Was genetische Analysen verraten und was nicht

Erstveröffentlicht: 
22.03.2017

Haar- und Augenfarbe eines Menschen lassen sich anhand von Erbgutproben schon heute bestimmen. Aber wie sieht es bei der geographischen Herkunft eines gesuchten Verdächtigen aus? Was die genetische Forensik kann - und wo ihre Grenzen sind.

 

Von Hanno Charisius


Das Erbgut in den Zellen eines Menschen bestimmt, wie er aussieht - zumindest zu großen Teilen. Augen-, Haut- und Haarfarbe sind in den Genen gespeichert, so wie viele andere körperliche Merkmale. Da liegt die Idee nahe, aus genetischen Spuren in einem Haar oder Blutstropfen am Tatort, ein Phantombild zu konstruieren. So weit ist die Technik zwar noch nicht, aber bereits heute können Gene als stumme Zeugen Fahndern einiges über das Äußere eines Verdächtigen verraten.

 

"Zurzeit können wir Augen- und Haarfarbe recht akkurat aus DNA bestimmen", sagt Manfred Kayser, Professor für forensische Molekularbiologie an der Erasmus Universität in Rotterdam. Anhand sechs genetischer Marker lasse sich mit hoher Treffergenauigkeit erkennen, ob ein Mensch braune oder blaue Augen hat. Alle übrigen Farben seien nicht so genau bestimmbar. Auch rote und schwarze Haare können Forensiker bereits recht zuverlässig aus den Genen lesen. "Blond und braun ist schwieriger, weil manche Blonde mit dem Alter dunkler werden", sagt Kayser. "Dann zeigen die Gene oft blond, obwohl der Mensch inzwischen tatsächlich eher hellbraune Haare hat." Bei der Hautfarbe sind die Forensiker noch nicht so weit. "Insgesamt wissen wir weitaus mehr über die genetischen Grundlagen von Krankheiten als über die Genetik unseres Aussehens."

 

Aktuelle Methoden können die Herkunft eines Menschen nur sehr ungenau eingrenzen

 

Kaum anders sieht es mit der DNA-Analyse zur Bestimmung der biogeografischen Abstammung aus. Mittels einiger Dutzend genetischer Marker lasse sich immerhin unterscheiden, ob der Erbgutträger aus Westeurasien, Ostasien oder aus einem Land südlich der Sahara stammt oder ein amerikanischer Ureinwohner ist, sagt Kayser. Mit 99,9 Prozent gibt der Rechtsmediziner Peter Schneider vom Universitätsklinikum Köln die Wahrscheinlichkeit an, mit der die kontinentale Herkunft einer Person typischerweise aus ihren DNA-Spuren bestimmt werden kann. "Im konkreten Fall kann es aber natürlich auch sein, dass keine eindeutige kontinentale Zuordnung möglich ist." Den riesigen geografischen Bereich Westeurasien feiner aufzulösen, sei mit heutigen Mitteln nur für einige Regionen, wie den indischen Subkontinent möglich. Um das zu ändern, wären mehr genetische Informationen über Bewohner der verschiedenen Regionen notwendig und mehr Wissen über die genetischen Marker, die das Aussehen beeinflussen. "Die Vorhersagequalität ist entscheidend von den Referenzdaten abhängig", sagt Schneider.

 

Bisher arbeiten er und seine Kollegen überwiegend mit Daten aus öffentlichen Forschungsprojekten. "Die bilden aber nicht alle geografischen Regionen repräsentativ ab", sagt Veronika Lipphardt vom University College Freiburg. "Gerade im Nahen Osten gibt es große Lücken. Außerdem lassen sich Menschen, die einen genetisch gemischten Hintergrund haben, in vielen Fällen schlecht einordnen." Die in der aktuellen Debatte oft erwähnten Wahrscheinlichkeitsangaben zur Bestimmung von Augen-, Haar- und Hautfarbe hält sie für nicht zutreffend berechnet und befürchtet eine ungerechtfertigte Konzentration auf Minderheiten bei den Ermittlungen, die sich auf Genanalysen stützen.

 

Einige Forschergruppen arbeiten bereits daran, Gesichtszüge aus den Genen abzuleiten. Auch wenn solch komplexe Eigenschaften noch nicht gut verstanden seien, hält Peter Schneider ein aus dem Erbgut konstruiertes Phantombild langfristig für möglich. Merkmale wie die Körpergröße bleiben aber auch in Zukunft schwierig zu bestimmen. Die wird durch einige Hundert Gene gesteuert, und auch Umwelteinflüsse haben einen Einfluss darauf, zu welcher Größe ein Mensch heranwächst.

 

Schneider selbst findet, dass die 99,9-Prozent-Wahrscheinlichkeitsangabe in der öffentlichen Debatte zurzeit stark überbewertet wird. "Es ist ein Wert, den wir typischerweise bekommen für Menschen ohne stark gemischten genetischen Hintergrund. In der Realität liegt die Genauigkeit manchmal über dem Wert und oft darunter." Diese statistische Angabe sei keine Schallmauer.