Jena: FAU-Vorabenddemo zum 1. Mai - Für mehr Werktagsmilitanz! Egal ob Bau, Uni, Knast oder anderswo.

Erste selbstorganisierte Demo in Jena zum bzw. vorm Ersten Mai. Wir sind die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Die FAU ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft und besteht seit 1977. In Jena arbeiten wir in verschiedenen Bereichen – im Call Center, an der Supermarktkasse, auf dem Bau, in der Uni, als Selbstständige – oder werden vom Arbeitsamt/Jobcenter gegängelt. Seit 2013 haben wir in Jena zahlreiche Arbeitskämpfe angezettelt und gewonnen. Um diese Arbeitskämpfe zu stärken und unsere Perspektive bekannt zu machen, haben wir uns entschieden, dieses Jahr in Jena eine Erste-Mai-Demo zu organisieren. Aufgrund der Antifa-Proteste am 1. Mai in Gera haben wir sie auf den 30. April vorgezogen. Im Folgenden wollen wir erklären, worum es uns geht.


Am 1. Mai 1886 begann in den USA ein Generalstreik zur Durchsetzung des 8-Stunden-Tags. In Chicago, dem damaligen Zentrum der radikalen Arbeiter_innenbewegung in den USA, wurden am 3. Mai Arbeiter auf ihrem Streikposten von der Polizei erschossen. In Reaktion darauf riefen die Anarchist_innen für den nächsten Tag zu einer Protestversammlung auf dem Haymarket auf. Als bewaffnete Polizeieinheiten die Versammlung auflösten, wurde eine Bombe auf sie geworfen, die einen Polizisten tötete und mehrere verletzte. Acht bekannte Arbeiteranarchisten, Organisatoren des Protestmarsches, wurden im darauf folgenden Schauprozess verurteilt und vier von ihnen hingerichtet: George Engel, Albert Parsons, August Spies und Adolph Fischer. Louis Lingg beging in seiner Zelle Selbstmord, die restlichen drei – Samuel Fielden, Oscar Neebe und Michael Schwab – wurden später begnadigt. Damit hatte der Klassenkampf in den USA eine neue Eskalationsstufe erreicht. Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale 1889 wurde der Erste Mai in Gedenken an die Opfer von Chicago zum „Kampftag der Arbeiterbewegung“ erklärt. Zwischen den Bratwurstständen des DGB, staatskommunistischem Proletkult, spießigen Familienausflügen und Hippie-Festen ist heute leider verloren gegangen, dass der Tag eigentlich für die Kämpfe der militanten Arbeiter_innenklasse sowie die wichtige Rolle der migrantischen Arbeiter_innen und Anarchist_innen in diesen Kämpfen steht.

 

Seit all dem hat sich viel getan. Der Kapitalismus hat sich im 20. Jh. mehrfach grundlegend gewandelt. Nach den gescheiterten Aufständen und Revolutionen zu Beginn des Jahrhunderts und dem Korporatismus (1) und der Kriegswirtschaft der faschistischen Staaten etablierte sich nach dem Krieg eine neue Ordnung, die auf dem teils freiwilligen teils erzwungenen Kompromiss zwischen Staat, Kapital und Arbeiterfunktionär_innen basierte: In den westlichen Demokratien wurde das fordistische (2) Produktionsregime der Massenfabriken und des Sozialstaats eingerichtet, in den Ostblock-Diktaturen der Staatskapitalismus der Sowjetunion eingeführt. In den 70ern ist der Kapitalismus in die sogenannte neoliberale Phase übergangen. Seitdem werden in einer bis heute anhaltenden Offensive von Staat und Kapital alte Sicherheiten und Arbeiter_innenrechte abgeschafft. Für uns in Deutschland bedeutet das konkret zunehmend prekäre (unsichere) statt sicheren Arbeitsverhältnissen, Teilzeitarbeit und Minijobs statt vollen Arbeitsstellen, eine Senkung unseres Reproduktionsniveaus und Lebensstandards (z.B. höhere Krankenkassenbeiträge, mehr Zuzahlungen zu Behandlungen, Rente erst ab 67), den neuen Arbeitszwang über Hartz IV und die fortgesetzte Zusammenarbeit der Bürokratien der DGB-Gewerkschaften mit unseren Chefs und dem Staat statt Arbeiter_innenmilitanz.

