Großes Interesse: Leipziger Juden und Nachfahren kommen von vier Kontinenten

Erstveröffentlicht: 
18.06.2017

Ganz selbstverständlich jüdisches Leben in den Alltag Leipzigs hineinschwappen zu lassen – das ist Anliegen der zwölfte Jüdischen Woche, die am Sonntag begonnen hat. 110 Veranstaltungen ermöglichen bis 25. Juni Begegnungen mit Alltagsleben, Religion und Kunst.

 

Leipzig. An vielen Veranstaltungen nehmen ehemalige jüdische Mitbürger (oder deren Nachfahren) teil, die nach der Pogromnacht aus Leipzig und Deutschland geflohen sind. „Bis zum Ende der Menschheit sollen solche Gräueltaten nie, nie wieder geschehen! In diesem Sinne begleiten wir die 12. Jüdische Woche“, rief Chana Gildoni energisch ins Mikrofon. Die 92-Jährige lebt in Israel und ist nicht mehr ganz so fest auf den Beinen. Trotzdem ist die Reise nach Leipzig für sie wichtig, „das ist vielleicht schon mein 30. Besuch“. Diesmal hat sie ihren Sohn und die Schwiegertochter an ihrer Seite. 15 Jahre alt war Chana, als 1938 die Synagogen brannten. „Im Traum sehe ich noch heute den schwarzen Rauch über die Dächer ziehen. An diesem Tag wurde uns unsere Kindheit geraubt.“ In Leipzig fielen 14.000 Menschen jüdischen Glaubens dem faschistischen Terror zum Opfer.

 

Bei der Flucht ihrer Familie aus Leipzig war Ingeborg Evelyne Neiman, geborene Bartfeld, gerade mal zwei Jahre alt und Schwester Jutta vier. Evelyne hat keine Erinnerungen an ihre Geburtsstadt. Jutta sieht noch ein großes Tor vor sich – das Tor zu ihrem Elternhaus in der Waldstraße 8. Die Schwestern aus Montreal (Kanada) und Baltimore (USA) besuchen Leipzig jetzt zum zweiten beziehungsweise dritten Mal. Ihr Vater Leo Bartfeld hatte 1920 den jüdischen Sportverein Bar Kochba gegründet. Um den Vater zu ehren, übernehmen die Töchter kommendes Wochenende die Siegerehrung beim Fußballbegegnungsfest „Max-und-Leo-Bartfeld-Pokal“. Ihr nächstes Ziel aber ist der Jüdische Friedhof, auf dem sich die Gräber ihrer Vorfahren befinden.

 

43 Leipziger Juden oder deren Nachfahren in zweiter und dritter Generation sind in diesem Jahr der Einladung zur Jüdischen Woche nach Leipzig gefolgt. Sie kommen aus Australien und Neuseeland, England und Israel, Amerika und Chile. „Das Interesse ist groß, deshalb wurde das Programm von der Stadt erweitert und mehr Geld zur Verfügung gestellt“, erklärt Petra Knöller vom Kulturamt.

 

Heute gehören zur jüdischen Gemeinde, die ihr 170. Bestehen feiert, etwa 1300 Personen. Wichtige Stätten jüdischen Lebens sind die Synagoge in der Keilstraße, das Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus im Waldstraßenviertel sowie der jüdische Kindergarten in der Mothesstraße. „Alle Formen religiöser Meinungsfreiheit gehören zu Leipzig“, betonte Burkhard Jung und forderte dazu auf, sich gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus oder Übergriffe auf Menschen zu stellen. Am Nachmittag hatte bereits eine Veranstaltung nur für geladene Gäste in der Synagoge Keilstraße stattgefunden. Drei Rabbiner aus Leipzig, Frankfurt und Berlin sangen liturgische Gesänge. Mit dabei war der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer. Danach gab es einen Empfang mit Darstellern in historischen Kostümen, die das jüdische Leben in Leipzig um 1900 wachriefen.

 

Von Kerstin Decker