Schleppende Ermittlungen: Noch keine Verurteilungen im Fall Connewitz

Erstveröffentlicht: 
21.04.2017

Der Fußball-Verein Roter Stern muss gegen Teams antreten, in denen mutmaßliche Angreifer spielen

 

Leipzig. Es gibt Zufälle, die gibt es eigentlich gar nicht: Am morgigen Sonnabend treten gleich drei Fußball-Mannschaften von Roter Stern Leipzig auswärts an – und das jeweils bei Mannschaften, die Tatverdächtige eines mutmaßlich von Neonazis organisierten Überfalls auf den alternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz in ihren Reihen haben. Damals, im Januar 2016, war unter anderem das Vereinsheim von Roter Stern Leipzig (RSL)verwüstet worden. Insgesamt entstand ein Sachschaden im sechsstelligen Bereich. Im Nachgang der Krawalle hatte die Polizei 215 Verdächtige festgesetzt und deren Personalien aufgenommen.

 

Dabei handelt es sich um teils bekannte Neonazis und Hooligans. So stellte der sächsische Verfassungsschutz unter den Festgenommenen jeweils sechs Mitglieder der aufgelösten rechtsextremen Lok-Leipzig-Fangruppierung „Scenario“   und der Dresdner Hooligan-Gruppe von „Faust des Ostens“ fest, die als kriminelle Vereinigung eingestuft ist. Auch acht Neonazis der Freien Kameradschaft Dresden, gegen die wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, waren laut Innenministerium bei dem Überfall in Connewitz dabei. Zudem wurde offensichtlich in der Kampfsport-Szene rekrutiert. Desweiteren befinden sich prominente NPD-Kader unter den Verdächtigen. Daneben sind auch etwa 20 Fußballer unterklassiger Fußball-Ligen vertreten sein, vornehmlich aus dem Raum Leipzig, aus dem Osterzgebirge und der Sächsischen Schweiz. Wahrscheinlich fand die Mobilisierung über verschlüsselte Kommunikationsmittel, Chats und Mund-zu-Mund-Propaganda statt.

 

Vereine verzichten auf Einsatz betroffener Spieler

 

Konkret geht es jetzt um den Bornaer SV 91 (Landesklasse), wo gegen drei Spieler wegen besonders schweren Landfriedensbruchs ermittelt wird, den TSV Seegeritz (2. Kreisklasse, zwei Spieler) und den Leipziger FC 07 (1. Kreisklasse, ein Spieler). Die Vereine haben inzwischen zugesagt, an diesem Wochenende bei den Spielen gegen Roter Stern Leipzig auf ihr offenbar rechtes Stammpersonal verzichten zu wollen. Allerdings: Nur an diesem Wochenende. „Die Ergebnisse interner Gespräche mit den betreffenden Spielern haben uns nicht dazu bewogen, sie auszusperren. Bis das Gegenteil bewiesen ist, muss die Unschuldsvermutung gelten. Das bedeutet aber nicht, dass wir sie schützen“, erklärt Ingo Dießner, der Vorstandsvorsitzende des Bornaer SV 91. Zugleich macht er auf ein Dilemma des Vereins aufmerksam: Juristisch ist ein Ausschluss von Mitgliedern nur schwer möglich – so lange keine Straftaten nachgewiesen sind.

 

Und genau hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem:  Fast 16 Monate nach dem Überfall gibt es  nicht ein einziges Urteil. Aktuell ist nur ein Verdächtiger angeklagt und wurde ein Strafbefehl erlassen, der aufgrund eines Einspruchs noch nicht rechtskräftig ist. Dagegen mussten 17 von insgesamt 25 Ermittlungsverfahren – darunter Steinewerfen und das Beschießen mit Pyrotechnik –  eingestellt werden, weil  sich kein Täter genau identifizieren ließ. Die Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs gegen die 214 Männer und eine Frau sind davon noch nicht betroffen. Jedoch ist die Schwierigkeit dabei, jedem Einzelnen die Straftat nachzuweisen: Landläufig heißt es zwar „mitgefangen, mitgehangen“ – tatsächlich gibt es in Deutschland aber keinen Straftatbestand, der eine ganze Gruppe in Mithaftung nimmt. 

 

Polizeiliche Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.


Jörg Herold, der Sprecher des sächsischen Justizministeriums, erklärt: „Die Ermittlungen konnten bei der Polizei wegen der Komplexität noch nicht abgeschlossen werden. Jedem der 215 Beschuldigten muss eine konkrete Beteiligung an dem schweren Landfriedensbruch nachgewiesen werden. Allein der Umstand, dass sich ein Beschuldigter in der polizeilichen Einkesselung befunden hat, reicht zum Nachweis nicht aus.“ Das heißt: Nur wenn die Polizei eine individuelle Tatbeteiligung liefert, kann die Justiz handeln – und das ist eine Sisyphus arbeit. Den Ermittlern sei es zuletzt nicht einmal gelungen, alle Beschuldigten vorzuladen, heißt es. Deshalb können sich viele Verdächtige durchaus Hoffnungen machen, ungeschoren zu bleiben. Parallelen zu anderen Angriffen wie auf eine Asylunterkunft in Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) im September 2015 sind offenkundig: Auch hier gelang es bislang nur in wenigen Fällen, Einzelnen eine konkrete Straftat nachzuweisen.

 

„Wenn es über einen langen Zeitraum, wie im Fall Connewitz, keine Sanktionierung von Straftaten gibt, können diese Leute unbehelligt weitermachen“, sagt RSL-Sprecher Conrad Lippert und fordert Konsequenzen: „Der Freistaat muss Gerichtstermine einfordern. Wir wollen außerdem eine klare und belastbare Linie zu diesem Thema mit den Verbänden.“

 

"Vereine müssen genau hinschauen"

 

Dagegen lobt Lippert, dass der Sächsische Fußballverband und der Landessportbund aktiv geworden sind. Auch der Bornaer SV gehe „mit der Problematik offen um“ und habe Unterstützung angenommen. Beim Spiel der Frauen-Mannschaften der beiden Vereine vor drei Wochen setzten beide Seiten zudem ein Zeichen: Mit einem Transparent wurde sich öffentlich von Neonazis distanziert. BSV-Chef Dießner appelliert vor dem Aufeinandertreffen am Samstag, das als Sicherheitsspiel eingestuft wurde, seinerseits an die Bornaer: „Ich möchte hier keineswegs den Verein Roter Stern Leipzig oder die Idee und die Message, die der Verein vertritt, dafür verantwortlich machen. Nicht dadurch haben wir solche Auflagen.“

 

Dass es für Vereine durchaus Handlungsoptionen gibt, hatte zuletzt Sachsens Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath gegenüber der LVZ klargemacht „Es muss schon frühzeitig eingeschritten werden und auch Vereine müssen sehr genau hinschauen, wer zum Beispiel bei ihnen Fußball spielt – und notfalls hart durchgreifen. Die größte Chance, Neonazis und deren Mitläufer zu erwischen, ist in deren Umfeld.“

Andreas Debski