 

Die grundlegenden Strukturen des Kapitalismus haben sich aber nicht gewandelt. Diese Gesellschaft basiert weiterhin auf der Ausbeutung unserer Arbeitskraft sowie auf der Spaltung der Arbeiter_innen, Entrechtung und krassen Ausbeutung der benachteiligten Gruppen. Das sind beispielsweise die slowakischen Arbeiter_innen in der Geflügelfabrik in Hainspitz bei Eisenberg oder rumänischen Erntehelfer_innen auf den Erdbeerfeldern Thüringens. Die inhaftierten Arbeiter_innen, die in den thüringischen Justizvollzugsanstalten Tonna, Untermaßfeld, Hohenleuben, Goldlauter, Gera und Arnstadt Zwangsarbeit leisten. Frauen, die immer noch für selbe Arbeit schlechter bezahlt bzw. in schlecht bezahlten Branchen gehalten werden und in den Haushalten und Familien die meiste Haus- und Sorgearbeit kostenlos verrichten. Aber speziell in Jena auch die studentischen und jugendlichen Arbeiter_innen, die sich in Minijobs aber auch als Hilfskräfte an der Uni um Mindestrechte wie Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Überstunden und sogar den Mindestlohn prellen lassen.

 

Arbeit bestimmt einen Großteil unserer Zeit und unseres Lebens. Entsprechend sollten Arbeitskämpfe eine wichtige Rolle in unserem Leben einnehmen. Wir wollen uns deswegen mit euch zusammentun, uns gemeinsam organisieren und uns endlich gegen die beschissenen Arbeitsverhältnisse wehren – schließlich geht es um nichts Geringeres als unsere Leben, unsere Würde und unsere Bedürfnisse! Für uns bedeutet das nicht nur, konkrete Forderungen um Lohnnachzahlung oder verbesserte Arbeitsbedingungen durchzusetzen, sondern auch Alternativen wie Kooperativen, Kommunen und solidarische Netzwerke aufzubauen und zu verteidigen. Das können wir nur selbst tun, denn die, die von diesen Verhältnissen profitieren, werden das nicht für uns tun. Nun gibt es leider weder in den bürokratischen Gewerkschaften eine widerständige Alltagskultur, noch könnte man sagen, dass sich Viele aus der autonomen Bewegung mit ihren eigenen Arbeitsverhältnissen auseinandersetzen würden. Deswegen möchten wir den Aufbau von widerständigen Betriebsgruppen und unabhängigen Gewerkschaften wie der FAU, IWW (3), der Gefangenengewerkschaft (GG/BO) (4) und den unter_bau (5) weiter voranbringen und im Hier und Jetzt Arbeitskämpfe anfangen und gewinnen.

 

Eigentlich wollten wir den 1. Mai nutzen, um das auszudrücken und auf unsere konkreten Arbeitskämpfe in Jena hinweisen. Leider vereinnahmen auch die Nazis den 1. Mai als „nationalen Tag der Arbeit“ für sich. In Halle und Gera wird es größere Nazi-Demos geben. Auch wir werden dort hinfahren und die autonomen Antifa-Proteste unterstützen. Wir wollen uns aber diesen Tag und seinen ursprünglichen Inhalt nicht wegnehmen lassen und bloß den Nazis hinterherfahren. Deswegen organisieren wir für den Vortag, den 30. April, eine Arbeitskampf-Demo in Jena. So wollen wir nicht nur auf die zahlreichen kleinen Arbeitskämpfe und Organisierungsprozesse in unserer Stadt hinweisen, sondern auch klar machen, dass wir nicht die bestehende Ordnung, sondern unsere Kämpfe gegen diese Ordnung vor den Nazis verteidigen.

