Brauner Sumpf

Erstveröffentlicht: 
12.07.2010

Brauner Sumpf

 

NS-VERGANGENHEIT - Jetzt freigegebene Stasi-Akten belegen, dass frühere Nationalsozialisten bei westdeutschen Geheimdiensten und der Polizei Karriere machten. Der Bundesnachrichtendienst zögert mit der Aufklärung seiner Anfänge.

 

Andreas Förster

 

BERLIN. Zwanzig Jahre nach Öffnung der Stasi-Archive hat die Birthler-Behörde bislang gesperrte Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes freigegeben. Sie betreffen die NS-Vergangenheit von früheren westdeutschen Geheimdienstmitarbeitern und Polizeibeamten. Die Sperrung der MfS-Akten hatte die Behörde nach Rücksprache mit dem Bundesinnenministerium im November 2000 verfügt, als die betreffenden Unterlagen erstmals von einem Journalisten zur Akteneinsicht angefordert wurden.

 

Bei den bis vor Kurzem als "VS - Vertraulich" eingestuften Unterlagen handelt es sich um zwei Bände eines insgesamt 27 Aktenordner umfassenden Forschungsvorgangs der Stasi-Hauptabteilung IX/11 aus den Jahren 1971 bis 1980. Darin sammelte das MfS Informationen über die Verwicklung westdeutscher Sicherheitsbeamter in Kriegsverbrechen während der Nazizeit. In den Vorgang mit der Registriernummer FV 5/72, der MfS-intern die Bezeichnung "Dienst" trug, flossen auch Erkenntnisse der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung A (HVA) ein. Die HVA führte seinerzeit die nachrichtendienstliche Operation "Dschungel", mit der die NS-Vergangenheit von BND-Mitarbeitern aufgeklärt wurde.


Zwölf Fälle belegt

 

In den am 28. April 2010 von der Birthler-Behörde freigegebenen Akten finden sich die Namen von insgesamt 18 Geheimdienstlern und Polizisten. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) sowie der Landespolizei von Schleswig-Holstein, von Hamburg und von West-Berlin. Zu zwölf von ihnen konnte die Hauptabteilung IX/11 belastende Unterlagen aus NS-Archiven zusammentragen, die der MfS-Akte als Kopie beigefügt sind.

 

Einer von ihnen ist der frühere Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der 1905 geborene Kurt Fischer. Laut der NS-Unterlagen wurde der zu Kriegszeiten als Polizeibeamter tätige Fischer 1941 zunächst in Sosnowitz im besetzten Polen eingesetzt. 1944 versetzte ihn das für die Konzentrationslager zuständige Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS erst nach Dachau und dann "zur Dienstleistung" an das Amt für Schädlingsbekämpfung in Auschwitz. Das Amt war Adressat des aus Deutschland gelieferten Giftgases Zyklon B, das zum Massenmord an den KZ-Insassen in Auschwitz verwendet wurde. Nach dem Krieg tauchte der SS-Sturmbannführer Fischer zunächst unter dem Namen Karschner in der Bundesrepublik unter, bevor er unter seinem richtigen Namen vom BfV übernommen wurde.

 

Der mutmaßlich beim BND tätige Josef Anetzberger war den in der MfS-Akte beigelegten NS-Unterlagen zufolge als damals 39-jähriger Rottenführer Angehöriger des SS-Totenkopf-Wachbataillons Sachsenhausen und im dortigen KZ zur Bewachung von Häftlingen eingesetzt.

 

Über den 1902 geborenen schleswig-holsteinischen Verfassungsschützer Franz Market heißt es, er sei ab 1944 in Bozen als SS-Mann in einem Gefangenenlager eingesetzt gewesen. Wegen "fortgesetzter Wachverfehlungen" habe man ihn im September 1944 jedoch aus der SS ausgeschlossen.

 

Belastende Unterlagen fand das MfS auch über Erwin Japp, Anfang der 70er-Jahre Inspekteur der Schutzpolizei Süd in Schleswig-Holstein. Laut den beigefügten NS-Unterlagen war Japp von 1942 an Adjutant des Kommandeurs der Ordnungspolizei in Simferopol. In einer sowjetischen Liste von Personen, die an Nazi-Verbrechen in der UdSSR beteiligt gewesen sein sollen, taucht auch sein Name auf.

 

Warum die beiden Aktenbände aus dem MfS-Forschungsvorgang FV 5/72 jahrelang für die Öffentlichkeit gesperrt waren, gibt die Birthler-Behörde nicht an. Sie verweist lediglich auf das Stasi-Unterlagengesetz. Danach können Unterlagen gesperrt werden, wenn sie Mitarbeiter von Nachrichtendiensten des Bundes, der Länder und der Verbündeten betreffen.

 

Mit dieser Begründung aber hätte man auch die übrigen 25 Bände des Forschungsvorgangs als VS-Vertraulich einstufen können. Das geschah aber nicht, obwohl auch darin eine Reihe von Angehörigen westdeutscher Sicherheitsbehörden erwähnt werden, die trotz ihrer Vergangenheit als Nazi-Geheimdienstler Karriere in der Bundesrepublik machen konnten. Wie übrigens an die Hundert weitere, ebenfalls namentlich erwähnte NS-Spione, die später leitende Positionen in Wirtschaft und Politik einnahmen.


Material für Erpressungen


Mit dem Vorgang FV 5/72 verfolgte das MfS zwei Ziele: Zum einen wollte man die gewonnenen Erkenntnisse propagandistisch nutzen, um in Medienveröffentlichungen eine zumindest in Teilen tatsächlich existierende personelle Kontinuität zwischen dem faschistischen und dem westdeutschen Sicherheitsapparat nachzuweisen. Zum anderen hielt man die möglichen NS-Verstrickungen auch für ein Erpressungspotenzial, das im Einzelfall eingesetzt werden konnte, um westliche Geheimdienstler zur Zusammenarbeit mit dem MfS zu verpflichten.

 


 

Gesperrt zum Wohl des Landes


Die Birthler-Behörde berief sich bei der Sperrung der jetzt freigegebenen Akten auf das Stasi-Unterlagengesetz. Dort heißt es in Paragraf 37: "Gesondert zu verwahren sind Unterlagen über Mitarbeiter von Nachrichtendiensten des Bundes, der Länder und der Verbündeten."

 

Die gesonderte Verwahrung bedeutet, dass die Behörde die entsprechenden Akten - stets in Rücksprache mit dem Bundesinnenministerium - als Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade VS-Vertraulich und höher einstuft. Das gilt selbst dann, wenn die darin erwähnten Geheimdienstler bereits verstorben oder nicht mehr im Amt sind. Die Akten sind dann etwa für Journalisten und Wissenschaftler gesperrt.

 

Diese Regelung betrifft auch Unterlagen über Mitarbeiter aller Nachrichtendienste außer dem Stasi-Ministerium, "wenn der Bundesinnenminister im Einzelfall erklärt, dass das Bekanntwerden der Unterlagen die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde".

 

Die rigide Verwahrungsordnung im Stasi-Unterlagengesetz führt unter anderem dazu, dass auch zwanzig Jahre nach Ende der Stasi Akten über DDR-Geschäftspartner, die beispielsweise als Chefs westdeutscher SED-Firmen gleichzeitig als Informanten für den Verfassungsschutz gearbeitet haben, gesperrt sind. Auch die Namen von früheren Offizieren des sowjetischen Geheimdienstes KGB müssen in den Akten geschwärzt werden, da der russische Nachfolgedienst inzwischen Partner des Bundesnachrichtendienstes ist.