An sich bedeuten Wörter nichts

K.I.Z.
Erstveröffentlicht: 
09.07.2009

Sexismus gegen Rechts: Die HipHop-Band K.I.Z. stellt die Sprachkritik vom Kopf auf die Füße und denkt über Geschlechterrollen und politisch korrekte Rassisten nach

 

Der Freitag: Was ist Sexismus?

Nico: Sexismus ist Frauen die Tür aufhalten.

Sil-Yan: Nein, Sexismus ist, dass die Frau davon ausgeht, dass ich ihr die Tür aufhalte.

Maxim: Sexismus ist, wenn Du davon ausgehst, dass die Frau davon ausgeht, dass Du ihr die Tür aufhältst.

Sil-Yan: Für mich ist es problwelematisch, dieses Interview mit einer Frau zu führen. Das Bewusstsein darüber verändert meins, und indem ich mir dessen bewusst bin, fürchte ich, mich anders, vielleicht sogar diskriminierend zu verhalten, weil ich in den existierenden sexistischen Rollenklischees verhaftet bin.

Nico: Du Sexist! 

Maxim: Sexismus ist, wenn man Rollen nach Geschlecht verteilt. Wenn Männer zwangsläufig die Aufgabe haben, etwas mit körperlicher Gewalt zu verteidigen. Bekannter ist, dass man Frauen als Sexobjekte sieht. Darüber sind sich alle einig. Aber wir Männer haben auch Rechte. Frauen können es als ungerecht empfinden, dass sie beim Sex penetriert werden. Dagegen ließe sich einwenden, dass die Frau den Mann beim Sex umschlingt. Oder dass sie die Eizelle in ihrem Bauch hat und dadurch eine engere Bindung zum Kind.

Nico: Ja, das ist echt eine Frechheit.

Maxim: Nach der Trennung bekommen die Frauen das Kind. Im Ernst, viele Rapper beklagen sich darüber, dass sie ihre Kinder nicht sehen können.

Nico: Wir wollen nicht immer nur Bäume fällen.


Was wollt Ihr denn?

Maxim: Der Mensch allgemein muss sich emanzipieren.


Und wie geht das?

Maxim: Indem Du Dich verhältst wie ich mich.

Nico: Wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, sind wir alle Sexisten. Ich habe mich lange damit verrückt gemacht: Soll ich der Frau die Tür aufhalten? Nein, das ist blöd. Eigentlich ist es einfach nett. Vielleicht würde ich auch meinem Kumpel die Tür aufhalten. Warum hält sie mir jetzt nicht die Tür auf – und so weiter. Man kommt nicht raus aus der Nummer.


Was wird von Männern außer Türaufhalten noch erwartet?

Sil-Yan: Fast alles an einem Mann sollte groß sein: die Muskeln, der Schwanz und das Auto.

Maxim: Man arrangiert sich mit höheren Alter damit, dass man die Einkaufstüten trägt. Das hat auch Vorteile, denn es fördert das Muskelwachstum. Ich habe mich in das männliche Leben relativ gut eingelebt. Wenn ich aber eine besonders selbstbewusste Freundin habe, die darauf besteht, dass sie ihre Taschen selber trägt, während ich daneben nichts in der Hand habe, fühle ich mich trotzdem nicht gut. Ich frage mich, ob die Leute denken, was ich für ein Arschloch sein muss, dass ich meine Freundin ihre Tasche tragen lasse. Ich befürchte, dass sie denken, dass ich einen kleinen Schwanz habe. 

Nico: Man denkt, die anderen würden denken, dass man bestimmte Sachen denkt.

Maxim: Man denkt etwa, es würde erwartet, dass man sich körperlich einbringt, um Konflikte zu lösen. Eine Frau, die sich schlägt, ist dagegen ein Mannsweib.

