Abschiebung trennt Familie

Die Abschiebung der Seelbacher Familie Tatari in ihr Heimatland Kosovo war rechtens – aber nach Meinung eines Anwalts nicht zwingend erforderlich.
Erstveröffentlicht: 
27.10.2010

Abschiebung trennt Familie


In Seelbach wird eine Familie in den Kosovo abgeschoben, aber zwei Kinder bleiben zurück.


SEELBACH. In der Nacht zum 21. Oktober sind in Seelbach vier Mitglieder der sechsköpfigen Familie Tatari in den Kosovo abgeschoben worden. Freunde und Verwandte wollen jetzt versuchen, der Familie in Eigeninitiative zu helfen.


Um halb vier Uhr morgens des vergangenen Donnerstags stand die Polizei mitsamt Ausweisungsbescheid vor der Tür der Familie Tatari in Seelbach. Der Bescheid galt den Eltern, sowie den beiden jüngeren Kindern, Erson (16 Jahre) und Alissa (11). Sie hatten eine halbe Stunde Zeit ihre Koffer zu packen. Danach ging es per Flugzeug von Baden-Baden nach Pristina, der Hauptstadt der Republik Kosovo.


Die beiden anderen Kinder wurden nicht abgeschoben. Denn für die Älteren, die 18-jährige Belkiza und ihren 17-jährigen Bruder Gzim, galt der Bescheid nicht. Sie dürfen in Deutschland bleiben. Vorerst. Ohne ihre Eltern und Geschwister. Walter Schwarz, Leiter des Migrationsamtes im Landratsamt Ortenaukreis, begründet das mit der "nachgewiesenen gelungenen Integration" der Beiden. Belkiza hat eine Schulausbildung abgeschlossen und eine Arbeitsstelle gefunden, Gzim macht eine Lehre zum Anlagenmechaniker für Heizung- und Sanitär- und Klimatechnik. Bei den Eltern liege der Fall anders, so Schwarz. Sie seien eben nicht ausreichend integriert. Das größte Problem sei dabei das Geld, die Eltern hätten "keinen selbstständigen Lebensunterhalt", heißt es von Behördenseite.

Die Tataris kamen vor mehr als 18 Jahren als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, sie lebten aber legal in Deutschland, wurden vom Staat geduldet. Wegen der politischen und humanitären Situation im Kosovo – erst der Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er Jahre, später der Kosovokrieg und seine Folgen – wurden lange Zeit keine Menschen dorthin abgeschoben. Doch inzwischen wird die Situation anders beurteilt, Abschiebungen sind wieder möglich.

 

Nicht integriert genug, um bleiben zu dürfen

 

Auch bei den Tataris. Der Anwalt und die Familie versuchen die Abschiebung zu verhindern, sie ziehen bis vor die Härtefallkommission des Innenministeriums Baden-Württembergs. Doch der Widerstand bleibt ohne Erfolg. Die Familie sei, so lautet es aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe, "nicht auf der Integrationsstufe, die es benötigt, um ein Aufenthaltsrecht zugesprochen zu bekommen" – und deshalb auszuweisen. Und da die Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihre minderjährigen Kinder haben, müssen die mit in den Kosovo.

Bei dem siebzehnjährigen Gzim wurde eine Ausnahme gemacht, bei seinem nur ein Jahr jüngeren Bruder Erson nicht. Erson ist in Deutschland geboren, besucht die Gewerbliche Schule in Lahr, soll ein fleißiger Schüler sein und gutes Deutsch sprechen, erzählen seine Mitschüler, die die Badische Zeitung auf den Fall aufmerksam gemacht haben. In der Hauptschule wurde Erson von seinen Kameraden zum Klassensprecher gewählt. Er nimmt am Vereinsleben teil, spielt Fußball beim FSV Seelbach. Der 16-Jährige gilt damit als Beispiel für eine gelungene Integration. Auch er wird mit seinen Eltern abgeschoben. In ein Land, in dem er kaum jemanden kennt, dessen Sprache er nicht fließend spricht.

Für Reinhard Kirpes, Rechtsanwalt und Spezialist in Asylfragen, ist der Fall eine "Katastrophe". "Kinder, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben, soll man nicht abschieben", so Kirpes. Das sei zwar formell mit dem Gesetz vereinbar, habe seiner Meinung nach aber mit Menschenwürde nur wenig zu tun. Zumal nach deutschem Recht nur in den seltensten Fällen abgeschoben werden muss, "jede Behörde hat da Ermessensspielraum " so Kirpes.

 

Gzim und Belkiza wissen nicht, wie es weitergeht. Aus der Wohnung der Eltern mussten sie ausziehen, sie sind bei Verwandten untergekommen. Ob sie langfristig in Deutschland bleiben dürfen, oder ebenfalls irgendwann ausgewiesen werden, ist unklar. In ihrem Umfeld in Seelbach wächst der Wunsch etwas zu unternehmen. Am Montagabend haben sich Eltern von Freunden und Klassenkameraden von Erson sowie ehemalige Lehrer getroffen. Sie beratschlagen, ob und wie es möglich ist, die jüngeren Geschwister zurück nach Deutschland zu holen.