Faz - Proteste in London ein Gefühl der Bedrohung

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Erstveröffentlicht: 
01.04.2009

Von Markus Theurer,

London 01. April 2009

„Das ist das Zugeständnis, das ich mache“, sagt Mark und zeigt auf seine Jeanshose. Es ist kurz vor zehn Uhr am Mittwochmorgen und der Verkäufer bei „Ede & Ravenscroft“, einem der ältesten Herrenschneider Londons, wartet auf die ersten Kunden. „Gegründet 1689“ prangt draußen in goldenen Lettern am Schaufenster des Ladens mitten in der City, dem traditionellen Bankenviertel Londons. Es muss schon viel passieren, damit die Verkäufer bei Ravenscroft nicht im distinguierten Anzug zur Arbeit erscheinen.

 

Aber dieser Mittwoch ist in der Londoner City so ein Tag. Geschätzte 4000 Demonstranten sind an diesem Morgen auf dem Weg in die engen Straßenschluchten rund um die Bank of England, die britische Notenbank. „Wir wollen die City zurückerobern“, hatten die Demonstranten zuvor im Internet angekündigt. An diesem Vortag des G-20-Gipfels in London ist die britische Hauptstadt das globale Zentrum der Kapitalismus- und Globalisierungsgegner. Handelskammer und Polizei hatten zuvor die Angestellten in der City gewarnt, an diesem Tag ausnahmsweise nicht mit Anzug und Krawatte ins Büro zu fahren. Man müsse die Gewalttätigen unter den Demonstranten ja nicht unnötig reizen.

 

Bedrohlich ruhig, strahlend sonnig

 

Nur von der Gürtellinie an aufwärts ist für Mark, den Verkäufer bei Ravenscroft, heute ein Tag wie jeder andere: Er trägt Nadelstreifensakko, Krawatte und ein blaugestreiftes Hemd. Im Schaufenster hängen wie immer die Auslagen. Hat hier niemand Angst um die Glasscheiben? Viele umliegende Luxus-Geschäfte haben die Scheiben vernagelt wie in Köln beim Rosenmontagsumzug oder zumindest die Schaufenster leergeräumt. Die hölzerne Schaufensterfront sei denkmalgeschützt, erklärt Mark. „Da kann man nicht einfach Holzplatten davornageln.“

 

Es ist ein bedrohlich ruhiger, strahlend sonniger Frühlingsmorgen in der City. Normalerweise herrscht hier um diese Zeit dichtes Gedränge auf den Trottoirs und der Verkehr tost durch die Straßen. Heute nicht. Nur wenige Autos sind unterwegs, die Gehwege sind fast leer. Nur die Polizisten in ihren leuchtend gelben Westen sind allgegenwärtig. 5000 Mann wurden heute ins Bankenviertel beordert. Am Himmel ziehen die zur Luftbeobachtung entsandten Hubschrauber ihre Kreise.

 

Vier „apokalyptische Reiter“

 

Um elf Uhr setzen sich vier Menschenpulks von den umliegenden U-Bahnhöfen aus in Richtung Bank of England in Bewegung. Jede der Gruppen hat eine aus Betttüchern und Holzlatten gebastelte Figur dabei. Die Schimären sollen die vier „apokalyptischen Reiter“, die biblischen Vorboten des nahenden Weltuntergangs, symbolisieren. Das Grüppchen von allenfalls 200 Demonstranten, das sich hinter einem der vier Reiter von der Liverpool Station aus auf den Weg macht, hat zunächst wenig Bedrohliches an sich. Die Polizei, die neugierigen Passanten am Straßenrand und die vielen Fotografen und Kamerateams sind hier klar in der Mehrzahl. Von den Fenstern ihrer Bürogebäude schauen die Angestellten der Banken, Makler und Versicherungen hinunter auf den Zug. „Wir wundern uns auch, dass es nicht mehr sind“, sagt einer der Polizisten.

 

Doch die Leute strömen aus allen Himmelsrichtungen auf die sternförmige Kreuzung zu, an der die Bank of England liegt. Es dauert nur eine gute halbe Stunde und der Platz vor dem trutzigen Notenbankgebäude mit seinen prachtvollen Säulen ist voller Menschen. „Revolution“ skandieren die überwiegend jugendlichen Demonstranten und die Sprechchöre dröhnen laut wie im Fußballstadion durch die engen Straßen. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass ein Gefühl der Bedrohung in der Luft liegt. Eben noch schien das massive Polizeiaufgebot völlig überzogen. Jetzt nicht mehr.

 

Unübersichtliche Lage

 

Die Polizisten versuchen die nachdrückende Menge zurückzuhalten, es gibt Tumulte und in hohem Bogen fliegen ein paar Bobby-Helme durch die Luft. Ein triumphierendes Johlen schallt über den Platz. Einer der Demonstranten hat die Reiterstatue von General Wellington erklommen. Ein paar Rauchpatronen werden gezündet. Immer noch sind die weitaus meisten hier friedliche Demonstranten, doch der Polizei wird die Lage zu brenzlig und sie riegelt den Platz ab.

 

Am frühen Nachmittag stürmt eine Gruppe von Gewalttätern eine nahe der Notenbank liegende Filiale der Royal Bank of Scotland. Scheiben gehen zu Bruch, die Büros werden geplündert. Zum Glück ist keiner der Angestellten da, die Zweigstelle hat an diesem Tag erst gar nicht aufgemacht.

 

Die Großbank, die von der Regierung mit dreistelligen Milliardensummen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden musste, ist zum Symbol des Bankenfrusts vieler Briten geworden. Während vor der Bank of England die Rangeleien zwischen der Polizeikette und den Demonstranten immer heftiger werden, sind die umliegenden Straßen fast leer. Aber die Lage in dem Straßengewirr der City ist unübersichtlich, einzelne Gruppen von Demonstranten ziehen umher, und in den Gesichtern der Polizisten spiegelt sich ihre Sorge.

 

Text: FAZ.NET