Gericht die Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit polizeilichen
Handelns infrage stellen könnten.
Auf der Polizeiwache wurden nachweislich folterähnliche Methoden angewandt
Eine besonders widerliche Erinnerung an
den 26.3. besteht in der völlig entgrenzten Missachtung der
Menschenwürde, als die Festgenommenen auf die Wache verbracht und
„bearbeitet“ wurden. Von einigen der Festgenommenen wollten die
„SachbearbeiterInnen“ Fingerabdrücke abnehmen, gegen die ein
einfacher Widerspruch geltend gemacht werden kann. Bei einem der
Festgenommenen nahmen es die „Sachbearbeiter“ mit den
Vorschriften nicht ganz so ernst und bedienten sich einer eher
„inoffiziellen Methodik“ (siehe Filmszene links aus "La Haine"). Als der Betroffene sich der
polizeilichen Anordnung verweigerte und symbolisch die Hände auf dem
Rücken verschränkte, wurden durch einen speziellen Griff um seinen
Hals die Halsschlagadern abgedrückt um eine
Sauerstoffunterversorgung zu bewirken, welche zur Ohnmacht führte.
Er wurde nach erfolgter ED-Behandlung zurück in die Zelle getragen.
Gegen diese in Amtsausübung begangene Körperverletzung erstellte
der Betroffene Anzeige. Und tätsächlich wird dieser Vorgang in den
Ermittlungsakten erwähnt. In schier unfassbarer Kreativität stellte
der Unterzeichner dieses Vermerks den Vorgang aus seiner Sicht dar.
Er behauptet schlichtweg, der Betroffene habe sich gegen seine
ED-Behandlung gewehrt. Zur Durchsetzung der Maßnahme habe der
Unterzeichner zur Fixierung seinen rechten Arm um den Kopf des
Betroffenen gelegt und mit seiner linken Hand die Schulter
festgehalten, damit seine Kollegen die Fingerabdrücke ungehindert
abnehmen konnten. Der Betroffene sei dann absichtlich im Stehen
zusammengesackt und somit in die rechte Armbeuge des Unterzeichners
gerutscht, woraufhin der Beamte seinen Griff sofort gelockert habe.
Ein Studium der Anatomie ist ganz gewiss nicht nötig, um diese
Darstellung als Lüge zu entlarven. Insbesondere sprechen dagegen die
Fotos, die der Betroffene von seiner Halsgegend anfertigte, auf die
Abdrücke seiner Armbeuge deutlich zu erkennen sind.
Zum Abschluss seiner Erläuterungen merkte der Unterzeichner zur Rückversicherung an, dass bei diesem Vorgang niemand, weder seine Kollegen noch der Betroffene, verletzt worden sei.
„Anständige Leute zeigen Polizeibeamte nicht an!“
Interessant in diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch die Nicht-Würdigung der Strafanzeige gegen den Polizisten, der an diesem Tag den Würgegriff durchführte. Ganz im Gegenteil, die Staatsanwaltschaft erklärte das Verfahren einfach für (vorläufig) eingestellt, weil es die Strafprozessordnung vorschreibe, dass keine doppelten Ermittlungen durchgeführt, sondern einem der beiden Strafverfahren Vorrang gegeben werden muss. Welches Strafverfahren gegen den Betroffenen in diesem Zusammenhang Relevanz hat, das seine eigene Straftanzeige beeinträchtigen könnte, das erwähnt die Staatsanwaltschaft nur in einem Nebensatz: falsche Verdächtigung! Diese „kreative Verfahrensweise“ ist hinreichend aus vielen anderen Strafverfahren gegen PolizistInnen bekannt und kann als staatlicher Automatismus bezeichnet werden: Justiz und Verfolgungsbehörden MÜSSEN die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns annehmen, denn Zustimmung und Vertrauen der BürgerInnen in die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns
dienen letztlich der Erhaltung der Rechtsordnung und schützen ihre Durchsetzung (Staatsräson). Deshalb folgt auf nahezu jede Anzeige gegen uniformierte GewalttäterInnen eine Gegenanzeige, z.B. wegen Widerstand oder in diesem Fall falsche Verdächtigung.
3. Der „Bochumer 26.3.“ in der Gesamtschau des letzten Märzwochenendes 2010
Im Gesamtzusammenhang ist der regionale
politische Kontext interessant, in welchem die Aktionen an diesem
Märzwochenende, und die damit verbundene Repression, zu verorten
sind. Auf Weisung des Landesinnenministeriums wurde der komplette
Polizeieinsatz mit Bezug auf alle ProNRW-Kundgebungen und
Gegenkundgebungen am 26.3. in Oberhausen, Mülheim, Bochum, Herten,
Gelsenkirchen und Essen, sowie am restlichen
ProNRW-„Aktionswochende“, zentral von der Duisburger Polizei
koordiniert. Das gewalttätige Verhalten der Duisburger Hunderschaft
in Bochum war kein Einzelfall. Auch zwei Tage später in Duisburg kam
es zu verschiedenen gewalttätigen Übergriffen auf friedliche, teils
ältere, DemonstrantInnen mit erheblichen körperlichen Verletzungen.