Sil-Yan: Sie soll aber kein Mannsweib sein, sondern schlank und sexy. Ab und zu wird angedeutet, dass es anders geht. Wenn „Dove“ eine Werbung mit Frauen macht, die ein wenig pummeliger sind. Das sind aber immer noch attraktive Frauen, nach denen sich auf der Straße jeder umgucken würde

In Euren Texten ist die Beziehung von Mann und Frau ein Dienstleistungsverhältnis.

Maxim: Das Einzige, was ich mir von Karl Marx gemerkt habe, ist, dass sich in einer Liebesbeziehung oder in einer sexuellen Beziehung am primitivsten die Mechanismen abbilden, nach denen unsere auf Lohnarbeit basierende Gesellschaft funktioniert. So lange wir im Kapitalismus leben, machen wir kapitalistischen Sex. 

Nico: Kapitalismus gegen Sex.

Maxim: In diesem System wird in Zahlungsmitteln gedacht. Dadurch ist Sex etwas, womit ich etwas kriegen kann, nicht nur den Geschlechtsakt, sondern auch mein Aussehen, die Kleider und so.

Wo kommen denn diese Rollenklischees vor?

Maxim: Überall. In R’n’B-Liebes­songs hört man von schönen Frauen in sexy Körpern, die in Hure und Heilige unterteilt werden: „Du bist die schwarze Kate Moss, Du bist ein gutes Mädchen, gehst nicht jeden Tag in den Club, ziehst Dich nicht an wie eine Nutte, fickst mich aber wie eine.“

Nico: Das bezieht sich nicht nur auf andere Musiker, die darüber singen. Das bekommt man an jeder Ecke mit. Das Dienstleistungsverhältnis zwischen Frauen und Männern ist allgegenwärtig. Die Frau sorgt für einen schönen Körper und fährt dafür in dem Mercedes des Mannes mit. Das ist nicht nur bei Kanye West so.

Maxim: Es gibt auch Staatsanwälte, die sich so eine Puppe zuhause halten.


Welche Rollenverteilung wäre wünschenswert?

Maxim: Dass man Sachen tut, ohne dafür etwas zu verlangen.

Nico: Und sich darüber freut, dass der andere es genießt.


Und wie fern seid Ihr selbst den Klischees? Ihr sagt, ironisch, „Schlampe“, „Nutte“, „Fotze“. Damit ist die frauenfeindliche Realität, aus der die Wörter stammen, aber auch wieder da.

Maxim: Dass man die „Schlampe“ erschafft, indem man „Schlampe“ sagt? Blödsinn. Wichtig ist doch, wie man das Wort verwendet. Ich habe noch nie eine Frau ernsthaft „Fotze“ genannt. Wenn ich das tun würde, würde ich sie diskriminieren. Wenn ich aber sage: „Meine Sekretärin betrügt mich mit ihrem Mann“, und sie im Text deswegen „Schlampe“ nenne, dann habe ich dem Wort seinen Sinn geklaut. Ab da ist die Beschimpfung der Frau mit diesem Wort vollkommen absurd und entlarvt den Mann.


Das Wort bekommt dadurch einen anderen Sinn?

Maxim: In gewisser Hinsicht schon. Ich finde es falsch, Angst vor den Begriffen zu haben und verbieten zu wollen, dass sie verwendet werden. Wenn ich „junge Dame“ sage, aber „Schlampe“ denke, ändert sich doch nichts. Die Begriffe bilden ab, was es in unserer Gesellschaft gibt. Etwa die Rolleneinteilung in Schlampen und Zuhälter. Deswegen verwenden wir die Wörter. Wir setzen sie in einen komplett neuen Zusammenhang. An sich bedeuten Wörter nichts.

Welche gesellschaftlichen Themen beschäftigen Euch noch?

Nico: Brangelina die ganze Zeit. 

Sil-Yan: Politik ist nicht ernst. Das ist auch nur Spaß.

