[B] Mietenpolitische Trauerkundgebung

Gedenkplakette

Am Morgen vom 28.04.2017 haben wir als ORGANIZE-Bündnis eine mietenpolitische Trauerkundgebung in Berlin Wedding abgehalten. Wir wollen damit auf die stetige Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum in Berlin aufmerksam machen und ein Zeichen gegen Verdrängung setzen. Gleichzeitig ist die Kundgebung Teil der Kiez-Mobilisierung zur antikapitalistischen Demonstration „ORGANIZE – Gemeinsam gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“, die am 30.04. durch den Wedding ziehen wird.

 

Als Ort für die Trauerkundgebung haben wir die Schwedenstraße 11a ausgewählt. Am 08.02.2017 fand an dieser Stelle die brutale Zwangsräumung von P. statt [1]. Weil das Jobcenter seine Miete nicht ordnungsgemäß überwiesen hatte, wurde er nach über zehn Jahre aus seiner Wohnung geräumt. Trotz der Unschuld P.'s war der Eigentümer zu keinen Verhandlungen bereit. Am Morgen des 08.02.2017 versuchten noch Dutzende solidarische Menschen, die drohende Zwangsräumung durch eine Blockade aufzuhalten. Mit massiver Polizeigewalt wurde jedoch der Zugang zur Wohnung freigeprügelt [2].

Neben dem konkreten Widerstand vor Ort ist es ebenso wichtig, die Erinnerungen an das Geschehene wach zu halten [3]. Denn nur weil die Räumung vorbei ist, ist es der Widerstand noch lange nicht. Deshalb versammelten wir uns zu einer kurzen unangemeldeten Kundgebung und legten Bilder und Blumen neben der neuen Gedenkplakette nieder, die an die Räumung erinnert. Während einer kurzen Trauerrede (s.u.) wurden Flyer an die vorbeigehenden Menschen verteilt (Flyer s. Anhang).

 

Die Zwangsräumung von P. hat eindrücklich bewiesen, dass auch unter einem rot-rot-grünen Senat keine grundsätzlichen politischen Veränderungen zu erwarten sind. Statt einer Stadtpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen mit weniger Geld orientier, wird höchstens versucht, die allerschlimmsten Auswirkungen eines entfesselten Wohnungsmarktes abzumildern. Dabei werden wir nicht schweigend zusehen. Wir müssen gemeinsam gegen die Auswüchse einer unsozialen Stadtpolitik vorgehen. Durch unterschiedliche Aktionen kann der Widerstand sichtbar gemacht werden. Egal ob Blockaden, Kundgebungen oder Graffitis – die Möglichkeiten sind vielfältig.

 

Eine Möglichkeit, um gemeinsam ein starkes Zeichen gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung zu setzen, ist die antikapitalistische ORGANIZE-Demonstration am 30.04.2017. Die Demo startet in diesem Jahr um 16Uhr vom U-Bhf Leopoldplatz. Zahlreiche selbstorganisierte Gruppen aus dem Wedding rufen auf und viele Gruppen aus ganz Berlin nehmen teil. Nutzt zur Anreise die Kieztreffpunkte!

 

[1] https://de.indymedia.org/node/11770

[2] https://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/080217zwangsraeumung.html

[3] http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/?p=1954

 

Mehr Infos zur Demo: http://organizeberlin.blogsport.eu/

 

Vortreffpunkte

[1] Kundgebung / „Friedel54-Kundgebung & United from Neukölln to Wedding“ / 14.00 Uhr / Friedelstraße 54

[2] Demonstration / „Lang lebe der Widerstand in Şengal und Rojava!“ / 14.30 Uhr / U-Franz-Neumann-Platz

[3] Vortreffpunkt / „Vom Selber machen Kongress gemeinsam in den Wedding fahren“ / 15.00 Uhr / NewYorck im Bethanien

[4] Vortreffpunkt / „Friedrichshain kommt uff’n Wedding“ / 15.15 Uhr / Dorfplatz, Rigaer Str. Ecke Liebigstr.

 

Trauerrede zur Kundgebung

Heute müssen wir Abschied von einem langjährigen Begleiter nehmen. Viele von uns kannten und schätzten ihn. Ohne ihn wäre unser Leben weniger lebenswert. Er war stets für uns da. Gab uns Schutz, wenn wir ihn nötig hatten, aber auch Freiraum, wenn wir ihn brauchten. Leider wurde er im Alltag oft für verständlich genommen. Als stillen aber notwendiger Rückhalt werden wir ihn umso mehr vermissen. Wir betrauern heute den Verlust von bezahlbarem Wohnraum in Berlin.


Wir haben uns zum Abschied hier vor der Schwedenstraße 11a versammelt. Dieser Ort sollte uns daran erinnern, dass der Verlust von bezahlbarem Wohnraum schnell und unerwartet kommen kann. Was wir heute noch unsere Wohnung genannt haben, kann morgen schon vom Gerichtsvollzieher beschlagnahmt werden. Das widerfuhr auch unserem Nachbarn genau an dieser Stelle. Er lebte seit 2007 hier. Weil das Jobcenter seine Miete nicht ordnungsgemäß überwies, wurde seine Wohnung aufgrund von Mietschulden gekündigt. In Anbetracht seiner Unschuld hätte es in der Hand des Vermieters gelegen, eine einvernehmliche, eine menschliche Lösung zu finden. Doch in unseren heutigen Zeiten ist es leider einträglicher, Wohnungen neu zu vermieten als auf alte Mieter*innen zuzugehen.

Am 08. Februar diesen Jahres sollte unser Nachbar auf die Straße gesetzt werden. Um das zu verhindern, hatten sich bereits am frühen morgen über 50 Menschen hier versammelt. Der Abschied von der Wohnung sollte in würdevollem Widerstand und nicht stillschweigend erfolgen. Doch gegen ein übermächtiges Polizeiaufgebot konnten sie nichts ausrichten. Im Namen des Profits wurde die Staatsgewalt zum Totengräber eines Weddinger Mieter*innenschicksals und einer weiteren bezahlbaren Wohnung.


Eine Zwangsräumung, wie sie hier in der Schwedenstraße 11a vollzogen wurde, ist sicherlich die schmerzlichtste und brutalste Form der Verdrängung. Sie reißt Menschen aus ihrem gewohnten Leben und trennt sie von Freund*innen, Familie und dem sozialen Umfeld. Treffen kann es vor allem die, die ohnehin schon wenig haben. Und betroffen sind immer mehr Menschen. Allein in Berlin kommt es pro Tag zu ungefähr 20 Zwangsräumungen. Nachdem die alten Mieter*innen geräumt wurden, können die Wohnungen für mehr Geld neu vermietet werden.

Doch der Kreislauf einer sich stetig nach oben windenden Mietspirale ist nicht gottgegeben. Es liegt an uns, etwas dagegen zu tun. Heute betrauern wir den Verlust von bezahlbarem Wohnraum. Doch aus unserer Trauer sollte nicht Stillstand und Resignation folgen. Unsere Trauer sollte der Anlass sein, nach vorne zu schauen und die Verhältnisse, aus denen sie erwächst, zu verändern. Aus Trauer wird Wut und Widerstand. Was uns der Wohnungsmarkt nehmen will, werden wir uns zurück holen. Während wir heute trauern, werden wir morgen kämpfen. Schließen wir uns zusammen – Organize!