 

Wir rufen auch alle Antifaschist_innen in Jena und Umgebung auf, unsere Demo zu unterstützen. Denn erstens sind es die Entfremdung, die zunehmende gefühlte und tatsächliche Unsicherheit auf Arbeit und beim Hartz-Amt, die Konkurrenz zwischen verschiedenen Arbeiter_innen und Gruppen von Arbeiter_innen, die den Nährboden für die Neonazis (Dritter Weg, Die Rechte, NPD) und Neue Rechte (AfD, Identitäre) darstellen. Zweitens ist es die Spaltung in und Hierarchisierung von deutschen und ausländischen Arbeiter_innen im Kapitalismus, an die die Nazis gekonnt anknüpfen können. Und drittens sind einige Ziele und Visionen der Nazis noch oder schon jetzt ansatzweise Realität in der Arbeitswelt, z.B. die Zwangsarbeit der Gefangenen, die Diskriminierung und krasse Ausbeutung migrantischer Arbeiter_innen auf dem Arbeitsmarkt, erste Schritte in Richtung Zwangsarbeit für „Asoziale“ über das workfare-Regime von 1€-Jobs für Arbeitslose und 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. All das zeigt uns, dass Klassenkampf und Antifaschismus zusammen gehören.

 

Kommt also am 30. April um 15 Uhr zum Holzmarkt in Jena. Von dort werden wir an einigen Orten der Ausbeutung, aber auch des Widerstands vorbeiziehen, wo dann verschiedene Leute über ihre Organisierungsversuche und Arbeitskonflikte sprechen werden.

 

(1) Korporatismus bezeichnet eine politische und wirtschaftliche Ordnung, in der sich die verschiedenen Klassen – freiwillig oder zwangsweise – in Großverbänden organisieren und innerhalb eines Nationalstaats „für das gemeinsame Wohl“ zusammenarbeiten. Das kann sowohl die erzwungene Integration der Arbeiter_innen über die Deutsche Arbeitsfront (DAF) in die sogenannte „Volksgemeinschaft“ der Nationalsozialisten als auch die Zusammenarbeit des DGB mit Kapital und Staat im Rahmen von „Sozialpartnerschaft“ und „freiheitlich-demokratischer Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ bedeuten.

(2) Der Fordismus bezeichnet ein nach dem Ersten Weltkrieg in Europa und Nordamerika entstandenes kapitalistisches Produktionsregime. Es basierte auf der Ausbeutung der Arbeiter_innen in der Massenproduktion, der kostenlosen Ausbeutung der Sorgearbeit der Frauen im häuslichen Bereich, auf einem neuen Massenkonsum für die Arbeiter_innenklasse und einem ausgebauten Sozialstaat. Seine Hochphase erlebte der Fordismus nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1970ern ist er in die Krise geraten und wurde vom Neoliberalismus abgelöst.

(3) Die Industrial Workers of the World (IWW), auch Wobblies genannt, wurden 1905 in den USA gegründet. Sie sind eine internationale, Basisgewerkschaft für alle Sektoren. Seit 10 Jahren gibt es eine Sektion der IWW im deutschsprachigen Raum. Die nächste IWW-Gruppe ist in Leipzig.

(4) Die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) wurde 2014 als Gewerkschaft der inhaftierten Arbeiter_innen gegründet. Ihre Kernforderungen sind der Mindestlohn hinter Gittern, der volle Einbezug der Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme und Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern. In Thüringen gibt es die Jenaer Soligruppe und aktive Sektionen in den meisten JVAs des Landes.

(5) Die unter_bau ist eine im Herbst 2016 offiziell gegründete Basisgewerkschaft für alle Arbeiter_innen an der Uni Frankfurt. Sie versucht, möglichst viele Uni-Beschäftigte, egal ob wissenschaftlich oder nicht, zu organisieren, die Solidarität unter ihnen zu stärken und mittelfristig über einen Streik und einen Tarifvertrag ihre Situation merklich zu verbessern.