Internationales Camp der NATO-Gegner in Frankreich eröffnet. Linke Aktivisten beklagen Provokationen und Übergriffe der Polizei
Fast jede Nacht, sagt Maria, kreisen die Polizeihelikopter
über den Zelten. Seit einigen Tagen wohnt die 19jährige
Schülerin aus Fürth bei Nürnberg im Internationalen
Camp, das die Gegner des NATO-Gipfeltreffens derzeit in der
Nähe von Strasbourg errichten. »Die Hubschrauber fliegen
absichtlich tief und manchmal schweben sie mit eingeschalteten
Scheinwerfern direkt über unserem Lager, und das ist nur eine
von vielen Provokationen der Polizei«, berichtet Maria. Sie
sei eigentlich zum Protestieren nach Strasbourg gekommen, weil sie
nicht einverstanden ist mit der Politik des
Militärbündnisses, erklärt sie. Doch nun ist sie
eine von mehreren Sprechern der Campbewohner und beantwortet auf
einer provisorischen Pressekonferenz am Mittwoch die Fragen der
Journalisten.
Etwa 800 Politaktivisten sind bis gestern nachmittag auf der
riesigen Ackerfläche an der Rue de la Ganzau im Strasbourger
Ortsteil Neuhof eingetroffen. Die meisten kommen aus Frankreich und
Deutschland. Aber auch Italiener, Spanier und Niederländer
sind darunter. Schätzungsweise 250 Zelte hat die bunte Truppe
bislang aufgebaut. Die Organisatoren rechnen bis Samstag mit
einigen tausend Menschen, die im Protestcamp eintreffen werden.
Schon jetzt gleicht es einer kleinen Stadt. Eine Übernachtung
kostet fünf Euro. »Wer aber kein Geld hat, kann
natürlich auch umsonst hier schlafen«, informiert ein
Campbewohner, der sich Rudolf Rein nennt. Wie bei solchen
Veranstaltungen üblich, gibt es morgens, abends und
natürlich auch dazwischen, unzählige Plenen. »Bei
diesen Treffen wollen wir Konflikte beseitigen, aber vor allem
sollen Protestaktionen geplant werden«, erzählt Rein.
Unterteilt ist das Lager in mehrere »Barrios«, das sind
kleine Zeltstädte innerhalb des Camps, in denen sich Menschen
mit ähnlichen Interessen zusammenfinden. Mit insgesamt 1200
erwarteten Aktivisten wird das »Block
NATO«-Bündnis wahrscheinlich das größte
Barrio stellen. Daneben gibt es Toiletten, selbst gebaute Duschen,
ein Zelt mit Internetanschluß, eine rustikale Holzbar
und in den drei riesigen Metallkesseln der
»Volxküche« brodelt eine Komposition aus
Kartoffeln und anderem Gemüse. »Helfer
willkommen«, steht auf einem der Schilder daneben.
Unerwünscht sind im Camp die Vertreter der Staatsmacht.
»Bereits bei der Anreise werden die Leute schikaniert«,
sagt Marie. So wurde dem Fahrzeug einer Großküche, das
die Campbewohner mit Essen versorgen sollte, am Dienstag die
Einreise nach Frankreich verweigert. Noch Mittwoch nachmittag
wurden die Köche von der Polizei festgehalten, »weil sie
Küchenmesser dabei hatten«, empört sich Maria.
Mindestens zehn Menschen sei bisher die Reise von Deutschland nach
Frankreich verweigert worden, berichten Campbewohner.
Tatsächlich haben die Behörden eigens zum
Jubiläumsgipfel der NATO das sogenannte Schengener Abkommen
ausgesetzt, demzufolge es innerhalb der Europäischen
Union keine Grenzkontrollen geben soll. »Die Regierungen
wollen einfach keinen Protest gegen ihre Politik zulassen«,
kritisiert Campbewohnerin Marie. Doch auch jene Aktivisten, die es
bis ins Protestlager geschafft haben, würden schikaniert. So
fahre die Polizei immer wieder ins Camp, um die Personalien der
NATO-Gegner zu kontrollieren. Am Dienstag abend etwa wollte eine
zivile Sondereinheit der »Brigade anti
criminalité« (BAC) Personalien überprüfen.
Die BAC sind in den angrenzenden Banlieues dafür bekannt,
regelmäßig als »Agents provocateur«
aufzutreten und zum Widerstand anzustiften, der dann mit Repression
beantwortet wird. Nachdem die anwesenden Campbewohner die
Provokation abgewehrt hatten, schoß die Polizei mit
sogenannten »Schockgranaten« auf ihre Zelte.
Doch die Anti-NATO-Aktivisten geben sich davon unbeindruckt. Am
gestrigen Abend (nach Redaktionsschluß) sollte das Camp mit
einem Kulturprogramm offiziell eröffnet werden. Maria
befürchtet, daß die Repressionen der
Sicherheitskräfte danach erst richtig losgehen.
* Siehe auch Gespräch mit Ramon Schmidt