Rassistische Verbrechen in der DDR

Erstveröffentlicht: 
05.04.2017

Ab Mitte der 1960er Jahre warb die DDR-Führung ausländische Arbeitskräfte an, um im Arbeiter- und Bauernstaat den Arbeitskräftemangel zu beseitigen. Zunächst kamen die Vertragsarbeiter aus den Ostblockländern Polen und Ungarn. Ab den 1970er Jahren folgten dann viele junge Männer aus Algerien, Kuba, Mosambik, Vietnam und Angola. 1989 lebten 94.000 Vertragsarbeiter in der DDR.

 

Nach offiziellem Selbstverständnis bauten die DDR-Bürger Seite an Seite mit ausländischen Werktätigen den Sozialismus auf. Als Ideal galt: Man tauschte sich kulturell aus und begegnete sich auf Augenhöhe. Die Fremden sollten zu Mitgliedern der sozialistischen Arbeitskollektive werden und die Freizeit gemeinsam mit den Einheimischen verbringen – so die offizielle Lesart. Die Realität sah anders aus: Echte Freundschaften waren selten. Die Vertragsarbeiter lebten getrennt von der DDR-Bevölkerung in eigenen Wohnheimen und mussten nach Ablauf der Vertragszeit das Land sofort wieder verlassen. 

 

Schatten auf der Völkerfreundschaft


Und nicht nur das: Jenseits der offiziellen Freundschaftstreffen häuften sich rassistische Vorfälle, die gezielt vertuscht und verschwiegen wurden – denn Hetzjagden und Übergriffe auf Ausländer passten nicht zum eigenen Selbstbild. Dabei wurden auf dem Gebiet der DDR Hunderte rassistische Straftaten begangen. Es gab ausländerfeindliche Parolen und Beleidigungen, Hetze, gewalttätige Übergriffe und Körperverletzungen, Ausschreitungen und sogar Morde. Täter waren überwiegend junge Männer, Opfer vor allem ausländische Vertragsarbeiter.

Der Historiker Harry Waibel hat jahrelang geforscht und eine Vielzahl an Stasi-Akten zu den Vorfällen ausgewertet. Bei erschreckend vielen stieß er auf ausländerfeindliche Motive. Demnach führten rassistisch motivierte Gewalttaten auch zum Tod von Antonio Manuel Diogo und Carlos Conceicao aus Mosambik. Sie wurden getötet, weil sie Ausländer waren, anders aussahen und sich anders benahmen.

 

Am 30. Juni 1986 starb auf einer Zugfahrt der 23-jährige mosambikanische Vertragsarbeiter Manuel Antonio Diogo. Er war auf dem Heimweg nach Coswig bei Dessau, wo er in einem Sägewerk arbeitete. Er hatte seinen Freund Ibraimo Alberto in Berlin besucht. Im Zug begegnete Manuel einer Gruppe Neonazis.

 

Sie haben meinen Freund, den Antonio Manuel Diogo, zusammengeschlagen. Beide Füße gefesselt. Und dann haben sie seine Körperteile nach unten ... ganz langsam, mit dem Seil immer nach unten. Da haben sie genau mit dem Kopf angefangen. Bis sie alles zerstückelt haben.

Ibraimo Alberto, ehem. Vertragsarbeiter

Noch in derselben Nacht wurde seine Leiche gefunden. Im Protokoll der Transportpolizei wird vermerkt:

„Höhe Bahnhof Borne wurde männliche Leiche aufgefunden. Kopf und Beine abgefahren. Es handelt sich um eine Person mit dunkler Hautfarbe“

Weil es sich bei dem Toten um einen Ausländer handelte, schaltete sich die Staatsicherheit in die Untersuchungen ein. Lakonisch wird einige Tage später vermerkt, Antonio Manuel Diogo habe den "Zug während der Fahrt verlassen und wurde überfahren. Hinweise auf eine Straftat liegen nicht vor."


Diogo war Anfang der 1980er Jahre in die DDR gekommen, um eine Ausbildung zu machen. Er wollte arbeiten, Geld verdienen und seine Familie aus der Armut holen. Über die Todesursache wurden seine Angehörigen von den DDR-Behörden im Unklaren gelassen.

 

Wir sind überrascht, dass mein Sohn ein Opfer dieser Banditen wurde. Es hieß immer, er sei bei einem Unfall gestorben. Ich bin froh, jetzt die Wahrheit zu kennen und hoffe, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Faustina Machisso, Mutter von Antonio Manuel Diogo  
Fernsehtipp:

10.04.2017 | 23:30 Uhr | Das Erste

Im Schatten der Völkerfreundschaft - Rassistische Verbrechen in der DDR

Unsere Autoren Christian Bergmann und Tom Fugmann gehen in der Dokumentation "Schatten auf der Völkerfreundschaft" den Übergriffen auf Gastarbeiter in der DDR und den politischen gewollten Vertuschung auf den Grund.