Entwarnung gibt es nicht

Erstveröffentlicht: 
11.04.2017

Handreichung zeigt Umgang mit rechten Bedrohungen / Anschlagserie pausiert

 

Tierkadaver in Briefkästen, Projektile vor der Haustür. Das sind nur zwei Beispiele für Bedrohungen von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus, für Menschenrechte und Demokratie oder für Geflüchtete engagieren. Häufiger sind andere Vorfälle: Die Zahl von Brandanschlägen auf Autos, bedrohlicher Graffiti an Hauswänden und eingeschlagenen Fensterscheiben hat seit Mai 2016 stark zugenommen, vor allem - aber nicht nur - in Neukölln. 43 Fälle einer »neuen Anschlagserie« hat die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (mbr) bis heute gezählt, wie Geschäftsführerin Bianca Klose am Montag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Antidiskriminierungssenator Dirk Behrendt (Grüne) mitteilte. Das Ziel: »Einschüchterung und Angst.«

 

Aus diesem Anlass hat die Mobile Beratung eine Handreichung verfasst, wie mit rechten und rechtsextremen Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen umzugehen ist. »Seit vier Jahren haben wir es verstärkt mit Ehrenamtlichen zu tun, die rechte Bedrohungen erfahren«, sagt Klose. Menschen, die sich bisher nicht politisch engagiert hätten, wollten nun ein Zeichen für Solidarität setzen und hingen beispielsweise Refugees-Welcome-Plakate ins Schaufenster. Dass sie damit zur Zielscheibe von Rechtsextremen werden können, daran dächten sie gar nicht. »Der öffentliche Diskurs hat sich dramatisch verschoben«, sagt Klose. »Das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte gilt plötzlich als ›links‹.«

 

Die Broschüre der Mobilen Beratung ist für solche Menschen gemacht, die erst in jüngster Zeit begonnen haben, sich zu engagieren und im Umgang mit Bedrohungen und Anfeindungen »keine Profis« seien, sagt Klose. »Die Handreichung soll weder einschüchtern noch Panik schüren.« Sie solle zeigen, dass man derlei Vorfällen nicht hilflos ausgeliefert sei.

 

Die meisten Empfehlungen sind einfach, aber notwendig: Wer das eigene Haus verlässt, sollte sich umschauen und das Umfeld im Blick haben. Türen gehören verschlossen, und Gäste sollten nicht ungeprüft hereingebeten werden. Das Wichtigste sei aber, die private Adresse nicht in die Hände von Rechtsextremen geraten zu lassen. Der erste Schritt sei, den Eintrag im Telefonbuch zu löschen, wichtig sei auch, mit persönlichen Daten im Internet sparsam umzugehen.

 

Die Privatadresse von Claudia und Christian von Gélieu ist leicht zu finden. Claudia arbeitet freiberuflich im Büro zu Hause und hat ihr Gewerbe dort angemeldet. In der Nacht zum 9. Februar wachte sie auf, sah ein ungewöhnliches Licht von draußen hereinscheinen, und sah durchs Fenster, dass ihr Auto vor dem Haus brannte. Das berichtet Christian von Gélieu am Montag, der an der Vorstellung der neuen Broschüre teilnimmt. Was das Paar zum Ziel mutmaßlich rechter Gewalt macht: Gemeinsam engagieren sie sich in der Galerie Olga Benario in Neukölln, die 1984 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Verband der Antifaschisten (VVN/VdA) gegründet worden war. Kurz vor dem Brandanschlag lud die Galerie zu einer Veranstaltung eines Bündnisses Neuköllner Buchläden gegen Rassismus. Im Impressum auf der Internetseite der Galerie steht der Name von Claudia von Gélieu. Eine allgemeine Empfehlung für den Umgang mit solchen Erfahrungen hat Christian nicht. Für ihn gelte: »Man darf sich nicht zurückziehen.« Aber das komme auf die jeweiligen Lebensumstände der Betroffenen an.

 

Geholfen habe ihm und seiner Frau die große Unterstützung, vor allem von der Initiative »Hufeisern gegen rechts« im Neuköllner Stadtteil Rudow. Die Polizei sei noch vor der Feuerwehr vor Ort gewesen und habe gleich ein politisches Motiv in Erwägung gezogen. Drei Wochen später sei seine Frau bei der polizeilichen Sonderermittlungsgruppe »Rechte Straftaten in Neukölln« (Resin) vorgeladen worden, die der Senat Ende Januar gegründet hatte.

 

Ermittlungsergebnisse sind bisher nicht bekannt. Aber seit dem 9. Februar gab es auch keinen weiteren Vorfall. Bianca Klose sagt: »Die Täter verhalten sich ruhig.« Entwarnung könne sie aber nicht geben. Die Einrichtung der Ermittlergruppe Resin zeige immerhin, dass die Strafbehörden die Anschlagserie ernst nähmen. Deren Hinweis auf einen »niedrigen zweistelligen Täterkreis« lege nahe, dass die Personen bekannt seien. Nun hofft Klose auf Ermittlungserfolge und eine »angemessene Strafverfolgung«.