Maxim: Ich verfolge, was passiert. Aber ich kann nicht sagen: Oh, die Wirtschaftskrise macht mich echt fertig. Ich habe die ja noch nicht erlebt. Verarmung erlebe ich seit Ewigkeiten, und jetzt soll ich traurig sein, weil irgendwelche bedauernswerten Banken drauf gehen?

Nico: Wenn jemand auf der Straße sitzt und nichts zu essen hat, bewegt mich das mehr, als ein weinender Banker im Boss-Anzug.

Scheint nicht nur Euch so zu gehen, eine Protestbewegung hat das aber nicht bewirkt.

Maxim: Die Krise ist wie eine Schlechtwetterfront. Man schraubt damit die Ansprüche der Leute runter. Anstatt zu meckern, soll man froh sein, überhaupt Arbeit zu haben. Wer seine Ausgaben kürzt, kann das mit der Krise rechtfertigen. So bringt man die Leute dazu, weniger zu verlangen. Befördert durch die extrem heuchlerische Berichterstattung.


Heuchlerisch?

Maxim: Als würde es uns alle besonders berühren, wenn irgendeine Firma stirbt. Ich kämpfe auch nicht für aussterbende Tierrassen.

 

Wofür dann?

Maxim: Für eine bessere Welt, in der wir Respekt vor den Lebenden haben und weniger vor den Toten. In der sich die Menschen lieb haben, und Mama und Papa wieder zusammen sind. Ich will hier aber keine Utopie an die Wand malen.

Nico: Ich hätte gerne einen Lamborghini.

Sil-Yan: Man kann die Frage nur sinnvoll beantworten, wenn man sich damit intensiv beschäftigt hat. Das bedeutet Arbeit, die ich mir noch nicht gemacht habe.

Nico: Sagt der in jedem Interview.

Maxim: Man darf aber auch einfach sagen, dass es scheiße ist.

Sil-Yan: Natürlich kann man das, aber ich habe den Anspruch, dann etwas Konstruktives zu sagen. In der Position bin ich nicht, weil mir das Wissen fehlt. Ich höre immer Globalisierung, Klimawandel, Krieg, Autos. Das wird mit leichten Wörtern umschrieben. Dann sagen die meisten, sie hätten es kapiert, dabei hat man nichts kapiert.


Eine Textzeile des neuen Albums lautet „Wenn ich Promo brauch, leugne ich den Holocaust“

Maxim: „...wie soll ich ein Rassist sein in meiner Schoko-Haut“. Ich lache mich immernoch über diese Zeile von Tarek tot.


Warum?

Maxim: Weil ich es lustig finde, sich darüber lustig zu machen, dass die Leugnung des Holocausts zur Promo benutzt werden könnte.


Welche Bedeutung hat für Euch der Holocaust?

Maxim: Man hat das in der Schule gelernt. Das war beeindruckend und schrecklich. Irgendwann gab es dann aber so einen Überdruss. Es schien schick zu sein, sich ganz viele Schwarzweiß-Filme über den Holocaust anzugucken. Das wurde überstrapaziert. Wir gehen jetzt alle nach Buchenwald und sind mal kurz betroffen. Ich war dort, und es hat mich tatsächlich sehr betroffen gemacht. Ich hatte nur manchmal das Gefühl, dass das benutzt wird wie eine Achterbahn, um Gefühle hervorzurufen.

Sil-Yan: Früher war man ein Mann, wenn man einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut und ein Kind gezeugt hat. Heute gehört dazu, dass man sich einmal mit dem Holocaust beschäftigt hat.

Maxim: Ich halte es für wichtig sich mit dem Holocaust zu beschäftigen. Was mich stört, ist die Art, wie damit umgegangen wird. Es ist ein Spektakel. Und man lässt den Leuten keine ehrliche Trauer. Man zwingt sie ihnen auf und dann wird sie für irgendwelche Zwecke missbraucht. Wenn mich der Holocaust betroffen macht, ist das sofort wie ein politisches Statement. Jemand sagt, wenn ich über den Holocaust traurig bin, muss ich gleichzeitig auch gut finden, was Israel macht. Das beleidigt mich. Ich will doch nur darüber traurig sein dürfen. Es geht nicht um eine politische Position, sondern um ein menschliches Gefühl.

