Was die Firma Massak auf dem Gebiet der Versorgung von Inhaftierten mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs sowie mit Kleidung ist, das ist die Firma Telio auf dem Feld der Telekommunikationsdienstleistung, sowie Fernsehempfang betreffend.
Ausgangslage – Telefon in Knästen?
Das Handy ist aus der Gegenwart nicht mehr weg zu denken; allerorten spazieren die Menschen mit dem Mobiltelefon am Ohr durch die Straßen. Was dabei vielen nicht bewusst ist, es gibt weiße Flecken in Deutschland: die Gefängnisse. Nicht nur, dass dort Handys strengstens verboten sind, es wird prinzipiell die Kommunikation via Telefon beschränkt (in Bayern sogar im Regelfall gänzlich unterbunden). Die Justiz verteidigt ihre Restriktionen mit dem Argument, es müsse verhindert werden, dass Gefangene kriminelle Aktivitäten oder Fluchtversuche vermittels des Telefons planen oder verabreden können.
Dessen ungeachtet haben sich in einer großen Zahl von Gefängnissen (wie auch forensischen Psychiatrien) trotz allem Möglichkeiten zu telefonieren durchgesetzt.
Beispiel: Bruchsal
In der mit über 400 Gefangenen belegten JVA Bruchsal (http://www.jva-bruchsal.com) können Inhaftierte seit einiger Zeit ihre Telefonate über die eingangs erwähnte Firma Telio Communications GmbH abwickeln. Zuerst beantragen sie bei der Anstalt die Genehmigung mit einer bestimmten Person telefonieren zu dürfen. Steht dem aus Sicht der JVA nichts entgegen, muss zuerst die Drittperson schriftlich zustimmen, dass die Gespräche ggf. aufgezeichnet und/oder überwacht werden. Anschließend schaltet ein Beamter die Nummer frei und der Gefangene kann, so er ein Guthaben bei Telio hat, nunmehr zu den Zellenöffnungszeiten an einem im Flur installierten Telefonapparat diese Nummer anwählen (jedoch keine anderen Nummern, ausschließlich jene, die ein Beamter zuvor eingespeist hat).
Telio – ein kleines Imperium
Wer sich mit Telio näher beschäftigt, stößt auf immer mehr Firmen: so gibt es unter anderem eine Telio AG, eine Telio Communications GmbH, eine Telio Shopping GmbH. 1998, so die Eigenauskunft auf der Firmenwebsite, sei die Geburtsstunde der Telio Communications GmbH gewesen, als nämlich dem Geschäftsführer der Telio AG von der „Geschäftsidee“ berichtet worden sei, „virtuelle Telefonkonten für Gefängnisinsassen zu entwickeln“ (http://www.finanzwirtschafter.de/1928-die-telio-ag-ermoglicht-telefonate...). Gab es zuvor in manchen Gefängnissen Telefonkarten, die dann auch als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, sollte künftig alles über elektronische Konten, vornehmlich jene von Telio, abgewickelt werden. Von Hamburgs JVA Fuhlsbüttel aus startete dann die Expansion Telios, die mittlerweile 30 000 Gefangene zu ihren Kunden zähle und neben Deutschland auch in Spanien und den Niederlanden aktiv sei, folgt man den Angaben der Firma. Zu Beginn des Jahres 2007 wurden 70 Justizvollzugsanstalten in 13 der 16 deutschen Bundesländer und drei europäischen Staaten zu den Kunden gezählt (aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar).
Telios Firmenbilanzen
Wer sich die veröffentlichten Bilanzen der Firmen anschaut (kostenlos abrufbar über https://www.ebundesanzeiger.de), stellt verblüfft fest, dass die Telio Communications GmbH seit dem Geschäftsjahr 2005 keinerlei Jahresüberschuss ausweist. Dafür stiegen die Verbindlichkeiten von etwa 523.000 Euro im Jahr 2005 auf circa 779.000 Euro im Jahr 2008 (und betrugen zwischenzeitlich auch schon über 1 Million Euro). Der Wert der Sachanlagen stagniert seit Jahren, bzw. ging leicht zurück auf 537.000 Euro. Dafür verbleibt, ebenfalls seit 2005, Jahr für Jahr ein Gewinnvortrag von exakt 229.065,54 Euro im Unternehmen.
Die Muttergesellschaft, die Telio AG, welche die Telio Communications GmbH beherrscht, steigerte ihren Bilanzgewinn von 71.650,87 Euro für 2005 auf nunmehr 197.839,53 Euro im Jahr 2008.
Telios Preispolitik
So wie ich schon an anderer Stelle über die aus Gefangenensicht doch sehr hohen Preise der Firma Massak Logistik GmbH berichtete (http://de.indymedia.org/2010/05/280395.shtml), kann aus meiner Sicht auch nicht viel Gutes über die Telefonpreise der Firma Telio geschrieben werden. Wer aktuell in Freiheit telefoniert, der muss mit Minutenpreisen von 0,45 Cent bis 2 Cent rechnen, je nachdem ob es sich um ein Orts- oder ein Ferngespräch handelt.
