Speckgürtel wird dicker - Neue Debatte in Leipzig: Hilft Landflucht gegen steigende Mieten?

Erstveröffentlicht: 
25.04.2017

In Leipzig ist eine Debatte darüber entbrannt, ob das Umland bei der Lösung von Problemen auf dem Wohnungsmarkt helfen kann. 2016 erlitt die Messestadt bereits einen Wanderungsverlust von 1660 Einwohnern gegenüber den beiden Nachbarkreisen.

 

Leipzig. In Leipzig ist eine Debatte darüber entbrannt, ob das Umland bei der Lösung von Problemen auf dem Wohnungsmarkt helfen kann. Auslöser war eine Rede von CDU-Stadträtin Sabine Heymann. Ihre Fraktion hatte einer Ratsvorlage zum Bau von Sozialwohnungen nicht zugestimmt, was Heymann unter anderem damit begründete, dass dadurch Zukunftsängste geschürt würden. Es sei unrealistisch anzunehmen, in der Messestadt könnte schon bald kein bezahlbarer Wohnraum mehr existieren. Vorbeugend, so die Union, sollten aber die Bautätigkeit weiter angekurbelt und Kooperationen mit dem Umland gesucht werden. „Noch haben wir im Umkreis von 50 Kilometern um Leipzig fast 50 000 leerstehende Wohnungen“, sagte Heymann. „60 000 Wohnungen brauchen wir bis zum Jahr 2030, wenn wir weiter so wachsen wie bisher.“

 

Rings um die Messestadt bildet sich tatsächlich längst ein Speckgürtel heraus. Bis 2013 profitierte Leipzig beim Wachstum noch stark vom Umland. 2014 gab es ein Patt. Für 2015 vermeldeten die Statistiker erstmals, dass Sachsens größte Metropole allein gegenüber zwei Landkreisen in Deutschland deutliche Wanderungsverluste hinnehmen musste – nämlich Nordsachsen (-210 Einwohner) und der Landkreis Leipzig (-680). Im vergangenen Jahr verstärkte sich dieser Trend: Nun gab Leipzig schon 630 Bürger an Nordsachen und an den südlichen Landkreis 1030 Personen ab, wobei direkte Nachbarn wie Taucha und Markranstädt am meisten dazugewinnen konnten.

 

Grundsätzlich sei das auch in Ordnung, meinte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau (parteilos) zur Vorstellung des aktuellen Wohnungsmarktberichtes. Leipzig wolle nicht neue Großsiedlungen am Stadtrand aus dem Boden stampfen, sondern „von innen nach außen und dabei nachhaltig wachsen“. Es müssten vorhandene Brachflächen und Infrastrukturen wie die Gleis-, Straßen- und Fernwärmenetze genutzt werden. Wichtig sei nicht so sehr, in welcher Gemarkung neue Häuser entstehen, sondern dass es dort möglichst nahe schon einen S-Bahn- oder Straßenbahn-Anschluss, auch Schulen, Kitas und Versorgungszentren gibt.

 

Allein in Schkeuditz werden bis Ende 2018 mehr als 150 neue Wohnungen gebaut, erklärt der dortige Stadtsprecher Helge Fischer. Die Einwohnerzahl sei in den letzten drei Jahren um über 600 auf nun rund 17 600 gestiegen. „Wir denken bereits über eine zusätzliche Kita nach.“

 

Neben günstigen Mieten und Grundstückspreisen spreche auch eine vergleichsweise niedrige Kriminalität für einen Umzug nach Eilenburg, so der dortige Bürgermeister Ralf Scheler (parteilos). Nach Angaben des Immobilenverbandes Mitte-Ost (IVD) ist der Wohnungsleerstand in Eilenburg, Torgau oder Borna prozentual gesehen jeweils doppelt so hoch wie in Leipzig. Eine Eigentumswohnung kostet dort nur halb so viel wie hier. Die Kaltmieten für Altbauten liegen bei 3 bis 6 – in Leipzig bei 4,70 bis 9 Euro.

 

„Man kann doch nicht den Menschen sagen, zieht nach Mutzschen oder nach Colditz, wenn die Mieten in Plagwitz oder in Volkmarsdorf zu teuer werden“, sagt dazu Roman Grabolle vom Leipziger Bündnis „Stadt für alle“. Die Stadtratsmehrheit aus Linken, SPD und Grünen sah das ähnlich – und stimmte für den sozialen Wohnungsbau unter Einsatz von jährlich 20 Millionen Euro Fördermitteln.

 

Leipzig büßt bei Wegzügen staatliche Zuweisungen ein, gibt Linke-Stadtrat Siegfried Schlegel zu bedenken. „Regionale Kooperation kann keine Einbahnstraße nach dem Motto – billig im Umland wohnen und alle Angebote in Leipzig nutzen – sein. Aktuell pendeln schon 80 000 Menschen zur Arbeit nach Leipzig ein und 50 000 aus.“ Folglich sei es mehr als gerechtfertigt, Steuermittel zur Dämpfung des Mietenanstiegs in einer wirtschaftsstarken Metropole einzusetzen.

 

Gerade bei den Gewerbeansiedlungen klappe die Zusammenarbeit mit den benachbarten Landkreisen schon lange sehr gut, so Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU): „Bestes Beispiel ist die Gründung der Invest Region Leipzig GmbH für die gemeinsame Investorenansprache und Fachkräfteakquise.“

Von Jens Rometsch