Nico: Der Holocaust gehört zu den wenigen Dingen, die noch wirklich tabu sind. Das sagt diese Zeile. Wichtig ist aber auch, was dann kommt: „Wie soll ich ein Rassist sein in meiner Schoko-Haut“.

Maxim: Einen rassistischen Ausdruck verwenden, um auszuschließen, dass man ein Rassist ist.

Sil-Yan: So argumentieren viele.


In der FAZ war nach Obamas Sieg eine Karikatur, auf der das Weiße Haus schwarz angestrichen wird.

Maxim: Die Pointe ist leider sehr schlecht. Das ist so ähnlich wie das, worüber wir uns in unserem Lied lustig machen. Ich finde rassistische Witze an sich ja toll. Aber ich würde mir wünschen, dass man sich wenigstens mal eine richtig gute Pointe ausdenkt. Seit der 5. Klasse muss ich die gleichen schlechten Witze hören.

 

Was sagt Euch politische Korrektheit?

Nico: Wissen wir jetzt nicht.

Maxim: Was ich schlimm finde, sind Menschen, die „Neger“ denken, aber „Afrodeutscher“ sagen. Vor kurzem bin ich in der Bahn durch Brandenburg gefahren. Da stand ein Typ in einem Ku-Klux-Klan-T-Shirt und sprach von „Farbigen“. In seiner Gedankenwelt oder der meines Opas ist das ein politisch korrekter Begriff. Der Typ hat „Farbiger“ gesagt, nicht „Neger“. Das zeigt, dass er nett sein will. Er ist zwar ein Rassist, versucht aber politisch korrekt zu sein.

Sil-Yan: Am Anfang war das Wort.

Maxim: Wichtig ist nicht das Wort, sondern wer es wie sagt.

Nico: Sei still.

 

Das Gespräch führte Antonia Baum

 


Hintergrund

K.I.Z. diskutieren in ihren Songs mit eigenwilligem Humor die Größe ihrer Genitalien, ­imaginierten Sex mit Jörg Haider oder Fleischpartys. Das Feuilleton schätzt sie als lang ersehnte Dekonstruktivisten von Gangsterklischees im Rap, jugendliche Zuhörer feiern sie als die wahren Gangster, dritte stören sich an expliziten Texten und angeblichem Sexismus. Am 10. Juli erscheint das vierte Album mit dem alles auf den Punkt bringenden Titel Sexismus gegen Rechts
Tarek (22; Foto links) kam über Freiburg, Spanien nach Berlin. Hat früh gelernt, „dass Gerechtigkeit ­einen nicht weiterbringt“. Macht „menschenverachtende Untergrundmusik“, hat Voodoo-Examen, ­fehlte beim Gespräch
Nico (25; Foto Mitte links) aus Berlin-Hermsdorf rappt, seit er 15 ist. Schrieb zunächst „besserwisserische Lieder“, hielt sich für besonders schlau. Hat zur Inspiration Soziologie studiert, rappt jetzt nur noch, raucht viel, mag Metallica
Sil Yan (23; Foto Mitte rechts) aus Berlin, ungarische Wurzeln. DJ seit er 13 ist. Gründete im Jahr 2000 mit drei anderen K.I.Z. und kam beim Berliner Untergrund-Label Royal Bunker unter Vertrag. Isst jetzt noch mehr Fleisch
Maxim (24; Foto rechts) aus französisch-deutscher Familie in Kreuzberg. Eltern hatten „viele Bücher“ und Schwarzweißfernseher. Für „Streetknowledge“ mit der Unterschicht angefreundet. Hat trotzdem Abitur. Ist gelernter Physiotherapeut, außerdem sozialkritischer Rapper