Auch dort wurden Journalisten, die das Vorgehen dokumentierten, von
der Polizei eingeschüchtert und bedroht. Die Vermutung liegt nahe,
dass unmittelbar nach dem Blockade-Erfolg von Dresden und mit der
Erfahrung von der erfolgreichen Blockade gegen den
„Anti-Islamisierungskongress“ in Köln 2008 die Verantwortlichen
unter Druck standen, keine weitere derartige Schlappe hinzunehmen.
Für niemanden, weder für linksradikale AktivistInnen noch für
„normale“ BlockadeteilnehmerInnen, sollte es ein Zuckerschlecken
sein, sich Nazis friedlich in den Weg zu setzen. Darüber hinaus
sollte ein Zeichen gesetzt werden, dass die Polizei auch gegen gut
organisierte Blockaden nicht handlungsunfähig ist, sondern dass die
Staatsgewalt weiterhin in der Lage ist, sich durchzusetzen. Eine
zentrale Koordination des Einsatzes sollte einen Erfolg
sicherstellen. Die ungeahnte Repressivität
und vollkommen sinnfreie Gewalttätigkeit der Polizei, die zumindest
in Bochum und Duisburg zu beobachten war, lässt darauf schließen,
dass den jeweiligen EinsatzleiterInnen ein „hartes Durchgreifen“
nahegelegt wurde, um klarzustellen, wer auf der Straße „das Sagen“
hat. Die Frage nach dem Gewaltmonopol hat sich nach dem 26.3.
eindeutig geklärt. Die Polizei hat eindrucksvoll unter Beweis
gestellt, dass sie, wenn sie schon nicht organisatorisch in der Lage
ist, Nazikundgebungen störungsfrei und unter Wahrung von
Bürgerrechten (Religionsfreiheit, Bewegungsfreiheit...)
durchzusetzen, durchaus Menschen zusammenschlagen und misshandeln
kann, wie sie möchte, ohne dass es jemanden großartig interessiert.
Eine politische Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft trägt
mit Hilfe von Paragraphen, die originär auf Aufstandsbekämpfung
gerichtet sind, insbesondere in Bochum diesem Herbst ihren Teil dazu
bei.
Eine Frau wurde von zwei Seiten attackiert. Jemand geht
dazwischen. Frau gelingt die Flucht (?). Polizist greift den jemand
an, versucht ihn zu schlagen. Kurzes Gerangel. Wird gefesselt. Auf
die Bitte, auf seine Brille zu achten, antwortet der Polizist, dass
er sie wegschmeißen würde. Gesagt, getan. Eine andere Polizistin
hebt die Brille auf, um sie vor Beschädigung zu schützen.
Anmerkung: Beobachtung, dass auch völlig unbeteiligte festgenommen
wurden.
Beschreibung zum Foto 18469.jpg
Dieser Polizist von der Duisburger 6. Hunderschaft, der sich als "Hans-Jürgen Küppers" vorstellte, war laut AugenzeugInnenbericht wahrscheinlich derjenige, welcher zu der schwangeren Frau sagte: "Du bist gleich tot" oder "ich mach dich kaputt". Danach verschwand er zwischen die Reihen seiner KollegInnen. Vor der Eskalation war er sehr auffällig, als er versuchte die BlockiererInnen zu provozieren.
Erlebnisse beim „Empfangskomitee“ vor der Polizeiwache
Platzverweis von Polizei bei Hauptquartier bekommen, während wir aufdem Gelände auf die inhaftierten FreundInnen gewartet haben → an 'Gruppe' ausgesprochen, nicht an Einzelpersonen. Zitat: „Wenn du hier nicht weggehst, kommst du auch in den Schrank“
Vor der Bullenwache am Abend wurden Menschen, die die Gefangenen in Empfang nahmen, um 18:57 vom Platz auf die andere Straßenseite getrieben („Platzverweis“), unter der Androhung der Ingewahrsamnahme. Der Grund dafür war, dass die Leute den Platz verdrecken würden. Auf den Hinweis, dass auf der Wache jemensch gewürgt wurde, antwortete der Polizist: „Wenn Sie gewürgt werden müssen, werden sie gewürgt.“
Anhang: (Medien-)Kommentare
Interessant sind die Kommentare unter den Artikeln auf „derwesten.de“. Der Autor des Artikels folgt zu weiten Teilen der einseitigen Polizeisicht, im Kommentarbereich melden sich aber einige AugenzeugInnen zu Wort. Die „Ruhr-Nachrichten“ sprechen gar von „Krawallen“:
derwesten.de/staedte/bochum/Pro-NRW-Demo-in-Bochum-id2791617.html
derwesten.de/staedte/bochum/Gerangel-bei-Pro-NRW-Demo-vor-Bochumer-Moschee-id3454825.html
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