Gewalt von rechts nimmt in SH weiter zu

Erstveröffentlicht: 
14.06.2017

Februar 2016: In Flensburg leiten Unbekannte durch ein Fenster eine chemische Substanz in eine Flüchtlingsunterkunft und verletzten so zwei Menschen. Mai 2016: Ein Flüchtling aus Afghanistan wird in Malente (Kreis Ostholstein) zunächst als "Scheiß Ausländer" beschimpft und dann durch einen Faustschlag ins Gesicht verletzt. September 2016: Fünf Täter schlagen in Leck (Kreis Nordfriesland) auf drei Somalier ein. Das sind drei Fälle von rechtsextremer Gewalt in Schleswig-Holstein aus dem vergangenen Jahr. Die Liste ist lang - und sie wird immer länger. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht hervor, den das Innenministerium offiziell am Donnerstag vorstellt. Der Bericht liegt NDR 1 Welle Nord und dem Schleswig-Holstein Magazin vor. 

 

Steigerung der Gewalttaten um 73 Prozent

 

Im Bericht des Verfassungsschutzes ist die Rede von 66 Gewalttaten, die als "politisch motivierte Kriminalität - rechts" eingeschätzt werden, also Gewalttaten mit rechtem Hintergrund. 2015 waren es noch 38, damit hat sich die Zahl der Fälle um 73 Prozent gesteigert. Im Verfassungsschutzbericht heißt es dazu, dass "Gewalt in weiten Teilen der rechtsextremistischen Szene legitimiert" sei. Die Anzahl der Personen, die der Verfassungsschutz als "rechtsextrem" bezeichnet, ist nicht im gleichen Maße angestiegen. So gebe es derzeit in Schleswig-Holstein ein rechtsextremes Personenpotenzial von gut 1.350. Das sind vier Prozent mehr als im Jahr davor.

 

Straftäter häufig nicht polizeibekannt

 

Die rechtsextremen Gewalttäter sind immer seltener der Polizei bekannt. Viele Straftaten wurden von Personen verübt, die bislang polizeilich noch gar nicht in Erscheinung getreten sind. "Der Rechtsextremismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Buchautor Andreas Speit. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der rechtsextremen Szene.

 

Wutbürger werden Täter

 

Speit sagt, Angst vor beruflicher Perspektivlosigkeit und auch Wut auf die Asylsuchenden lasse bei vielen Bürgern die Hemmschwelle sinken. "So werden Wütbürger zu Tatbürgern. Diese Entwicklung muss uns Sorgen machen", sagt er. Ein Brandbeschleuniger ist laut Speit das Internet. In sozialen Netzwerken werde nicht selten hitzig über die "Flüchtlingswelle" oder Moslems gehetzt. Irgendwann schlage die verbale Gewalt dann in körperliche Gewalt um. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es, dass die "verbale Radikalität" vor allem in den sozialen Netzwerken enorm zugenommen habe. Dies fördere auch die Gefahr, dass sich in den sozialen Netzwerken "rechtsextreme Zellen" bilden könnten. Speit relativiert diese Einschätzung. "Die Gefahr besteht eher darin, dass Gewalt gegen Flüchtlinge einfach Teil der gesellschaftlichen Mitte werde", sagt der Rechtsextremismus-Experte.

 

Zahl der rechten Straftaten steigt auch

 

Seine These wird durch eine weitere Zahl aus dem Verfassungsschutzbericht gestützt. So steigt nicht nur die Zahl der Gewalttaten, sondern auch die der Straftaten deutlich. Waren es 2015 noch 645, gab es im vergangenen Jahr schon 785 Straftaten. Das ist eine Steigerung um 20 Prozent.   

 

Schwerpunkt Kiel, Lübeck und Pinneberg

 

In bestimmten Regionen ballen sich diese Straftaten. So gab es in Kiel im vergangenen Jahr 109 rechtsextreme Straftaten, in Lübeck 90 und im Kreis Pinneberg immerhin 75. Im Vergleich: In Plön waren es 35 rechtsextreme Straftaten. Das hängt zum einen damit zusammen, dass in diesen Regionen besonders viele Menschen leben. Zum anderen ist die rechtsextreme Szene gerade in Pinneberg und rund um Lübeck traditionell sehr stark.

So flog 2003 in Pinneberg die Gruppe "Combat 18" auf. Bei einer Razzia wurden hier zahlreiche Waffen gefunden, die Gruppe gilt als "bewaffneter Arm" des verbotenen Netzwerkes "Blood and Honour". Manche der damals festgenommenen Mitglieder dieser Gruppe sind auch weiterhin in der rechten Szene aktiv.

 

"Identitäre Bewegung"

 

Im Raum Lübeck und in Ostholstein ist die  "Identitäre Bewegung" besonders aktiv. Der Verfassungsschutz bezeichnet sie im Bericht mittlerweile als "feste Größe". Diese Bewegung ist eine Jugendorganisation der "Neuen Rechten". Sie sieht Migration als Bedrohung der eigenen Kultur an und geht davon aus, dass die Regierung durch die Einwanderung von Flüchtlingen die eigene Bevölkerung austauschen will.