"Mügeln war ein schmerzhaftes Lehrstück"

Erstveröffentlicht: 
19.08.2017

Am Sonnabend jährten sich die rassistischen Übergriffe auf acht Inder in Mügeln zum zehnten Mal. Beim damaligen Stadtfest der sächsischen Kleinstadt in Landkreis Nordsachsen jagten rund 50 Deutsche ortsansässige Inder durch die Stadt. 70 Polizisten mussten eingreifen. 14 Menschen wurden verletzt. Verurteilungen wegen Volksverhetzung und gefährlicher Körperverletzungen folgten.

 

Zehn Jahre später wird in Mügeln wieder ein Altstadtfest gefeiert. Der heutige Oberbürgermeister Johannes Ecke schätzt das jetzige Stadtklima als entspannt ein. "Die Sache hat sich in den Jahren beruhigt", erklärte er MDR SACHSEN. Eine Form von "Mulitkulti" herrsche heute in Mügeln. Alle leben friedlich miteinander und es gebe keine Anfeindungen. "Ich hoffe, dass es so bleibt", betont Ecke.  

 

Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik bei der Partei Die Linke, sieht die Situation ähnlich, betont aber: "Selbst wenn es in Mügeln lediglich ein rassistisches Potenzial gibt, das nicht größer ist als in jeder anderen sächsischen Kleinstadt, ist das noch immer brandgefährlich." Hier müsse auf kommunaler Ebene präventiv gehandelt werden.

 

Dass es keine Gewalt gibt, bedeutet nicht, dass es keinen Rassismus gibt. Und der ist stets die Grundlage der Gewalt.

Kerstin Köditz Die Linke

 

Neonazistische Strukturen in Nordsachsen


Angesprochen auf neonazistische Strukturen im Bereich Nordsachsen erklärt Köditz: "Wie überall in Sachsen gibt es auch im Landkreis Nordsachsen ein entsprechendes Potenzial." Zahlreiche neonazistische Konzerten in Staupitz sowie eindeutige Bestrebungen in der Free-Fight-Szene im Raum Eilenburg/Wurzen belegen laut Köditz diese Annahme. Auch an dem Überfall von über 200 Neonazis im Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 waren Personen aus dem Raum Nordsachsen beteiligt. Die Übergriffe vor zehn Jahren waren nicht die einzigen Vorkommnisse in Mügeln. 2009 überfielen zwei deutsche Männer dieselbe Pizzeria, in die sich die Inder damals geflüchtet hatten. 2010 musste ein Fußballspiel zwischen SV Mügeln und Roter Stern Leipzig nach 80 Minuten aufgrund volksverhetzender Gesänge seitens der Mügelner Anhänger abgebrochen werden.

 

Die 2010 von der Neonaziszene ausgerufene "Modellregion Nordsachsen" konnte in den letzten Jahren aufgrund verstärkter polizeilicher Ermittlungen und der Zerstrittenheit innerhalb der Szene nicht umgesetzt werden, resümiert der Bericht "Nordsächsische Zustände" der Leipziger Dokumentationsplattform "Chronik LE". Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen zeigen jedoch, wie anschlussfähig rechte Ideologien in breiten Bevölkerungskreisen sind.

 

Listenstimmen für die NPD bei Landtagswahlen in Sachsen in Prozent
  Sachsen Gemeindeergebnis Mügeln
2004 9,2 9,7
2009 5,6 10,1
2014 4,9 7,6

 

Von den Jungen Nationaldemokraten organisierte Trainingslager sowie "nationale Schulungszentren" in Oschatz, Eilenburg und Delitzsch haben dazu geführt, dass Neonazis vielerorts eine Szene etabliert haben, für die besonders Jugendliche empfänglich sind.

 

Junge Nationaldemokraten (JN): Die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ist die bedeutendste rechtsextremistische Jugendorganisation in Deutschland. Sie ist integraler Bestandteil der rechtsextremen NPD. 2016 lag ihre Mitgliederzahl in Sachsen bei ca. 85. 2016 verzeichnet der Verfassungsschutz Sachsen im Freistaat insgesamt 2.700 Rechtsextreme. Bundesweit sind es 22.600. Sächsischer Verfassungsbericht 2016 

 

Klare Lageanalyse


Köditz plädiert hier für eine klare Lageanalyse. Wenn diese ausbleibe, "dann führt das regelmäßig zu einer Unterschätzung der Gefahr". Neonazistischen Strukturen seien so ungehindert in der Lage, sich ausbreiten zu können. Mügeln vor zehn Jahren sei ein schmerzhaftes Lehrstück dafür gewesen.