Auschwitz-Prozess - Wenn der Richter selbst Gegenstand von Ermittlungen wird

Erstveröffentlicht: 
10.04.2017

Der Auschwitz-Prozess von Neubrandenburg kommt seit zwei Jahren nicht voran. Die Staatsanwaltschaft hat nun Ermittlungen gegen Richter Klaus Kabisch gestartet. Der Vorwurf gegen den Juristen: Rechtsbeugung.

 

Die Staatsanwaltschaft Stralsund gehört zu den kleineren Ermittlungsbehörden des Landes. Die Behörde mit 30 Staatsanwälten bearbeitet etwa 23.000 Verfahren im Jahr. In der vergangenen Woche kam ein historisches hinzu: Unter dem Aktenzeichen 526 Js 9674/17 ermittelt die Behörde gegen einen Richter.

Klaus Kabisch, Vorsitzender am Landgericht Neubrandenburg, soll sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben – ausgerechnet in einem der letzten Auschwitz-Prozesse, die jetzt noch geführt werden. Noch nie wurde einem deutschen Richter in einem Holocaust-Prozess der Vorwurf gemacht, dass er das Recht bricht.

 

Seit 2015 dümpelt das Verfahren gegen den jetzt 96-jährigen früheren SS-Mann Hubert Zafke vor sich hin. Zafke war als Sanitäter in Auschwitz und wird der Beihilfe zum Mord in mehr als 3000 Fällen beschuldigt. Richter Kabisch weigerte sich, den Prozess überhaupt zu eröffnen; das Oberlandesgericht Rostock musste ihn 2015 dazu zwingen. Es wurde bislang nur an zwei Tagen verhandelt, zuletzt im September 2016.

 

Der Richter hat bislang keine Zeugen geladen und ist nicht in die Beweisaufnahme eingetreten. Deswegen stellte die Staatsanwaltschaft Schwerin, die die Anklage vertritt, im vergangenen Jahr zwei Ablehnungsanträge gegen den Vorsitzenden. Mehrere Nebenkläger lehnen Kabisch und die beiden Beisitzer wegen Befangenheit ab. Am Montag hat die Staatsanwaltschaft Schwerin einen dritten Befangenheitsantrag gegen Kabisch und seine zwei Richter-Kollegen der Kammer gestellt. Die Richter hätten eine innere Haltung eingenommen, die es ausschließt, dass sie das Verfahren mit dem gebotenen und unverzichtbaren Maß an Neutralität führen.

 

Dass Staatsanwälte Richter ablehnen, kommt äußerst selten vor. In Verfahren, die NS-Verbrechen behandeln, ist es noch nie passiert; nicht einmal in den 50er- und 60er-Jahren, als die Justiz wenig Neigung zeigte, sich mit der Ahndung des Massenmorde an den Juden zu beschäftigen.

 

Mit seiner ablehnenden Haltung hat es Kubisch möglicherweise übertrieben. Denn der Jurist, der den Prozess offenkundig nicht führen will, soll sich zudem einer Straftat schuldig gemacht haben. Der Nebenklage-Anwalt Thomas Walther hat eine Strafanzeige gegen Kabisch gestellt, weil der seinen Mandanten und dessen Bruder im Februar 2017 die Zulassung zur Nebenklage widerrufen hatte – zum zweiten Mal.

 

Kabischs Begründung: Walter Plywaski, 87, und William Plywaski, 86, beide aus Boulder (US-Staat Colorado), seien nicht berechtigt, als Nebenkläger aufzutreten. Ihre Mutter wurde bei der Ankunft in Auschwitz 1944 in der Gaskammer ermordet, die Brüder und ihr Vater überlebten das Vernichtungslager. Dabei widerrief das OLG Rostock schon den ersten Beschluss, mit dem Kabisch die Plywaskis herausdrängen wollte. Zur Zeit werde geprüft, ob ein Ermittlungsverfahren aufgenommen werde, so ein Sprecher.

 

Weil Kabisch und seine beiden Kollegen aber in ihrem zweiten Beschluss keine neuen Gründe für ihre Entscheidung anführten, sondern einfach darauf beharrten, recht zu haben, trifft sie jetzt der Vorwurf der Rechtsbeugung. Kabisch & Co. schrieben zu der Entscheidung der oberen Instanz nämlich: „Diese Ansicht teilt die Kammer nicht.“

 

Dass Anwälte Richter ablehnen und Gerichte kritisieren, gehört zum Justizalltag dazu. Doch geradezu alarmierend lesen sich die Stellungnahmen der Staatsanwaltschaften in dieser Sache. Kabischs Strafkammer setze sich über den Beschluss des OLG hinweg, was „gerade in diesem Verfahren von einer derartigen rechtlichen und geschichtlichen Bedeutung nur schwer erträglich ist“, schreibt Jürgen Garbe von der Generalstaatsanwaltschaft Rostock in einer Stellungnahme. Die Kammer weigere sich „seit mehr als einem Jahr, mit der Hauptverhandlung zu beginnen, obwohl die – eingeschränkte – Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten durch ein überzeugendes Sachverständigengutachten belegt“ sei. 

 

„Über Strafbarkeit hinaus ein Skandal“


Der Generalstaatsanwaltschaft geht offenbar nicht mehr davon aus, dass Kabisch sein Verfahren noch führen will. Die „Hartnäckigkeit, mit der die Kammer berechtigte Belange der Nebenkläger und deren Vertreter negiert“, zeige einmal mehr, dass die Kammer „nicht bereit oder in der Lage ist, den angeklagten Sachverhalt in richterlicher Unbefangenheit zu verhandeln und zu entscheiden“.

 

Richter Kabisch hat mit dem Nebenkläger Walter Plywaski schon von Beginn an Probleme. Als sein Anwalt einen Antrag auf die Kostenübernahme für eine Besuchsreise nach Boulder stellte, lehnte er dies mit der Begründung ab, man könne sich doch über das Internet mittles des Programms „Skype“ verständigen.

 

Dass der Auschwitz-Überlebende Walter Plywaski, der fünf Jahre lang im Getto von Lodz und mehreren deutschen Konzentrationslagern gequält wurde, nur noch eingeschränkt hörfähig ist und an einem Tremor leidet, schien Kabisch nicht zu interessieren. Auch hier korrigierte das OLG Rostock die Entscheidung der Neubrandenburger Kammer und gewährte die Übernahme der Reisekosten.

 

Cornelius Nestler vertritt Walter Plywaskis Bruder William. Der Strafrechtler, der in an der Universität Köln lehrt, ist „entsetzt“ über die Richter von Neubrandenburg, sagt er. „Die Rechtsverweigerung durch die Richter des Schwurgerichts halte ich über die Strafbarkeit ihres Verhaltens hinaus für einen Skandal.“