Telio liebt Gleichbehandlung! Und so zahlen die Gefangenen (Stand: 01.09.2010) pro Takt immer 10 Cent, wobei für Ortsgespräche der Takt 60 Sekunden und für Ferngespräche 30 Sekunden beträgt. 20 Cent für eine Minute Ferngespräch ist der 10-fache Betrag dessen, was Telefonbetreiber in Freiheit von ihrer Kundschaft verlangen. Wer ins Ausland telefonieren möchte oder muss, für den wird es noch teurer. Sind in Freiheit Preise – je nach Staat – von 0,74 Cent bis zu 3 Cent üblich, zahlen Gefangene bei Telio 60 Cent/Minute für Gespräche ins europäische Ausland und bis zu 1,39 Euro/Minute, wenn nämlich das Gespräch nach Osteuropa gehen soll.
Eine besondere Spezialität: man ruft jemanden an und niemand nimmt ab, dennoch werden Gebühren fällig! Telio ist es nämlich egal, ob ein Gespräch geführt wurde oder nicht; eine Praxis, die rechtlich zwar zulässig ist (denn sobald es in der Leitung „tutet“, steht eine Verbindung zwischen beiden Telefonpartnern), aber in Freiheit nicht praktiziert wird.
Telios Expansionspläne
Nunmehr möchte die Telio Communications GmbH auch Fernseher, Radio und CD/DVD-Spieler in den Gefängnissen privatisieren und bietet deshalb den Anstalten „Telio-Multio“ an, einen 22-Zoll-Farbmonitor, der über eine transparente Rückseite verfügt (um so für die Wärter leichter kontrollierbar zu sein) und über den auch CDs/DVDs abzuspielen sind. Mitgeliefert wird neben einem Radioprogramm-Bouquet auch das Fernsehprogramm. Selbst eine Festplatte kann eingebaut werden; in einer De-Luxe-Variante könnten Telefonate aus den Hafträumen über dieses Telio-Multio-Gerät geführt werden. Telio preist weitere Möglichkeiten in seinem Prospekt an: Internet („Chinesisches Internet“, so nennt das Telio wortwörtlich; d.h. es ist kein freier Zugang, sondern ein extrem zensierter denkbar), e-mail; „Multio-Apps“ (Schach, Sudoku, Terminplaner); Abwicklung des Antragswesens und des Einkaufs.
Selbst an zukünftige Entwicklungen ist gedacht, namentlich an „Teleworking“ von der Haftzelle aus.
Ganz billig ist der Spaß freilich nicht. Es gibt zwar eine „Telio-Free“ genannte Variante für 0,00 Euro; dort finden sich dann drei Sender der ARD für TV und drei Radiosender. „Telio-Basic“ kostet jedoch schon 14, 95 Euro/Monat, für 35 TV-Programme und 30 Radiosender (auch wenn man im Telio-Bouquet vergeblich nach Qualitätssendern wie dem DLF, Phoenix, Bayern-Alpha suchen wird). Wer gerne als Migrant türkische oder russische Sender sehen oder hören möchte, wird mit jeweils 9,95 Euro bzw. 12,95 Euro zur Kasse gebeten.
Die Vertragsbedingungen verdienen es gleichfalls, näher betrachtet zu werden. Es versteht sich von selbst, dass Telio sich vorbehält jederzeit und ohne Ankündigung Sender aus den Senderpaketen zu streichen. Die Anstalten haben sich für 1 Jahr Probebetrieb und 9 Jahre Hauptvertragszeit zu verpflichten. Wobei Telio die Türe für eine Kündigung offen hält: sobald ein „wirtschaftlicher Betrieb für Telio nicht mehr möglich ist“ (§ 3 des Vertrags), darf Telio kündigen. Die Anstalten werden auf strengste Geheimhaltung verpflichtet „über den Inhalt und Aufbau der Geschäftsbeziehung und des Vertrags“ (§ 5 a.a.O.). Zudem müssen sie der Firma zur Seite stehen, sollte jemals ein Gefangener Telio verklagen; sie haben sodann „Telio mit allen erforderlichen Informationen (zu) versorgen, damit Telio (…) sich ggf. gegen Geltendmachung auch gerichtlich ausreichend wehren kann.“ (§ 8 a.a.O.).
Ausblick
Telio wird wohl denselben Weg wie Massak gehen und sich in immer mehr Anstalten ausbreiten. Man bietet den Gefängnisleitungen Rund-um-Sorglos-Pakete; und die Rechnung zahlen die Gefangenen mit ihren meist stagnierenden, wenn nicht gar sinkenden Löhnen, sofern sie nicht sowieso von lediglich 31,-- Euro Taschengeld im Monat leben müssen, da auch hinter den Mauern die Arbeitslosigkeit grassiert. Wer davon dann alleine fast 15, -- Euro bei Telio lassen muss, der weiß, was das Stündlein geschlagen hat.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Z.3113,
Schönbornstraße 32
76646 Bruchsal
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