Opfer rechtsextremer Gewalt müssen sich selbst helfen

Erstveröffentlicht: 
10.04.2017
  • Innerhalb eines Jahres gab es in Berlin 43 rechtsextreme Angriffe: Brandstiftung, Schmierereien und eingeschlagene Fenster.
  • Die Täter konzentrieren sich vor allem auf den Bezirk Neukölln.
  • Bisher ist keine einzige Tag aufgeklärt. Eine Broschüre soll Betroffenen Hilfestellung geben.
Von Antonie Rietzschel, Berlin

   

Es ist mitten in der Nacht, als Claudia von Gélieu von einem Lichtschein vor dem Fenster geweckt wird. Durch die Scheibe sieht sie ein brennendes Auto. Ihr Auto.

 

Für von Gélieu ist klar: Das war ein politisch motivierter Anschlag. Auch die bald eintreffende Polizei hat daran keinen Zweifel. Die Betroffene engagiert sich für die Neuköllner Galerie Olga Benario, die gegen "Neofaschismus, Sexismus, Rassismus und Imperialismus" eintritt.

 

Der Anschlag wurde in der Nacht zum 9. Februar verübt, es ist der bislang Letzte in einer Serie rechtsextremer Gewalttaten. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) zählt seit Mai 2016 insgesamt 43 Vorfälle, darunter Schmierereien, eingeschlagene Fensterscheiben und Brandstiftung. Die Täter konzentrieren sich vor allem auf Neukölln, einen Bezirk, der bundesweit für Multikulti bekannt ist. Seit Anfang des Jahres gibt es eine fünfköpfige Sonderermittlungsgruppe der Polizei. Doch bis heute ist kein einziger Fall aufgeklärt.

 

Die Betroffenen müssen sich deshalb selbst vor weiteren Angriffen schützen. Das wird während einer Pressekonferenz klar, zu der der Berliner Justizsenator geladen hat. Dirk Behrendt stellte gemeinsam mit Bianca Klose vom MBR eine Broschüre zum Umgang mit rechtsextremer Anfeindung vor.

Keine Ermittlungserfolge

Mit dem Heft reagieren Senat und MBR auf eine Entwicklung der vergangenen Jahre: Immer mehr Menschen, die keinerlei politischer Gruppierung angehören, sondern sich beispielsweise in der Flüchtlingshilfe engagieren, werden Opfer von Angriffen. Im Umgang mit der Bedrohung durch Rechtsextreme haben sie wenig Erfahrung. Die Broschüre gibt ihnen Tipps, wie sich verhindern lässt, dass die eigene Adresse im Internet auftaucht oder sogar ein Foto. Oder wie man im schlimmsten Falle die eigene Wohnung gegen Angriffe sichert.

 

Bianca Klose betont, wie wichtig Solidarität mit den Betroffenen sei. Damit haben die Opfer der jüngsten Gewaltserie unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Auf der einen Seite gab es zahlreiche Demonstrationen von Unterstützern. Auch der Berliner Innensenator hat daran teilgenommen. Gleichzeitig musste sich das Ehepaar von Gélieu auch schon anhören, sie seien selbst Schuld an dem Angriff. "Ihr Linken habt doch angefangen", zitiert Christian von Gélieu einen der Sprüche.

 

Er vertritt auf der Pressekonferenz die Betroffenen. Von Gélieu macht deutlich, dass er und seine Frau nie ganz sicher sein werden, solange die Täter frei herum laufen. Von der Arbeit der Polizei ist er enttäuscht. Er wünscht sich, dass ihn die Beamten über die Ermittlungsarbeit auf dem Laufenden halten. "Neuigkeiten erfahren wir über Journalisten oder die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus", sagt von Gélieu.

 

Justizsenator Dirk Behrendt kann zu den Ermittlungen keine Angaben machen. Er sei darüber besorgt, dass die Täter noch immer unbekannt seien. Bianca Klose vermutet, dass sie aus dem Umfeld einer mittlerweile verbotenen Neonazigruppe stammen. "Das sind militante Rechtsextreme, die personell schwach aufgestellt sind. Doch auch ein bis zwei Personen können effektiv sein", sagt Klose. Sie wünscht sich schnelle Ermittlungsergebnisse. "Sonst fühlen sich Neonazis ermuntert."